E-Book, Deutsch, Band 445, 312 Seiten
Reihe: Die Andere Bibliothek
Schmeljow Der Mensch aus dem Restaurant
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8412-3255-7
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 445, 312 Seiten
Reihe: Die Andere Bibliothek
ISBN: 978-3-8412-3255-7
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Kleinod aus der russischen Erzähltradition: der Kellner von der traurigen Gestalt - eine bleibende Figur der Literatur 'zwischen den Revolutionen'.
'Ich bin nicht irgendwer, sondern Kellner in einem erstklassigen Restaurant!' - Der Lakai Skorochodow weiß um seinen Wert: In langen Arbeitsschichten serviert er den vornehmen Damen und begüterten Herren allerfeinste Speisen: Ob Kapaun à la Richelieu, Chaud-froid von Wild mit Trüffeln, Kaviar oder französische Birnen - die Moskauer Hautevolee schätzt die mondäne Speisekarte.
Skorochodow und seine Kollegen, Meister ihres Faches und die aufmerksamsten Diener des Gastgewerbes, verrichten ihren Dienst tadellos. Sie kennen die Wünsche der Restaurantgäste, ihre Arbeit verrichten sie in größter Diskretion - sosehr auch bisweilen die Wünsche vor allem der reichen Männer gegen jede gute Sitte verstoßen.
Ein Kellner ist ein Mensch, der nicht Aufhebens macht um seine Person, der nie spricht, wenn er nicht gefragt wird, und der den hohen Herren und Damen nicht zur Last fällt - den Geboten seines Berufs, dem Befehl, 'der Geräuschlosigkeit halber Gummisohlen zu tragen ', folgt der fromme Skorochodow klaglos, das gebietet ihm nicht zuletzt der Glaube daran, dass ein jeder seinen Platz hat. Wenn er keinen schlechten Eindruck macht, bedenken ihn die Herrentische mit großzügigem Trinkgeld, mit dem er Sohn und Tochter auf die höheren Schulen schicken kann.
Als Skorochodow jedoch eines Tages von seinem Untermieter wegen einer Nichtigkeit bei der Polizei verleumdet wird, beginnt eine Verkettung der kleinen und großen Unglücke: Aufrührerischer Gesinnung verdächtig, wird sein Sohn erst der Schule verwiesen und schließlich eingekerkert - Skorochodow, der sich bisher in sein Schicksal fügte, beginnt einen Sinn für Ungerechtigkeit und Missstände zu entwickeln.
Geschult an Puschkin, Gogol und Dostojewski, hat Iwan Schmeljow nach der gescheiterten Revolution von 1905 das Urbild des anständigen Dieners entworfen, den Kellner von der traurigen Gestalt, den elenden Arbeiter, dessen Sittlichkeitsgefühl und Güte ihn über seine Herren erhebt. Von Maxim Gorki in höchsten Tönen gelobt, wurde Schmeljow mit Der Mensch aus dem Restaurant für die Kellner und Gasthoflakaien Russlands, aber auch für die entrechteten prekären Klassen zu einem von ihnen.
Vor dem Furor der Bolschewiki floh Schmeljow 1920 nach Paris - für seine ergreifend- schöne Prosa, für seinen menschlich-zugewandten Blick war in der Sowjetära kein Platz. Zu entdecken ist eine rührend-hoffnungsvolle, engagierte Literatur aus einer Zeit, da Sozialkritik im Begriff war, in Revolution umzuschlagen.
Iwan Sergejewitsch Schmeljow, geboren 1873 in einer Moskauer Kaufmannsfamilie, wurde 1911 über Nacht berühmt mit seinem Roman Der Mensch aus dem Restaurant. Maxim Gorki förderte ihn und veröffentlichte seine Werke, darunter auch Der Mensch aus dem Restaurant. Nach dem Tod seines Sohnes, der auf Seiten der Weißen 1920 auf der Krim starb, floh Schmeljow nach Paris, wo er noch dutzende Bücher schrieb - die ihn unter den Bolschewiki zur persona non grata machten. Seine an der Sprache von Landleuten und städtischer Arbeiterschaft orientierten Bücher jedoch verschwanden nie aus dem Kanon der Sowjetliteratur. Er starb 1950 bei Paris; sein gesamtes Werk wurde nach der Wende von einer neuen Generation russischer Schriftsteller wiederentdeckt - und sein Leichnam 2000 nach Russland überführt.
