Schwarz | Psychotherapie bei Partnerschaftsgewalt | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 146 Seiten

Schwarz Psychotherapie bei Partnerschaftsgewalt

Herausforderungen in der Arbeit mit betroffenen Frauen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-044787-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Herausforderungen in der Arbeit mit betroffenen Frauen

E-Book, Deutsch, 146 Seiten

ISBN: 978-3-17-044787-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Partnerschaftsgewalt ist in unserer Gesellschaft nach wie vor stark tabuisiert und von Mythen umrankt. Um diese zu durchbrechen und das Unaussprechliche im therapeutischen Setting ansprechbar zu machen, zeigt die Autorin verschiedene Ansatzpunkte auf. Dabei werden Fachkenntnisse zu den Formen von Gewalt und den Folgen für die psychische Gesundheit, zur Psychotraumatologie und kontextualisierten Traumaarbeit vermittelt. Anhand der Sichtweisen von betroffenen Frauen werden der Umgang mit Sicherheit und Schutz aber auch die Beziehungsgestaltung und die Situation der Kinder beleuchtet. Die Autorin verdeutlicht typische psychotherapeutische Herausforderungen in der Arbeit mit Frauen, die Gewalt in der Partnerschaft erlebt haben bzw. aktuell erleben, gibt einen umfassenden Überblick über relevante Versorgungssysteme und hält konkrete Tipps für die Praxis bereit.

Dr. phil. Silke Schwarz, Psychologische Psychotherapeutin, Berlin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Traumanetz Berlin, S.I.G.N.A.L. e. V. , Sprecherin der Arbeitsgruppe Psychische Gesundheit gewaltbetroffener Frauen im Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Gesellschaft und Psychotherapie e.V.
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2 Psychotraumatologie und kontextualisierte Traumaarbeit


Bislang wurden die psychischen Auswirkungen von Partnerschaftsgewalt aus einer klinischen Perspektive beschrieben. Dieser Logik folgen in der Regel die traumatherapeutischen Ansätze, die nachfolgend in aller Kürze beschrieben werden: Wie ist die Psychotraumatologie entstanden und welche therapeutischen Ansätze sind aktuell vorherrschend? Anschließend wird die kontextualisierte Traumaarbeit beschrieben, die in der Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen eine erweiternde Perspektive und Orientierung für Therapeut*innen bieten kann. Abschließend wird dargestellt, warum ein gendersensibler, feministischer und gewaltinformierter Ansatz in der Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen erforderlich ist.

2.1 Psychotraumatologie und traumatherapeutische Ansätze


Psychotraumatologie ist die Lehre, die sich mit der Erforschung und Behandlung von psychischen Traumafolgen auf das Erleben und Verhalten von Personen befasst. Das Wort Trauma stammt aus dem Altgriechischen (traúmatos) und bedeutet Wunde, eine physische oder psychische Verletzung (Häcker & Stapf, 2009). 1889 führte der Neurologe Oppenheim den Begriff Trauma in die Neuropsychiatrie ein, wobei er die Ursachen in Funktionsstörungen im Bereich des Zentralen Nervensystems sah (Priebe, Nowak & Schmiedebach, 2002).

Die professionelle Auseinandersetzung mit psychischen Reaktionen bei erschütternden Ereignissen wurde historisch gesehen durch ärztliche und psychiatrische Debatten geprägt, später auch um juristische und psychologische Sichtweisen erweitert (vgl. Schmiedebach, 2019). Der Begriff Trauma wurde insofern zunächst vorrangig für körperliche Verletzungen verwendet und dann auch zunehmend für psychische Belastungen benutzt. Zentral dabei war die Frage danach, wie das Individuum auf ein traumatisches Ereignis reagiert. Man untersuchte, welche individuellen Dispositionen oder vererbten Nervenschwächen zu welchen Symptomen bei welchen traumatischen Ereignissen führten. Unterschiedliche Begriffe spiegelten den jeweiligen gesellschaftlichen und historischen Kontext wider, in dem die Debatten stattfanden:

  • railway spine im Kontext von sich mehrenden Eisenbahnunfällen Ende des 19. Jahrhunderts

  • traumatische Neurose oder Unfallneurose im Kontext von verunglückten Industriearbeitern

  • Neurasthenie als Reaktionen auf beschleunigte Lebensverhältnisse

  • Kriegsneurotiker oder shell shock im Zuge des Ersten Weltkrieges

In Folge der vermehrten Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Vietnamkrieges wurde 1980 die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) erstmals offiziell als Krankheitsbild definiert und in das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM; englisch für Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen) der American Psychiatric Association (APA) aufgenommen. 1992 folgte die Diagnosekategorie in die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation. Seither stiegen die Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen hierzu stark an.

