E-Book, Deutsch, 148 Seiten
Sanden Die Quote
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7494-1363-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 148 Seiten
ISBN: 978-3-7494-1363-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wolfgang Sanden, 1946 in Hildesheim geboren, war nach Abitur und Mathematikstudium dreißig Jahre lang in verschiedenen Berufen der IT-Branche tätig. Heute arbeitet er als freier Schriftsteller. Sanden ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Außer "Die Quote" hat der Autor zehn weitere Bücher veröffentlicht. In der Polit-Fiktion "Der Filmfälscher" ist es der Stasi gelungen, unbemerkt eigene Leute in höchste Regierungsämter zu bringen. "Daktylysator oder Wichardts schöne neue Welt" thematisiert den Missbrauch biometrischer Daten, hier des elektronischen Fingerabdrucks, indem er das Szenario eines revolutionären Umsturzes entwirft. Die Erzählung "Letztes Klassentreffen" schildert die Zusammenkunft ehemaliger Schüler 42 Jahre nach dem Abitur, die zunächst in heiteren Erinnerungen schwelgt, ehe sie zu einer Abrechnung über scheinbar längst vergangene Ereignisse wird. Die Gefahren rapide steigender Gesundheitskosten in einer alternden Gesellschaft greift der Roman "Und wissen ihr Ende doch" auf. Eine gentechnische Entdeckung eröffnet den politisch Verantwortlichen ungeahnte Einsparungsmöglichkeiten - auf Kosten von Ethik und Moral. "Phytomania" ist eine Satire auf die gesellschaftlichen Befindlichkeiten dieser Tage, die durch die Neigung zu kollektiver Erregung und Verschwörungstheorien - beide durch die Geschwätzigkeit der Medien, insbesondere der "sozialen Netze" befeuert - gekennzeichnet sind. Protagonist der Kriminalromane "Mordsbeginn", "Aulenstein", "Falsch kalkuliert", "Zerrieben" und "Das zweite Band" ist Dagolf Sennwang, ein IT-Spezialist, der eher zufällig in Kriminalfälle gerät.
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Fabian Flasch befindet sich auf dem Heimweg vom Büro – und zwar zu Fuß. Das hat er in letzter Zeit sehr häufig machen können, weil der trockene Sommer in einen milden Herbst übergegangen ist. Während der knapp dreißig Minuten an frischer Luft gehen ihm immer verschiedenste Gedanken durch den Kopf, meistens drehen sie sich aber um den Klub.
In den zurückliegenden Wochen hat er viele Abende mit anderen Klubmitgliedern im Bahnhof Lischda-West zusammengesessen. Fast ausschließlich ist über die geforderten Veränderungen an der Modellanlage gesprochen, nicht selten laut gestritten worden. Dem von Luba Lukow gemachten Vorschlag, fürs erste einfach den Namen des Bahnhofs zu ändern, hat sich Herbert Malstein sofort angeschlossen (»Das kann man noch akzeptieren – und danach Ende Gelände«), aber den allermeisten ist klar gewesen, daß sie damit die Agentur auf Dauer nicht werden zufriedenstellen können. Doch wie weit anpassen, ohne in die Anlage, über Jahre durch unermüdlichen Einsatz von Zeit und Geld gewachsen, massiv einzugreifen und ihr so ein nicht beabsichtigtes Erscheinungsbild zu geben?
Die größte Sorge jedoch bereitet dem geschäftsführenden Vorstand die Tatsache, daß sie – wie befürchtet – noch keine Frau für den Vorsitz gefunden haben. Als Flasch das letzte Mal bei der Agentur angerufen hat – nicht die Lukow, sondern ein der Stimme nach jüngerer Mann ist am Apparat gewesen –, hat er endlich auch nachgefragt, was passieren werde, wenn man bis Ende November keine passende Kandidatin gefunden haben sollte. Dem etwas verlegenen Herumgestottere hat Flasch immerhin folgendes entnehmen können: Ja, vielleicht ist eine Fristverlängerung möglich. Aber halt, geht es vielleicht um den Modelleisenbahn-Klub Lischda? Moment, bitte. Mh, laut EQuOSS hat der bis zum 30.11. Zeit. Ach so, das weiß man schon. Ja, dann. Wann Frau Lukow wieder zu sprechen ist? Nun, die hat man zur stellvertretenden Leiterin der AfGuQ-Geschäftstelle Lischda befördert. Doch ihr Nachfolger am anderen Ende der Leitung will sie in der MEKL-Sache ansprechen. Rufen Sie am besten in vier Wochen wieder an.
