E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Schoder Liebe ist was für Idioten. Wie mich.
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7336-0172-0
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-7336-0172-0
Verlag: FISCHER Sauerländer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sabine Schoder, Jahrgang 1982, hat Grafikdesign in Wien studiert und sich dort Hals über Kopf verliebt. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Vorarlberg und widmet sich nach dem Erfolg ihres Jugendromans ?Liebe ist was für Idioten. Wie mich.? hauptberuflich dem Schreiben. Literaturpreise: ?Immer ist ein verdammt langes Wort? - Delia Jugendliteraturpreis 2021 ?Liebe ist was für Idioten. Wie mich.? - Nominiert für den Buxtehuder Bullen
Autoren/Hrsg.
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Lass uns über dein Drogenproblem sprechen. Mit deiner Mutter.
Ich fühle mich nicht gut. Gar nicht gut. Mein Kopf pulsiert. Es ist zu heiß unter der Bettdecke. Ich strample mich frei und falle über eine Bettkante, wo keine sein sollte. Mein nackter Hintern prallt auf Parkettboden. Es gibt kein Parkett in meinem Zimmer.
Okay, ist die Untertreibung des Jahres. Ich fühle mich beschissen. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre er zwischen einem Schraubstock festgeklemmt, und mein Magen spielt Achterbahn in Endlosschleife.
Das Licht schmerzt in meinen Augen. Der Raum ist zu grell, die Wände blendend weiß gestrichen. Bandposter hängen in Bilderrahmen und Bücher stehen in deckenhohen Regalen. Kleidungsstücke wickeln sich um meine Fußgelenke, manche davon schwarz und vertraut.
All das spielt keine Rolle. Meine Blase steht kurz vor der Explosion. Ich brauche eine Toilette. Schnell.
Eine Tür steht offen und führt in ein kleines Bad. Ich schaffe es bis zum Klo und erleichtere mich stöhnend. Die Welt um mich herum dreht sich und ich atme tief ein und aus, damit mir nicht schlecht wird.
Mit wackeligen Knien stelle ich mich vors Waschbecken und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, bis meine Haut davon schmerzt. Auf dem Halter hängt ein fremdes Handtuch, das ich nicht berühren möchte. Automatisch streifen meine Hände über das T-Shirt, das ich trage. Ein weißes T-Shirt. Ein Pearl-Jam-Bandshirt, um präzise zu sein. Eine schreckliche Ahnung steigt in mir auf.
Ich taumle zurück ins Zimmer und hebe die dunklen Klamotten auf. Meine Netzstrumpfhose ist im Schritt zerrissen, worüber ich jetzt nicht weiter nachdenken will. Pearl Jam landet auf dem Fußboden. Ich ziehe mich an und stopfe die Strumpfhose in meine Jackentasche. Auf dem Weg zum Bett rutsche ich auf einem gebrauchten Kondom aus, das ich schnell von meinem Stiefel schüttle. Wenigstens haben wir verhütet.
Blondschopf liegt auf dem Bauch, unter der Bettdecke, nur seine Haare und ein nackter Arm schauen hervor. Vermutlich hat er mir gestern Nacht seinen richtigen Namen gesagt, aber ich erinnere mich nicht mehr. Um genau zu sein, erinnere ich mich an gar nichts, was nach unserem zweiten Joint im Black passiert ist.
Hatte ich nicht einen Plan? Eine Runde mit ihm zu flirten und ihn danach eiskalt stehen zu lassen? So wie er das normalerweise mit den Mädchen macht? Welche Rolle sein Bett in diesem grandiosen Szenario spielte, kann ich allerdings nur mutmaßen. Bekifft klang meine Strategie irgendwie logischer.
Vielleicht sollte ich ohne ein Abschiedswort verschwinden. Bestimmt wäre es ihm egal. Nein, sind wir mal ehrlich, es wäre ihm wahrscheinlich sogar lieber. Was gibt es Lästigeres für einen Kerl als Weiber, die nicht kapieren, wann sie abhauen müssen?
