Schmidt | Triumphgemüse | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 248 Seiten

Schmidt Triumphgemüse

Geschichten
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-406-69916-0
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Geschichten

E-Book, Deutsch, 248 Seiten

ISBN: 978-3-406-69916-0
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



“Die jungen Wilden aus dem literarischen Untergrund Berlins … Sie beobachten alles. Und sie erinnern sich an alles" – so Henryk M. Broder im SPIEGEL über Jochen Schmidt und seine schreibenden Kollegen, die sich regelmäßig in der Berliner Literaturszene zu öffentlichen Lesungen treffen. In der Tat schreibt Jochen Schmidt über all das, was er um sich herum erlebt, sieht und hört, und läßt daraus wunderbar skurrile Charaktere entstehen. Seine Geschichten tragen so schöne Titel wie Harnusch mäht als wärs ein Tanz oder Triumphgemüse. Sie sprechen vom Leben im Oderbruch und davon, wie eine Stadt sich verändert, sie sprechen von der Gegenwart und von der Vergangenheit, von Zeit im allgemeinen und von ihrem Stillstand im besonderen – und vom alten Harnusch, der so schön mähen konnte, daß sogar der Tod ihm seine Sense überließ.1999 hat Jochen Schmidt für seine Geschichte Harnusch mäht als wärs ein Tanz einen der drei ersten Preise des Open-Mike-Wettbewerbs der Literatur-WERKstatt Berlin gewonnen – wie zuvor schon Karen Duve, Julia Franck und die Bachmann-Preisträgerin Terézia Mora. Die vorliegende Sammlung von Geschichten enthält die prämierte Erzählung und zeigt zugleich das Spektrum seines Könnens in ganzer Breite.

