E-Book, Deutsch, 198 Seiten
Schröder-Devrient Aus den Memoiren einer Sängerin
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-0894-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 198 Seiten
ISBN: 978-3-8496-0894-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schröder-Devrient wurde der zweiteilige Roman Memoiren einer Sängerin zugeschrieben. Die heutige Forschung geht davon aus, dass tatsächlich der erste Teil von ihr stammt, der zweite jedoch aus kommerziellen Gründen hinzugefügt wurde. Es handelt sich um einen erotischen Roman im typischen Briefstil des 19. Jahrhunderts. (aus wikipedia.de)
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IV
Wenige Mädchen werden in so kurzer Zeit so rasch hintereinander, so vollständig und vor allen Dingen so gefahrlos über diese wichtigsten Momente des ganzen weiblichen Lebens aufgeklärt worden sein, als ich es durch Zufall und durch die Mitteilungen Margueritens wurde. Ich hatte bis dahin nicht mehr – wahrscheinlich auch nicht weniger gedacht und versucht, als die meisten Mädchen meines Alters, obgleich ich jetzt weiß, daß ich ein ungleich sinnlicheres Temperament hatte und habe, als es bei Mädchen und jungen Frauen gewöhnlich der Fall ist. Die Männer irren sich, wenn sie glauben, daß das ganze weibliche Geschlecht von der Natur ebenso sinnlich geschaffen ist als sie. Wenn sie nach den Frauen urteilen, die ihnen alles leicht gewähren, so urteilen sie falsch. Ehemänner wissen das und klagen oft genug darüber. Auch ich wollte das lange nicht glauben, hielt alles für Prüderie und Verstellungen, wenn ich auf Kälte, Gleichgültigkeit, ja Abneigung gegen Dinge stieß, die mich interessierten und erregten. Nichtsdestoweniger ist es wahr, daß eine früh erwachte und sich leicht ausbildende Sinnlichkeit bei einem Mädchen zu den Seltenheiten gehört, und mit aller Offenheit bekenne ich Ihnen gegenüber, daß ich zu diesen Ausnahmen gehöre. Sie werden mir erwidern, wie es denn möglich sei, daß so viele Mädchen verführt werden, wenn sie nicht selbst den Wünschen des Mannes entgegen kämen, wenn Trieb und Wollust nicht ebenso heftig bei ihnen wie bei den Männern wäre, und leider muß ich Ihnen die Antwort auf diese nur zu wahre Anschauung schuldig bleiben. Je fester ich durch meine Beobachtungen und Erfahrungen davon überzeugt bin, daß eine bewußte Sinnlichkeit beim weiblichen Geschlecht ursprünglich nicht so vorhanden ist, wie bei den Männern; daß sie bei den meisten Frauen erst geweckt und gebildet werden muß, dann aber namentlich zwischen dem 30. und 40. Lebensjahre ebenso vollständig und gebieterisch vorhanden ist wie bei den Männern – je unerklärlicher ist mir die unbestreitbare Erfahrung, daß so viele Mädchen zu Falle kommen und unglücklich werden, bei denen der Mann keinen Verbündeten, keinen Helfer in ihrem Innern zu erwarten hat. Vergeblich habe ich mich bemüht, eine Erklärung für diesen Widerspruch zu finden. Alles ist dem Manne ungünstig, wenn er ein noch unschuldiges Mädchen dazu bringen will, sich ihm ganz und rückhaltlos zu ergeben; denn der ganz entschiedene körperliche Schmerz, den eine erste Vereinigung verursacht, und welcher jedenfalls selbst mitten im Taumel zum Nachdenken und Anhalten auf der gefährlichen, rasch abschüssigen Bahn geeignet ist, endlich die Kenntnis der unausbleiblichen Folgen sich zu vergegenwärtigen; denn so unwissend ist wohl höchst selten ein junges Mädchen, daß es die Folgen vertrauten Umganges mit dem Manne nicht kennen sollte. Statuen, Gemälde, das Schauspiel der Begattung bei den Tieren, Schul- und Pensionat-Gespräche, ganz unvermeidliche Lektüre und anderes mehr, klären auch die beschränktesten, die mit Argusaugen Bewachten, auf. Und doch muß ich zugestehen, und finde keine andere Erklärung, als die Neugier und das weiche Gefühl der Hingebung für das Ungestüm eines Mannes, den man liebt. Aber wie viele ergeben sich ohne Liebe? Wie viele weinen und wimmern, wehren sich aber nicht! Es ist dies eines der wunderbarsten Geheimnisse der so allgütigen Natur; ein Beweis der unwiderstehlichen Macht und Anziehungskraft, welche sie dem verschwiegensten Innern eingeflößt hat.
