Sarrazin | Wunschdenken | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 400 Seiten

Sarrazin Wunschdenken

Europa, Bildung, Währung, Einwanderung - warum Politik so häufig scheitert
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7844-8423-5
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Europa, Bildung, Währung, Einwanderung - warum Politik so häufig scheitert

E-Book, Deutsch, 400 Seiten

ISBN: 978-3-7844-8423-5
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Werden wir gut regiert? Oder bleibt die Politik hinter ihren Möglichkeiten zurück? Und wenn das so ist – woran liegt das? Gibt es Techniken guten Regierens? In seinem Bestseller beschreibt Thilo Sarrazin die Mechaniken von Politik, ihre typischen Fehler und die Gründe für den Erfolg oder Misserfolg von Gesellschaften. Er verdeutlicht, warum die Träume von einer besseren Gesellschaft oft nichts Gutes hervorgebracht haben. Von hier schlägt er den Bogen zu den Fehlern der aktuellen deutschen Politik, von der Einwanderung bis zur Energiewende. Er erklärt die tieferen Ursachen und gibt seine Antworten auf die großen Fragen zur Zukunft Deutschlands.

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1 Weshalb einige Gesellschaften Erfolg haben und andere nicht Unsere Motivationen und Antriebe, unsere Hoffnungen und Ängste wohnen in uns und sind integraler Teil unserer Persönlichkeit. Vieles davon teilen wir mit den Menschen um uns herum. Aus diesem Umfeld und aus dem Zustand der Gesellschaft, wie wir ihn wahrnehmen, entwickeln wir unsere Forderungen an die Politik. Niemand muss sich dazu erst historische Kenntnisse aneignen, denn wir alle tragen ein umfangreiches Wissen in uns, das unsere Sicht auf die Welt prägt, und zwar unterschiedlich nach der regionalen und staatlichen Herkunft, der Generation, dem Bildungsstand und der Schichtzugehörigkeit, den Zufälligkeiten des Elternhauses, Freundeskreises, der Lektüre und der Reiseerfahrung. Dieses Wissen ist oft unbewusst. Es kann falsch oder unausgegoren sein und hat dann einen gleitenden Übergang zum Vorurteil. Aber wirkmächtig ist es in jedem Fall und trägt viel zu dem bei, was man Volkscharakter nennt. So wird jenes deutsche Lebensgefühl, das die Angelsachsen gerne »German Angst« nennen, offenbar mitgeprägt von den traumatischen kollektiven Erfahrungen der Deutschen im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648), als das Land kreuz und quer von großenteils ausländischen Heeren durchpflügt wurde und in einer Generation 40 Prozent seiner Menschen verlor. Ähnliches erlebten sie rund anderthalb Jahrhunderte später in abgemilderter Form während der napoleonischen Kriege.1 Philosophen und Staatstheoretiker haben für Theorien und Erklärungen immer wieder die Geschichte bemüht, und die Politiker haben für ihre Zwecke gerne auf propagandataugliche historische Mythen zurückgegriffen oder diese geschaffen. Kaum ein Volk, kaum eine Religion und kaum eine Kultur kommen ohne historische Mythen aus: Der römische Staatsdichter Vergil leitete in seiner Äneis die Gründung Roms aus dem Untergang Trojas ab und verlieh somit dem Römischen Reich eine Legitimation, die ebenso alt war wie Homers Ilias. Das Alte Testament beschreibt nicht nur die Entstehung der Welt, sondern erzählt auch die Geschichte von Gottes auserwähltem – jüdischem – Volk. Noch heute nehmen die Kreationisten in den USA – immerhin ein Drittel der amerikanischen Bevölkerung – wörtlich, was in der Bibel steht, etwa dass die Welt von Gott in sieben Tagen erschaffen wurde und 6000, höchstens 10000 Jahre alt ist, dass mithin die Erkenntnisse der Physik und der Evolutionsbiologie über die Welt und die Entwicklung des Lebens falsch sind. Historische Mythen entstehen immer wieder neu: Der türkische Präsident Tayyip Erdogan erheiterte die westlichen Medien im Sommer 2014 mit der Behauptung, muslimische Seefahrer hätten Amerika bereits vor Kolumbus entdeckt. Das ist Ausdruck des Bemühens, Behauptungen über eine religionsimmanente Rückständigkeit der islamischen Kultur durch eine Erzählung abzulösen, die die Überlegenheit dieser Kultur begründen soll. Die Nazis erfanden den Mythos von der Überlegenheit der germanischen Rasse, und der Marxismus erfand den Mythos von der gesetzmäßigen Stufenentwicklung der menschlichen Geschichte, die zwangsläufig zur Überwindung des Kapitalismus und zur klassenlosen Gesellschaft führt. In den USA, in Russland und bei den meisten europäischen Völkern (besonders anschaulich bei den Briten, den Franzosen, den Spaniern, den Serben) gibt es eine historische Erzählung, die »beweist«, dass und weshalb das jeweilige Volk wahlweise das vortrefflichste, von der größten Tragik heimgesuchte oder vom schlimmsten Leid geprüfte ist. Die Existenz falscher oder zumindest höchst merkwürdiger historischer Mythen ist kein Argument gegen die Nützlichkeit historischen Wissens für politische Zwecke, auch wenn jede historische und politische Konstellation anders ist und nur weniges, was wir historisch wissen, in eine andere Zeit, ein anderes Umfeld linear übertragen werden kann. Dass jede Situation neu und anders ist, gilt als Binsenweisheit: Zu allen Zeiten wusste der fähige Heerführer, dass die Logik einer jeden kriegerischen