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1
Ich bin meinem Temperament nach ein friedfertiger und beherrschter Mensch – habe ich doch gewissermaßen achtunddreißig Jahre im eigenen Saft geschmort, aber das Gerede war mir einfach zuviel. Unter vier Augen hätte ich’s diesem Menschen vielleicht auch nachgesehen … was kann man von einem Kerl wie diesem schon verlangen! Aber solche Worte in Koljuschkas Gegenwart!
»Sie haben kein Recht, in einer fremden Behausung zu schnüffeln! Ich habe Ihnen vertraut und mein Zimmer nicht abgeschlossen, und Sie stöbern mit unbefugten Personen darin herum … Sind es vom Restaurant her gewöhnt, in fremden Taschen zu wühlen, und glauben wohl, ich lasse mir das auch in bezug auf meinen heimischen Herd gefallen!«
Und so fort … Und war nicht mal betrunken. Als hätte er Gold im Zimmer … Er wollte sich eben an uns rächen, weil wir ihm gekündigt hatten und verlangten, er solle das Zimmer räumen. Wir hatten genug mit ihm ausgestanden. Er arbeitete als Schreiber auf dem Polizeirevier, war aber äußerst stolz und mißtrauisch. Ich bat ihn in allen Ehren, auszuziehen, wir könnten bei seinem stolzen Wesen und seiner ständigen Trunkenheit unmöglich in einer Wohnung mit ihm leben, und brachte am Haustor einen Zettel an. Und nun ärgerte er sich darüber, daß ich sein Zimmer gezeigt hatte, und fiel über mich her.
Sie behandeln mich nicht als anständigen Menschen und so weiter und so fort! Dabei gingen wir im Gegenteil immer sehr vorsichtig mit ihm um und waren vor ihm sogar auf der Hut, weil Koljuschka uns warnte, er könne uns bei dem Dienst, den er versah, sehr schaden. Koljuschka und ich unterhielten uns damals oft über meinen Beruf. Als er heranwuchs und ein gebildeter Mensch wurde, paßte es ihm ganz und gar nicht mehr, daß ich Kellner war. Und in dieselbe Kerbe hieb nun Kriwoi, der Einäugige, unser Untermieter – eigentlich hieß er Jeshow, Kriwoi nannten wir ihn nur unter uns. Ich – und in fremden Taschen wühlen! Für diese Worte hätte ich ihn bald umgebracht, aber er ist sehr schlau und schloß sich augenblicklich in seinem Zimmer ein. Dann schrieb er einen Zettel und schickte ihn mir durch Luscha, meine Gattin. Er habe das nur aus Gekränktheit, in der Verwirrung gesagt und lege fünfzig Kopeken für das Zimmer zu. Ich wies diese Redensarten zurück, zumal er ja auch früher immer nur fünfzigkopekenweise gezahlt hatte. Hauptsache, er räumte das Zimmer, denn sein Benehmen hatte geradezu etwas Unheimliches … Immer scheute er sich, uns vor die Augen zu kommen, ständig versuchte er, vorbeizuschlüpfen. Mit Koljuschka aber hatte ich eine sehr hitzige Unterhaltung. Ich gab ihm damals für ein gewisses Wort sogar eine Ohrfeige … Er kam mir dann aber noch oft mit allerlei Bemerkungen.
»Da haben Sie’s, Papa … Jeder Halunke kann mit dem Finger auf Sie zeigen!«
Ich jedoch schwieg dazu und dachte mir: Er ist noch jung und versteht das Leben eben noch nicht so ganz; wenn er sich erst die Hörner abgestoßen und die Menschen näher angesehen hat, wird er ganz anders reden.