Das ganze Katzengeschlecht, vom Löwen bis zum Haustiere, empfängt mit Schmerz und gebärt mit Wollust, gerade das Gegenteil zur ganzen übrigen Schöpfung! Und doch gibt das Weibchen sich dem Schmerze des Empfangens hin. Wer erklärt dieses Rätsel? Wie oft haben Mädchen mir weinend gestanden, sie wüßten nicht, wie sie dazu gekommen wären. »Er habe so süß gebeten.« – »Es sei ihnen so warm, so wunderbar geworden.« – »Sie hatten sich so geschämt!« Wie wenig reicht dies alles für die Erklärung aus! Und so sonderbar, daß gerade mir, die ich mein feuriges Temperament gar nicht verhehle – das heißt, Ihnen nicht verhehle, weil Sie keinen Vorteil aus diesem Bekenntnis ziehen wollen, – daß die Natur gerade mir, sage ich, einen so scharfen Verstand verliehen hat, um lange, lange der Gefahr zu entgehen. Ich kann nur schildern, was ich empfunden, was ich gedacht, als endlich auch meine Stunde geschlagen hatte, und ich werde es mit vollkommener Aufrichtigkeit tun, wenn ich an die Schilderungen meiner eigenen Erfahrungen komme. Für andere vermag ich keine Erklärung zu geben. Keine wenigstens, die mir gegeben wurde, reicht aus, und so wird das vieltausendjährige Rätsel wohl ungelöst bleiben müssen. Nicht umsonst beginnt die Weltgeschichte mit Evas Neugier und dem Genüsse einer verbotenen Frucht. Die weisen Männer, welche gerade diese Mythe an den Beginn der Geschichte des Menschengeschlechtes gestellt haben, haben recht wohl gewußt, daß dies der Mittelpunkt, der Hebel, das Geheimnis der ganzen Weltgeschichte ist, nur mit dem Unterschiede, daß der Genuß der verbotenen Frucht nicht aus dem Paradiese vertreibt, sondern das Paradies öffnet.
Sie werden mir ohne besondere Versicherung glauben, daß ich nicht damals, als ich so vollständig belehrt von dem Gute meines Onkels zurückkehrte, dergleichen Betrachtungen anstellte. Sie sind die Frucht meiner späteren Erfahrungen. Als Kind war ich in den Alkoven des Schlafzimmers meiner Eltern gelaufen. Als Jungfrau, freilich nicht mehr in der rein körperlichen Bedeutung eines unverletzten Hymen, kam ich von dem Gute des Onkels zurück. Ich war eine andere, die Welt um mich her war eine andere geworden. Ein Schleier war mir von den Augen gefallen. Alles, Personen und Dinge erschienen mir in einem ganz neuen Lichte. Ich hatte Verständnis für Dinge gewonnen, die ich früher nie bemerkt, nie beachtet und viel weniger begriffen hatte. Wie der Zufall mir dieses Verständnis verschafft, so hatte er mich auch belehrt, den Mißbrauch dieser köstlichen Gaben zu vermeiden. Was ich von meinem Cousin gesehen, bewahrte mich für mein ganzes bisheriges Leben vor dem Übermaße. Ich hatte in den fahlen erloschenen Augen, in der Hinfälligkeit des jungen Sünders das Los derer erkannt, die sich zu heftig diesen Genüssen hingeben. Ich habe mich nicht gescheut, meine Zuflucht zu ihnen zu nehmen, aber ich habe es nicht auf Kosten meiner Gesundheit und meines Frohsinns getan. Ja, wäre ich ein Mann gewesen, ich würde vielleicht dies nie getan haben, denn die Männer haben nicht dieselbe Entschuldigung