Sandemose | Ein Flüchtling kreuzt seine Spur | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 608 Seiten

Sandemose Ein Flüchtling kreuzt seine Spur


Erste Auflage
ISBN: 978-3-945370-87-2
Verlag: Guggolz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 608 Seiten

ISBN: 978-3-945370-87-2
Verlag: Guggolz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Aksel Sandemose (1899-1965) hat sich mit 'Ein Flüchtling kreuzt seine Spur' fest in die Literaturgeschichte Skandinaviens eingeschrieben; 'Jantes Gesetz', das bis heute für die skandinavische Mentalität steht, als Mahnung für die gesellschaftliche Gleichheit und gegen die Selbstüberschätzung, stammt daraus. Es ist ein Entwicklungsroman über Sandemoses Alter Ego Espen Arnakke, doch auch gleichzeitig ein großer Gesellschaftsroman über das ländliche Skandinavien. Aksel Sandemose lässt seinen Protagonisten erzählen, wie er vermeintlich zum Mörder wurde. Er geht ins Detail, holt psychologisch in früheste Kindheit aus, und entwirft mit einer Fülle an Beobachtungen, Reflexionen und Anekdoten aus dem fiktiven Ort Jante ein Panorama von kleingeistiger, beklemmender Gemeinschaft an der Schwelle ins 20. Jahrhundert. Aksel Sandemose steckte all seine Wut, seine Verzweiflung über andere und sich selbst und seinen unbändigen Freiheitsdrang in diesen Roman. Er spottet, beleidigt, empört sich, deutet, verurteilt - gnadenlos mit sich und anderen, aber auch erstaunlich klar auf den Grund der Dinge dringend. Gabriele Haefs findet in ihrer Übersetzung einen Ton, der das Geschehen jederzeit im Griff hat. Sie lotet die Ambivalenzen der zwischen Selbsterhöhung und Scham schwankenden Sprache des Adoleszenten aus, die psychologischen Abgründe und auch den kommentierenden Schriftsteller Sandemose, der sich in der überarbeiteten Fassung des Romans 1955 zu Wort meldet. Sie bringt ein großes Werk ans Licht, das irritiert, amüsiert und bewegt - und einen Einblick in eine gequälte Seele ermöglicht, wie nur Literatur es vermag.

Aksel Sandemose (1899-1965) wurde in Dänemark als Sohn eines Schmieds geboren. Eigentlich hieß er Axel Nielsen, 1921 nahm er den Namen Aksel Sandemose an, nach dem Wohnort seiner Großeltern. Nach Ende der Schulzeit fuhr Sandemose zur See, nach Amerika, Kanada und Indien. Er schlug sich als Gärtner, Lehrer, Kontorist, Landarbeiter, Journalist durch. Ab 1929 lebte Sandemose in Norwegen und schrieb ab 1931 auf Norwegisch (Bokmål). Er gilt als Begründer des modernen skandinavischen Romans. Sein Werk ist beeinflusst von Joseph Conrad, Jack London und den großen psychologischen Theorien der Zeit, er gibt tiefe Einblicke in die Psyche seiner Figuren und spart nicht an radikaler Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Dies und sein unberechenbarer Lebenswandel brachten ihm den Ruf eines literarischen Enfant terrible ein. 1941 bis 1945 lebte Sandemose im schwedischen Exil. 1965 starb er in Kopenhagen.
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VORWORT ZU DEM BUCH ÜBER DAS GESETZ VON JANTE


Irgendwann im Jahre 1930 saß ich mit einigen Menschen zusammen und diskutierte über literarische Formen, und dabei dachte ich fast schon an den Roman. Mir rutschte die Bemerkung heraus – und es war meine absolute Überzeugung –, dass ich in meinem ganzen Leben kein Buch in Ich-Form und kein Buch über Kindheit schreiben würde.

»Ein Flüchtling kreuzt seine Spur« ist in Ich-Form geschrieben, und größtenteils geht es um Kindheit und Jugend. Drei Monate nachdem ich kategorisch erklärt hatte, dass es niemals so weit kommen würde, lag die erste Fassung vor.

Der Zufall ist von einem gewissen psychologischen Interesse. Als ich mit solchem Nachdruck, voller Überzeugung und Entschlossenheit, andere in meine vermeintliche Überzeugung eingeweiht hatte, begann ich schließlich, mir über diese Überzeugung Gedanken zu machen. Was hatte mich eigentlich dazu veranlasst, nie und nimmer als schreiben und Kinder schildern zu wollen? In Wirklichkeit hatte ich einen Damm zum Bersten gebracht.

