E-Book, Deutsch, 220 Seiten
Schmidt Der Schmidt Max macht ein Buch
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7472-0204-3
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 220 Seiten
ISBN: 978-3-7472-0204-3
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Max Schmidt wurde 1968 in München geboren. Er ist Schauspieler und Fernsehmoderator, u. a. bekannt als aus den Rita-Falk-Verfilmungen um Franz Eberhofer. Seit 2003 moderiert er das BR-Magazin freizeit, das 14-tägig sonntags im Vorabendprogramm ausgestrahlt wird. Er lebt in München und am Chiemsee.
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Brauchtumspflege der besonderen Art:
EIN BIER IM DENKMAL
Auch für den Schmidt Max ist Bier ein Lebenselixier. Umso größer die Misere, wenn der Herbst einzieht und die Biergartensaison sich davonstiehlt.
Hilfreich ist, wenn man einen Fachmann kennt, in diesem Falle den Herrn Dr. Karl Gattinger vom Landesamt für Denkmalpflege, der einem über die biergartenlose Zeit hinweghilft, indem er seine Kenntnisse übers Biertrinken auf höchstem wissenschaftlichen Niveau weitergibt. Ein gemeinsamer Ausflug soll sie zu allerlei historischen Bierquellen führen.
Überraschenderweise kommen dabei zuerst die sonst eher weinseligen Unterfranken ins Spiel: Der Schmidt Max steuert nämlich auf Herrn Gattingers Befehl seinen geliebten Großvaterkadett in Bayerns hohen Norden, über Bamberg hinaus nach Junkersdorf bei Königsberg. Im Jahr 1840, bemerkt Herr Gattinger, habe es in Unterfranken noch 194 Kommunbrauhäuser gegeben. Also praktisch eines in jedem Dorf. Und noch immer hundertprozentig original erhalten ist bis heute das Brauhaus in Junkersdorf, das bierigste Baudenkmal Bayerns mit gelebter Braukultur.
Je mehr Herr Gattinger sich in Fahrt redet, umso trockener wird dem Schmidt Max seine Kehle. Groß ist schließlich seine Freude, als sie nach dreistündiger Reise endlich vor einem schmucken kleinen Sandsteinbau stehen, auf dem die Jahreszahl prangt. Das Ziel ihrer (Sehn-)Süchte.
Koryphäen unter sich: Karl Gattinger hat seine Doktorarbeit übers Bier geschrieben und auch Herr Schmidt studierte länger an der Angewandten
Herr Gattinger kommt schon wieder ins Schwärmen, und dies noch vor dem ersten Schluck Bier.
»Da schaun S’, Schmidt Max«, sagt er, »die Gesimsgliederung mitsamt den Seitenlisenen, dann da oben die Ladeluke –«
»Die Seitenli… was? Denken Sie sich grad neue Wörter aus?«
»Eine , das ist wie ein Sims. Bloß senkrecht anstatt waagrecht.«
»Aha.«
„Kommt vom französischen – Saum, Rand, Kante.«
»Ah so?«
»Und die kassettierte Holztür mit dem Rautenmuster – was sagen Sie dazu?«
»Wirklich pfundig – aber meinen S’ nicht, wir sollten die Tür lieber aufmachen als anschauen, dass wir endlich zum Bier kommen?«
Aber auch die geöffnete Tür führt noch nicht direkt zum Bier, sondern zuerst zum historischen Interieur. Der eiserne Läuterbottich aus einer Zeit noch vor dem Ersten Weltkrieg ist ein inneres Volksfest für den Historiker, und während der Schmidt Max mit ihm über die alten Holzstiegen zur Darrkammer hinauf- und auch gleich wieder hinunterkraxelt, beschäftigt ihn die Überlegung, ob der Gattinger Karl am Ende vorhat, sein inneres Volksfest völlig ohne Bier zu feiern. Andererseits ist es vielleicht besser, sich in nüchternem Zustand über die steilen Stiegen zu bewegen.
Gelebte Braukultur im unterfränkischen Junkersdorf: der über 100 Jahre alte Läuterbottich des Kommunbrauhauses wird regelmäßig genutzt
Nach gefühlten Stunden, aber in Wahrheit doch nur einer halben, kann der Schmidt Max endlich degustieren, was in dem alten Gemäuer frisch entstanden ist. Bei einem unterfränkischen Seidli in der Gaststube erfährt der Schmidt Max, dass er soeben eines von circa 5 000 trinkt – 25 Hektoliter umfasst der Braugang – und dass es sich, laut Braumeister Martin, um einen Mischmasch aus Wiener und Münchner Malz handle, das wiederum aus Bamberg stamme. Und wenn er nicht der Schmidt Max wäre, so hätte er höchstwahrscheinlich gar kein Seidli gekriegt, weil das Bier in diesem Kommunbrauhaus nicht verkauft wird, sondern ausschließlich für die hundert Vereinsmitglieder da ist. Diese wiederum verhelfen dazu, dass das Bier unversteuert bleibt, denn jeder Erwachsene in Deutschland ist dazu berechtigt, zwei Hektoliter Bier pro Jahr steuerfrei für den Eigenbedarf zu brauen.
