E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Piper Wundervoll
Schaeffer Winterblütenmagie. Der zauberhafte Adventskalender mit 24 Fabelwesen
22001. Auflage 2022
ISBN: 978-3-492-98965-7
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman mit Illustrationen von Maxi Weismantel | Magischer Adventskalender zum Mitfiebern in der Weihnachtszeit
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Piper Wundervoll
ISBN: 978-3-492-98965-7
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Paulina Schaeffer studierte Germanistik und Anglistik in Berlin und absolvierte ihren Creative Writing Master in Edinburgh. Sie schreibt auf Englisch und Deutsch und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Am liebsten verbringt sie ihre Zeit in den Bergen.
Autoren/Hrsg.
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1. Irrlicht – Paulina Schaeffer
Ich starrte auf meinen flimmernden Bildschirm. Die leere Seite wollte sich einfach nicht füllen. In der Küche hörte ich Luke mit Tellern und Töpfen hantieren, und aus Traceys Zimmer drangen die Stimmen von Figuren aus einer Serie. Ich drehte mich auf meinem Schreibtischstuhl ein Stück nach rechts, und mit einem kräftigen Tritt beförderte ich meine Tür ins Schloss. Die Geräusche verstummten. Dann widmete ich mich wieder meinem Essay. Nur dass da noch rein gar nichts von einem Essay zu sehen war. Entschlossen tippte ich das Wort Einleitung. Ich versuchte meine Finger zum Weitertippen zu zwingen, doch sie schwebten nur über der Tastatur, während mein Gehirn keinen einzigen Gedanken zustande brachte. So hatte das keinen Sinn. Würde Cedric nur endlich aus seinem Zimmer kommen und mir einen Denkanstoß geben! Seit zwei Tagen hatte er sich darin verbarrikadiert und studierte die Fotos und Briefe aus dem Secondhandladen, als würden sie helfen, einen Mordfall aufzuklären und nicht bloß zu nicht existierenden Fabelwesen führen.
Ich stand auf und ging zum Fenster hinüber. Draußen war es dunkel, obwohl es gerade einmal sechzehn Uhr war. Die Straßenlaternen und die Lichter der vorbeifahrenden Autos vermischten sich, je weiter ich meinen Blick in die Ferne schweifen ließ. Wir wohnten in einer Gegend mit Mehrfamilienhäusern, Delikatessenläden und Biogemüsehändlern. Lukes Onkel hatte unsere Wohnung vor ein paar Jahren gekauft, und weil er genug andere Immobilien besaß, ließ er uns gnädigerweise für einen verkraftbaren Preis hier wohnen. Ich liebte es, ein wenig weiter weg von der Uni und den Studentenvierteln zu wohnen, durch die Läden in dieser Gegend zu schlendern oder an meinem Fenster zu sitzen. Hier war mein absoluter Lieblingsplatz. Das Fenster war eines der typischen Erkerfenster in Edinburgh, das in einem Bogen aus der Hausfassade hinausragte und innen Platz für eine Sitzbank bot. Ich saß oft stundenlang dort und beobachtete die Stadt.
Als ich nun hinausblickte, konnte ich über das Haus gegenüber hinweg bis zum Blackford Hill sehen. Wo sonst die Lichter der Stadt funkelten und glitzerten, war dort am Horizont ein schwarzes Loch, das sich mit der Dunkelheit des Himmels vermischte – ein beinahe nahtloser Übergang, wären die Lichter der Stadt nicht hell genug, um einen leichten Umriss des Hügels zu zeichnen.
Vielleicht konnte ich mich ja hier besser konzentrieren, überlegte ich, und nahm mit meinem Laptop und eingemummelt in eine Decke meinen Platz am Fenster ein. Ich zündete die Teelichter neben mir an. Zwischen ihnen stand der Adventskalender, den Cedric mir vor zwei Tagen geschenkt hatte. Kaum zu glauben, dass ich auf ihn gehört und immer noch kein Türchen geöffnet hatte, obwohl heute schon der erste Dezember war. Ich hatte eindeutig zu viel Unistress, sonst hätte ich schon längst hineingelugt.
Doch jetzt konnte ich kein Türchen öffnen, ich hatte mir verboten zu prokrastinieren. Also sollte ich mich wieder auf den Essay konzentrieren.
Der Adventskalender schien mich von der Seite her anzustarren, während ich meine Finger weiter über die Tasten schweben ließ. Ich schlug mir mit der Hand gegen den Kopf. Das war typisch. Kaum hatte ich mir etwas in den Kopf gesetzt, konnte ich es nicht mehr vergessen. Jetzt war es sowieso zu spät. Besser wäre, es schnell hinter mich zu bringen, um dann endlich mit dem Schreiben loslegen zu können.
Ich stellte den Laptop zur Seite und nahm die Postkarte mit den Sternbildern hoch. Sollte ich die Nummer fünf zuerst öffnen, um Cedric zu ärgern? Andererseits war Cedric momentan nicht gut auf mich zu sprechen, nachdem ich ihm vielleicht ein bisschen zu eindeutig verklickert hatte, dass ich seine Recherche für eine absolute Zeitverschwendung hielt. Vielleicht doch lieber die eins, um mich mit ihm zu versöhnen.
