Saramago | Kain | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Saramago Kain

Roman
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-455-81026-4
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-455-81026-4
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Vermächtnis des Nobelpreisträgers. José Saramago war bekennender Atheist und eckte regelmäßig bei der katholischen Kirche an. In seinem letzten Roman schreibt er die Bibel kurzerhand um und lässt den Brudermörder Kain eine ganz eigene Reise durchs Alte Testament antreten. Mit Phantasie, Ironie und einem Schuss Boshaftigkeit führt der große Romancier die göttliche Allmacht ad absurdum. 'Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte ihrer Uneinigkeit mit Gott, weder versteht er uns, noch verstehen wir ihn', heißt es in Saramgos Kain, und es könnte das Motto des Buches sein. Saramago schickt seinen Kain an die unterschiedlichsten Schauplätze des Alten Testaments und lässt ihn aktiv an den biblischen Episoden teilhaben. So ist Kain dabei, als Abraham aufgefordert wird, seinen Sohn Isaak zu opfern, wobei er ihm überzeugend die Unsinnigkeit dieses Unternehmens vor Augen führt und Schlimmeres abwendet. Er interpretiert auf seine Weise die Zerstörung von Sodom und Gomorrha, ist fassungslos angesichts der Babel'schen Sprachverwirrung und findet sich am Ende auf der Arche Noah wieder. 'Portugals bedeutendster Romancier' (Die Zeit) hat mit Kain ein kraftvolles, provozierendes letztes Werk geschrieben.

José Saramago (1922-2010) wurde in Azinhaga in der portugiesischen Provinz Ribatejo geboren. Er entstammt einer Landarbeiterfamilie und arbeitete als Maschinenschlosser, technischer Zeichner und Angestellter. Später war er Mitarbeiter eines Verlags und Journalist, bevor er Schriftsteller wurde. Während der Salazar-Diktatur gehörte er zur Opposition.1998 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
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Cover
Titelseite
Für Pilar, als sagte [...]
Durch den Glauben hat [...]
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Über José Saramago
Impressum


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Als der Herr, bekannt auch unter dem Namen Gott, feststellte, dass Adam und Eva, wiewohl in allem Äußeren anscheinend vollkommen, kein Wort von den Lippen kam, ja dass sie keinen Laut, nicht einmal den einfachsten Urlaut von sich gaben, blieb ihm nichts anderes übrig, als mit sich selbst zu zürnen, gab es doch niemanden sonst im Garten Eden, den er für den überaus schwerwiegenden Mangel zur Verantwortung hätte ziehen können, zumal die anderen Tiere, allesamt gleich den beiden Menschen Ergebnisse des göttlichen Es werde, sich schon, mit Muhen oder Brüllen die einen, mit Grunzen, Zwitschern, Pfeifen oder Gackern die anderen, einer eigenen Stimme erfreuten. In einem Zornesanfall, überraschend bei jemand, der mit einem weiteren knappen fiat alles hätte lösen können, eilte er zu dem Paar und stopfte beiden ohne viel Federlesens kurzerhand die Zunge in die Kehle. Aus den Schriften, in denen im Laufe der Zeit die Ereignisse jener fernen Epochen recht zufällig festgehalten wurden, sei es mit womöglich nachträglicher kanonischer Bestätigung oder als Frucht einer zweifelhaften, heillos ketzerischen Phantasie, geht nicht erhellend hervor, um welche Zunge es sich handelt, ob um den beweglichen und feuchten Muskel, der sich in und mitunter auch außerhalb der Mundhöhle hin und her bewegt, oder um die Sprache, die der Herr bedauerlicherweise vergessen hatte und von der wir nicht wissen, welche es war, da von ihr nicht die geringste Spur übrig geblieben ist, nicht einmal ein in die Rinde eines Baumes geritztes Herz mit einer sentimentalen Inschrift, etwas in der Art von Ich liebe dich, Eva. Da im Prinzip eins nicht ohne das andere sein sollte, steht zu vermuten, dass ein weiterer Zweck des kräftigen Stoßes, den der Herr den stummen Zungen seiner Sprösslinge verpasste, darin bestand, diese in Kontakt mit dem tiefsten Innern des körperlichen Daseins zu bringen, den sogenannten Unannehmlichkeiten des Daseins, damit sie künftig, dann schon mit einiger Sachkenntnis, von ihrer dunklen, labyrinthischen Verwirrung sprechen konnten, an deren Fenster, dem Mund, selbige sich bereits zeigte. Alles kann sein. Sorgfältig wie jeder gute Handwerker, was ihm wohl anstand, sowie bestrebt, die vorausgegangene Nachlässigkeit durch angemessene Demut wettzumachen, wollte der Herr natürlich bestätigt sehen, dass sein Fehler korrigiert war, und so fragte er Adam, Du, wie heißt du, und der Mann antwortete, Ich bin Adam, dein Erstgeborener, Herr. Sodann wandte der Schöpfer sich der Frau zu, Und du, wie heißt du, Ich bin Eva, Herr, die erste Dame, antwortete sie unnötigerweise, denn eine zweite gab es nicht. Der Herr war es zufrieden, er verabschiedete sich mit einem väterlichen Auf Wiedersehen und wandte sich wieder seinen Angelegenheiten zu. Da sagte Adam zum ersten Mal zu Eva, Komm, wir gehen ins Bett.

