E-Book, Deutsch, 202 Seiten
Schneickert Studentische Hilfskräfte und MitarbeiterInnen
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-7445-0437-9
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Soziale Herkunft, Geschlecht und Strategien im wissenschaftlichen Feld
E-Book, Deutsch, 202 Seiten
ISBN: 978-3-7445-0437-9
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
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Bis zu 400.000 studentische Hilfskräfte und MitarbeiterInnen übernehmen in Deutschland wichtige Aufgaben in Forschung und Lehre. Ihre Arbeitsbedingungen sind dabei häufig prekär. Gleichzeitig ergeben sich aus der Anstellung aber auch viele Privilegien. Dennoch ist diese Gruppe von studentischen ArbeitnehmerInnen bisher kaum sozialwissenschaftlich erforscht. Christian Schneickert untersucht die Situation studentischer Hilfskräfte und MitarbeiterInnen an deutschen Hochschulen, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen. Dabei werden qualitative und quantitative Forschungsmethoden kombiniert und in einen umfassenden theoretischen Rahmen eingebettet, der sowohl aus bildungssoziologischer als auch aus arbeitssoziologischer Perspektive von aktuellem Interesse ist. Das Buch versteht sich als empirische Anwendung der Soziologie Pierre Bourdieus auf das akademische Feld in Deutschland. Anhand von umfangreichem empirischem Material wird in diesem Buch gezeigt, wie die Arbeit als studentische Hilfskraft einerseits einen Reproduktionsmechanismus sozialer Ungleichheit im Bildungssystem darstellt und wie andererseits an deutschen Universitäten eine neue Form prekarisierter ArbeitnehmerInnen geformt wird, die für die zukünftige Organisation von Arbeitsverhältnissen in unserer Gesellschaft noch von erheblicher Bedeutung sein wird.
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[11]1 Ausgangspunkt und Ziele „Man wusste halt auf einmal sehr viel über die Profs, was man als Student nie mitbekommen hätte, und das ist glaube ich ganz gesund.“ (Hilfskraft, Geschichte) „Klar die Knete, aber die ist ja eigentlich ein Witz. Also von daher war das im Prinzip immer eine strategische Entscheidung, bringt mir das was.“ (Hilfskraft, Soziologie) „Das steht so in dem Kontext, dass man irgendwas machen muss, also von diesem Gefühl man muss irgendwas machen, um nicht nur ein normaler Student zu sein.“ (Hilfskraft, Politik) Gegenstand dieser Untersuchung ist die Situation studentischer Hilfskräfte und MitarbeiterInnen1 an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Studentische MitarbeiterInnen (StuMi) sind von einer Hochschule oder Forschungseinrichtung angestellte Studierende, die auf Stundenbasis Hilfstätigkeiten für Forschung und Lehre und hiermit zusammenhängende Verwaltungstätigkeiten ausführen (Lenger / Schneickert / Priebe 2012: 12). Die Tätigkeit als StuMi gilt als produktive, karrierefördernde Station innerhalb der individuellen Bildungslaufbahn, deren Arbeit aus dem deutschen Forschungsbetrieb nicht mehr wegzudenken ist (vgl. BMBF 2006: 18). Gleichzeitig aber werden die teilweise prekären und entformalisierten Arbeitsverhältnisse zunehmend Ziel gewerkschaftlicher Kritik (vgl. http://www.gew.de/Studentische_Beschaeftigte_und_wissenschaftliche_Hilfskraefte.html). [12]Studentische MitarbeiterInnen bieten demnach ein außerordentlich interessantes Forschungsfeld für zwei Teilbereiche der soziologischen Analyse (siehe ausführlich Schneickert / Lenger 2010). Einerseits, aus bildungssoziologischer Perspektive, d. h. als Strategie innerhalb einer individuellen Bildungslaufbahn, andererseits, aus arbeitssoziologischer Perspektive, d. h. als moderne, hochqualifizierte und voll flexibilisierte ArbeitnehmerInnen. Aus bildungssoziologischer Sicht sind dabei insbesondere folgende drei Befunde von gesteigertem Interesse: Erstens kommen