E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Reihe: CRiMiNA
Schairer Dunkle Erleuchtung
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-89741-957-5
Verlag: Ulrike Helmer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Reihe: CRiMiNA
ISBN: 978-3-89741-957-5
Verlag: Ulrike Helmer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Diplom-Journalistin arbeitete unter anderem in der Medienbeobachtung, der Markt- und Meinungsforschung und in der PR eines Großunternehmens. Sie lebt in Wien. Seit dem Jahr 2008 erscheinen ihre Romane und Krimis kontinuierlich im Ulrike Helmer Verlag, darunter 'Ellen', 'Die Spitzenkandidatin', zuletzt 'Küsse mit Zukunft' (Herbst 2017) und 'Fluss mit zwei Brücken' (Frühjahr 2018).
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Alkohol, Amore und Avancen
»… seit fünfzig Jahren eine gesunde, stabile Partnerschaft, die zahlreiche Höhepunkte zu verzeichnen weiß – kultureller, aber auch sportlicher Art. An Wettkämpfe und Begegnungen, die ganze Generationen geprägt haben, erinnern zahlreiche gerahmte Fotos an den Wänden unseres Rathauses.«
Liese Brauninger, Aichendorfs Erste Bürgermeisterin, stand auf der Tribüne der Begegnungshalle, einer zum Festsaal umgebauten Fabrikanlage hinter dem Bahnhof, und hielt seit zwanzig Minuten eine flammende Jubiläumsrede auf die Verbindung unserer niederbayerischen Marktgemeinde zu San Rosario, dem umbrischen Pendant. Dass allein die Begrüßung aller anwesenden Honoratioren ganze zehn Minuten gekostet hatte, ließ nicht auf ein baldiges Ende des offiziellen Teiles hoffen. Eine Dolmetscherin, die mit der achtzigköpfigen Delegation aus San Rosario angereist war, übersetzte zudem jedes Wort ins Italienische. Keine Frage, das auf der Einladungskarte angekündigte italienische Buffet würde ich mir hart verdient haben.
»Beginnen wir mit dem ersten Fußballturnier zwischen dem FC Aichendorf und dem SA Calcio Secondo im Jahre 1969. Damals gab es ja unseren tollen Sportplatz noch nicht, sodass diese legendäre sportliche Begegnung auf der Wiese vom Hinterdorfer Adi stattfand.«
Ein begeistertes Johlen erklang aus der hinteren Ecke des Saals, wo der örtliche Fußballverein an zwei großen Tischen Platz gefunden hatte. Während Liese Brauninger, die 1969 vielleicht eingeschult worden war, nun so lebhaft von dem Turnier berichtete, als wäre sie dabei gewesen, fragte ich mich zum wiederholten Male, wieso ich mich von ihr dazu hatte breitschlagen lassen, hier herumzusitzen. An den selbstgebackenen Keksen, die sie mir samt Einladungskarte in die Praxis geschleppt hatte, lag es jedenfalls nicht. Laut gesetzlicher Auflagen war bei Großveranstaltungen die Anwesenheit einer ausgebildeten notärztlichen Kraft verpflichtend, und Liese Brauninger sah in mir als niedergelassener Ärztin dieser Marktgemeinde dafür die optimale Besetzung.
Zufällig hatte ich dieses Notarztdiplom, frischte es auch regelmäßig auf – in erster Linie deshalb, weil die damit verbundenen Kurse immer besonders viele Fortbildungspunkte einbrachten. Genau die musste ich regelmäßig bei der Ärztekammer einreichen, um meinen Kassenvertrag zu behalten.
»Sie werden sich bestimmt amüsieren!«, hatte sie mir noch prophezeit, ehe sie glückselig aus meiner Praxis getanzt war. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich von eifrigen Saaldienern an einen Tisch in den Weiten der Begegnungshalle platziert worden war, hatte ich das tatsächlich auch noch vage gehofft.
Hinter mir lagen wenig erbauliche Monate. Vor rund einem Jahr hatte meine Ex-Partnerin Holly mit mir Schluss gemacht. Seither fühlte ich mich, als wäre mir der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Zwar gelang es mir, das vor den Patienten gut zu verbergen, doch wer mich besser kannte, wusste inzwischen, wie es um mich stand.
Mein Onkel Gustav beispielsweise. Da wir uns sein Haus teilten und uns ständig über den Weg liefen, wurde er immer wieder Zeuge davon, dass ich meine Abende mit stumpfsinnigen US-Krimiserien verbrachte, anstatt unter Leute zu gehen. Selbst meinen besten Freund Jörg, Kriminaloberkommissar bei der Kripo im nahen Straubing, sah ich kaum noch.
Dafür legte ich Tabea in ausufernden abendlichen Telefongesprächen mein bis auf die Grundfeste zerrüttetes Seelenleben dar. Das kostete mich wahre Unsummen, da meine Schwester beruflich oft wochenlang in London, New York oder Singapur unterwegs war. Stress war Tabeas ständiger Begleiter, und wahrscheinlich lag darin auch der Grund, weshalb sie unsere Telefonate in letzter Zeit immer früher abbrach.
So blieb mir nichts anderes übrig, als mit meinen Emotionen alleine fertigzuwerden. Sport hätte mir vielleicht geholfen, aber ausgelaugt vom Praxisalltag, empfand ich zu Hause den Aufstieg in den zweiten Stock schon als anstrengend genug. Ein seit der Trennung erwachter Heißhunger hatte mir ein paar Kilo mehr auf die Rippen gebracht. Mittlerweile gab es in meinem Kleiderschrank kaum mehr eine Hose, die nicht spannte. Die elegante schwarze, die ich an diesem Abend trug, fühlte sich besonders eng an – und zwar noch vor dem Buffet.
