E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Schlieper Neuanfang mit Meerblick
20001. Auflage 2020
ISBN: 978-3-95818-586-9
Verlag: Ullstein Forever
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Nordsee-Roman
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-95818-586-9
Verlag: Ullstein Forever
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
BIRGIT SCHLIEPER lebt seit zehn Jahren mit Mann, Sohn und Tochter in einem Dorf in der Nähe von Zürich. Mittlerweile erschrickt sie auch nicht mehr, wenn plötzlich eine Kuh im Garten steht. Ihre Lust am Schreiben begann mit Gedichten, zog sich über den Journalismus bis zu Romanen - am liebsten mit Happy-End. Wenn sie schreibt, kann sie nicht stricken - was die Kinder extrem freut. Die Autorin schätzt an der Schweiz besonders, dass bei Elternabenden Wein gereicht wird. Und auch deswegen will sie dort erstmal für immer bleiben.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Kapitel
»Weißt du eigentlich, warum ich hier sitze und nach Norden fahre?«
Ich lasse keine Zeit für eine Antwort. Woher soll der Typ neben mir das auch wissen? Was soll er darauf antworten?
»Weil ich meinen Freund erwischt habe. Mit einer großbusigen Frau bei einem Nobel-Italiener direkt bei uns um die Ecke. Mit mir war er da nie. War ihm zu teuer. Wenn wir mit Freunden Sushi essen waren, hat er vorher einen großen Topf Spaghetti gekocht, damit wir nicht so hungrig waren.«
Warum erzähle ich das diesem Typen neben mir im Auto überhaupt? Wahrscheinlich weil ich die letzten zwei Wochen bei meinen Eltern quasi in Isolationshaft war und sich in mir Unmengen an Wörtern aufgestaut haben. Die wollen alle raus. Am liebsten auf einmal.
»Für Rache-Sex komme ich nicht infrage«, ertönt es neben mir. »Ich stehe nicht auf Frauen«, ergänzt er nach einer kleinen Pause.
»Auf Männer?«, frage ich blöd.
»Wären dir Eisbären lieber?«
»Danke für das Kopfkino.« Als Übersprunghandlung mache ich das Radio an.
»Du bist also quasi auf der Flucht?«, fragt er zwei Lieder später.
»Das ist keine Flucht. Das ist ein Neuanfang«, stelle ich fest. »Ich beginne als Pharmareferentin in Ostfriesland.«
Ich räuspere mich kurz. Die ganze Zeit schon habe ich diese Frage im Kopf.
»Heißt du eigentlich Till Mann oder Tillmann?«
»Hä?«
»Ist Mann der Nachname oder gehört das zum Vornamen?«
Er lacht trocken. »Das ist alles Vorname. Mit Nachnamen heiße ich Tal.«
Ich versuche nicht zu lachen. Es gelingt nicht wirklich.
Ich habe Tillmann über die Mitfahrerzentrale kennengelernt. Das ist das Gute an meinem neuen Job: Ich habe einen Dienstwagen. Wenn man sich auf dem platten Land mit dem Bus fortbewegen will, sollte man viel Geduld haben. Habe ich nicht. Außerdem hasse ich den ÖV. Stimmt natürlich, es ist viel ökologischer, wirtschaftlicher und all das. Aber ich bin nicht gerne mit fremden Menschen auf engem Raum. Menschen, die so tun, als würden sie sich in der Nase kratzen, und eigentlich popeln. Menschen, die im Bus ihr Leberwurstbrot rausholen und essen. Menschen, die zu laut über zu Intimes telefonieren. Menschen, die vom Sport kommen. Ich kann nie schnell genug wegsehen, weghören, wegriechen. Weg sein. Um mein Umweltbewusstseins-Gen zu beruhigen, habe ich mich bei der Mitfahrerzentrale angemeldet und freie Plätze für meine Reise von Köln nach Ostfriesland angegeben. Geantwortet hat Tillmann. Der jetzt gerade in seinem Rucksack wühlt und eine Flasche Buttermilch hervorholt.