studentische MitarbeiterInnen überdurchschnittlich oft aus bildungsnahen Haushalten (siehe ausführlich Abschnitt 6.2.1), zweitens war die Mehrzahl der Promovierenden in Deutschland während des Studiums als StuMi beschäftigt (BMBF 2006: 19; Lenger 2008: 104) und drittens sind die privilegierten beruflichen Positionen in der Gesellschaft auch weiterhin stark von der sozialen Herkunft abhängig, auch wenn die Positionen heute über höhere Bildungstitel verteilt werden (vgl. exemplarisch Allmendinger / Aisenbrey 2002: 54; Müller / Steinmann / Schneider 1997: 219). Entsprechend lautet die bildungssoziologische These, dass die Anstellung als StuMi eine vermittelnde Position im wissenschaftlichen Feld (Bourdieu 1992 [1984]) darstellt, die den Übergang von Studium zur Promotion, d. h. den Eintritt in dieses Feld maßgeblich organisiert. Aus arbeitssoziologischer Perspektive sind ebenfalls drei Punkte hervorzuheben: So sind Forschungseinrichtungen erstens moderne Großorganisationen (siehe Weber 1922), die sich durch einen hohen Bedarf an flexiblen und günstigen Arbeitskräften auszeichnen. Diese Nachfrage wird zu einem nicht unwesentlichen Teil mittels studentischer MitarbeiterInnen abgedeckt (vgl. hierzu auch schon Vogel 1970: 155). Zweitens wird die Etablierung prekärer Arbeitsverhältnisse im Sinne der „Generation Praktikum“ (siehe Briedis / Minks 2007; Kirschler / Kastlunger / Braunger 2007) wahrscheinlich, da die Anstellung als studentischeR MitarbeiterIn subjektiv als lohnenswerte Investition in den individuellen Ausbildungs- und Karriereweg wahrgenommen wird. Drittens erfolgt eine Anpassung der eigenen Ansprüche und Bedürfnisse an die Anforderungen der modernen kapitalistisch organisierten Ökonomie durch eine Gewöhnung junger und hochqualifizierter Personen an unsichere und entformalisierte Beschäftigungsverhältnisse schon während der Ausbildungsphase. [13]Die vielen Vorteile, die eine höhere Bildung für die spätere Position in der Sozialstruktur der Gesellschaft mit sich bringt, werfen die Frage auf, wie das gesellschaftliche Gut Bildung auf die Bevölkerung verteilt wird. Dass Bildung sozial ungleich verteilt ist und daraus ungleiche Positionen in der Gesellschaft resultieren, ist sozialwissenschaftlich umfangreich untersucht (siehe exemplarisch Bourdieu / Passeron 1971; Boudon 1974; Bourdieu et al. 1981; Bourdieu 1982 [1979]; Blossfeld / Shavit 1993; Krais 1996; Hartmann 2002; Shavit 2007; Becker / Lauterbach 2008; Lenger 2008). Die Gründe für unterschiedliche Bildungserfolge sind aber letztlich umstritten. Entgegen der Position, die ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu Bildung ergäben sich aus IQ-Unterschieden zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen (vgl. zu der Debatte um diese Position unter anderem Herrnstein / Murray 1994 und Brody 1992), ist in der Soziologie weitgehend unumstritten, dass die biologische Ausstattung mit ‚Intelligenz‘ diese Unterschiede nicht hinreichend erklären kann (siehe Ashenfelter / Rouse 2000; Flynn 2000). Vielmehr müssen ökonomische, kulturelle und soziale Faktoren herangezogen werden, wie dies der Soziologe Pierre Bourdieu in seinen bildungssoziologischen Analysen herausgearbeitet hat (siehe v. a. Bourdieu / Passeron 1971; Bourdieu / Boltanski 1981 [1975]; Bourdieu 1982 [1979]). Während etwa Raymond Boudon (1974) die ungleiche Verteilung von Bildung, unter der Prämisse rationalen Handelns, eher als Folge unterschiedlicher Möglichkeiten zum Aufbringen der Bildungskosten bei verschieden rationaler Bewertung der möglichen (späteren) Erträge aus Bildung zu erklären versucht, integriert Bourdieu in seine Überlegungen die frühe familiäre und gesellschaftliche Sozialisation. Das Lernen der relevanten sozialen Codizes bestimmt so die relative kulturelle Nähe bzw. Distanz bestimmter Gruppen oder