Mit der Einführung des DSM-5 im Jahr 2013 wurde die Diagnose einer komplexen PTBS geschaffen. Wie ist die Diagnose der komplexen PTBS entstanden und was hat sie mit Gewalt gegen Frauen zu tun? Judith Herman (2018), eine amerikanische Psychiaterin, die bereits Anfang der 1970er Jahre ihre psychiatrische Facharztausbildung machte, kämpfte lange für diese Diagnose. Sie sah damals viele Fälle von Frauen und Mädchen, die eine Schizophrenie oder Psychose-Diagnose erhalten hatten, ohne dass nach den Ursachen gefragt wurde. Judith Herman fiel auf, dass die meisten dieser Frauen und Mädchen sexuell missbraucht worden waren. Sie beschreibt, dass in der Psychiatrie und Forschung lange Zeit die Tendenz vorherrschte, Betroffene zu beschuldigen. Als die American Psychiatric Association eine Neuauflage des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen vorbereitete, setzte sich eine Gruppe von männlichen Psychoanalytikern dafür ein, eine masochistische Persönlichkeitsstörung zu definieren. Sie wollten mit dieser Diagnose Personen fassen, die in Beziehungen verbleiben, in denen sie ausgebeutet, misshandelt oder übervorteilt werden, obwohl es nach Ansicht von Außenstehenden die Gelegenheit gegeben hätte, die Situation zu verändern. In der Geschichte der Psychiatrie wurden Frauen, die aufgrund der Gewalterfahrung psychisch belastet waren, Charakterzüge wie abhängig, masochistisch, hysterisch, hypochondrisch oder die einer selbstzerstörerischen Persönlichkeit zugeschrieben. In der Forschung konnte nie ein eindeutiges Profil von sogenannten Persönlichkeitseigenschaften gefunden werden, die Betroffenen von häuslicher Gewalt gemeinsam waren. Vielmehr waren und sind es gewöhnliche, gesunde Frauen, die nach einer Gewaltbeziehung meist nicht mehr gesund sind. Die Diagnose einer (komplexen) PTBS soll diesen Zusammenhang zwischen Gewalt und psychischen Folgen deutlich machen.

In der Forschung werden verschiedene traumatische Ereignistypen unterschieden (vgl. Maercker & Augsburger, 2019; Pausch & Matten, 2018):

Tab. 2.1:Traumatische Ereignistypen

Typ-I-Traumata
(einmalig, lebensbedrohlich, unerwartet)

Typ-II-Traumata
(mehrfach, langandauernd, unvorhersehbar)

Interpersonelle (man-made) Traumata
Intentionale Traumata

Sexualisierte Übergriffe,
kriminelle/körperliche Gewalt,
bewaffneter Raub

Andauernde häusliche Gewalt,
Gewalt in der Kindheit (sexualisiert, körperlich, emotional),
Krieg, Folter, Geiselnahme, Gefangenschaft

Akzidentelle Traumata
Non-Intentionale Traumata

Verkehrsunfall,
Arbeitsunfall (Feuerwehr, Polizei),
kurz andauernde Katastrophen (zum Beispiel Brand)

Technische Katastrophen und ihre Folgen (zum Beispiel Giftgaskatastrophen, Nuklearunfall),
lange andauernde Katastrophen (zum Beispiel Überschwemmung)

Die APA (2018) unterscheidet vier verschiedene Formen der Exposition mit traumatischen Ereignissen:

  • direkte Erfahrung

  • persönliche Zeugenschaft

  • plötzlicher Verlust von wichtigen Bezugspersonen

  • wiederholte oder extreme Konfrontation mit aversiven Details eines Ereignisses (zum Beispiel Polizist*innen, die beruflich bedingt wiederholt mit Kindesmissbrauch in Kontakt sind)

Insbesondere durch Menschen willentlich verursachte Traumata und solche, die länger andauern, führen zu stärkeren, komplexeren Belastungen. Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine spezifische Traumafolgestörung. Der Begriff Traumafolgestörung ist weiter gefasst und beinhaltet einen größeren Bereich an Symptomen, Syndromen, Störungen und Reaktionsmöglichkeiten auf traumatische Ereignisse, wobei das traumatische Ereignis hierbei meist nicht als alleinige Ursache, sondern eher als Risikofaktor angesehen wird. Wenngleich die psychischen Belastungen nach einem Trauma vielfältig sein können, bezieht sich eine Traumatherapie meist auf die Behandlung einer PTBS.

Welche traumatherapeutischen Behandlungsansätze gibt es und was wissen wir in Bezug auf deren Wirksamkeit?


In der psychotherapeutischen Behandlung werden meist traumafokussierte und nicht-traumafokussierte Interventionen unterschieden (vgl. Ehring et al., 2019).

Traumafokussierte Verfahren


Traumafokussierte Interventionen zielen darauf ab, dass die Erinnerung an das traumatische Ereignis verarbeitet wird und/oder dass die Bedeutung dieser Erinnerung bearbeitet wird. Es sind vor allem zwei Verfahren beziehungsweise deren Wirksamkeit gut untersucht: die traumafokussierte Verhaltenstherapie und die Eye Movement Desensitization and Reprocessing-Therapie (EMDR).

Die kognitive Verhaltenstherapie bei Traumata umfasst üblicherweise eine imaginative Exposition in Bezug auf die Traumaerinnerung, eine Exposition in vivo oder eine narrative Exposition und/oder eine kognitive Umstrukturierung bezüglich der traumabezogenen Überzeugungen. Viel untersuchte Verfahren sind die Prolongierte Exposition nach Foa, Dancu, Hembree, Jayox, Meadows und Street (1999), die kognitive Therapie nach Ehlers und Clark (2000), die kognitive Verarbeitungstherapie nach Resick, Galovski, Uhlmansiek, Scher, Clum und Young-Xu (2008) und die narrative Expositionstherapie nach Schauer, Elbert und Neuner (2011).

Bei der Eye Movement Desensitization and Reprocessing-Therapie (EMDR) nach Shapiro (2018) werden traumatische Erfahrungen bearbeitet, indem Therapeut*innen Augenbewegungen anleiten und andere Methoden der Rechts-Links-Stimulation einsetzen.

Weitere traumafokussierte Verfahren, die in geringerem Umfang in kontrollierten...


Dr. phil. Silke Schwarz, Psychologische Psychotherapeutin, Berlin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Traumanetz Berlin, S.I.G.N.A.L. e. V. , Sprecherin der Arbeitsgruppe Psychische Gesundheit gewaltbetroffener Frauen im Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Gesellschaft und Psychotherapie e.V.



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