E-Book, Deutsch, 446 Seiten
Scheible Melanchthon
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-406-68674-0
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vermittler der Reformation
E-Book, Deutsch, 446 Seiten
ISBN: 978-3-406-68674-0
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Philipp Melanchthon war der wichtigste Weggefährte Luthers – und viel mehr als das. Der leise und stotternd sprechende kleine Griechisch-Professor war der eigentliche Kommunikator der Reformation: Er führte politische und theologische Verhandlungen, reiste unentwegt, schrieb unzählige Briefe und machte die Reformation zu einer Bildungsbewegung. Heinz Scheible hat seine viel gerühmte Biographie des großen Humanisten für diese Neuausgabe umfassend bearbeitet und erweitert. Als Melanchthon 1518 mit 21 Jahren von Tübingen nach Wittenberg wechselte, war der 14 Jahre ältere Luther von dem "wunderbaren Menschen, an dem fast alles übermenschlich ist" begeistert. Schnell entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen dem feinsinnigen Humanisten und dem polternden Theologen, die in zahlreichen Doppelbildnissen verewigt wurde. Darüber konnte jedoch Melanchthons eigenständiges Wirken als Reformator leicht übersehen werden. Heinz Scheible zeichnet auf der Grundlage einer einzigartigen Quellenkenntnis Melanchthons Leben nach, erklärt seine Bedeutung als Bildungsreformer, Philosoph, Theologe und politischer Unterhändler und geht dem wechselvollen Verhältnis zu Luther nach. Ob sich die Reformation ohne Melanchthon durchgesetzt hätte, ist ungewiss. Heinz Scheibles Standardwerk zeigt eindrucksvoll, was sie ihm verdankt.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtswissenschaft Allgemein Biographien & Autobiographien: Historisch, Politisch, Militärisch
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Deutsche Geschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Kultur- und Ideengeschichte
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Kirchengeschichte Theologenbiographien, Religiöse Führer
- Geisteswissenschaften Christentum, Christliche Theologie Christliche Kirchen, Konfessionen, Denominationen Protestantismus, evangelische und protestantische Kirchen
Weitere Infos & Material
1;Cover;1
2;Titel;3
3;Impressum;4
4;Inhalt;5
5;Einleitung;9
6;Herkunft und Ausbildung;12
6.1;Bretten;12
6.2;Pforzheim;15
6.3;Heidelberg;18
6.4;Tübingen;24
7;Griechischprofessor und Bildungsreformer;34
7.1;Wittenberg;34
7.2;Melanchthons Antrittsrede;39
7.3;Die ersten Vorlesungen;40
7.4;Studienreform und Rektorat;42
7.5;Erweiterte Lehrfreiheit;49
7.6;Schulreform;52
7.7;Die Nürnberger Schulgründung;54
7.8;Studienpläne;61
7.9;Fortsetzung der Universitätsreform;64
8;Reformator;70
8.1;Anhänger Luthers;70
8.2;Die Wittenberger Bewegung;73
8.3;Die erste Urlaubsreise;89
8.4;Gefährlicher Aufruhr;95
8.5;Visitationen;98
8.6;Gegen Täufer und Separatisten;101
9;Philosoph;105
9.1;Sprache und Denken;105
9.2;Ethik und Politik;109
9.3;Mensch, Natur und Sterne;114
10;In der hohen Politik;121
10.1;Glauben und Handeln;121
10.2;Bekenntnis und Bündnis;124
10.3;Der Augsburger Reichstag;128
10.4;Unterwegs für den Schmalkaldischen Bund;141
10.5;Religionsgespräche und Reformationsversuche;155
11;Melanchthons biblische Theologie;168
11.1;Heilige Schrift und kirchliche Tradition;168
11.2;Gesetz und Evangelium;170
11.3;Loci communes;172
12;Luther;176
12.1;Verliebtheit;177
12.2;Die Bibelübersetzung;178
12.3;Luthers Heirat;181
12.4;Erasmus und die Willensfreiheit;183
12.5;Die Coburg-Briefe;189
12.6;Quertreiber;195
12.7;Postume Würdigung;204
13;Flucht und Rückkehr;208
13.1;Der Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges;208
13.2;Zuflucht in Zerbst und Nordhausen;211
13.3;Melanchthons Entscheidung für Wittenberg;215
13.4;Die Ablehnung des Interims;224
14;Ständiger Ärger;235
14.1;Der sächsische Irrweg;236
14.2;Flacius und die Adiaphora;240
14.3;Osiander und die Rechtfertigungslehre;245
14.4;Maior und die guten Werke;249
15;Eine Reise ohne Ankunft;252
15.1;Das Trienter Konzil;253
15.2;Die Confessio Saxonica;254
15.3;Der Fürstenkrieg;261
16;Gescheiterte Gespräche;264