Während Liese Brauninger jetzt zu den Leichtathletikwettkämpfen wechselte, die in den zurückliegenden Jahrzehnten zwischen den beiden Partnergemeinden ausgetragen worden waren, fühlte ich mich also fett und unglücklich. Obendrein missfiel mir die Anwesenheit einer schlanken brünetten Frau mit Kurzhaarschnitt. Dr. Katharina Habler, Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Scheidungs- und Familienrecht, war der Grund, weshalb Holly mir den Laufpass gegeben hatte.
Sehr erfolgreich war ich ihr in all den Monaten aus dem Weg gegangen. Und jetzt hockte sie da und flirtete ungeniert mit dem gutaussehenden Italiener im Maßanzug, dessen Tischkärtchen – welch ein Zufall – genau neben dem ihren platziert worden war.
Sie hatte mich nicht einmal begrüßt. Auch ich ignorierte sie – nachdem ich mich dabei erwischt hatte, hastig meine naturblonden, schulterlangen Haare glattzustreichen. Über sie hinwegzusehen war nicht leicht, denn ich saß ihr quasi gegenüber. Zum Glück sorgten die Ausmaße des Tisches, an dem insgesamt zwölf Leute Platz fanden, für etwas Distanz. Doch wann immer ich meinen Kopf nicht konsequent in die Richtung der Tribüne drehte, fiel mein Blick auf die schlanke Person, die mit diesem Mann herumschäkerte, als wären sie alleine auf der Welt. Immer wieder ließ sie sich von ihm großzügig Wein nachschenken.
»… und inzwischen insgesamt fünfundzwanzig Schüleraustausche mit dem , an denen bisher insgesamt rund dreihundert Schülerinnen und Schüler beider Gymnasien teilgenommen haben.«
Immerhin, die Sportveranstaltungen waren inzwischen abgehakt. Ich sah auf die Uhr. Halb neun. Seit eineinhalb Stunden saß ich bereits hier und musste Katharina in diesem körperbetonten schwarzen Cocktailkleid ignorieren, das für eine Veranstaltung dieser Art sowieso vollkommen übertrieben war.
Irgendwann spielte die örtliche Blaskapelle zum Prosit auf. Alle hoben ihr Glas – auch ich, obwohl ich mit Mineralwasser anzustoßen lächerlich fand. Aber was blieb mir übrig; ich war schließlich dienstlich hier.
Dann sprach Liese Brauninger salbungsvoll jene Worte, auf die offenbar der ganze Saal bereits begierig gewartet hatte, mich eingeschlossen: »Das Buffet ist eröffnet!«
Als hätte sie den Startschuss für ein Sprintduell zwischen Niederbayern und Norditalienern gegeben, stürzten nun alle in Richtung Tafel. Die jungen Leute vom Catering-Team, das extra aus Regensburg bestellt worden war, wurden ganz blass um die Nasen. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Allein der Anblick von Karl Weller, unserem Ortssheriff, der sich wie ein ausgehungerter Stier einen Weg durch die Menge bahnte und dabei die Gemeinderätin der Grünen über den Haufen rannte, war verstörend.
Die Frauenbund-Vorsitzende und ein paar andere, die eingeklemmt auf der Bank gesessen hatten, erhoben sich und drängten an mir vorbei. Unser Tisch leerte sich, der italienische Maßanzug ließ seine Angebetete in Stich. Ich blieb sitzen. War man nicht bei den Allerersten, wartete man lieber, anstatt sich würdelos ins Getümmel zu stürzen. Die Leute standen inzwischen Schlange – von zwei Seiten. Mir war klar, dass es dauern würde, bis alle mit Essen versorgt waren. Im Saal herrschte ein ohrenbetäubender Geräuschpegel. Die Niederbayern standen den Italienern an Lautstärke um nichts nach. Zu allem Überfluss hatte jemand die Musikanlage aktiviert. Über Lautsprecher plärrte Adriano Celentano »Il tempo se ne va« in den Saal … inzwischen vergeht die Zeit. Wie treffend.
Für mich verging sie noch immer zu langsam. Ich angelte mir die Speisekarte vom Tisch. So konnte ich mich zumindest schon einmal einlesen, was für Köstlichkeiten mich erwarteten.
Auf dem Deckblatt prangten die bayerische und die italienische Fahne. Gespannt rückte ich meine schwarze Hornbrille zurecht und überflog die im Innenteil aufgeführten Speisen. Mein Magen begann zu knurren. Ich klappte die Karte energisch zusammen, schob sie zurück in die Mitte des Tisches – und hob dabei den Kopf. Sekundenlang starrte ich in Katharinas Gesicht. Ihr Mund formte sich zu einem amüsierten Lächeln, ihre grünen Augen blitzten belustigt. Zu allem Überfluss griff sie auch noch nach ihrem Weinglas und prostete mir zu.
Mein Vorsatz verpuffte. Ich sprang so schwungvoll auf, dass mein Stuhl fast umkippte, und flüchtete zum Buffet. Dort stellte ich mich ans Ende der Schlange, setzte ein betont gleichgültiges Gesicht auf und ärgerte mich im Stillen über die Frau, deren Anwesenheit mich noch mehr aus dem inneren Gleichgewicht brachte, als ich es derzeit ohnehin...




