E-Book, Deutsch, 332 Seiten
Schnydrig Klaus
Mit Illustrationen von Paula Troxler
ISBN: 978-3-7296-2334-7
Verlag: Zytglogge
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Leben vor dem Steinschlag
E-Book, Deutsch, 332 Seiten
ISBN: 978-3-7296-2334-7
Verlag: Zytglogge
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Samuel SchnydrigAls Gitarrist und Sänger tätig, bis 2010 bei der Punkband ?Grannysmith?, seither bei der Indie-Formation ?Them Fleurs?. Daneben ist er als Ein-Mann-Kapelle ?Suma? unterwegs, organisiert Konzerte und kuratierte jüngst die Ausstellung ?Holz la redu? des verstorbenen Holzschneiders Willy Thaler.2019 erschien seine Kurzgeschichte ?Dienstag im Oktober? in der Anthologie ?Für Reisekranke? (vatter&vatter). ?KLAUS - Leben vor dem Steinschlag? ist sein erster Roman.
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1998
DER OLYMP
«Hallo, ich bin Klaus», schrie ich in den Refrain hinein.
«Klaus?», fragte Lene wippend und leicht entsetzt.
«Ehm … Ja», stotterte ich. Sie hatte schon richtig verstanden. Augenblicklich wurde mir heiß. Das war sie also. Unsere erste Unterhaltung. Mein erster Stolperversuch Richtung anderes Geschlecht. Dann kam wieder Come As You Are.
Und Lene war grinsend weggetanzt. Lena, Lene, Leni, Le… einmal quer durch den Kopf.
«Was machst du?», fauchte mich Basters stirnrunzelnd an. In seinem Disco-Outfit (eine viel zu große senfgelbe Cordjacke und fast weiße Baggy-Jeans) sah er aus wie eine Mischung aus Derrick und dem Kleinen von East 17.
«Seit Monaten haben wir dich vorbereitet. War doch alles abgesprochen. Luc hat sogar diesen Nirvana-Antipartysong gebracht. Und jetzt? Ehm, ehm, zittern, stottern, Hosen vollmachen und in die Luft schauen.»
Basters ging in die Knie und fuchtelte mit seinen Händen, während er unaufhörlich «ehm» sagte.
«Sei ruhig!», zischte ich.
«Und wieso um Himmels willen ‹Klaus›? Das hätte sie noch früh genug erfahren.» Basters fuhr fort, mich nachzuäffen: «Ehm … Halloooo, ich bin Klaus. Ich trinke nicht, schieße keine Tore und habe sowieso nichts zu melden.»
Luc kam mit weit gespreizten Armen durch die Menge.
«Und ihr Knaller, wo ist sie jetzt, die Grace Kelly?»
Luc war zwei Jahre älter als wir (und irgendwie auch zwei Jahre cooler). Er trug Klamotten wie die Rockstars aus dem Spindel (heute Black-Flag-Shirt). Luc konnte das. Er war der DJ im Tal, ein Hauch Berlin im Schweizer Bergstädtchen.
«Luc», lächelte Basters, «unser Klaus hatte Ladehemmung.»
«Ach Scheiße, Basters … Ich glaub, ich geh.»
«Wohin?»
«Hause.»
«Um elf Uhr? Klauso!»
«Besser so.»
«Klaus ist raus.» Basters schlug sich demonstrativ mit der flachen Hand auf die Stirn. «Klaus ist raus, mal wieder.» Kopfschüttelnd stand er da. Die Lippen zusammengepresst, die Augen zur Decke gerichtet. Völlige Übertreibung. Basters halt.
Alleine unterwegs nach Hause, wie oft in letzter Zeit. Nicht mal Mitternacht. Mein siebzehnter Geburtstag war noch drei Wochen hin. Siebzehn! Verdammt! Meine Freunde soffen, kifften, knutschten und bumsten. Und ich war raus. Klaus ist raus.
Am nächsten Morgen wurde Onkel Peter zum Frühstück erwartet. Ich liebte es, lange liegen zu bleiben. Erst recht, wenn er kam.
Der Onkel hatte viel Glück gehabt im Leben. «In jeder Hinsicht auf das richtige Pferd gesetzt», sagte Papa immer. Die richtige Frau, den richtigen Schwiegervater, die richtigen Geschäfte, den perfekten Ehevertrag. Und dann («Vor allem»), im besten Moment die Scheidungspapiere mit zum Fischessen gebracht.
David, Karin und ich nannten ihn auf Anraten von Papa seit Kindstagen den «Hobbyfranzosen». Weiße Hose, weißes Hemd, auffällig braungebrannt, auffällig gutgelaunt. Direkt eingeflogen von der Côte d’Azur.
«Ach Monique, schön, zurück zu sein.»
Monique war eigentlich Monika. Für Peter (der sich selber «Pierre» nannte), war Mama aber Monique. Papa war fast so verzückt wie wir und hängte bei Peters Monologen ab. Irgendwann unterbrach er eine von Peters Poloturniergeschichten: «Muhammed Ali hat mal gesagt: ‹Es gibt interessantere Dinge, als Leute zu verhauen.›»
Seine Spitze kam wie meist aus dem Nichts. Er konnte die Menschen ganz schön verwirren.
«Ich muss leider. Fußball», sagte ich, um abzulenken.
«Spielst du immer noch vorne links?» Peter demonstrierte einen Übersteiger (Marke Higuita). Am liebsten hätte ich gekotzt.
«Nein, hinten. Zentrum.»
«Peter, du weißt doch, Auge!», sagte Papa.