Seth, der dritte Sohn der Familie, kommt erst nach hundertdreißig Jahren zur Welt, nicht weil die mütterliche Schwangerschaft so lange gedauert hätte, um das Entstehen eines neuen Abkömmlings zu vollenden, sondern weil die Zeugungsorgane des Vaters und der Mutter, also die Hoden und die Gebärmutter, mehr als ein Jahrhundert gebraucht hatten, um heranzureifen und ausreichende Fortpflanzungskraft zu entwickeln. Wer es eilig hat, dem sei gesagt, dass es das fiat einmal gab und dann nie wieder, dass ein Mann und eine Frau keine Wurststopfmaschinen sind, mit Hormonen ist es sehr kompliziert, sie lassen sich nicht einfach so im Handumdrehen produzieren, es gibt sie weder in der Apotheke noch im Supermarkt, man muss ihnen Zeit lassen. Vor Seth waren in knappem zeitlichen Abstand zuerst Kain und dann Abel auf die Welt gekommen. Was nicht ohne sofortigen Kommentar übergangen werden darf, ist der tiefe Verdruss über so viele Jahre ohne Nachbarn, ohne Ablenkung, ohne ein zwischen Wohnzimmer und Küche krabbelndes Kind, ohne andere Besuche als die des Herrn und selbst diese höchst selten und kurz, dazwischen lange Pausen, zehn, fünfzehn, zwanzig, fünfzig Jahre, wir können uns vorstellen, dass nicht viel gefehlt hat und die einsamen Bewohner des irdischen Paradieses hätten sich als arme, im Urwald des Universums ausgesetzte Waisen empfunden, auch wenn sie nicht zu erklären vermocht hätten, was Waisen und ausgesetzt sein bedeutet. Zwar sagte Adam jeden zweiten Tag, sehr häufig auch schon am nächsten, zu Eva, Komm, wir gehen ins Bett, doch die eheliche Routine, im Fall dieser beiden noch verschärft durch keinerlei Variationen der Stellung aufgrund mangelnder Erfahrung, erwies sich schon damals als so destruktiv wie eine Invasion von Holzwürmern, die im Dachgebälk nagen. Bis auf ein bisschen Holzmehl, das hier und da aus winzigen Öffnungen rieselt, ist die Attacke kaum zu merken, doch innen drin geschieht anderes, und schon bald bricht zusammen, was doch so stabil zu sein schien. In solchen Fällen, behaupten manche, könne sich die Geburt eines Kindes belebend auswirken, wenn nicht auf die Libido, die von wesentlich komplizierteren chemischen Vorgängen abhängt als dem Erlernen des Windelnwechselns, so doch wenigstens auf die Gefühle, was, wie man zugeben muss, nicht so wenig ist. Was den Herrn und seine sporadischen Besuche betrifft, beim ersten wollte er nachsehen, ob Adam und Eva beim Einrichten ihres Heims Schwierigkeiten gehabt hatten, beim zweiten hören, ob sie aus der Erfahrung mit dem Landleben einen Nutzen gezogen hatten, und beim dritten ihnen mitteilen, dass er so bald nicht wiederzukommen gedenke, denn er müsse die Runde durch die anderen Paradiese machen, die es im Himmel gebe. Tatsächlich sollte er erst sehr viel später wiedererscheinen, zu einem nirgends aufgezeichneten Zeitpunkt, um das unselige Paar aus dem Garten Eden zu vertreiben wegen des abscheulichen Vergehens, die Frucht vom Baum der Erkenntnis gegessen zu haben. Dieses Ereignis, das zu der ersten Definition einer bis dahin unbekannten Erbsünde führte, ist nie so richtig erklärt worden. Erstens würde selbst der rudimentärste Verstand unschwer begreifen, dass informiert sein der Unwissenheit immer vorzuziehen ist, insbesondere wenn es um so heikle Angelegenheiten wie Gut und Böse geht, bei denen jeder, ohne es zu merken, die ewige Verdammnis in einer Hölle riskiert, die es damals aber noch zu erfinden galt. Zweitens schreit zum Himmel, wie unvorsichtig der Herr vorging, denn wenn er wirklich nicht gewollt hätte, dass sie von besagter Frucht essen, wäre es ein Leichtes gewesen, das zu verhindern, er hätte nur den Baum gar nicht oder ihn woanders zu pflanzen brauchen oder ihn mit einem Stacheldrahtzaun umgeben müssen. Und drittens haben Adam und Eva nicht erst durch Missachtung des göttlichen Gebots entdeckt, dass sie nackt waren. Splitterfasernackt waren sie schon, als sie ins Bett gingen, und wenn der Herr diese doch offensichtliche Schamlosigkeit nie wahrgenommen hatte, so war daran seine Erzeugerblindheit schuld, jene anscheinend unheilbare Blindheit, die uns daran hindert zu sehen, dass unsere Kinder letztlich doch nur so gut oder so schlecht sind wie die anderen.