für ihr heimliches Treiben, als Mädchen, Frauen und Witwen. Sie sind nicht so eingepreßt, so dicht von Fesseln umgeben wie Frauen, die keinen Schritt tun, keinen Blick tauschen, und kein offenes Wohlgefallen zeigen können, ohne sofort von bösen Zungen begeifert zu werden und dadurch ihren guten Ruf auf das Spiel setzen. Wir müssen heucheln und gleichgültig tun, wo wir gern entgegenkommen möchten, – wir müssen im Geheimen tun, was uns unglücklich machen würde, wenn wir zugestehen wollten, daß wir nichts weniger als gleichgültig sind. Der Mann hat nicht nötig, diese Rücksichten zu nehmen. Ihn erwartet nur Vergnügen und Lust, wo wir Schmerzen zu ertragen haben. Er fühlt Triumph, wo wir Reue haben. Weshalb sollte er also im Stillen und über die kalte Hand ausströmen, wofür ihm wahrlich Gelegenheit nicht fehlt? Ich sagte mir also, daß das Übermaß wie in allen Dingen, so auch in diesen gefährlich sei, und diese durch Zufall erlangte Erfahrung hat mich bis jetzt gesund und fröhlich erhalten. Vor allen Dingen brachte ich eine Erkenntnis in das Haus meiner Eltern zurück. Es gibt zweierlei Sittlichkeiten in der Welt: Eine öffentliche, deren Formen die bürgerliche Gesellschaft zusammenhalten und die niemand ungestraft verletzt, und eine natürliche zwischen den beiden Geschlechtern, deren mächtigste Triebfeder das Vergnügen ist. Natürlich hatte ich damals diese Begriffe nur dunkel, gewissermaßen instinktartig, und hätte es wohl noch kaum in Worte zu fassen gewußt. Seitdem habe ich oft und viel darüber nachgedacht und immer wieder diese Doppelnatur der Sittlichkeit bestätigt gefunden. Was in mohammedanischen Ländern sittlich ist, erscheint in christlichen Ländern unsittlich! Die Sittlichkeit des Altertums ist eine durchaus andere, als die des Mittelalters, und was im Mittelalter erlaubt war, würde jetzt das Gefühl verletzen. Naturgesetz ist die innigste Vereinigung des Mannes mit dem Weibe; die Form, wie sie erreicht wird, ist Sache des Klimas, der religiösen Überzeugung und der geselligen Formen. Niemand darf und kann sich ungestraft über das ihn umgebende Maß von Sittlichkeiten hinwegsetzen, und gerade der Zwang, den dieses örtliche Sittengesetz allen ohne Unterschied auferlegt, erhöht die Freude des Genusses in der Verborgenheit.
Meine Eltern waren Muster in Beobachtung dieser äußeren Formen der notwendigen Sitte und gerade deswegen doppelt glücklich in ihren vertrauten Stunden. Wenn ich es nicht selbst gesehen, würde ich nie geglaubt haben, welche Verwandlung jene Momente ungestörten und unbelauscht geglaubten Genusses bei ihnen hervorgebracht. Mein Glaube ist also wenigstens entschuldigt, wenn ich so leicht einem Außenseiter, einem Schein mehr traue. – Ebenso falsch, ebenso täuschend ist aber auch ein sogenanntes feuriges Auge, offenbare Gefallsucht und anscheinend leichtes Benehmen bei Frauen. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, daß gerade solche Frauen, die viel zu versprechen scheinen, kalt und teilnahmslos sind, wenn sie das Versprechen auch halten sollen. »Stille...