Ich suchte nach der Nummer und fand sie in der unteren linken Ecke neben einem besonders hellen Stern. Mit den Fingern der linken Hand drückte ich von der Rückseite gegen die Stelle auf der Karte. Mit dem rechten Zeigefinger schob ich vorsichtig das feste Papier zur Seite, das schon bei einer leichten Berührung nachgab. Wie viele Leute den Kalender wohl schon vor mir geöffnet hatten?
Hinter dem Türchen verbarg sich eine Zeichnung. Ich beugte mich etwas nach vorn, um besser sehen zu können. Eine Art blaue Flamme war auf einen dunklen Hintergrund gezeichnet und in klitzekleiner Schreibschrift war das Wort Irrlicht daruntergeschrieben worden. Na super, jetzt waren Cedrics Fabelwesen auch schon in meinem Adventskalender. Das hatte er sich schön ausgedacht! Langsam reichte es mit dem ganzen Quatsch! Den Kalender konnte er selbst behalten. Ich sprang auf und musste die Arme ausstrecken, um nicht die Balance zu verlieren. Mir wurde schwarz vor Augen, mein Kopf drehte sich und der Kalender rutschte mir aus der Hand. Mit zusammengekniffenen Augen atmete ich tief durch. Es zog in meinem Bauch und feuchte Kälte legte sich um meine Beine.
Panisch rieb ich mir die Augen. Was sollte das? Wieso drehte sich alles um mich herum? Ich versuchte den Mund zu öffnen, um Cedric zu rufen. Doch ich brachte nur ein leises Krächzen zustande.
Entschlossen räusperte ich mich und atmete ein weiteres Mal tief ein.
»Cedric!«, rief ich, und Erleichterung breitete sich in mir aus, obwohl meine Stimme merkwürdig hallte. Langsam lichtete sich der Schwindel in meinem Kopf.
Ich blinzelte. Es war auf einmal so dunkel in meinem Zimmer. Gab es mal wieder einen Stromausfall?
Mein Herz setzte einen Schlag lang aus.
Ich stand eindeutig nicht mehr in meinem Zimmer. Vor mir erstreckte sich eine weite, dunkle Moorlandschaft, über mir schien der Mond und erleuchtete die schemenhaften Schatten von Bergen in der Ferne, die sicherlich nicht mit Blackford Hill zu verwechseln waren. Verkrampft sah ich mich um, während mein Herz immer schneller schlug.
Ich träumte. Ich musste träumen.
Ein Windstoß fuhr mir durch mein Haar und ließ mich erzittern. Erst jetzt merkte ich, wie kalt mir war. Mein Blick wanderte nach unten.
Ich steckte bis zu den Knien im Matsch. Reflexartig zog ich mein rechtes Bein nach oben, doch es bewegte sich nur minimal, während der Matsch sich noch enger um mich zu schließen schien.
Echte Panik pulsierte nun durch meine Venen. Rund um mich herum gab es nichts außer Moor. Ich konnte noch nicht einmal einen Baum entdecken. Schlamm, Matsch und kleine Büsche, die in der Dunkelheit wie zusammengekauerte Tiere aussahen, das war alles, was es gab.
Ruhig bleiben, Tilly. Das ist nur ein Traum. Du wachst gleich wieder auf.
Doch auch in einem Traum obsiegte mein Überlebensinstinkt. Entschlossen nahm ich meine ganze Kraft zusammen und schob mein Bein erst nach rechts und dann nach links, um den Schlamm aufzulockern. Es schmatzte unter mir, während ich mühsam weiterkämpfte. Mit all meiner Kraft zog ich mein Bein in einem schrägen Winkel nach oben. Die Masse gab ein wenig nach und ließ mich gewähren. Ich zog weiter, und mit einem weiteren Schmatzen spürte ich, wie sie nachgab.
Jetzt das andere Bein.
Mein Keuchen vermischte sich mit dem Schmatzen und dem Rauschen des Windes in meinen Ohren.
Schweißperlen liefen mir über die Schläfen.
Mit letzter Kraft hob ich mein rechtes Bein noch einmal in die Höhe, und mit einem Blubbern löste sich mein Fuß aus der glitschigen Masse. Ich versuchte einen Fleck auf dem Boden auszumachen, der nicht ganz so matschig erschien, doch der Mond war hinter einer Wolke verschwunden, und so tastete ich mit meinem Fuß über den Schlamm, bis ich schließlich eine Stelle fand, die nicht sofort nachgab. Vorsichtig verlagerte ich mein Gewicht dorthin.
Es musste ein Fleckchen Gras unter mir sein, das mein Einsinken verhinderte.
Mein Atem beruhigte sich allmählich, während der Mond hinter einer Wolke hervorlugte und die Nacht erhellte. In einem bläulichen Schein betrachtete ich meine vollgeschmierte Jogginghose und meine nicht wiederzuerkennenden Birkenstock-Hausschuhe.
Plötzlich rutschte das blaue Licht nach vorn, als hätte jemand einen Scheinwerfer zuerst auf mich und dann von mir weggerichtet. Als ich hochsah, war es nicht der Mond, der mich anstrahlte, sondern eine blaue Flamme in der Luft.
Nur dass es keine blauen Flammen...