Mama schritt ein: «Darum nennen sie ihn doch jetzt auch alle den Klaus. Sogar David und Karin. Dabei wäre Nicholas ein so schöner Name.»
Eigentlich war ich auch schon fast zu alt, um mich noch gegen «Klaus» zu wehren. Oma Erika kam aus Fürstenzell in Bayern. Und Auge, Sohn der Gemeinde, war der ganze Stolz der Fürstenzeller. Im ersten Pflichtspiel ein Tor für die Bayern, im Karriereherbst das Tor des Jahrzehnts in der Sportschau, dazwischen ein paar beachtliche Grätschen auf Kniehöhe und im letzten Länderspiel dann Weltmeister mit Deutschland. Mehr geht eigentlich nicht. Zumindest nicht in Fürstenzell. Oma Erika hatte dann auch ihr restliches Leben lang einen Heidenspaß an ihrer Namenstiftung. Jetzt lag sie unter der Erde, und irgendwann hatte ich mir gesagt, dass «Klaus» auch zu ihren Ehren beibehalten werden sollte.
«Klaus? Auch die Mädels nennen dich so? Nick hätte doch viel mehr Appeal.» Peter war noch immer fassungslos.
Papa gefiel das. Er doppelte nach: «Sommer 1990 in Italien, eine deutsche Oma, Weltmeisterschaft und mitten auf dem Campingplatz ein Schweizer Junge in Schwarz-Rot-Gold. Und schon hatte sie inmitten der johlenden Teutonen aus dem Nicholas den Klaus gemacht. Mit der Schweizer Nati war damals auch rein gar nichts zu holen. Apropos: Nick Nixon Nicholas, wir müssen. Sag au revoir zu Pierre et Monique.»
Ich liebte es, wenn Papa sarkastisch war. Er hatte es mit Mama nicht leicht. Er war sieben Zentimeter kleiner als sie und nur halb so laut. Mama wollte Golf spielen, er Karten. Sie saß lieber ganz vorne im Theater. Er lieber hinten, oder gar nicht. Ein komisches Paar eigentlich.
«Und? Gestern?», fragte Papa nach den ersten stillen Fahrminuten.
«Gut.» Ich schaute aus dem Fenster. Er versuchte es ein zweites Mal. Mit Musik.
«Neil?», sagte er und hob die Kassette hoch.
Ich nickte gleichgültig.
«Was spielen sie da eigentlich heutzutage in der Disco?»
«Kreuz und quer.»
«Ja, und was war mit Mädels?» So schlagfertig er in seiner Ironie war, so tapsig war Papa bei Vater-Sohn-Themen.
«Schau, da vorne läuft Basters. Hup mal!»
Fast wäre Basters hingefallen.
Die Fahrt dauerte noch etwa drei Minuten. Basters und Papa unterhielten sich über Musik (von Neil zu Wu-Tang Clan in einem Satz), Zidane und Bill Clinton. Papa konnte mit Hip-Hop nichts anfangen, geschweige denn mit dem französischen Genie. Bei Bill und Monica Lewinsky war er dann aber erstaunlich gut informiert.
Beim Aussteigen beschlich mich das Gefühl, dass er in Gedanken noch immer bei Praktikantin Monica war.
«Wieso fährt er nicht los?»
«Basters, du stinkst.»
«Kein Wunder.»
«Hast du Lene noch gesehen?»
«Scheiße, Klaus, Nebenbuhler», sagte Basters und legte mir seufzend seine Hand auf die Schulter. Schon wieder diese Theatralik. «Ich glaub, dieser Autokasper Marc hat sich an die rangemacht.»
«Was? Der weiße Safrane? Haben sie rumgemacht?»
«Weiß nicht.»
«Erzähl keinen Quatsch.»
«Glaub schon, bisschen.»
«Arschloch!»
Ich befreite meine Schulter ruckartig aus Basters’ Hand.
«Ach, komm jetzt. Der hat eh keine Chance. Irgendwann sind die Spritztouren abgefahren. Ich hab das vor Kurzem irgendwo gelesen. Auto als Beziehungsmotor oder so hieß das. Das sei statistisch gesehen etwas vom Kürzesten überhaupt.» Basters machte große Augen. Selbst ein Kind hätte gemerkt, dass er fantasierte.
«Was laberst du da?»
«Glaub mir einfach. Den Autofahrer drängen wir ab. Zack, Leitplanke, tschüss. Kommt alles gut, Klaus. Jetzt schubsen wir erst mal den Leader vom Thron.»
Es kam anders. Alles. Eine diskussionslose Niederlage (wobei ich mit einem monströsen Luftloch mindestens eines der sechs Gegentore mitverschuldete). Und der weiße Renault Safrane stand plötzlich überall. Vor der Schule, vor dem Raben, vor dem Bahnhof, sogar beim Fußball.
Wie oft am Freitagnachmittag saßen wir nach der Schule vor dem Raben.
Basters mit Tannast-Bier von der Tankstelle, ich mit Isostar und starrem Blick auf den Eingang. War der Safrane da, war das Gesprächsthema gegeben. Ich konnte es einfach nicht lassen.
«Du denkst doch auch, dass es das war. Plötzlich nicht mehr der Oberoptimist.»
«Quatsch mit Soße. Trink besser mal einen Schluck Tannast. Die Kampfrhetorik zurückfahren, so nennt man das. Im Ernst. Jetzt die kalte Schulter zeigen und cool bleiben. Die Zeit erledigt den Rest. Wir laden Lene zu deiner Party ein.»
Basters machte seine Geste: weit gestreckte, wippende Arme und demonstrativ...