E-Book, Deutsch, 380 Seiten
Saunders / Stiller Entzünde den Funken
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7407-3858-7
Verlag: TWENTYSIX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lesen für den guten Zweck
E-Book, Deutsch, 380 Seiten
ISBN: 978-3-7407-3858-7
Verlag: TWENTYSIX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Hilfsbereitschaft hat viele Gesichter Ob missmutiger Superheld, überforderte Psychologin oder verängstigter Marienkäfer - bei uns erfährt jeder Hilfe. In unseren fantastischen und belletristischen Geschichten entstauben wir die Bedeutung des Wortes Hilfsbereitschaft; Sie erfahren in diesem Benefizband, welche kreativen Ideen unsere Alltagshelden umsetzen. Folgen Sie uns in eine neue Welt des sozialen Engagements, denn mit dem Kauf spenden Sie an soziale Projekte in Deutschland. Enthaltene Geschichten: 15* All Age 8* ältere Teenager/Erwachsene 2* ab 9 Jahren 5 Gedichte Unsere Autoren in der Übersicht: A.M. Harries; Adrian Richard Stiller; Alexa Znih; Andrea Kerstinger; Anna Kleve; Anne Zandt; Barbara Weiß; Birgit Letsch; Constanzia Norström; Jana Schikorra; Jessica July; Jule Reichert; June Is; Katharina Rauh; Laura Nieland; Mia Schulz; Michaela Ofitsch; Nina E. Christ; Patrick Kaltwasser; Sandy Mercier; Siiri Saunders
Autoren/Hrsg.
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BARBARA WEISS
nehmen Sie aus der heutigen Sitzung für sich mit?«, fragte Julia den jungen Mann, der ihr gegenüber auf einem schwarzen Ledersessel saß und ein Taschentuch mit den Fingern zerrupfte. Seine Augen waren rot vom Weinen.
»Ich … Ich denke, ich … Ich ihr Grab besuchen. Aber ich es nicht. Ich muss nicht dahingehen, wenn ich nicht will. Und ich muss auch nicht alleine hingehen«, erklärte er und rieb sich die Nase, ehe er aufsah.
Julia nickte und lächelte traurig. »Sehr gut. Ich bin froh, dass Sie auf sich selbst und Ihre Bedürfnisse achten. Das ist ein wichtiger Schritt«, sagte sie und stand auf, um ihm die Hand zu schütteln. »Bis nächste Woche!«
»Bis nächste Woche. Danke, Frau Buchenberg«, flüsterte der Mann. Er stopfte sich die Taschentuchfetzen in die Hosentasche und flüchtete aus der Praxis.
Julia machte sich noch einige Notizen auf ihrem Klemmbrett, dann massierte sie sich den Nasenrücken und öffnete das Fenster, um frische Luft ins Zimmer zu lassen. Von dort aus sah sie den Kirchturm mit der Uhr und den verschnörkelten Zeigern. Bevor der nächste Klient kam, hatte sie noch eine halbe Stunde Zeit. Julia heftete ihre Notizen in den entsprechenden Ordner und schloss das Sprechzimmer ab, um sich im Mitarbeiterraum einen Kaffee zu machen.
Mit einem Knopfdruck blubberte die Kaffeemaschine und goss braune Flüssigkeit in Julias Lieblingstasse mit Hundewelpen-Motiv. Julia lehnte ihren Kopf gegen den Kühlschrank und schloss die Augen.
Die Tür schwang auf. »Bei dem Wetter ist es nicht so leicht, einen kühlen Kopf zu bewahren, was?«, sagte jemand.
Julia zuckte zurück und nahm beschämt ihre Tasse, damit ihre Chefin Nadiye sich auch einen Kaffee machen konnte.
»Na, wie geht es dir, Julia? Kaum zu glauben, dass du erst ein halbes Jahr bei uns arbeitest. Mir kommt es vor, als wärst du schon ewig hier!«
»Ein halbes Jahr schon«, staunte Julia. Tatsächlich kam es ihr eher wie gestern vor, als sie sich zum Studium der Psychologie eingeschrieben hatte.
»Gut. Etwas müde. Herr R. war gerade da und hat seit langem wieder geweint. Ich habe das Gefühl, dass er mich endlich durch seine Schutzmauer durchlässt.«
»Das klingt fabelhaft, aber eigentlich habe ich keine Zweifel daran, dass du gute Arbeit im Umgang mit den Klienten leistest«, antwortete Nadiye und drückte auf den Knopf der Kaffeemaschine. Nadiye hatte freundliche Augen, die Julia an den Labrador ihrer Nachbarn erinnerten. Auch in ihrem Lächeln lag Wärme, dennoch fröstelte Julia. Manchmal fühlte sie sich nackt gegenüber ihrer Kollegin.
»Du kannst immer zu mir kommen, wenn es dir nicht gut geht oder du ein paar Tage frei brauchst, in Ordnung?«, schob Nadiye noch hinterher und tätschelte ihr die Schulter.