Ich muss sofort an den Abend denken, als das Ende begann.
Angefangen hat mein persönliches Desaster mit einer kaputten Milchtüte. Ich habe sie in den Kühlschrank stellen wollen, weil Patrick DAS MAL WIEDER VERGESSEN HAT. Und dann ist sie mir aus der Hand gerutscht, auf die Fliesen geknallt und direkt vor meinen Füßen aufgeplatzt.
Es war die letzte Milchtüte in unserem Kühlschrank und Freitagabend. Weil ich es liebe, den Samstagmorgen mit viel Milchkaffee zu beginnen, zog ich noch mal die Schuhe an, die Jacke über und ging Richtung Supermarkt. Zu der Milchtüte gesellten sich noch eine Tüte Chips und eine Tüte Haribo. Ich bin mit meinen Errungenschaften schon fast an dem Restaurant vorbei, als ich ihn sehe. Angewurzelt bleibe ich stehen. Hinter der Glasscheibe sitzt Patrick. Mein Patrick. Der gerade beim Basketball ist. Also Patrick, der behauptet, am Freitagabend Basketball zu spielen. Ihm gegenüber sitzt ein weibliches Wesen, von dem ich viel freien Rücken, einen D-Busen im Profil und wallende Haare sehe. Ich gehe einen Schritt nach vorne und stehe schon im Blumenbeet vor der großen Fensterfront.
Ich weiß gar nicht, über was ich mich mehr wundern soll: Dass Patrick so doof ist, sein Date direkt vor unserer Haustür abzuziehen? Dass man einen D-Busen ohne BH tragen kann? Dass der geizige Patrick, der mich höchstens mal auf einen Döner einlädt und ansonsten findet, dass es doch zu Hause am besten schmeckt, zu diesem Edelitaliener geht?
Der nackte Rücken sieht nicht so emanzipiert aus, als dass er die Hälfte der Rechnung übernehmen würde. Ich gehe noch einen Schritt nach vorne, irgendwelche Dornen kratzen an meinen Knöcheln. Die Wallemähne dreht sich ein bisschen. Wenn das mal kein Doppel-D ist. Und plötzlich sieht er mich. Patrick schaut direkt in mein Gesicht. Und dadurch hindurch. Er tut wirklich so, als gäbe es mich nicht. Ganz entspannt wandert sein Blick weiter, zurück zu seinem Gegenüber.
Ich fasse es nicht und klopfe erbost an die Scheibe.
Ein paar andere Gäste direkt vor mir erschrecken sich offensichtlich und starren mich an. Patrick stellt auf taub und blind.
Ich fange an zu winken.
Patrick winkt auch, und zwar einem Kellner.
Kurze Zeit später kommt tatsächlich so ein Pinguin raus, um mir zu sagen, dass ich die Gäste nicht weiter belästigen soll. Er hält mir eine Tüte hin. »Nehmen Sie und gehen Sie.«
Verdattert trete ich zwei Schritte zurück und starre in die Papiertüte. Darin sind knochenharte Pizzabrötchen. Dachten die, ich wollte betteln?
Wütend drehe ich mich um und stampfe wieder Richtung Supermarkt.
Anderthalb Flaschen Rotwein später ist es vollbracht.
Ich habe einen kurzen Brief an Patrick geschrieben und ihm mitgeteilt, dass ich mich von ihm trenne. Und ich habe meine Onlinebewerbung als Pharmareferentin für die »spannende Region Norddeutschland« abgeschickt, um »da zu arbeiten, wo andere Urlaub machen«. Ich hatte in letzter Zeit immer mal wieder überlegt, mir einen neuen Job zu suchen. Das war doch jetzt die perfekte Gelegenheit, etwas Neues anzufangen.
Wieso war Sienna auch ausgerechnet an dem Abend nicht zu Hause? Warum war sie das ganze Wochenende über auf irgendeinem Wellness-Trip? Wer weiß, wo ich dann jetzt wäre.
