E-Book, Deutsch, 190 Seiten
Schirokauer Die graue Macht
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3520-6
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 190 Seiten
ISBN: 978-3-8496-3520-6
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der erste Kriminalroman des 1934 in Wien verstorbenen Schriftstellers. Nach der 'Machtergreifung' der Nationalsozialisten emigrierte der jüdischstämmige Schirokauer in die Niederlande und dann nach Wien.
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10.
Oh, wie er sie haßte! Erwürgen hätte er sie können, erwürgen mit seinen beiden Händen. Grausam, wie nur ein Weib martern kann, peinigte sie ihn. Konnte ein Weib einem Manne mehr Bitternis bringen, als vor ihn hintreten, ihm seine Liebe bekennen und ihm den Rücken kehren? Sie liebte ihn und lief fort, weil sie Angst hatte vor ihrer Liebe! Solch Irrsinn! Als wenn man sich das Leben nahm aus Furcht vor dem Tode. Genau so war's.
Oh, – wie er sie haßte!
Sein Äußeres veränderte sich auffallend in diesen Tagen. Er, sonst hochaufgerichtet, ein ragender Pfeiler, ging tief vornübergebeugt, die Schultern hochgezogen, schleppend der Schritt. Die Augen waren schlafwandlerisch zusammengekniffen in verlorenem Sinnen und Grübeln.
Besorgt bemerkten es die Frauen. Aber allen Fragen nach seiner Gesundheit begegnete er mit still beruhigendem Lächeln.
Schließlich frohlockte Herta eines Tages bei Tisch: "Jetzt ist mir alles klar. Er ist verliebt! Und zwar in Esther Honigmann."
Da wurde zum allgemeinen Staunen Lisbeth zum ersten Male in ihrem Leben heftig und rief erregt: "Deine dummen Scherze, Herta, könntest du ihm wenigstens ersparen."
Hoff selbst begütigte und meinte, es wäre doch nicht so schlimm. Die Mutter und Herta aber blickten verständnislos drein. Und später äußerte Frau Hoff Herta gegenüber, es wäre nun die höchste Zeit, daß alles anders werde. Lisbeths Nerven seien dem Zusammenbruch nahe.
Lisbeth aber ging am Nachmittag zu dem Bruder. Er hockte in seinem Zimmer und gab vor, zu arbeiten. In Wahrheit tat er nichts. Oder er schrieb und schrieb. Doch wenn er das Ergebnis durchlas, sah er, daß er nackte, tote Tatsachen aneinandergereiht hatte, wie es jeder konnte, der die Urkunden und Quellen beherrschte. Kunst aber war das nicht. Und dann zerriß er zornig die Bogen und saß da und starrte vor sich hin. Und hätschelte seinen Haß.
Lisbeth trat leise hinter ihn und legte beide Arme um seinen Hals.
"Störe ich dich?" flüsterte sie.
Er schüttelte sachte den Kopf.
"Ewald", sagte sie mühsam und rang ihrer Scheu die Worte ab, "wenn du Esther nicht heiraten kannst – weil – weil – du könntest ja vielleicht – jemanden – anders – –" ihr Mund lag fast auf seiner Schulter – "dann – unser Leben ist nicht wert, daß du – – Opfer – –"
Er wandte den Kopf und fand ihren Mund.
"Nein – Liebe – ich liebe niemanden. Keine. Ich bin nie bereiter gewesen, Esther zu heiraten."
Das war seine innerste Überzeugung. Ja, jetzt war er bereit. Jetzt war es kein Opfer mehr. Jetzt war es kein Martyrium. Jetzt war er bereit. Schon aus Trotz gegen Susanne wollte er es tun. Sein Haß weidete sich an dem Gedanken, daß sie es in der Zeitung lesen würde. Der Gedanke tat ihm gut. Das war Rache dafür, daß sie ihn mitten am Wege hatte stehen lassen.
Niemals war er Hertas Wünschen gefügiger als in dieser Zeit. Er sprach oft von Esther und der Zukunft. Und er selbst bahnte das nächste Zusammentreffen an.
Eines Morgens sagte er: "Herta, ich gehe heute mittags vom Ministerium ins Märkische Museum. Will mir da einige Foltergeräte ansehen, die ich für meine Arbeit brauche. Wenn du mitgehen willst, kannst du mich in der Wilhelmstraße abholen. Vielleicht klingelst du Fräulein Honigmann an. Sie wird sicher Interesse dafür haben."
Und als sie dann zusammen durch die Schätze des Museums wandelten, fiel alle Sehnsucht von ihm ab und alle Qual. Die Freude des Forschers erwachte. Straff aufgerichtet, mit einer Art Hausherrenstolz, schritt er durch die gewölbten Hallen, und Belehrungseifer rötete seine Wangen. Aus hellen Augen strahlte ihm das Wissen. Launig erläuterte er den jungen Mädchen den Theaterzettel vom 24. Jänner 1772 und die Speisekarte von Jagor vom 8. Mai 1830. An der Hand der Bilder baute er vor ihnen die Stadt Berlin auf und wies ihnen die Entwicklung der preußischen Duodezresidenz zur europäischen Weltstadt.