Als der Schmidt Max schließlich auch den Unterschied zwischen obergärig und untergärig kennengelernt hat (der entscheidende Unterschied ist die Temperatur beim Gären), ist er unversehens beim zweiten oder vielleicht auch schon dritten Seidli angelangt, und der Herr Gattinger mahnt zum Aufbruch. Allerdings noch nicht zur nächsten Brauerei, sondern vorerst nur zum Wohnwagen, der Ausnüchterung wegen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil Braumeister Martin sonst in seinem Hauptberuf als Polizist aktiv werden müsste.
Nach einem erfrischenden Mittagsschlaf (»mittogs is die beste Zeit zum Schloffa«) setzt sich das Gespann wieder in Bewegung. Eigentlich zwei Gespanne: Dem Schmidt Max sein alter Kadett mitsamt dem historischen Wohnwagen sowie der Schmidt Max selbst mitsamt dem bierhistorischen Fachmann.
Im nächsten Reiseziel Ellingen erwartet sie gewissermaßen das Gegenteil von Junkersdorf – dort Kommunbräu, hier . In Junkersdorf ein Bier, das außer den hundert bierseligen Kommunarden keiner kennt – hier in Ellingen ein Dunkles, das auf seiner Schaumkrone noch eine europäische Bierpreiskrone trägt. Während Dr. Gattinger wieder über die architektonischen Details von Schloss- und Brauereifassade doziert, blickt der Schmidt Max verstohlen an sich herab und denkt darüber nach, ob er nicht doch noch schnell nach Hause fahren, sich umziehen und in edler Nadelstreifenumhüllung wieder auftauchen sollte. Aber zu spät – schon sind Fürst und Fürstin da und geben den Weg zur Besichtigung frei und damit zu weiteren inneren Volksfesten des Herrn Gattinger.
In der ehemaligen Brauerei des Deutschherrenordens in Ellingen geht es auch heute noch adelig und bierig zu
»Da schaun S’ her«, sagt er, als sie im dreihundert Jahre alten Sudhaus, dem Kernstück einer jeden Brauerei, stehen. »Sehng S’ des?«
»Des Deckengewölbe?«
»Genau. Typisch barock – schee verzogen, passt net genau.«
Findet der Schmidt Max erstaunlich, weil, der Johann Sebastian Bach ist schließlich auch barock. Hat der jetzt genauso komponiert, wie das Gewölbe dasteht? Schee verzogen, passt net genau? Klingen tut’s eigentlich nicht so. Außerdem heißt’s doch immer, Bach wäre Mathematik.
Dr. Gattinger gibt zu bedenken, dass »barock« aus dem Portugiesischen stamme und ursprünglich »schiefe Perle« bedeutete. »Aber Hauptsache ist – schaun S’, wie das Sudhaus erhalten ist, mitsamt dem Gewölbe über unseren Köpfen und dem Steinplattenbelag unter unseren Füßen. So was gibt’s heit nimmer, da red einer von Fortschritt …«
Dem Schmidt Max, der ja ursprünglich nur seine Herbstdepression bekämpfen wollte, scheint der Weg zum wahren Fortschritt in der Tat noch hoffnungslos lang. Denn wahrer Fortschritt wäre, den entscheidenden Schritt zum Seidli zu tun, in dem sich der Kummer über das Ende der Biergartensaison ertränken lässt und das hier in Mittelfranken wahrscheinlich schon wieder ganz anders heißt.
Während der Schmidt Max vom Seidla träumt, träumen auch Fürstin und Fürst von und zu Ellingen – vom Ausbau der ehemaligen Wirtschaftsgebäude und Stallungen zu Lofts und Wohnungen, zu Räumen, die für Festivitäten zur Verfügung stehen.
Gott sei Dank hilft die beängstigend zeitig hereinbrechende Dunkelheit ein wenig nach und lenkt die Schritte nun endlich zum preisgekrönten Dunklen, Europameister 2014. Wie aber verhält man sich nun, wenn man als Oberbayer in Franken mit einem exorbitanten Bier konfrontiert wird, das man am liebsten im täglichen Abonnement beziehen würde? Soll man jodelnd und schuhplattelnd auf dem Tisch oder Tresen oder sonst wo herumhüpfen?
Nach einer ausgiebigen Erkundung des Schlossgeländes mit dem Fürstenehepaar wird ebenso ausgiebig der Europameister probiert
»Hat scho was«, sagt der Schmidt Max.
»Schmeckt aber scho …«, sekundiert Dr. Gattinger.
»… eigentlich …«
»… gar net …«
»… so schlecht …«
»… oder?«
Zu später Stunde befinden sich die beiden Herren ganz allein in der Gaststube, Fürst und Fürstin haben sich längst zur Ruhe begeben. Allein an der Anzahl der leeren Gläser auf dem Tisch ließe sich schon die Qualität der hiesigen Erfrischungsgetränke erkennen.
»Warum«, so dem Schmidt Max seine letzten Worte vor dem Schlummer, »warum haben wir keine fürstliche Suite reservieren...