»Klar. Danke«, stammelte Julia und war froh, dass Nadiye den Mitarbeiterraum verließ und nicht weiter nachhakte.
Julia hatte keinerlei Zweifel daran, dass ihre Chefin und Kollegen freundlich waren und Verständnis für ihre Situation hatten. Manchmal war das die Krux daran, nur mit Psychologen zusammenzuarbeiten. Alle waren verständnisvoll, sanft. Niemand wurde ungehalten oder laut oder würde ihr sagen, sie solle sich gefälligst zusammenreißen.
Julia trank einen Schluck Kaffee und flüchtete zurück ins Sprechzimmer. Im Regal suchte sie nach der entsprechenden Fallakte und las sich zur Erinnerung durch, was sie in der letzten Sitzung mit Frau S. besprochen hatte. Julia sehnte sich nach ihrem freien Wochenende. Die Badetasche lag bereits gepackt im Auto und laut Wetterbericht war kein Ende der Hitze in Sicht.
saß auf ihrem Handtuch und beobachtete das Treiben am Becken, der Wind kitzelte ihre Haut.
Der Bademeister gab den Drei-Meter-Sprungturm frei, hinter ihm scharten sich gackernde Kinder in bunten Badehosen, mit Sommersprossen im Gesicht und Pflastern auf den Knien. Unermüdlich erklommen sie die Stufen zum Sprungturm, jeden Tag aufs Neue und verbrachten ihre Sommerferien zwischen Chlorwasser, Kaktuseis und Schwimmbad-Pommes.
Als Kind war Julia jeden freien Sommertag den langen Weg von ihrem Elternhaus bis ins Freibad geradelt und hatte ihr ganzes Taschengeld für Brausebonbons und saure Schlangen ausgegeben. Den ersten Milchzahn hatte sie verloren, als sie am Beckenrand ausgerutscht und mit dem Gesicht gegen einen Blumenkasten geknallt war. An einen Junge mit Zahnlücke, der ihr von seiner Gummibärchentüte abgegeben hatte, verlor sie den ersten Kuss mit elf Jahren. So viele schöne Erinnerungen verband sie mit dem Freibad. Wenn hier jemand weinte, dann waren es Kinder, die hingefallen waren oder kein zweites Eis von ihren Eltern bekamen.
Ursprünglich wollte Julia hier in Ruhe ein paar Bahnen ziehen und sich sonnen. Sie hatte auch ein Buch dabei, in dem sie seit vier Wochen lustlos immer mal wieder ein paar Seiten las. Ein Tag im Schwimmbad verhalf ihr stets zu einem freien Kopf.
nicht. Julia saß auf ihrem Handtuch, die Haare zu einem Zopf gebunden und sah den Menschen beim Planschen und Baden zu. Eine Ameise krabbelte über ihren Fuß. Sie blieb reglos. Die Hitze machte sie träge, zu müde, um die wenigen Meter zum Schwimmbecken zu nehmen. Seufzend ließ Julia sich nach hinten fallen und starrte in den wolkenlosen Himmel. Sie lag unter einer Linde, deren grünes Laub ein wenig Schatten spendete.
Ihre Gedanken schweiften in die Ferne ab. Wenn sie jetzt ein Nickerchen machte, holte sie sich einen Sonnenbrand. Sie sollte sich zumindest vorher eincremen. Aber ihre Glieder blieben reglos, ihr Blick starr. Nur ihr Herz pumpte weiter im Takt, hielt die Maschinerie ihres Körpers am Laufen.
Julia musste an Herrn R. und seine Geschichte denken. An seine Freundin, die tot an einem Flussufer gefunden wurde. Niemand vermochte zu sagen ob es Suizid oder ein tragischer Unfall war. Aber Herr R. gab sich die Schuld. Und Julia musste unweigerlich an Marie denken. Maries breites Lächeln, die vielen gemeinsamen Nachmittage, die ausgetauschten Zettel im Unterricht, das Freundschaftsbändchen und die schlaflosen Nächte zwischen Kissen und Chipstüten.
Wenn Julia der Mond war, war Marie die Sonne. Laut, spontan und unternehmungslustig. Immer lachend, immer gut gelaunt. So zumindest der Schein. Doch auch Marie war nicht mehr da.
Julia fröstelte trotz der Hitze. Nein. So etwas wollte sie nicht denken. Es war nicht ihre Schuld.
Wasserball prallte auf ihren Bauch und Julia schreckte auf.
»Tom, du solltest zu mir werfen und nicht auf arglose Mitbürgerinnen!«, rief jemand lachend.
Ein junger Mann eilte herbei und schnappte sich den Ball.
»Jaja!«, motzte er in Richtung seiner Mitspieler und wandte sich dann an Julia. »Entschuldigen Sie bi…«
Julia sah ihm in die Augen und er sah in ihre. Die Erkenntnis durchfuhr sie wie ein Blitzschlag.
»E-Entschuldigung, Frau Buchenberg«, stammelte Herr R. und wurde rot um die Nase.
Julia...