Schmidt Triumphgemüse jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Harnusch mäht als wärs ein Tanz
«Harnusch weiß nich, was Krankheit uff sich hat», hatte Frau Tatziet jahrelang bewundernd, aber auch ein bißchen mißtrauisch versichert, denn bei Bauer Harnusch wußte man nie, und wenn der nicht krank wurde, dann war das nicht das einzige, was bei ihm nicht wie bei allen war. «Und jetzt ist er tot, wenn man das so nennen kann.» «Wieso? Tot ist doch tot?» «Das sagst du so, aber das ist doch nicht das gleiche, ob einer wartet, bis seine Zeit gekommen ist, oder ob er sich einfach aus dem Staub macht.» «Er hat sich umgebracht?» «Doch nicht der Harnusch.» «Aber er lebt nicht mehr?» «Nein, leben lebt er nicht mehr, aber tot kann man das nicht nennen, ich weiß nicht, wie mans nennen soll, darüber zerbrich du dir mal den Kopf, du siehst ja auch schon wieder ganz vergeistigt aus, iß lieber noch was, die Wurst war für dich berechnet, oder soll ich das wieder einpacken? Iß mal, ich wasch ab, und du kannst dich verkrümeln.» «Jetzt will ich aber wissen, was mit Harnusch war, ob er gestorben ist, und warum das was anderes sein soll als tot.» «Ich quatsch doch sowieso schon bloß noch Unsinn.» «Ich weiß noch, wie er immer den Pirol verjagt hat, damit der keinen Regen bringt, und wie ich nie verstanden habe, was er gesagt hat, weil das ganz anders klang als bei uns. Er hat mir auch versucht, das Mähen beizubringen, aber ich konnte machen, was ich wollte, er hat immer nur den Kopf geschüttelt.» «Hier haben alle von ihm Mähen gelernt. Aber weil sies schnell haben wollen, kaufen sich die Jungen diese schrecklich lauten Motordinger. Muß man ja auch verstehen, wenn mans nicht richtig kann, ists kein Vergnügen.» «Ich weiß noch, wie er einmal zu mir gesagt hat: heut gibts Frikadellen, und ich sag: das heißt Fleischklößchen, und er sagt: ich kenn mich mit den Ausdrücken nicht so gut aus, und ich war ganz empört: Fleischklößchen ist doch kein Ausdruck! da sagt er: na, wenn ichs zu dir sage schon.» «Na bitte, du erinnerst dich doch selber.» «Deshalb muß ich aber jetzt auch wissen, wie das war zuletzt.» «Da muß ich mich erst in Ruhe hinsetzen, sonst krieg ich meine Gedanken nicht zusammen.» «Dann setz dich, ich hol dir die Wolldecke.» * «‹Heef mich hoch›, war immer sein erster Satz gewesen, wenn er am Morgen aufgewacht war, und seine Frau schon in die Pantoffeln schlüpfte: ‹Heef mich hoch, du alte Schachtel.› Du hast ja die Frau Harnusch nie anders als gebückt gesehen, weil sie immer bei der Arbeit war, immer was aufsammelte oder einpflanzte, und später war ihr Rücken krumm, und obwohl sie jünger war als Harnusch, trug sie schwerer an allem. Und sie stand auch wirklich immer vor ihm auf, aber nicht, weil sie so verliebt war in den Morgen, sondern, weil sie ihrem Mann aus dem Weg gehen mußte, der wurde ja, je weniger er sich bewegen konnte, um so streitsüchtiger. Jetzt hat ihn der Herrgott hochjeheeft, aber ob der sich das nicht noch mal anders überlegt, ich möcht fast dran glauben, bei Harnusch weiß man nie. Es gab keinen schlimmeren Deibel als den, seine Frau hat er ins Grab gebracht mit seinen Trietzereien, und die Enkelin, die für ihn sorgte, hatte es weiß Gott schwer, weil er noch immer nicht zur Ruhe gekommen war, in seinem Wesen, als Mann, du verstehst schon, da hat er ihr mit dem Stock nachgestellt, vom Bett aus, der Enkelin, so ein Deibel war das, aber du hast ihn ja auch noch mähen sehen, und da mußt du mir zustimmen, mähen mähte der, als wärs ein Tanz, so elegant wie einer vom Ballett, wie ichs mir jedenfalls vorstelle beim Ballett, ich habs ja nie gesehen.» «Du warst nie im Ballett?» «Wie denn? Soll ich die Hühner an der Garderobe abgeben? Ich kanns mir doch auch so ganz gut vorstellen, so wie der Harnusch gemäht hat, genau so stell ichs mir vor, wenn ichs mir vorstelle. Ich war übrigens überhaupt nicht mehr im Theater, seit der Theaterbus nicht mehr verkehrt, dabei war das immer ein treues Völkchen gewesen, im Theaterbus nach der Stadt, aber jetzt haben alle Autos, und die keins haben sind tot. Viel ist eben nicht mit Kultur bei uns, bis auf den Posaunenchor und den Theaterbus, dens nicht mehr gibt. Ich weiß noch, wie Irmchen Ulrich aus der Vorstellung getragen werden mußte, die hatte sich so erschreckt, da war was Neues gespielt worden, ich glaube von Brecht, das war schon was, wir kannten doch von früher nur unsere Durchhaltestücke und später meist Komödie und Russen, und bei dem Brecht, da trugen die Schauspieler Masken, und Irmchen war das so grausig, die ist grün angelaufen und mußte rausgetragen werden, die könnte mich übrigens auch mal