Und dennoch fand ich es kränkend, solche Worte von meinem eigenen Sohn zu hören, sehr kränkend! Nun ja, ein Kellner, ein Lakai … Was ist denn schon dabei, daß mir vom Schicksal bestimmt war, Lakai zu werden! Außerdem bin ich keineswegs irgendwer, sondern Kellner in einem erstklassigen Restaurant, in dem nur das erlesenste, vornehmste Publikum verkehrt. Bei uns läßt man Kroppzeug gar nicht erst ein, unsere Portiers haben strengen Befehl, bei uns verkehren vor allem Leute, die was darstellen, Generale und Kapitalisten, und äußerst gebildete Menschen wie, sagen wir, Professoren, überhaupt lauter Geschäftsleute und Aristokraten … Das allerfeinste und beste Publikum. Bei solchen Gästen muß man sehr künstlich bedienen und obendrein wissen, wie man sein Äußeres in Ordnung hält, damit man kein Mißfallen erregt. Man wird bei uns auch nicht unbesehen eingestellt, sondern muß gewissermaßen erst durch ein Fegefeuer hindurch, fast wie an einer Universität. Damit man sowohl der Statur als auch dem Gesicht nach in Ordnung ist und keine besonderen Merkmale aufweist, ja selbst der Blick muß streng und würdevoll sein. Bei uns ist nichts zu machen mit »So bin ich nun mal, und damit hat sich’s«, bei uns wird alles mit Köpfchen gemacht. Selbst stehen muß man mit Verstand und so blicken, als wäre man gar nicht da, dabei aber alles beachten und immer im Bilde sein. Man ist, genaugenommen, gar kein Kellner mehr, sondern eher eine Art Maître d’hôtel in einem zweitklassigen Restaurant.
»Du«, sagt Koljuschka, »gehst einer nutzlosen und niederen Beschäftigung nach! Dienerst vor jedem Spitzbuben und Flegel … Leckst ihm für fünfzig Kopeken die Stiefel ab!«
Ha! Er warf mir die Fünfzigkopekenstücke vor! Dabei war er mit Hilfe dieser Fünfzigkopekenstücke aufgewachsen, die ich für alles bekam – für die Bücklinge, für die Bedienung von allerlei Herrschaften, betrunkenen oder gesitteten, und für anderes mehr! Sowohl die Hosen, die er trug, als auch die Jacken waren für diese Fünfzigkopekenstücke gekauft, die Bücher, nach denen er lernte, die Schuhe und alles übrige! Das meine ich, wenn ich sage, daß er vom Leben nichts verstand! Er hätte sich mal ansehen sollen, wie mancher liebedienert und anderen die Stiefel leckt, und das nicht mal für einen Fünfziger, sondern in Anbetracht höherer Überlegungen! Ich habe in meinem Leben genug gesehen.