Ich bohre meinen Fingernagel in seine Schulter.
Er stöhnt auf, zieht seinen Arm unter die Decke und rollt sich auf die andere Seite. Seine Worte versickern im Kopfkissen, allerdings verstehe ich sie. Klar und deutlich. Wie Glassplitter.
»Sei leise, wenn du gehst.«
Schmeißt er mich etwa raus?! Am liebsten würde ich ihn vom Bett treten, aber dann erwische ich doch nur die Matratze und stürme aus dem Zimmer.
Was habe ich erwartet? Egal, wie viel ich geraucht habe, ich muss gewusst haben, worauf ich mich einlasse. Keinesfalls verletzt mich das. Ich bin nur wütend. So wütend.
Warum? Woher kommt das Zittern in meinen Händen? Meinem ganzen Körper? Es war nicht mein erster Sex. Es war nicht mal meine erste Abfuhr dem Sex. Hier ist nichts, worüber ich enttäuscht sein müsste, rein gar nichts. Das hat Adrian schon vor ihm geschafft.
Das zweite Mal spielt keine Rolle.
Vor allem, wenn man sich an nichts erinnert.
Mein Knie schlägt gegen eine Kommode, ich würge den Schmerz hinunter und humple weiter. Der Flur ist in einem dezenten Ocker gestrichen, an den Wänden hängen abstrakte Gemälde in Erdtönen. An der geschwungenen Holztreppe wird mir klar, dass ich in einem Haus stehe, nicht in einer Wohnung. So viel Geld verdient er niemals mit seiner Musik, abgesehen davon, dass er noch zur Schule geht. Es muss das Haus seiner Eltern sein. Schlafen sie? Ist das der Grund, warum ich leise sein soll?
Ich trample die Stufen hinab. Mir ist vollkommen klar, wofür mich seine Erzeuger halten müssen, falls sie mich entdecken. Ich hoffe, sie halten auch für das, was er ist.
Eine Haustür mit leuchtendem Wellglas kommt in Sicht, und plötzlich habe ich nur einen Wunsch: so schnell wie möglich hier wegzukommen. Weg von dieser Nacht, weg von dem, was ich vermutlich getan habe. Ich bin so sehr auf mein Ziel konzentriert, dass ich die Person nicht sehe, bis sie neben mir auftaucht.
»Jay, könntest du bitte leiser …« Eine blonde Frau starrt mich an. Sie sieht ihm verdammt ähnlich. Die gleiche helle Haut, das gleiche Haar, sommerblaue Augen. Es muss seine Mutter sein. Sie ist attraktiv für ihr Alter, schlank und elegant in einem naturweißen Strickkleid. Nur die dunklen Augenringe passen nicht zu ihr. Kein Puder der Welt kann eine schlaflose Nacht überdecken. Ihr Blick wandert an mir herab und ihre Kinnlade fällt tatsächlich runter.
Habe ich erwähnt, dass ich zur Feier meines siebzehnten Geburtstages zwei Schichten Mascara auf den Wimpern trug? Die dürften sich inzwischen auf meinem ganzen Gesicht verteilt haben. Abgesehen davon, dass mein Magen unaufhörlich Karussell fährt.
»Verzeihen Sie bitte, ich entferne mich ab sofort geräuschlos.« Ich sprinte an ihr vorbei und greife nach der Türklinke. Bevor ich nach draußen flüchte, rufe ich über meine Schulter: »Übrigens, Ihr Sohn hat ein kleines Drogenproblem. Sie sollten mit ihm darüber sprechen.«
War das genug? Ein dunkles Lachen quillt in mir hoch. Ja, das war böse und vielleicht nicht fair, aber ich fühle mich phantastisch. Zumindest, bis ich die Treppenstufen nach unten gelaufen bin und mich kurz vor dem Gartenzaun in einen Rosenbusch übergebe. Danach entferne ich mich tatsächlich absolut geräuschlos.