Ursprünglich ist Sienna nur Patricks und meine Nachbarin gewesen. Mittlerweile ist sie meine beste Freundin. Angefangen hat es damit, dass wir beide gerne abends mit einem Glas Wein auf dem Balkon saßen und lasen. Jede auf ihrem Balkon, ungefähr anderthalb Meter voneinander entfernt. Irgendwann kamen wir zwangsläufig ins Gespräch. Und hörten damit nicht mehr auf. Wir saßen stundenlang draußen, im Winter sogar mit Daunenjacke und Mütze. Dann gab es Glühwein. Natürlich hätten wir auch einfach in unser oder ihr Wohnzimmer gehen können. Aber so war es lustiger. Spezieller.
Irgendwann habe ich sie nach ihrem außergewöhnlichen Vornamen gefragt. Sie hat allen Ernstes behauptet, dass ihre Eltern sie während eines Urlaubs in der Toskana in Sienna gezeugt hätten und sie deswegen so italienisch sei. Nur deswegen liebe sie Wein, einen Espresso Doppio, Pizza und sentimentale Musik. Ich habe mich fast verschluckt vor Lachen. »Du willst damit nur entschuldigen, dass du immer zu spät kommst«, habe ich gelacht.
Tillmann zeigt nach hinten auf die Rückbank, wo eine Tiefkühlbox in verblichenem Orange steht. »Sind da Blutkonserven drin?«
»Glaubst du, ich bin nebenbei auch ein Vampir und das ist mein Proviant? Zu viel geguckt?«
»Sind das Spenderorgane?«, fragt Tillmann noch skeptischer nach.
Ich muss laut lachen und komme dabei kurz auf den Seitenstreifen der Autobahn. »Wenn du irgendjemanden kennst, der sich gerne eine Frikadelle einpflanzen lassen möchte, kannst du es mir sagen. Dann hat der nämlich Glück.«
»Da sind Frikadellen drin?«
»Ja. Und natürlich Kartoffelsalat mit Mayonnaise. Und Butterbrote. Und O-Saft. Und Joghurts. Und frag mich jetzt bitte nicht, ob ich nebenbei auch noch ein Partyservice bin. Bin ich nämlich nicht. Nur das Opfer einer latent hysterischen Mutter, die mich alleine für nicht überlebenstauglich hält.«
»Darf ich eine?«
»Eine was?«
»Frikadelle.«
»Klar. Und wenn du noch Obst willst oder Vollkornbrot oder Müsliriegel, bedien dich. Das ist alles im Korb auf der Rückbank.«
»Ist das alles Verpflegung für unterwegs? Dann solltest du etwas langsamer fahren. Das schaffen wir sonst nie«, sagt Tillmann mit vollem Mund.
Ich muss grinsen, als ich an den Abschied von meinen Eltern denke. Mein Vater hat mir stoffelig über den Oberarm gestreichelt und gemurmelt: »Das wird alles schon wieder.« Meine Mutter hat mich fest gedrückt und gemeint: »Vergiss Patrick. Der Richtige wird schon kommen, du musst jetzt nicht in Torschusspanik verfallen.«
Torschusspanik.
Klar. Ich sah mich vor meinem inneren Auge. Der Fußballer beim Elfmeter. Er bekommt Panik. In welche Ecke soll er schießen? Oben oder unten? Dann ich auf dem Fußballplatz: Um mich herum nur attraktive Männer. Doch dann diese Panik. Welchen von denen soll ich abschießen und mit nach Hause nehmen?
Hätte ich meiner Mutter erklären sollen, dass es Torschlusspanik heißt?
Sie hätte es wahrscheinlich nicht verstanden, wäre nur wieder beleidigt gewesen, weil ich an ihr rummeckere. Ich versprach ihr also: »Mama, keine Sorge. Ich bekomme keine...