Als eines Tages im runden Salon anläßlich des Empfangs für einen Herrn Minister ein festliches Diner serviert wurde und ich mit anderen Kellnern der Bedienung zugeteilt war, sah ich mit eigenen Augen, wie ein vornehmer Herr mit ordenübersäter Brust eiligst unter dem Tisch verschwand und das Taschentuch auflas, das der Herr Minister zu verlieren beliebte. Er war dabei rascher als ich und stieß sogar unter dem Tisch meine Hand zurück. Obwohl es doch gar nicht ihre Sache ist, auf dem Fußboden herumzukriechen und nach Taschentüchern zu suchen … Das hätte mein Koljuschka sehen sollen, er, der von mir sagte – ein Lakai! Ich für meinen Teil komme meinen Pflichten natürlich nach, und wenn ich jemand ein Zündholz reiche, so tue ich es, weil es die Dienstvorschrift verlangt, aber nicht über das Reglement hinaus …
Ich bin, nachdem ich schon als Junge in meinem Fach begonnen habe, auch immer geblieben, was ich war, nicht wie gewisse, sehr bemerkenswerte Herrschaften. Da blickt so einer heute, sieh mal an, wie ein Falke drein, hat an der Tafel den Vorsitz, schlürft einen Schloß-Johannisberger oder meinetwegen Champagner, spreizt den beringten kleinen Finger ab und macht damit ein Zeichen, daß er reden will, brabbelt aber ins Glas, daß man fast nichts versteht; und ein andermal erblickt man ihn in einer Gesellschaft, in der er mit dünnem, süßlichem Stimmchen spricht, bescheiden am Rande sitzt, den Kopf geneigt hält wie ein Reiher auf der Lauer und überhaupt mit seiner ganzen Gestalt in eine bestimmte Richtung drängt. Das kennt man doch …
Auch dem Äußeren nach bin ich nicht übler als andere. Ich sehe sogar dem Rechtsanwalt Anton Stepanytsch Glotanow ähnlich – alle unsere Kellner lachen immer darüber. Beide tragen wir einen Frack, auch wenn seiner natürlich besser sitzt und aus besserem Stoff besteht. Sein Bauch ist freilich bedeutender, und eine dicke goldene Kette läuft über ihn hin. Aber auch er hat eine kleine Glatze und ist überhaupt vom gleichen Schlag. Nur trage ich einen Backenbart, während bei ihm das Kinn nicht ausrasiert ist. Würde man’s aber ausrasieren und ihm ein Nummernschildchen an den Aufschlag heften – er könnte ohne weiteres mit mir verwechselt werden. Auch ich hab eine Brieftasche wie er, der Unterschied ist mehr innerlich. Seine ist natürlich sehr dick, und Päckchen in den verschiedensten Farben schauen aus ihr hervor, dazu allerlei Wechsel, während meine recht dünn ist und keinerlei farbige Päckchen enthält; anstelle der Wechsel liegen nun schon seit drei Wochen zwei Visitenkarten darin – eine Visitenkarte des Gerichtsreferendars Perekrylow mit einer Schuldverschreibung über zwölf Rubel, die er zu Hause vergessen hatte, und eine vom Opernsänger Sazepski, mit Krone und Schuldverschreibung über neun Rubel, aus dem gleichen Anlaß. Beide lassen sich nun schon seit drei Wochen nicht mehr blicken und denken gar nicht daran, zu bezahlen, aber warten wir ab, Madam! Solche Herrschaften gibt es auch bei uns genug, und wenn man für alle bezahlen müßte, die ihr Geld vergessen, käme wohl nicht mal die Staatsbank zurecht, so meine ich jedenfalls.
Es gibt aber auch welche, die nicht die Mittel besitzen, aber den Leuten gern Sand in die Augen streuen und mit einem erstrangigen Restaurant renommieren möchten, besonders wenn sie mit großen Tieren beisammen sind. Es schmeichelt ihnen eben, über unsere Teppiche zu wandeln und in den weißen Spiegelsälen zu Abend zu speisen, zumal in Anbetracht verwöhnter Personen weiblichen Geschlechts … Nun ja, und da verschätzen sie sich eben betreffs der Kosten. Geradezu peinlich, mit anzusehen, wie sie verlegen werden, erregt die Rechnung durchgehen und unsereinen auf den Korridor bitten, gleichsam um abzurechnen. Sogar mit zitternder Stimme. Weil sie sich vor den erwähnten Personen genieren. Da nimmt man eben auf Treu und Glauben Visitenkarten in Zahlung. Kann manchmal sogar ganz vorteilhaft sein, wenn man zum Dank zwei Rubel zugelegt bekommt. Das schadet niemand, ist im Gegenteil sogar nützlich und fördert den Umlauf des Lebens. So daß nichts Tadelnswertes daran ist. Weiß doch Anton Stepanytsch höchstselber, wenn er mit seinen...