Mein voriges Buch, »Ein Seemann geht an Land«, war noch nicht veröffentlicht. Darin hatte ich mich offener als bisher an autobiographischem Stoff bedient, vor allem zu Anfang, später im Roman dann weniger. Der Damm war also schon brüchig. Außerdem waren seit dem Tod meiner Eltern einige Jahre vergangen. Trotz aller gewaltigen Veränderungen und aller scheinbaren Emanzipation hatte ich in ihrem Schatten und in dem meiner Herkunft gelebt. Das bedeutet nun wiederum: im Schatten des Gesetzes von Jante. Die Scham und die Bescheidenheit, die – wie man glaubt – einen Menschen dazu bringen, sich vorsichtig und auf allerlei verblümte Weise auszudrücken, und zwar am liebsten mit einer dicken Glaswand zwischen den Wörtern und der Wirklichkeit dieser Wörter, verließen mich, als die Alten nicht mehr da waren. Hier liegt auch einer der Gründe, warum ich Norweger wurde – einer der vielen und einander überkreuzenden Gründe. Auch wenn das Gesetz von Jante hoffnungslos universal ist, nicht zuletzt unter sogenannten »großen Verhältnissen« seine Forderungen stellt, und in Brooklyn mit seiner schlimmer wütet als in der kleinen Stadt, nach der ich es benannt habe – so war die Sprache von Jante unauflöslich mit der Kultur von Jante verflochten. Sie war zu der Stimme des Jantegottes geworden, der sich weigerte, sich von einem Luzifer benutzen zu lassen.

Das erzählende Ich im Buch ist Espen Arnakke, geboren 1899 in einer in kargen Verhältnissen lebenden Arbeiterfamilie, Sohn eines dänischen Vaters und einer norwegischen Mutter, aufgewachsen in der dänischen Kleinstadt, die Jante genannt wird. Der Name Arnakke ist der einer Lokalität in der Nähe der Stadt, eines Höhenzugs, der sich in den Fjord hinausschiebt. Den Vornamen habe ich aus dem Lied über die Zwillingssöhne des Asser Rig, Esbern und Aksel, später Esbern Snare und Bischof Absalon. Ansonsten findet sich der Name Espen im dänischen Teil der Familie immer wieder, als Espen, Esbern, Esben, Esper.

Der Name Espen Arnakke taucht bereits in meinen früheren Büchern auf, und in »Ein Seemann geht an Land« wird die Vorgeschichte zu »Ein Flüchtling kreuzt seine Spur« erzählt. Die ersten Abschnitte dort bilden die Einleitung zu »Ein Flüchtling« und sollten entsprechend gelesen werden.

Die Stadt Jante in diesem Buch ist äußerlich gesehen an die Stadt Nykøbing auf der Insel Mors (Morsø, Morsland) am Limfjord angelehnt. Das führte in den Jahren seit 1933 zu einer Reihe überaus scharfer Angriffe auf meine Person. Wenn diese Angriffe von Menschen gekommen wären, die die Kunst des Lesens beherrschen, hätten sie eine gewisse Dringlichkeit haben können, aber so waren sie nur unbillig. Man kann sicher sagen, dass die, die mir ans Leder wollten, ziemlich peinliche Dinge hätten herausfinden können, aber sie waren nur wütend, und dann hapert es oft an klarer Sicht. Es gab denn auch einen Hintergrund, über den diese Menschen einfach nichts wissen konnten – nämlich alle die Briefe, die ich ebenfalls erhielt und in denen stand, wie wunderbar es sei, dass ich die Stadt angegriffen hätte. Mir wurden latrinäre Angebote von weiteren Informationen gemacht, damit ich die Stadt noch nachdrücklicher anschwärzen könnte. Ich spielte bisweilen mit dem Gedanken, beide Arten von Briefen zu veröffentlichen und endlich die Stadt einen Blick in ihr eigenes Gesicht werfen zu lassen, aber ein solches Vorgehen lag ja doch unter meiner Würde. Jedenfalls hat Jante sich in Briefen an mich viel ärger angeschwärzt, als ich es jemals vorhatte oder als es mir jemals möglich gewesen wäre. Auch die Auffassung, die diese Menschen von Literatur hatten, entzog sich der Diskussion. Die, die mich angriffen, hatten mit denen, die danach hechelten, mich weitermachen zu sehen, gemein, dass nicht einer von ihnen das Buch gelesen hatte. Mir wurden so viele Informationen zugesandt – die meisten anonym –, dass ich mich in Jante als Erpresser hätte niederlassen können.