16.1;Der Naumburger Konvent;265
16.2;Die Coswiger Handlung;268
16.3;Das zweite Wormser Religionsgespräch;278
17;Antwort an die Inquisition;294
17.1;Die Kirche;297
17.2;Das Abendmahl;299
17.3;Buße und Willensfreiheit;300
17.4;Abgötterei;302
18;Mensch in der Geschichte;305
18.1;Das Tübinger Erbe;305
18.2;Melanchthons Gegenwart;311
18.3;Die zukünftige Welt;318
19;Nachwort;323
20;Anhang;325
20.1;Zeittafel;327
20.2;Abkürzungen;347
20.3;Literatur;350
20.4;Nachweise;355
20.5;Bildnachweis;387
20.6;Personen;389
20.7;Orte und Themen;416
21;Zum Buch;446
22;Über den Autor;446
Herkunft und Ausbildung
Bretten
Was heute in Bretten Fußgängerzone ist, war am 16. Februar 1497 eine Welthandelsstraße. Von der Reichsstadt Speyer, an deren Rheinhafen die Tuche aus den Niederlanden verladen wurden, oder von der Messestadt Frankfurt, damals schon das Mekka der Büchernarren, zogen die Kaufleute nach Esslingen, Ulm und Augsburg, wo der niederländische Warenstrom mit dem orientalischen aus Italien zusammentraf. Ein Stückchen von dem Wohlstand der Reichsstädte blieb auch in dem kurpfälzischen Amtsstädtchen hängen. Der Landesherr in Heidelberg verdiente am Geleit, und wer morgens in Speyer losgefahren war, aß im bischöflichen Bruchsal zu Mittag, um dann dem Saalbach folgend gegen Abend durchs Gottesackertor in Bretten anzukommen. Das Gasthaus zur Krone gleich links am Marktplatz war imstande, einen Kaiser zu beherbergen. Karl V. war hier dreimal zu Gast, wenige Stunden am 24. Juli 1543 über Mittag, zur Nacht am 27. Juni 1550 auf der Reise von den Niederlanden zum Augsburger Reichstag und am 11. September 1552 auf seinem Heereszug gegen Frankreich. Schräg gegenüber am Südrand des Marktes wohnte damals der Schwager des Kronenwirts, der kurfürstliche Schultheiß und Tuchhändler Georg Schwartzerdt. Es war sein Geburtshaus und auch das seines älteren Bruders Philipp, den wir als Melanchthon kennen. Am 13. August 1689 fiel es dem Stadtbrand zum Opfer, den die Truppen des roi soleil gelegt hatten. Die unglückliche Liselotte von der Pfalz diente als Vorwand. Seit 1903 steht an dieser Stelle ein prächtiges Museum, historisierend in der Architektur, handwerklich solide in der Ausstattung, kostbar durch die Bücherschätze. Nikolaus Müller, Professor in Berlin, hat es zum 400. Geburtsjubiläum Melanchthons zustande gebracht. 1497 wohnte dort Philipps Großvater, der Kaufmann und zeitweilige Schultheiß Johann Reuter. Er war anscheinend kein eingesessener Brettener, doch wissen wir nicht, von wo er zugezogen ist. Verwandte hatte die Familie in Speyer. Das stattliche Haus in bester Lage dürfte seine Frau in die Ehe eingebracht haben. Nachdem erkannt wurde, dass Melanchthons Großmutter nicht die Pforzheimerin Elisabeth Reuchlin sein kann, wie man lange annahm, steht der Vermutung nichts im Wege, dass sie einer wohlhabenden Brettener Familie entstammte. Wir kennen nur zwei Kinder aus dieser Ehe: die Tochter Barbara und ihren erheblich jüngeren Bruder Johann Philipp, der 1551 als Prior des Klosters zum Heiligen Grab in Speyer starb. 1493 wurde die sechzehnjährige Barbara Reuter dem achtzehn Jahre älteren kurfürstlichen Rüstmeister Georg Schwartzerdt angetraut. Er war der Sohn eines Heidelberger Schmieds und hatte in zwei metallverarbeitenden Berufen eine vorzügliche Ausbildung genossen. In der Reichsstadt Nürnberg lernte er das Plattnerhandwerk. Seine leichten und dennoch festen Rüstungen waren von Fürsten begehrt; Kaiser Maximilian bestand auf dem Wormser Reichstag 1495 seinen spektakulären Zweikampf mit dem burgundischen Ritter Claude de Vauldrey in einer Rüstung des Heidelbergers. Dieser verstand aber auch die Kunst, Geschütze zu gießen und sie abzufeuern. Er hatte sie im oberpfälzischen Amberg gelernt. Sein Dienstherr war der angestammte Landesfürst, Philipp der Aufrichtige von der Pfalz. Als die nunmehr zwanzigjährige Barbara am 16. Februar 1497 im elterlichen Haus in Bretten ihr erstes Kind, einen Sohn, gebar, erhielt es den Namen dieses Kurfürsten. Die früheste Kindheit verlief ohne Störung. Dem Erstgeborenen einer jugendlichen Mutter in behaglichen Verhältnissen wurde alles zuteil, was