E-Book, Deutsch, 359 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
Schiller / Luserke-Jaqui / Jaqui Wilhelm Tell. Studienausgabe
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-15-962021-3
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schauspiel - Schiller, Friedrich - Deutsch-Lektüre, Deutsche Klassiker der Literatur - 14213
E-Book, Deutsch, 359 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
ISBN: 978-3-15-962021-3
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Matthias Luserke-Jaqui, geb. 1959, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der TU Darmstadt.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
[11]Erster Aufzug
Erste Scene
FISCHERKNABE
singt im Kahn
(Melodie des Kuhreihens)
Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
Da hört er ein Klingen,
Wie Flöten so süß,
Wie Stimmen der Engel5
Im Paradieß.
Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spühlen die Wasser ihm um die Brust,
Und es ruft aus den Tiefen:
Lieb Knabe, bist mein!10
Ich locke den Schläfer,
Ich zieh ihn herein.
[12]HIRTE
auf dem Berge
(Variation des Kuhreihens)
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muß scheiden,15
Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen May.20
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muß scheiden,
Der Sommer ist hin.
ALPENJÄGER
erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen
(Zweite Variation)
Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,25
Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,
Er schreitet verwegen
Auf Feldern von Eis,
Da pranget kein Frühling,
Da grünet kein Reis;30
Und unter den Füssen ein neblichtes Meer,
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,
Durch den Riß nur der Wolken
Erblickt er die Welt,
Tief unter den Wassern35
Das grünende Feld.
[13]RUODI DER FISCHER WERNI DER JÄGER KUONI DER HIRTE SEPPI
RUODI
Mach hurtig Jenny. Zieh die Naue ein.
Der graue Thalvogt kommt, dumpf brüllt der Firn,
Der Mytenstein zieht seine Haube an,
Und kalt her bläßt es aus dem Wetterloch,40
Der Sturm, ich meyn’, wird da seyn, eh’ wirs denken.
KUONI
’s kommt Regen, Fährmann. Meine Schaafe fressen
Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.
WERNI
Die Fische springen, und das Wasserhuhn
Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug. 45
KUONI
zum Buben
Lug’ Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.
SEPPI
Die braune Lisel kenn ich am Geläut.
KUONI
So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.
RUODI
Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.
WERNI
Und schmuckes Vieh – Ists euer eignes, Landsmann?50
KUONI
Bin nit so reich – ’s ist meines gnäd’gen Herrn,
Des Attinghäusers, und mir zugezählt.
[14]RUODI
Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht!
KUONI
Das weiß sie auch, daß sie den Reihen führt,
Und nähm ich ihr’s, sie hörte auf zu fressen.55
RUODI
Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft’ges Vieh –
WERNI
Ist bald gesagt. Das Thier hat auch Vernunft,
Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen,
Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,
’ne Vorhut aus, die spizt das Ohr und warnet60
Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.
RUODI
zum Hirten
Treibt ihr jetzt heim?
KUONI
Die Alp ist abgeweidet.
WERNI
Glücksel’ge Heimkehr, Senn!
KUONI
Die wünsch ich Euch,
Von eurer Fahrt kehrt sich’s nicht immer wieder.
RUODI
Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.65
BAUMGARTEN
Um Gottes willen, Fährmann, euren Kahn!
RUODI
Nun, nun, was giebts so eilig?
[15]BAUMGARTEN
Bindet los!
Ihr rettet mich vom Tode! Sezt mich über!
KUONI
Landsmann, was habt ihr?70
WERNI
Wer verfolgt euch denn?
BAUMGARTEN
zum Fischer
Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!
Des Landvogts Reiter kommen hinter mir,
Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.
RUODI
Warum verfolgen euch die Reisigen?
BAUMGARTEN
Erst rettet mich, und dann steh ich euch Rede.75
WERNI
Ihr seid mit Blut befleckt, was hat’s gegeben?
BAUMGARTEN
Des Kaisers Burgvogt, der auf Roßberg saß –
KUONI
Der Wolfenschießen! Läßt euch der verfolgen?
BAUMGARTEN
Der schadet nicht mehr, ich hab’ ihn erschlagen.
ALLE
Gott sey euch gnädig! Was habt ihr gethan?80
BAUMGARTEN
Was jeder freie Mann an meinem Platz!
Mein gutes Hausrecht hab’ ich ausgeübt
Am Schänder meiner Ehr’ und meines Weibes.
KUONI
Hat euch der Burgvogt an der Ehr’ geschädigt?
[16]BAUMGARTEN
Daß er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,85
Hat Gott und meine gute Axt verhütet.
WERNI
Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?
KUONI
O laßt uns alles hören, ihr habt Zeit,
Bis er den Kahn vom Ufer los gebunden.
BAUMGARTEN
Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt90
Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.
»Der Burgvogt lieg’ in meinem Haus, er hab’
Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.
Drauf hab’ er Ungebührliches von ihr
Verlangt, sie sey entsprungen mich zu suchen.«95
Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,
Und mit der Axt hab’ ich ihm ’s Bad gesegnet.
WERNI
Ihr thatet wohl, kein Mensch kann euch drum schelten.
KUONI
Der Wütherich! Der hat nun seinen Lohn!
Hat’s lang verdient ums Volk von Unterwalden.100
BAUMGARTEN
Die That ward ruchtbar, mir wird nachgesezt –
Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –
KUONI
Frisch Fährmann – Schaff den Biedermann hinüber.
RUODI
Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist
Im Anzug. Ihr müßt warten.105
[17]BAUMGARTEN
Heilger Gott!
Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tödet –
KUONI
zum Fischer
Greif an mit Gott, dem Nächsten muß man helfen,
Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.
RUODI
Der Föhn ist los, ihr seht wie hoch der See geht,
Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen.110
BAUMGARTEN
umfaßt seine Knie
So helf euch Gott, wie ihr euch mein erbarmet –
WERNI
Es geht ums Leben, sei barmherzig,...