Und um die alten Kirchengemälde und Altäre zog er die Mauern der Gotteshäuser, und die wuchtigen Glocken, die hier leblos auf steinernen Sockeln schliefen, hingen wieder hoch oben im luftigen Turm und läuteten Sturm und Frieden hinaus in das mittelalterliche Land der Mark.
In dem Gewölbe, in dem die Foltergeräte von ihrem segenspendenden Erdenwallen ruhten, lernten die jungen Damen das Gruseln. Da war das Rad, dessen letztes Opfer in Berlin am 2. März 1837 die Witwe Meyer geworden war. "Im Jahre 1837 auf dem Gartenplatz in Berlin! Fünf Jahre nach Goethes Tode, meine Damen!"
Hoff schilderte ihnen solch grausige Prozedur. Und malte ihnen die Freuden des "Zwangsstuhls" aus und des "Spanischen Mantels". "Und hier der sargartige Kasten. Da hinein legte man solch junges blühendes Ding von sechzehn Jahren mit blauen, klaren Augen. Fest, daß es sich nicht rühren konnte. Vorher hatte man sie fürsorglich mit Zuckerwasser bestrichen. Und dann den Deckel darauf. An der Seite hier, sehen Sie, sind Löcher. Und nun hinein mit dem Kasten in einen Ameisenhaufen."
Die Mädchen schauderten.
"Mit einiger Phantasie kann man die Qualen nachleben", fuhr er fort, "In die Nase, in den Mund, in die Augen krochen die Tiere. Es dauerte gar nicht lange, da gestand das junge Ding. ›Willst du gestehen, daß du den Hagel neulich beschworen hast?‹ ›Ja – ja und das Gewitter auch.‹ ›Willst du gestehen, daß du Müllers Kuh behext hast?‹ ›Ja – ja und sein Kalb dazu.‹ ›Willst du gestehen, daß Satanas nächtens bei dir war.‹ ›Ja – ja und oft auch bei Tage.‹ Dann nahm man die reuige Hexe heraus, und wenn sie dann den Scheiterhaufen erst überstanden hatte, war sie erlöst. Wir hatten angenehme Vorfahren."
Nach dieser Begegnung mit Esther schlief die Sehnsucht nach Susanne einige Tage. Der Schmerz in der Brust lag still im Hinterhalt Aber eines Tages, als er an der Neuen Winterfeldtstraße vorüberkam, fiel das Unheil wieder über ihn her. Jach sprang es zu und stach ihm eine blutende Wunde quer durch das Herz.
Da beschloß er, diese Gegend zu meiden. Er schrieb an seinen Verleger und bat um einen Vorschuß. Am nächsten Tage hatte er fünfhundert Mark. Zaghaft unterbreitete er der Familie den Plan. Er wolle nach Wannsee oder Schlachtensee hinausziehen. Er könne hier nicht arbeiten.
Zu seiner Verwunderung fand sein Wunsch Billigung. Herta griff die Idee enthusiastisch auf. "Erstens", meinte sie, "ist es billiger, wenn Esther nicht so oft zu uns kommt. Kaffee und das alles kostet Geld. Und nach Wannsee können wir oft mit ihr ausfliegen und dich dann zufällig treffen. Zweitens merken die Leute im Hause es und Martha erzählt alles 'rum. Und drittens macht es einen guten Eindruck: ›Mein Bruder wohnt im Sommer immer in Wannsee.‹ Klingt großartig – einfach grandseigneurig."
So fuhr Hoff hinaus und fand für einen Spottpreis ein hübsches Zimmer bei einer Frau, deren Sohn kürzlich gestorben war. Die gute Alte war heilfroh über ihren neuen Hausgenossen und Beschützer.
Aber die Sehnsucht schwieg nicht hier draußen am Schlachtensee. Aus jedem Baum höhnte die Erinnerung. Stundenlang saß er nachmittags am See und wiegte sein Weh auf den leise atmenden Wellen. Und oft ergriff ihn die Verzweiflung. In später Abendstunde rannte er zum Bahnhof und fuhr nach Berlin. Dann lief er zur Neuen Winterfeldtstraße, als hänge sein Leben an dem rechtzeitigen Eintreffen, und stand an der Ecke und starrte auf die grauen verhangenen Fenster. Erst wenn ein Schutzmann ihn argwöhnisch beobachtete, schlich er davon wie ein ertappter Dieb. Und fuhr kein Zug mehr nach Schlachtensee, so kehrte er zurück und starrte wieder hinauf, bis der Morgen grau und fröstelnd über die Dächer kroch.
Eines Mittags hatte er in der Frobenstraße gespeist und mit Herta verabredet, sie solle am nächsten Tage mit Esther nach Schlachtensee hinauskommen und ihn abholen. Dann wollte er einmal ausführlich mit Esther über Ihre Fürsorgezöglinge sprechen. Es interessierte ihn ernsthaft.
Er ging die einsame Maaßenstraße hinunter. Der Himmel war trüb grau. Regen war im Anzuge. Er wollte durch den Tiergarten zur Staatlichen Bibliothek wandern, sich einige Bücher zu holen. Er fühlte sich heute frei und stark und spann an seiner Arbeit.
Und da kam sie ihm entgegen. Vom Lützowplatz her kam sie die Maaßenstraße...