Fabian Flasch ist zu Hause angekommen. Er zieht das Schlüsseletui aus der Gesäßtasche und schließt die Haustür auf. Im Flur empfängt ihn der vertraute Geruch. Er wohnt mit seiner Mutter im Erdgeschoß des Vierfamilienhauses – seit der Geburt. Bundesbahnoberamtsrat Flasch ist kurz nach Fabians 20. Geburtstag an Lungenkrebs gestorben. Die Witwe hat die Dienstwohnung – drei Zimmer, Küche, Bad und Balkon, dazu eine Mansarde – bei noch über einen längeren Zeitraum günstiger Miete behalten dürfen. Es hat sich damals angeboten, daß der Sohn während des BWL-Studiums in seinem Kinderzimmer wohnen blieb – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen, anfänglich aber auch, um den Verlust für die Mutter erträglicher zu machen. Wie so oft ist aus einer als vorübergehend gedachten Lösung ein für beide Seiten bequemer Dauerzustand geworden.
Die Mutter steht in der Küche und bereitet das Abendessen vor. »Fabian, du kannst schon mal den Küchentisch dekken. Wir essen in einer halben Stunde. Es gibt Gulasch.«
Während der Mahlzeit erzählt Fabian ausführlich von seiner Sorge um den Fortbestand des Modelleisenbahn-Klubs, auch wenn seine Mutter dazu nicht viel zu sagen hat, höchstens »Aber das Bergdorf mit dem hübschen Kirchlein, das bleibt doch hoffentlich?«. Wäre doch ihr Sohn, denkt sie, in die Fußstapfen seines Vaters getreten und zur richtigen Bahn gegangen, anstatt als Controller bei »Fisano« zu arbeiten, dann würde er jetzt nicht die gesamte Freizeit mit diesem Spielzeugkram verbringen. Über dieses Alter ist er doch eigentlich schon längst hinaus! Nach einer Frau sollte sich ihr Fabian endlich umsehen. Sie würde nämlich liebend gerne Oma werden.
»Weißt du, Memi«, das Kleinkindwort hat er über all die Jahrzehnte beibehalten, und die Mutter hört es immer noch gern, »weißt du, wenn unser Klub geschlossen würde, das wäre für viele eine Katastrophe.«
»Immerhin bleibt dir dann noch die Modelleisenbahn oben in der Mansarde. Damit kannst du machen, was du willst, da kann dir niemand reinreden.«
»Ja, aber die ist doch überhaupt nicht mit der großen Anlage zu vergleichen. Das ...« Moment mal, durchfährt es Fabian wie ein Blitz, was hat seine Mutter gerade gesagt? Da kann dir niemand reinreden ... Das ist doch die Lösung. »Mensch, Memi, du bist Gold wert.«
Er springt auf und drückt ihr einen Kuß auf die Wange.
Sie schaut ihn groß an. »Kannst du mir bitte mal verraten, was dich plötzlich so euphorisch stimmt?«
»Ganz einfach, Memi. Wenn es mit einer Vorsitzenden nicht klappen sollte, dann privatisieren wir den MEKL einfach. Dann können die uns von der Agentur mal kreuzweise.«
Noch am selben Abend ruft Fabian Flasch nacheinander Lotte Stiftlein, Enzo Ramazotti und Herbert Malstein an. Aufgekratzt und hoffnungsvoll schildert er ihnen seine Idee. Das Echo ist gemischt. Wenn das klappen würde, das wäre ja wunderbar, freut sich Herbert. »Ich bin dabei, Fabian. Und wehe, die anderen legen sich quer ...« Lotte hingegen klingt ziemlich nüchtern: »Meinst du, das geht so einfach? Aber wenn, wäre das wirklich toll.« Enzos Reaktion ist zunächst sizilianische Begeisterung, die aber bald den Bedenken eines Kassenwartes weicht – Ramazotti bedient beileibe nicht das Vorurteil, Italiener seien lax im Umgang mit fremden Geldern: »Fabiano, was machen wir mit dem Klubvermögen, eh?«
Flasch verspricht, sich über die juristischen Details einer Vereinsauflösung zu erkundigen. Am nächsten Tag nimmt er per E-Post Kontakt zu seinem Klassenkameraden Dr. Michael Vogt, Rechtsanwalt und Notar in Lischda, auf.