Klassen zu den Regeln und Anforderungen des Bildungssystems (vgl. Bourdieu 1977). Entsprechend lässt sich auch die Situation studentischer MitarbeiterInnen sinnvoll anhand der theoretischen und methodischen Begriffe und Konzepte Bourdieus erörtern. In Anschluss an Bourdieus Untersuchungen in Frankreich haben aktuelle Studien zur Rolle der Promotion in Deutschland gezeigt, dass diese einen Mechanismus der Elitebildung (siehe Hartmann 2002) und der Reproduktion sozialer Ungleichheit (siehe Lenger 2008) darstellt. Zudem haben insbesondere die Befragungen von ProfessorInnen (Engler 2001) und PrivatdozentInnen[14] (Beaufaÿs 2003) Aufschluss über die Funktionsweise des wissenschaftlichen Feldes in Deutschland gegeben. Studentische MitarbeiterInnen in Deutschland sind bisher jedoch kaum erforscht. Bisherige Studien erreichten 100 studentische MitarbeiterInnen an der Universität Göttingen (siehe Vogel 1970), 154 studentische MitarbeiterInnen an der Universität Marburg (siehe Regelmann 2004) sowie 85 studentische MitarbeiterInnen an der Universität Regensburg (siehe AK Gewerkschaft 2010). Darüber hinaus finden sich verstreut Daten in den Studierendensurveys, welche seit 1987 Daten zum Beschäftigungsumfang erheben (Simeaner et al. 2007; Simeaner / Ramm / Kolbert-Ramm 2010).2 Die vorliegende Untersuchung stellt die abschließende und umfassende Arbeit eines vierjährigen Forschungsprojekts zur Situation und Lage studentischer MitarbeiterInnen dar. Das empirische Material besteht aus 14 einstündigen, biographischen, teilnarrativen Leitfadeninterviews, in denen studentische MitarbeiterInnen aus drei Fächern zu Biographie, Motiven, Studien- und Arbeitssituation befragt wurden; einer bundesweiten Telefonbefragung von Personalräten deutscher Universitäten; zehn problemzentrierte Interviews mit ProfessorInnen aus drei Fächern hinsichtlich ihrer Einschätzung der Situation von studentischen Hilfskräften und einer quantitativen Online-Erhebung (n=3961). Letztere ist die eigentliche Haupterhebung, die in Zusammenarbeit mit Alexander Lenger und Stefan Priebe durchgeführt wurde und auf einer bundesweiten Online-Befragung von 3961 Hilfskräften aus 139 Fächern im Zeitraum zwischen Januar und Mai 2011 beruht. Diese Erhebung wurde mit Unterstützung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Max-Träger Stiftung durchgeführt, die grundlegenden[15] Ergebnisse wurden in einer Broschüre der Gewerkschaft veröffentlicht (siehe Lenger / Schneickert / Priebe 2012). Das hier vorgeschlagene Buch fasst den gesamten Forschungsprozess und viele noch unveröffentlichte Ergebnisse zusammen. Es gibt den empirischen Ergebnissen einen umfassenden theoretischen Rahmen. Dazu werden die Ergebnisse arbeitssoziologisch, mit dem Konzept des ‚Arbeitskraftunternehmers‘ als moderne Form der Selbstausbeutung, und bildungssoziologisch, als Strategie im wissenschaftlichen Feld nach dem Konzept Pierre Bourdieus, eingeordnet. Das Buch stellt somit die erste bundesweite, empirische und theoretische Abhandlung zur Rolle der studentischen MitarbeiterInnen im deutschen Bildungswesen dar. Die Monographie gliedert sich wie folgt: Im zweiten Kapitel wird die Verbindung von Bildung und sozialer Ungleichheit im deutschen Bildungswesen dargelegt. Dabei wird die Anstellung als StuMi als eine Bildungsstation innerhalb einer Bildungslaufbahn verortet. Es ist davon auszugehen, dass zwischen askriptiven Faktoren (soziale Herkunft, Geschlecht etc.) und dem Erfolg im Bildungssystem sowie dem Zugang zu den privilegierten gesellschaftlichen Positionen keine unmittelbare deterministische Verbindung besteht, sondern die Wirkungen sozialer Ungleichheit über eine Vielzahl von Mechanismen innerhalb des Bildungssystems vermittelt werden. Die Überlegungen werden zusammen mit den Erkenntnissen über das Bildungssystem im dritten...