Antrag zur Geschäftsordnung. Bevor wir in dieser lehrreichen und endgültigen Geschichte über Kain fortfahren, die wir uns so unerhört kühn vorgenommen haben, wäre es vielleicht ratsam, um den Leser nicht ein zweites Mal mit anachronistischen Maßen und Gewichten zu verwirren, in der Chronologie der Ereignisse ein Kriterium einzuführen. Dies wollen wir also tun, und so beginnen wir mit der Erläuterung eines hier oder da aufgekommenen maliziösen Zweifels, ob Adam mit hundertdreißig Jahren denn noch fähig gewesen sei, ein Kind zu zeugen. Auf den ersten Blick nicht, wenn wir uns lediglich an die Fruchtbarkeitsstatistiken der modernen Zeiten halten, doch dürften diese hundertdreißig Jahre in den Kindheitstagen der Welt wenig mehr als eine einfache, kraftvolle Jugend dargestellt haben, die selbst der frühreifste Casanova sich hätte wünschen können. Außerdem sei daran erinnert, dass Adam neunhundertdreißig Jahre alt wurde, folglich nicht viel fehlte und er wäre in der Sintflut ertrunken, denn er starb zu Lebzeiten des Lamech, Vater des Noah und späteren Erbauers der Arche. Also hatte er Zeit und Muße, die Kinder zu zeugen, die er zeugte, und noch weit mehr zu zeugen, wenn ihm daran gelegen gewesen wäre. Wie schon gesagt, war der zweite, der nach Kain kommen sollte, Abel, ein blonder Jüngling von guter Erscheinung, mit dem es, nachdem der Herr ihm die schönsten Beweise seiner Wertschätzung hatte zuteilwerden lassen, das schlimmste Ende nahm. Den dritten nannten sie, wie ebenfalls bereits gesagt, Seth, doch dieser wird keine Rolle spielen in der Geschichte, die wir Schritt für Schritt behutsam wie ein Historiker komponieren, weshalb wir es hier damit bewenden lassen, nur ein Name und nicht mehr. Manch einer behauptet, in seinem Kopf sei die Idee geboren, eine Religion zu begründen, doch mit diesen heiklen Angelegenheiten haben wir uns schon in der Vergangenheit reichlich beschäftigt, mit schändlicher Oberflächlichkeit nach Ansicht einiger Fachleute und in einer Ausdrucksweise, die uns sehr wahrscheinlich nur von Schaden sein wird bei den Plädoyers des Jüngsten Gerichts, wenn alle Seelen wegen Maßlosigkeit oder Mangel verurteilt werden. Jetzt interessiert uns nur die Familie, deren Oberhaupt Papa Adam ist, und was für ein schlechtes Oberhaupt er war, denn anders können wir es wirklich nicht bezeichnen, schließlich brauchte die Frau ihm nur die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu bringen, damit sich der inkonsequente erste aller Patriarchen, im Grunde eher aus Selbstgefälligkeit denn aus echter Überzeugung, zunächst hatte bitten lassen, sich dann an der Frucht verschluckte und damit uns Männern für alle Zeit dieses lästige Stück Apfel in der Kehle hinterließ, das weder hochkommt noch nach unten rutscht. Auch gibt es Stimmen, die behaupten,...


Saramago, José
José Saramago (1922-2010) wurde in Azinhaga in der portugiesischen Provinz Ribatejo geboren. Er entstammt einer Landarbeiterfamilie und arbeitete als Maschinenschlosser, technischer Zeichner und Angestellter. Später war er Mitarbeiter eines Verlags und Journalist, bevor er Schriftsteller wurde. Während der Salazar-Diktatur gehörte er zur Opposition.1998 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

José Saramago (1922-2010) wurde in Azinhaga in der portugiesischen Provinz Ribatejo geboren. Er entstammt einer Landarbeiterfamilie und arbeitete als Maschinenschlosser, technischer Zeichner und Angestellter. Später war er Mitarbeiter eines Verlags und Journalist, bevor er Schriftsteller wurde. Während der Salazar-Diktatur gehörte er zur Opposition.1998 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.



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