Ich sehe keinen Grund zu verhehlen, dass mich das alles verletzte. Es ist klar, dass ich stark an der Stadt meiner Kindheit hing. Andererseits liegt es wohl auch auf der Hand, dass die Stadt heute für mich nur noch als schattenhafte Kindheitsregion existiert, als verschleierte und wehmütige Erinnerung, die sich so gut wie nie mehr zu Wort meldet. Dennoch freut es mich zu hören, dass sich der Wind jetzt gedreht hat. Das Buch ist endlich gelesen worden, wird nicht nur vom Hörensagen nacherzählt, und es ist eine andere Generation dazugekommen, eine, die sich nicht persönlich betroffen fühlt und deshalb nicht mit blutunterlaufenen Augen liest. Viele Jahre sind vergangen, und inzwischen ist die Welt von einer Katastrophe getroffen worden. Es ist deutlich, dass die neue Generation nicht so recht begreift, warum die ältere Sinn und Verstand verloren hatte, und die neue scheint das Buch zu , das ist der Unterschied.

Es ist oft nützlich, eine Überlegenheit zu heucheln, die man nicht empfindet, aber ich bringe das nicht über mich. Jetzt ist alles bedeutungslos, damals war es nicht so. Diese Reaktion verstehe ich im Grunde gut. Es konnte durchaus überraschend wirken, die eigene Stadt als Muster für eine gesellschaftliche Form dargestellt zu sehen, die nicht gut ist, die aber niemand zu verstehen versuchte – und ich fand am schlimmsten den Pöbel, der mir in anonymen Briefen zujubelte, wegen etwas, das sie nur aus dritter oder vierter Hand gehört und das sie mit übelriechender Freude umgeformt und in ihrer schmutzigen Phantasie vulgarisiert hatte. Meine Angreifer handelten trotz allem aus einem reineren Gemüt heraus.

Von einem literarischen Standpunkt aus betrachtet – und das ist der einzige, den ich akzeptieren kann –, hat das Buch nichts mit einer ganz bestimmten Stadt zu tun. Das zeigt sich vielleicht am besten darin, dass viele ihren eigenen Heimatort erkannt haben – so ist es z. B. Menschen aus Arendal, Tromsø und Viborg gegangen. Aus letzterer Stadt kam die Bitte, über meine dort verbrachten Schultage zu schreiben, mit der Begründung, dass ich ja offenbar von dort käme. Möglicherweise kann das für den einen oder anderen in meinem Jante ein Trost sein. Ich weiß nur wenig über Viborg, ich war mit vielleicht zehn Jahren einmal auf einem Ausflug für einige Stunden dort. Ich wurde – durch ein Wunder, das kann man durchaus sagen – davor gerettet, vom Turm des Doms zu fallen. Also bin ich zwar nicht in Viborg geboren, wäre aber fast dort gestorben. Etwa zwanzig Jahre später konnte ich gedruckt lesen, dass es das Beste für mich und andere gewesen wäre – in dieser Hinsicht sind manche Menschen großzügig. Es war zu der Zeit, als das meiste, was geschrieben und gesagt wurde, mich noch nicht vollständig gleichgültig ließ. Früher war ich eine leichte Beute und überaus verletzlich. Das kann man zugeben, wenn man so weit gekommen ist, dass Beschimpfungen und Unsachlichkeit nur zu einer vorübergehenden Müdigkeit im Kopf führen. Solche Dinge widerfahren mir übrigens nur noch selten – das liegt vielleicht daran, dass ich nur noch selten in den Zeitungen auftauche und kein fester Gast mehr bei allerlei tristen literarischen Veranstaltungen um die Weihnachtszeit bin, wenn der Erlöser und weise Personen aller Art gefeiert werden.

Vor zwanzig Jahren hatte man einiges daran auszusetzen, dass sich das Buch zu sehr mit der Pubertät befasse, ein eigentlich seltsamer Gedanke, da alles doch auf eine Katastrophe am Ende der Pubertät hinführt. Es gab damals noch die starke literarische Konvention, die Pubertät auszublenden. Es ist zwar schmerzhaft, an jene unglückliche Zeit erinnert zu werden, als man sich im Schmelztiegel befand, aber die Kunst darf keine solchen Rücksichten nehmen. Im Gegenteil hatte ich diesem Zeitraum nicht genug Platz geboten, und das führte später zu dem Buch »Im Garten stand eine Bank«, einer ziemlich...



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