Auseinandersetzung eine andere ist, und verließ sich darum nicht auf platte Analogien zu vorangegangenen Feldzügen. Gleichermaßen ist jede Wirtschaftskrise anders als die vorhergehende. Die politische Antwort darauf kann also nicht mechanisch sein. Sie ist aber, wenn sie adäquat ist, durch intelligente Anwendung früherer Erkenntnisse geprägt. Bis ins 18. Jahrhundert hinein war das historische Wissen im Allgemeinen eher rudimentär. Wo es nicht ausreichte, wurde es durch Glauben beziehungsweise durch theologischen Rat aufgefüllt. Dem kam im Zweifelsfall ohnehin höhere Autorität zu als der schieren Beobachtung der Wirklichkeit. Daneben gewann ganz allmählich der Fortschritt in der naturwissenschaftlichen Erkenntnis und im technischen Können wachsende Bedeutung für die Politik. Es waren nämlich Kompass und Sextant, die den Seefahrern der Neuzeit zur Herrschaft über die Meere und zur Erschließung neuen Reichtums verhalfen und keineswegs die Gebete der Geistlichen. Das merkten auch die besonders Frommen unter den Fürsten. Zur Entwicklung des Menschen In den letzten 200 Jahren hat die Menschheit ein ungeheures Wissen über den Ursprung der Welt, die Entstehung des Lebens, die Entwicklung des Menschen und die menschliche Geschichte angehäuft. 1859 veröffentlichte Charles Darwin Die Entstehung der Arten und 1871 Die Abstammung des Menschen. Wir wissen seitdem, dass der Mensch in seiner Entstehung und Entwicklung grundsätzlich kein von der Natur abgesonderter Teil, sondern deren integraler Bestandteil ist, und dass er im komplexen Prozess der Evolution wie alles Leben auf der Welt durch natürliche Auslese geformt wurde und weiter geformt wird. Diese Erkenntnisse wurden durch die empirische Psychologie, die Evolutionsbiologie und die genetische Forschung zu einem immer detaillierteren Bild von der menschlichen Natur und von der Evolution des Menschen zusammengefügt. Wir wissen heute, dass nicht nur die menschliche Intelligenz, sondern auch alle anderen psychischen Eigenschaften überwiegend erblich sind2 und fortlaufend durch die natürliche Selektion weiter geformt werden.3 Durch die Fortschritte in der DNA-Forschung gelingt es auch immer besser, die Anlage zu unterschiedlichen Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmalen konkret im Erbgut nachzuweisen.4 Selbst der klassische Gegensatz von Leib und Seele kann heute als aufgelöst gelten. Das, was wir als menschliches Bewusstsein empfinden, ist quasi der Spiegel des Körpers im Hirn und existiert in ähnlicher Form auch bei anderen höheren Lebewesen.5 Auch sittliches Empfinden kann dem Grad der Funktionsfähigkeit bestimmter Hirnareale zugeordnet werden.6 In die Politik scheinen diese Erkenntnisse bis heute nicht vorgedrungen zu sein. Nachdem man die Ideologie des Sozialdarwinismus verworfen und eugenische Überlegungen aus dem Raum der Politik und der Politikberatung gänzlich verbannt hatte, schien Anfang der Siebzigerjahre bei dem Thema der natürlichen Evolution allgemein der Konsens zu herrschen, dass die Darwin’sche Entwicklungslehre zwar grundsätzlich gültig sei, für den Menschen aber keine praktische Relevanz habe, denn erstens sei die natürliche Evolution des Menschen lange vor dessen Auszug aus Afrika, also vor mindestens 100000 Jahren, zum Stillstand gekommen, und zweitens seien die menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten im Wesentlichen sozial vermittelt, also weitgehend formbar durch Politik und Gesellschaft. 1975 veröffentlichte der renommierte Biologe und Ameisenforscher Edward O. Wilson sein Buch Sociobiology. Darin strukturierte er »die Kenntnisse im Sozialverhalten zu der neuen auf der Populationsbiologie aufbauenden Disziplin [...], aus der später die Evolutionspsychologie hervorgehen sollte«.7 Mit seinen Erkenntnissen löste der Autor einen Skandal aus. Der gerne von Geisteswissenschaftlern und Journalisten erhobene Vorwurf des »Biologismus« hat seinen Ursprung in dieser Debatte. Wilson und anderen Soziobiologen wurde vorgeworfen, Rassismus, Sexismus, Ungleichheit, Sklaverei und Völkermord zu verteidigen. Ihre Vorlesungen wurden gestört, Universitäten sagten Auftritte ab, weil sie Tumulte befürchteten.8 Seitdem hat die Evolutionspsychologie die damaligen Erkenntnisse erheblich vertieft und weiterentwickelt. Sie sind heute bei aller Diskussion im Detail grundsätzlich unstreitig. 2012 fasste Wilson den Erkenntnisstand wie folgt zusammen: »Alle Einheiten und Prozesse des Lebens folgen den Gesetzen der Physik und Chemie; und alle Einheiten und Prozesse des Lebens sind in der Evolution durch natürliche Selektion entstanden.« Auch die komplexesten Formen des menschlichen Verhaltens sind letztlich biologisch begründet und stellen »Spezialisierungen dar, die unsere Primaten-Vorfahren über Millionen von Jahren ausgebildet haben«. Entsprechend schränken auch »die Sinneskanäle des Menschen unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit« ein, sofern wir diese Grenze nicht durch Hilfsmittel überwinden. Der »unzerstörbare Stempel der Evolution« wird dadurch bestätigt, »wie Programme zur genetischen Bereitschaft und Gegenbereitschaft die geistige Entwicklung bestimmen«.9 Als unabhängige Wesen...



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