für seine seelische und körperliche Gesundheit erforderlich war. Mochte der Beruf des Vaters auch dessen häufige Abwesenheit erfordern, so war doch der Großvater als Oberhaupt der Familie im Hause. Die Geburt der Schwester Anna und des Bruders Georg im Abstand von jeweils zwei Jahren, später noch der Schwestern Margarete und Barbara, ließ dem kleinen Philipp deutlich werden, dass er nicht allein auf der Welt war. Der Sinn für menschliche Gemeinschaft wurde bei ihm gut ausgebildet. Er besaß die Fähigkeit, sich in eine Gemeinschaft einzufügen, sich den Gegebenheiten anzupassen. Seine sprachliche Begabung wurde erkannt und gefördert, zuerst in der städtischen Lateinschule, danach durch einen Hauslehrer, Johannes Unger aus Pforzheim. Durch dessen Drill lernte Philipp die virtuose Beherrschung der lateinischen Sprache. Täglich mussten zwei Dutzend Verse des zeitgenössischen Dichters Baptista Mantuanus analysiert werden. Fehler wurden mit Schlägen bestraft, doch Unger strafte maßvoll, wie noch der alte Melanchthon versicherte. Das Gelernte wurde in Rede und Gegenrede vertieft. Philipp wurde ein unermüdlicher Disputator. Dabei musste er einen leichten Sprachfehler überwinden. Zuweilen schämte er sich deswegen auch später noch. Aber wirklich gehemmt war er dadurch nicht. Vielmehr ist als frühes Erfolgserlebnis gut bezeugt, dass die Lateinkenntnisse des kleinen Jungen bei durchreisenden Scholaren höchstes Erstaunen hervorriefen. Bretten: Stadtansicht von Süden, 1645 Melanchthons Geburtsstadt lag mauerbewehrt am Hochufer über dem Saalbach, einem Nebenfluss des Rheins. Der südlichste Vorort der Kurpfalz im Kraichgau, umgeben von badischen, bischöflich-speyrischen, württembergischen und reichsritterschaftlichen Gebieten, konnte 1504 einer zweiwöchigen Belagerung durch Herzog Ulrich von Württemberg widerstehen. Sehr bald nahm ihn der Vater mit, wenn er in der Residenzstadt Heidelberg zu tun hatte. Überliefert ist der 27. Juli 1503, der Tag, an dem der Wormser Bischof und Heidelberger Kanzler Johann von Dalberg durch einen Treppensturz zu Tode kam. Der sechsjährige Philipp war zufällig in der Stadt und hat dieses Ereignis nie vergessen. Ein Jahr später erfuhr die behagliche Geborgenheit seiner Familie eine ernste Gefährdung mit nachhaltigen Folgen. Im Krieg um das Landshuter Erbe – die Kurpfalz wurde von mehreren Seiten angegriffen – widerstand Bretten einer zweiwöchigen Belagerung durch den jungen, stürmischen Herzog Ulrich von Württemberg. Philipp erlebte Beschießung und Ausfall, und vielleicht musste er mit ansehen, wie sein Großvater von wütenden Söldnern am Leben bedroht wurde. Jedenfalls wusste er hinfort sehr genau, was Krieg bedeutet. Wir erkennen darin eine Wurzel seines lebenslangen Wirkens für Frieden durch Überbrückung der Gegensätze. Die Kurpfalz musste damals Gebietsverluste hinnehmen, gerade auch in der Nachbarschaft Brettens, wo Württemberg das Städtchen Knittlingen (den Geburtsort des historischen Dr. Faust) und das Kloster Maulbronn gewann, was noch heute in der Kreisgrenze berücksichtigt wird. Der Vater hatte mit seiner Artillerie an der hessischen Front bei Mannheim gekämpft. Er kam als kranker Mann nach Hause. Die Familie war überzeugt, dass von hessischen Feinden vergiftetes Brunnenwasser die Ursache war, und noch nach vielen Jahren konnte bei Melanchthon darüber Groll aufbrechen. Vielleicht aber hatte der ständige Umgang mit Chemikalien und giftigen Metallen die Gesundheit des Geschützmeisters untergraben. Jedenfalls lebte Philipp von seinem achten Lebensjahr an mit einem chronisch kranken, nach damaligen Begriffen alten Vater, der sein Schicksal mit ernster Frömmigkeit bewältigte. Gleichzeitig brachte ihm der Hauslehrer Unger die humanistische Bildung nahe. Sie sollte sein Lebensberuf werden. Dass Melanchthon kein einseitiger Rationalist wurde, sondern ein frommer Beter blieb, ist die Folge dieser Prägung seiner Kindheit. Pforzheim
Im Oktober 1508 starben der Großvater und der Vater. Dieser hatte seinem Ältesten düstere Zukunftsprognosen und eindrückliche Mahnungen mit auf den Weg gegeben und ihn dann nach Speyer zu...