Savoy | Afrikas Kampf um seine Kunst | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 274 Seiten

Savoy Afrikas Kampf um seine Kunst

Geschichte einer postkolonialen Niederlage

E-Book, Deutsch, 274 Seiten

ISBN: 978-3-406-76697-8
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



BÉNÉDICTE SAVOY STEHT AUF DER TIME-LISTE DER "100 MOST INFLUENTIAL PEOPLE 2021"
WIE AFRIKA SCHON VOR 50 JAHREN UM SEINE KUNST KÄMPFTE - UND VERLOR

Schon vor 50 Jahren kämpfte Afrika um seine Kunst, die während der Kolonialzeit massenweise in europäische Museen gelangt war. Und es fand durchaus Unterstützung im Westen. Am Ende jedoch war der Kampf nicht nur vergebens, er wurde auch erfolgreich vergessen gemacht. Auf der Grundlage von unzähligen unbekannten Quellen aus Europa und Afrika erzählt Bénédicte Savoy die gespenstische Geschichte einer verpassten Chance, einer Niederlage, die heute mit umso größerer Wucht auf uns zurückschlägt.

Afrikas Bemühungen um seine in der Kolonialzeit nach Europa verbrachte Kunst sind keineswegs neu. Schon bald nach 1960, als 18 ehemalige Kolonien die Unabhängigkeit erlangten, wurde von afrikanischen Intellektuellen, Politikern und Museumsleuten eine ungeheure Dynamik in Gang gesetzt. In ganz Europa suchten daraufhin Politikerinnen und Politiker, Journalisten, Akademiker und einige Musemsleute einen Weg, afrikanische Kulturgüter im Sinne einer postkolonialen und postrassistischen Solidarität zurückzugeben. Die Argumente aber, mit denen andere versuchten, die Forderungen aus Afrika zu entkräften und Lösungen zu verhindern, ähneln auf frappierende Weise denen von heute. Schließlich verlief alles im Sand. Bénédicte Savoy verfolgt den postkolonialen Aufbruch und sein Ersticken und fragt, welche Akteure, Strukturen und Ideologien damals dafür sorgten, dass das Projekt einer geordneten, fairen Rückgabe von Kulturgütern traurig scheiterte.

Ein historisches Lehrstück von unheimlicher Aktualität

Die Geschichte einer verpassten Chance nach dem Ende des Kolonialismus

Bénédicte Savoy ist Koautorin des vielbeachteten "Berichts über die Restitution afrikanischer Kulturgüter" für Emmanuel Macron