Mein Vater war nicht zu Hause, als ich in der Wohnung ankam. Vermutlich sitzt er in einem Sportwetten-Lokal und verprasst Geld, das normale Eltern für das Studium ihrer Kinder sparen. Es ist mir ganz recht so. Dass er nicht da ist, meine ich. Wir kommen nicht besonders gut miteinander klar, um es vorsichtig auszudrücken.
»I hate myself and I want to die«, begrüße ich Mel am Handy.
»VIKI! Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! WO WARST DU DIE GANZE ZEIT?« Mel hat ihre Stimme nie unter Kontrolle, wenn sie besorgt ist.
Ich wechsle das Handy in die andere Hand und starre an die Zimmerdecke, wo sich der Dampf sammelt und zurück in die Badewanne tropft. Das Wasser reicht mir bis ans Kinn und duftet nach Lavendel. Das Öl soll beruhigend auf die Nerven wirken, deshalb habe ich vorsorglich die ganze Flasche reingeschüttet. Es ist eine Schande, meine Haare schon einen Tag nach dem Färben zu waschen, aber sie stinken nach Rauch, Schweiß und einer Nacht, die ich vergessen möchte. Um meinen Hals färbt sich das Wasser bereits grau. »Sorry, ich dachte, ich hätte mich eben klar ausgedrückt.«
Kurzes Schweigen in der Leitung. »Und ich dachte, du magst diesen Kerl nicht.«
»Woher …«
»… ich das weiß, Viki?« Mel seufzt. »Erinnerst du dich nicht? Ich hab dich gefragt, ob es dir gutgeht. Was nicht einfach war, immerhin hat seine Zunge in deinem Ohr gesteckt. Was ist nur in dich gefahren?«
»Ich bin von einem Dämon besessen. Eventuell von mehreren. Lässt einen das nicht in fremden Sprachen reden? Vielleicht hilft mir das durch Englisch.«
»Viki! Sei jetzt mal ernst.« Sie klingt wütend. »Hast du mit ihm geschlafen?«
Ich stöhne.
»Sag mir bitte, dass du einen Gummi benutzt hast.«
Ich fahre hoch und spritze Badewasser auf den Boden. »Sicher! Wofür hältst du mich?!«
»Es gibt diese in der Apotheke, die man gleich schlucken muss. Das weißt du, oder?«
»Melanie, ich bin nicht schwanger und ich werde nicht schwanger, okay?«
»Okay. Ich mache mir nur Sorgen um dich.« Im Hintergrund schlägt bei ihr eine Tür ins Schloss. »War es wenigstens gut?«
Ist Augenrollen nicht ein weiteres Zeichen von Besessenheit? »Ich erinnere mich an nichts«, gestehe ich resigniert.
Stille.
»Mel?«
Keine Antwort.
»Mel, ich höre dich atmen.«
»Woher weißt du, dass ihr ein Kondom benutzt habt, «
Ist es möglich, sich selbst im Badewasser zu ertränken? Oder gehört das zu den unmöglichen Selbstmorden, wie an angehaltenem Atem zu sterben? Es wäre einen Versuch wert, der Wissenschaft zuliebe. »Ich weiß es. Ich hab es gesehen. Auf dem Fußboden.«
»Das Kondom?«
»Ja.«
»Nur eines?«
»Ja?!«
»Also hattet ihr nur einmal Sex?«
»Ich hab keine Ahnung!«
Stille. Dann Mels Stimme, wie aufgenommen und in doppelter Geschwindigkeit abgespult: »Hast du die scheußlichen Abtreibungsbilder vergessen, die sie uns in der Schule gezeigt haben? Von blutigen Matschhaufen und in Tränen aufgelösten Mädchen? Diese Pille wirkt nur ein paar Stunden nach dem Sex. Du fährst jetzt zur Apotheke und holst dir eine!«
»Spinnst du?« Ich unterdrücke das Verlangen, mein Handy zu ersäufen. Ich habe kein Geld für ein neues. »Das sind Hormonbomben! Wir haben garantiert verhütet. Außerdem bekommt man die nur auf Rezept.«
»Hol dir wenigstens einen...