besuchen, fällt mir ein, aber die ist vom Schloßberg, und da muß man schon sagen, sie soll kommen, damit sie dann auch kommt, von selber kommen die vom Schloßberg nicht. Na, jedenfalls, ich wollte sagen, beim Ballett bin ich nie gewesen, das gibts nicht in der Stadt, aber besser kann es da nicht sein, als wenn man Harnusch beim Mähen zusah, der tanzte mit seinen kurzen Beinen über die Wiese, und jede Bewegung war so leicht und elegant, wie einstudiert, daß man sich hätte verlieben können in den Anblick, und dabei wußte man, wie schwer der seiner Frau zusetzte, und wenn du mich fragst, hat er sie letztlich auch unter die Erde gebracht mit seinen Stänkereien, der verfluchte Deibel.» «Haben das auch die Leute gedacht?» «Was wußten denn die Leute? Für die war er ein Original. Aber für sich war er nur er selbst, und das konnte ihm manchmal zu wenig sein, dann streifte er herum, jedenfalls früher, als er dann aber nicht mehr laufen konnte ohne Stock, und auch damit nicht sehr weit kam, da fing er an die Frau zu trietzen, das war aber nur, weil ihm das nicht reichte, er zu sein. Als er noch konnte, ging er an solchen Tagen auf den Pletschenberg und sah zu den Polen hinüber, und wenn man ihn dort so stehen sah, dann konnte man meinen, er wolle sich die Beine vertreten, oder ein bißchen frische Luft schnappen, der alte Mann, aber nichts da, von wegen Beine vertreten, er stand nur gern im Wind, wenn der so richtig blies, das freute ihn: ‹Oben bläst der Wind, und unten läuft man sich ab, und am Ende ist man weg.› Er stand aber auch nicht nur so da im Wind, sondern er sah hinüber zu den Polen, zu einem ganz bestimmten Fleckchen, das war mal seins gewesen, vor dem großen Schlamassel. Nicht daß er da hinwollte, zu den Polen, zu seinem Fleckchen, sollten die die Streusandbüchse behalten, es war nur, daß er eben manchmal, wenn es ihn juckte, da hinaufgehen mußte, auf den Pletschenberg, um zu sehen, wie weit er es mal gebracht hatte, das macht einen demütig vor dem Schicksal, meinte er, und man regte sich nicht mehr so auf, jetzt wo man in der LPG war, schließlich: einmal die Knochen krummgebuckelt für nichts genügte, und wenn einer gelernt hatte, seine Habe zu lassen, was brauchte er da eine neue Habe? ‹Aber›, dachte er dann dort oben auf dem Pletschenberg, ‹aber eenet jutet hattet ja, daß ick hier steh und nich da unten, eenet jutet hattet ja, daß dat Schietwasser nämlich ruhig steigen kann, und ick bin oben und guck runter, und brauch keinen Kohl mehr ziehen im Sumpf, und kann statt dem Türen angeln aus dem Hochwasser für mein Haus, und das ist besser, als Schiß vor den Bisamratten haben, die den Deich zerfressen, wenn dat Schietwasser steigt.›» «Solang er noch da hochgehn konnte, war er vergnügt, aber dann kam er immer weniger weit. Erst bis 1870/71, die Gedenktafel am Amtsgarten, da saß er und sah sich den Nachwuchs im Kindergarten an, dann, als es dafür nicht mehr reichte, bis zum Kriegerdenkmal an der Post, erster Weltkrieg, das kennst du noch gar nicht, das gibts erst seit ein paar Jahren, da sind die zu mir gekommen und wollten, daß ich auch was spende, das ist nun wirklich das letzte, wofür ich spenden werde, hab ich gesagt, ihr könnt das auch alleine, jetzt ham sie so einen Stahlhelm aus Stein hingesetzt ‹Für unsere Helden›. Da saß der Harnusch davor und grinste sich eins, das hat ihn verjüngt, der Spaß. Und als es dafür nicht mehr reichte, na, da mußte er eben zum Russenfriedhof gehen, wo früher Buschs wohnten, die Richtung Osten gegangen sind bei Kriegsende, den Russen entgegen, weil sie dachten, die hätten was für Kommunisten übrig. Sind nicht wiedergekommen, und Kinder hatten sie ja nicht, da haben die Russen ihren Friedhof hingesetzt, jedenfalls symbolisch, die meisten hat man ja so verbuddeln müssen, darf gar nicht dran denken. Bis dahin kam er noch und hat sich die Grabsteine angesehen und sich seinen Teil gedacht, und zuletzt, na, da kam er eben nur noch bis vors eigne Haus und stellte den Leuten seine Scherzfragen, die natürlich alle schon kannten: ‹Der Hahn, der Hahn und nicht die Henne›, aber wenn sie nicht stehenblieben und zuhörten, dann schrie er ihnen nach, und da blieben sie eben stehen, dann war er ganz friedlich. ‹Unsere Helden, hat er gesagt, ich komm nicht mal mehr bis zu unsern Helden!› Frau Tatziet, könn Sie sich das vorstellen? Wie gehts denn Ihrem Mann? Kommt der noch bis zu unsern Helden? Hat er mal wieder einen Saurierknochen gefunden? Ich hab da was...


Jochen Schmidt ist 1970 in Berlin geboren und lebt dort. Er liest jede Woche in der Chaussee der Enthusiasten.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.