Nur zehn Prozent der afrikanischen Kulturgüter befinden sich heute auf afrikanischem Boden
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1971 You Hide Me
Am 20. Januar 1971 feierte im Londoner Africa Centre ein Kurzfilm Premiere, der weit über London hinaus Aufsehen erregte: You Hide Me des 1944 geborenen ghanaischen Filmregisseurs Nii Kwate Owoo.[1] Das Africa Centre war der Mittelpunkt der panafrikanischen Szene in London (s. Kap. 1981). In der Restitutionsdebatte der 70er Jahre spielten Film und Literatur eine entscheidende Rolle. Sie eröffneten und eröffnen bis heute einen Raum für politische Imaginationen. Bereits 1953 hatte der Pariser Verlag Présence Africaine den antikolonialen Filmessay Les statues meurent aussi in Auftrag gegeben, in dem die französischen Filmemacher Chris Marker, Alain Resnais und Ghislain Cloquet afrikanische Kunstwerke in europäischen Museen und koloniale Missstände in Afrika zu einem scharfen Angriff auf den Kolonialismus verklammert hatten. Der oft zitierte Film hatte wegen seines «tendenziösen und subversiven Charakters» von der nationalen Filmkommission 1953 keine Zulassung erhalten und durfte in Frankreich erst elf Jahre später, ab 1964, in leicht modifizierter Fassung vertrieben werden.[2] Mitte der 1960er Jahre nahmen auf dem afrikanischen Kontinent immer mehr Intellektuelle in bewusster Wendung gegen das europäische Monopol zur Darstellung afrikanischer Themen die Kamera selbst in die Hand. Sie brachten Filme eigener Faktur auf die Leinwand, große panafrikanische Filmfestivals etablierten sich, darüber hinaus investierten manche Regierungen wie die in Ghana und vor allem Nigeria in den Ausbau der kommerziellen Filmindustrie. Ob sie aus anglophonen oder frankophonen Regionen kamen, Vertreter eines intellektuellen oder eines unterhaltsamen Kinos waren: Die ersten Protagonisten der postkolonialen Filmgeschichte in Afrika ließen sich fast alle im Ausland ausbilden. Sie studierten an den Filmhochschulen von London und Paris, einige von ihnen gingen nach Moskau. Das führte dazu, dass die Wiederaneignung eines kinematographischen Blicks auf Afrika für viele dieser afrikanischen Filmschaffenden im Herzen der kolonialen Metropolen begann. Die «Simultaneität von Eigenem, Traditionellem, Afrikanischem einerseits und dem Fremden, Modernen, Europäischen andererseits» wurde zum wiederkehrenden Topos in vielen afrikanischen Filmen der 1960er und 1970er Jahre.[3] Es verwundert deshalb nicht, wenn die Museen der kolonialen Hauptstädte, diese öffentlichen Tempel der Einverleibung fremder Kulturen, von angehenden afrikanischen Regisseuren als Motiv gewählt wurden. Gerade dort, insbesondere vor afrikanischen Objekten, erlebten sie die Möglichkeiten und Grenzen einer ästhetischen, spirituellen, ja politischen Wiederaneignung der eigenen Kultur und Vergangenheit. Für viele war der Besuch im British Museum der erste Kontakt überhaupt mit historischen Zeugnissen aus Afrika. So entstand 1970 You Hide Me im Depot der Londoner Institution. Neun Jahre später stand dasselbe Museum im Mittelpunkt von The Mask des nigerianischen Regisseurs Eddie Ugbomah (s. Kap. 1979). Beide Filme thematisierten die Rückgabe bzw. Rücknahme afrikanischer Kulturgüter voller Vehemenz, der eine in Form eines Dokumentarfilms, der andere als Actionfilm. Auch Schriftsteller wie der Nigerianer Niyi Osundare hielten in Gedichten immer wieder fest, was sie im Angesicht afrikanischer Werke in europäischen Museen empfanden (s. Kap. 1977). Der 40-minütige[4] Schwarzweißfilm You Hide Me war die Abschlussarbeit von Owoo an der London Film School. Der Regisseur hatte dort zwei Jahre lang studiert, war 26 Jahre alt und ließ sich James Nee-Owoo nennen, als er den Film drehte. Im ersten Teil sprechen drei aktive Vertreter der damaligen panafrikanischen Kunstszene in London über Kunst: der Sudanese Ibrahim el Salahi, Uzo Egonu aus Nigeria und der Exilsüdafrikaner Dumile Feni; außerdem ist der nigerianische Bildhauer Emmanuel Jegede bei der Arbeit in seinem Londoner Atelier zu sehen.[5] Die vom Titel geweckte Erwartung wird erst in der zweiten Hälfte des Films erfüllt: «You Hide Me», ihr versteckt mich. Die Kamera begleitet einen jungen schwarzen Mann und eine junge schwarze Frau (Owoo selbst und Margaret Prah) durch die Kellergewölbe des British Museum und zeigt, wie sie aus Kisten und Plastiktüten afrikanische Kunstwerke auspacken, darunter Holzstatuetten, Schmuck, ein Schwert, Hocker und Masken. «Der Film wurde an einem Tag gedreht», erinnert sich Owoo.