Schnädelbach Was Philosophen wissen
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-406-63361-4
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
und was man von ihnen lernen kann
E-Book, Deutsch, 237 Seiten
ISBN: 978-3-406-63361-4
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Herbert Schnädelbach demonstriert in vierzehn Kapiteln exemplarisch, was in der gegenwärtigen Philosophie verbindlich gelehrt und gelernt werden kann. Zusammengenommen sind seine Ausführungen ein brillanter Grundkurs in Philosophie.
Das Buch zeigt anhand ausgewählter Themen, dass der Ausdruck „philosophisches Wissen“ kein leeres Wort ist. Ungeachtet mancher Zweifel wissen Philosophen wirklich etwas; sie verfügen über einen Kernbestand wissenschaftlichen Wissens, der wenig umstritten ist und hinter dessen Einsichten nicht zurückfallen darf, wer heute nach den Regeln des Fachs philosophiert. Dieses Wissen hat sich in der neueren Philosophiegeschichte im ständigen kritischen Dialog mit dem Tradierten herausgebildet.
Es wird beispielsweise gezeigt, dass in der modernen erkenntnistheoretischen Diskussion niemand ernstgenommen wird, der immer noch mit den Modellen „Subjekt – Objekt“ oder „Bewusstsein – Gegenstand“ operiert, in der Semantik Bedeutung und Gegenstand miteinander gleichsetzt, in metaphysischen Fragen das Sein für eine Eigenschaft von Gegenständen hält oder in der Praktischen Philosophie Werte und Normen nicht auseinanderhält.
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1 Philosophie und Wissenschaft – eine kurze Problemgeschichte
Es geht nicht darum aufzuzählen, was Philosophen alles wissen, sondern um die Frage, ob sie überhaupt etwas wissen, denn das wurde immer wieder bestritten. Kant oder Hegel wäre dies als ganz unsinnig erschienen, denn ihnen zufolge definierte die Philosophie, was Wissen ist und was nicht, und darin folgten sie der gesamten abendländischen Tradition seit den Vorsokratikern. Diese Sicht fasst Hegel zusammen in dem Satz: «Worauf ich überhaupt in meinen philosophischen Bemühungen hingearbeitet habe und hinarbeite, ist die wissenschaftliche Erkenntnis der Wahrheit» (H 8, 14); und diese Bemühungen bedeuten: «Daran mitzuarbeiten, daß die Philosophie der Form der Wissenschaft näherkomme, – dem Ziele, ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu können und wirkliches Wissen zu sein –, ist es, was ich mir vorgesetzt.» (H 3, 14) Wirkliches Wissen ist somit nur als Philosophie möglich, die wissenschaftlich ist, und Hegel stimmt mit der neuzeitlichen Philosophie seit Descartes darin überein, dass die Grundbedingung dafür die «Form der Wissenschaft», also die Systemform im Sinne eines möglichst vollständigen Begründungs- und Beweiszusammenhangs ist. In der Phänomenologie des Geistes heißt es: «Das Bekannte überhaupt ist, darum daß es bekannt ist, nicht erkannt» (H 3, 35), und unter einem Porträt Hegels steht das Motto: «Unsere Kenntnis soll Erkenntnis werden». Möglich ist dies ihm zufolge nicht durch die bloße Sammlung und äußere Ordnung unserer Kenntnisse, sondern nur durch deren Transfer in den Systemkontext; hier entscheidet sich, ob das, was wir zu wissen glauben, «wirkliches Wissen» ist oder nicht. Das cartesianische Erbe des Systemideals der Wissenschaft, dem auch Hegel noch folgte und das er endlich verwirklicht zu haben beanspruchte, war aber schon im 18. Jahrhundert nicht mehr unumstritten. Die Unterscheidung zwischen dem «esprit de système» und dem «esprit systématique» und ihre Entgegensetzung durch d’Alembert[9] markiert sehr genau die Gegenposition. Die englische und französische Aufklärungsphilosophie war wesentlich durch den Empirismus bestimmt, das heißt durch die Überzeugung, dass ausschließlich unsere sinnliche Erfahrung die Grundlage und den Inhalt des Wissens bereitstellt. Dies richtete sich gegen den Rationalismus der Cartesianer, die in den erfahrungsunabhängigen, «eingeborenen» Vorstellungen der Vernunft das Fundament aufzufinden meinten, auf dem man ein System des Wissens nach dem Vorbild der euklidischen Geometrie aufbauen könne. Dass dies auf empirischer Basis nicht gelingen könne, darüber waren sich Rationalismus und Empirismus einig. Dagegen sahen die Vertreter des Empirismus jedoch nicht ein, warum man Kenntnisse, die man aus der Beobachtung von Phänomenen gewinnen kann, nicht auch ‹Wissen› nennen dürfe; schließlich stamme doch unsere gesamte Kenntnis der Welt und von uns selbst daher. Nicht alles freilich, was wir aus Erfahrung kennen, kann schon als wissenschaftliches Wissen gelten; diese Auffassung vertraten auch die Empiristen, und sie folgten darin der wichtigen Unterscheidung zwischen der «experientia vaga» und der «experientia ordinata» durch den Vater des Empirismus, Francis Bacon:[10] Ihr zufolge macht nicht die unbestimmte und zufällige, sondern allein die methodisch gewonnene und dann logisch geordnete Erfahrung Wissenschaft möglich. Genau dies aber ist mit dem «esprit systématique» gemeint: In der Wissenschaft muss man systematisch, nach vernünftig begründbaren Methoden vorgehen, und dies gilt nicht nur für die Tatsachenfeststellungen, sondern auch für deren Systematisierung durch kontrollierte