Der meldet sich eine Woche später (»Entschuldige, aber ich habe im Moment wahnsinnig viel zu tun.«). Prinzipiell könne man natürlich einen Verein auflösen, was übrigens Liquidation genannt werde. Es sei dabei eine gewisse Reihenfolge einzuhalten: Beschlußfassung der Mitglieder wie in der Satzung festgelegt, Bestimmung eines Liquidators (»Das bliebe höchstwahrscheinlich an dir hängen.«), Bekanntmachung der Liquidation, Befriedigung der Gläubiger (»Haha, nicht, was du denkst. So heißt das nun einmal.«) und danach, ganz wichtig, die Aufteilung des Vereinsvermögens. »Schau mal in der Satzung nach, wie das geregelt ist. In eurem Fall nehme ich, daß das Vermögen auf die Mitglieder verteilt werden muß. Knifflig, knifflig.«
»Und was hältst du von der Idee, den Verein zu privatisieren, indem man bei der Liquidation das Vermögen, das ja hauptsächlich aus der Modellanlage besteht, zum Beispiel pro forma einer einzelnen Person zukommen läßt? So könnten wir der Quotenregelung entgehen. Und das ist schließlich unser Ziel!«
»Mensch, Fabian, seit wann bist du denn ein Bilderstürmer und Revoluzzer? Ich kenne dich doch als jemanden, der nichts Verbotenes tut. Das war schon in der Schule so. Du willst dich tatsächlich für so ein Hobby aus dem Fenster lehnen?« Der Spott in Vogts Stimme ist nicht zu überhören. »Weißt du, die Sache beginnt mir Spaß zu machen. Diese Scheißquoten bedeuten eine Negativauslese. Ein unmögliches Gesetz – auch wenn wir Rechtsanwälte gut daran verdienen. Es gibt jede Menge Klagen dagegen.« Er lacht wieder. »Aber du hast mich auf deiner Seite. Schick mir am besten eine Kopie eurer Satzung und ein paar Daten über den Verein. Mitgliederzahl, Geldbestand, Wert der Anlage und so weiter. Dann werde ich mal einen Mustervertrag zur Verteilung des Vereinsvermögens aufsetzen. Ohne Notar wird es sowieso nicht gehen. Ich werde euch aber beim Honorar entgegenkommen, keine Angst.« Und dann schiebt er noch einen Witz nach: »Weißt du, warum die verschärfte Quotenregelung zuerst bei den Behörden angewendet wird? – Weil man beim Service den Unterschied zu vorher gar nicht bemerkt.«
Mit Unterstützung von Schriftführerin und Kassenwart stellt Flasch die geforderten Unterlagen zusammen, wobei die Wertbestimmung für die Anlage sehr, sehr grob ausfällt. Lotte macht übrigens darauf aufmerksam, daß sie für ihr Domizil im Bahnhof Lischda-West lediglich eine symbolische Miete zahlen. Im Falle einer Privatisierung sehe das vermutlich ganz anders aus, eine Privatperson müsse garantiert viel mehr zahlen. Unter Umständen würde ihr sogar gekündigt. Was dann?
Mit jedem Tag, der ergebnislos verrinnt, steigt Fabians Nervosität. Der Notar läßt sich Zeit – klar, ein Mandat brächte ihm angesichts der in Aussicht gestellten Honorarminderung wohl nicht so viel ein (Vogt konnte schon in der Schule sehr gut rechnen). Und Lottes Hinweis hat Fabian Flasch ziemlich verunsichert. Mit Lischda-West besitzt die Agentur womöglich ein Druckmittel. Auch wenn die Bahn...