[6] «Wir begannen mit der Arbeit um neun Uhr morgens und packten nachmittags gegen fünf Uhr ein. Das waren die Bedingungen, unter denen wir drehen durften. Wir stießen auf eine riesige Sammlung … Tausende von wichtigen Kunstwerken, die nie ausgestellt worden waren. Tief unter der Erde, im Keller. Wir verbrachten viel Zeit mit der Untersuchung der Artefakte, auf die wir stießen. Die Hälfte der Zeit haben wir gefilmt und die andere Hälfte damit verbracht, unsere Neugier zu befriedigen».[7] Nach etwa zehn Filmminuten verlassen die Protagonisten den Museumskeller. Die Kamera folgt dem jungen Mann in die hohen Ausstellungsräume, in denen er riesige Glasvitrinen voller wohlgeordneter afrikanischer Werke öffnet. Die Mitte des Raums beherrschen die prunkvoll arrangierten königlichen Objekte der Asante (Ghana), die bald darauf im Zentrum der ersten öffentlichen Debatte um Rückgaben in Großbritannien stehen sollten (s. Kap. 1974). Die Kamera gleitet darüber hinaus an fein gearbeiteten Köpfen aus dem Königreich Benin (Nigeria) entlang. Den ganzen Film begleitet eine männliche Stimme in afrikanischem Englisch aus dem Off. Der Kommentator beschreibt die gewaltsame Provenienz der Objekte mit Begriffen wie «loot» (Plünderung) und «sack» (von Benin City etwa). Er spricht von ihrer unsichtbaren «Gefangenschaft in Kisten und Plastiktüten» und prangert die systematische, «taktisch» gewollte Zerstörung kultureller, religiöser und künstlerischer Traditionen in Afrika durch koloniale Administrationen an. Er spricht von der Hierarchisierung der Kulturen durch ethnologische Museen und unterstreicht dabei die ideologische Instrumentalisierung afrikanischer Sammlungen in Europa und den USA: «Das Material, das sie in Afrika gesammelt haben, wurde als Propagandamaterial gegen Afrikaner und Nachfahren von Afrikanern benutzt».[8] Mit dem Übergang des Protagonisten in die Ausstellungsräume wechselt der Kommentar dann von der kolonialen in die postkoloniale Zeit, wobei nun die «verdächtige» Rehabilitierung afrikanischer Kunst durch die ehemaligen Kolonialmächte als weiteres asymmetrisches Verhältnis beschrieben wird. Die Stimme aus dem Off beklagt, dass Europäer und Amerikaner «sich als Experten darstellen und entscheiden, welche Kunst als Meisterwerk afrikanischer Kunst zu gelten hat», ja die Definitionsmacht über traditionelle afrikanische Kunst ausüben.[9] Der Film endet mit einem eindringlichen Appell: «Wie wollen die Regierungen der modernen afrikanischen Staaten der heute heranwachsenden Generation erklären, dass man die traditionelle Kunst im eigenen Land nicht sehen kann?»[10] «Wir, die Menschen Afrikas und afrikanischer Abstammung, fordern, dass uns unsere Kunstwerke, die unsere Geschichte, unsere Zivilisation, unsere Religion und Kultur verkörpern, unverzüglich und bedingungslos zurückgegeben werden.»[11] You Hide Me ist eine scharfe politische Anklage gegen die als nutzlos angesehene Präsenz afrikanischer Kulturgüter in den Depots britischer und anderer Museen. Im Westen ungesehen, für die Afrikaner nicht zugänglich – die gezeigten Objekte erscheinen im Film als ein riesiges im Unterbau des Museums gehortetes Kapital, doppelt begraben im kollektiven Unbewussten der afrikanischen wie der europäischen Gesellschaften. Owoo beklagt das Fehlen von Informationen über die kolonialzeitliche Herkunft der Werke und die Rhetorik der Hilfe statt Restitutionen: «Sie sagen nicht, wie diese Objekte erworben wurden […]. Sie bieten Hilfe an, weigern sich aber, unsere Kunstwerke zurückzugeben. Bücher können kein Material ersetzen, das außerhalb Afrikas aufbewahrt wird».[12] Mit diesen Thesen und seinem Werk erntete der junge ghanaische Filmabsolvent Beifall weit über London hinaus. Zur ersten Aufführung, so erinnert sich Owoo, hatte er «Professoren für afrikanische Geschichte von der School of Oriental and African Studies sowie aus Oxford und Cambridge eingeladen. Das war sehr erfolgreich. Der Saal war voll. Der Direktor des British Museum hatte Vertreter geschickt. Ich saß im hinteren Teil des Saals. In der Mitte des Films begannen die...


Bénédicte Savoy ist Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin und am Collège de France in Paris. 2016 erhielt sie den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sie hat vielfältig zu Kunstraub und Beutekunst geforscht und ist eine der prominentesten Stimmen in der Debatte um die Rückgabe geraubter Kulturgüter in westlichen Sammlungen.


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