Verallgemeinerung. Dies darf freilich nicht mit dem «esprit de système» der rationalistischen Systemarchitekten verwechselt werden, die mit Bausteinen der «reinen» Vernunft auskommen und auf dieser Basis ein metaphysisches Gesamtbild der Wirklichkeit entwerfen wollten. Im 18. Jahrhundert gewinnt in der Philosophie das empiristische Wissenschaftsverständnis die Oberhand, und sie ratifiziert gewissermaßen damit das, was in den empirischen Wissenschaften längst geübte Praxis ist. Das bedeutet nicht, dass man nicht mehr an einem System des Wissens interessiert wäre, aber ein solches gilt nun als ein sekundäres Ziel. Am Anfang der Erkenntnis stehen demnach nicht mehr abstrakte Prinzipien, die man angeblich durch bloßes Denken ermitteln kann, sondern die nach wissenschaftlichen Methoden gewonnenen Beobachtungen und experimentellen Ergebnisse, deren Systematisierung in einer Theorie stets vorläufig bleiben muss, weil uns die Erfahrung immer neue Kenntnisse zu erschließen vermag. Dieses Neue ist jetzt der primäre Gegenstand des Interesses, und nicht mehr der vermeintlich sichere Besitz von Wissen in abgeschlossenen Systemen.[11] Für den Empirismus ist die Wissenschaft wesentlich Forschung, und deren Wissenschaftlichkeit wird normiert und garantiert durch Methoden, die die empirischen Forschungsergebnisse intersubjektiv überprüfbar machen. Die Wissenschaftlichkeit des Wissens beginnt somit nicht erst auf der Systemebene, wie es die Cartesianer bis zu Hegel vertreten, sondern es gilt das Umgekehrte: Nicht die Systeme bestimmen, was als wissenschaftliche Empirie gelten kann, vielmehr legt die methodisch organisierte empirische Forschung fest, was als wissenschaftliche Systematisierung des Wissens akzeptabel ist. Dieser durchgreifende Wandel des Wissenschaftsverständnisses, der sich im späteren 18. Jahrhundert auch im deutschen Bereich durchsetzt, lässt sich wie folgt charakterisieren: «Von der propositional definierten Systemwissenschaft zur prozedural definierten Forschungswissenschaft.»[12] Bekanntlich war Kant nicht davon überzeugt, dass Wissenschaft, wie sie vor allem in der Mathematik und in der galileisch-newtonschen Physik faktisch vorliegt, auf ausschließlich empirischer Basis möglich ist und von da aus erklärt werden kann. Gleichwohl folgte auch er jenem forschungswissenschaftlichen Trend, wenn er betonte: «Das System aller philosophischen Erkenntnis ist nun Philosophie. Man muß sie objektiv nehmen, wenn man darunter das Urbild der Beurteilung aller Versuche zu philosophieren versteht, welche jede subjektive Philosophie zu beurteilen dienen soll, deren Gebäude oft so mannigfaltig und so veränderlich ist. Auf diese Weise ist Philosophie eine bloße Idee von einer möglichen Wissenschaft, die nirgend in concreto gegeben ist, welcher man sich aber auf allerlei Wegen zu nähern sucht.» (KK, B 866) Wilhelm von Humboldt als getreuer Kantianer forderte in seinen Denkschriften zur Gründung der Berliner Universität im Jahre 1810, «das Princip zu erhalten, die Wissenschaft als etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes zu betrachten, und unablässig danach zu suchen»,[13] und so trug Humboldt gemeinsam mit Friedrich Schleiermacher, der dieses Prinzip ebenfalls nachdrücklich vertrat, wesentlich dazu bei, dass jene Neugründung zum nationalen und internationalen Vorbild einer modernen Forschungswissenschaft wurde.[14] Das Problem, dass die faktisch unangefochtene Geltung der mathematischen und physikalischen Erkenntnis im Rahmen der klassischen Mechanik nicht empiristisch erklärt werden kann, bewog Kant, nach einem Kompromiss zwischen Rationalismus und Empirismus zu suchen. Die Erklärungslücke zwischen dem allgemeingültigen Charakter mathematischer und mathematisch-naturwissenschaftlicher Sätze und ihrer angeblichen Basis in der Erfahrung, die ja immer nur singuläre Beobachtungen bereitstellt, hatte schon David Hume entdeckt; sie veranlasste ihn zu einer skeptischen Einschätzung dessen, was gerade die Aufklärungsphilosophie als ihren wertvollsten Besitz ansah – Logik, Mathematik und die moderne Naturwissenschaft. Kant versuchte, diese Aporie dadurch aufzulösen, dass er das wissenschaftliche Wissen als eine Synthese von Erfahrung und Denken, von Sinnlichkeit und Verstand zu rekonstruieren unternahm, wobei er darauf bestand, dass der Verstand als das Vermögen des begrifflichen Denkens seinerseits nicht empiristisch erklärt werden könne. Daraus folgt: «Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind … Der Verstand vermag nichts anzuschauen, und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen.» (KK, B 75f.) Auf dieser Basis versuchte Kant, dem modernen forschungswissenschaftlichen Konzept gerecht zu werden, es aber zugleich mit dem traditionellen Systemideal vereinbar zu halten. Dies zeigt sein terminologischer Vorschlag: «Alle Philosophie … ist entweder Erkenntnis aus reiner Vernunft, oder Vernunfterkenntnis aus empirischen Prinzipien. Die erstere heißt reine, die zweite empirische Philosophie.» (KK, B 867) Die «reine» Philosophie ist nichts anderes als die Metaphysik in ihrer neuzeitlichen, rationalistischen Form, die Kant in der Kritik der reinen Vernunft radikal...