E-Book, Deutsch, 600 Seiten
Scott Weiße Sonne
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-948392-72-7
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 600 Seiten
ISBN: 978-3-948392-72-7
Verlag: Polar Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Chefs Stanford Ross zum Sheriff von Big Bend County befördert worden. Er macht sich daran, in seiner Stadt und seinem Department aufzuräumen. Als die Leiche von Billy Bravo, einem Flussführer am Rio Grande, mit zerschmettertem Schädel aufgefunden wird, kennt Cherry nur eine Gruppe, die zu solch brutaler Gewalt fähig ist: die Aryan Brotherhood of Texas. Sie will in der Geisterstadt Killing eine 'rein arische' Siedlung errichten. Ist man ihnen beigetreten, gibt es keine Möglichkeit, wieder auszutreten und am Leben zu bleiben. Wer überläuft, stirbt, genau wie jeder, der sich ihnen in den Weg stellt. Chris und seine neuen Deputys Ben Harper und America Reynosa ermitteln gegen den Anführer. Doch der Gerechtigkeit Genüge zu leisten, ist nicht so einfach, wie Cherry es sich erhofft hat.
J. Todd Scott ist seit mehr als zwanzig Jahren als Bundesagent bei der DEA tätig und arbeitet an Fällen, in denen internationaler Seeschmuggel, inländische Meth-Labors und mexikanische Kartelle untersucht werden. Er hat einen Jura-Abschluss der George Mason University und ist Vater von drei Kindern. Er stammt aus Kentucky und wohnt heute im Südwesten, der die Kulisse für 'Die weite Leere' bildet, der bereits im Polar Verlag erschienen ist.
Weitere Infos & Material
Sweetwater, Texas
1999
Goodbye stranger …
Er donnerte über den Texas Highway 70, hatte das Radio voll aufgedreht und sang laut mit, als er die Frau am Straßenrand winken sah. Die Motorhaube ihres Wagens, ein zweifarbiger Ford Fiesta, war hochgeklappt. Er hatte das Auto schon einige Male auf dem Parkplatz vor dem Aces High stehen sehen. Eine Schrottmühle, mehr Rost als Auto; dass es liegengeblieben war, überraschte ihn nicht. Er blendete die Scheinwerfer kurz auf, um ihr zu signalisieren, dass er die Geschwindigkeit drosselte, und fuhr in einer Wolke aus Staub rechts ran, wo der Straßenbelag in hohes, trockenes Präriegras überging. Bevor er aus seinem Pick-up-Truck stieg, musste er sich erst einmal sammeln, weil er merkte, dass ihn die vielen Pearls, die er sich im Aces gegönnt hatte, nach unten zogen wie die Schwerkraft. Auf dem Beifahrersitz lag ein Sixpack, das er sich für die Fahrt mitgenommen hatte, und die erste Flasche wurde auf seinem Schoß bereits warm. Er wollte das halbe Dutzend austrinken und die leeren Flaschen in irgendeinem Graben entsorgen, bevor er in die Stadt reinfuhr, deren vertraute Lichter momentan nur goldene Flecken waren, die sich wie verschwommene Fingerabdrücke in der Nacht verloren. Kurz hatte er mit dem Gedanken gespielt, zum Lake Sweetwater rauszufahren, neben dem alten Pfadfinder-Camp zu parken und sie dort zu trinken und bei heruntergelassenen Fenstern vielleicht für ein, zwei Stunden auf der Rückbank die Augen zuzumachen. Am See war es manchmal etwas kühler, manchmal auch nicht, warum, wusste er nicht. Vermutlich hatte es mit dem Wind zu tun … diesem gottverdammten Wind, der fast das ganze Jahr über Sand durch diesen Teil von Texas jagte. Der Wind war lebendig, bösartig, und streute auf alles eine Schicht Staub. Man konnte eine Küchenschublade aufziehen, und die Löffel waren damit überzogen. Manchmal war der Wind so laut, dass man die eigenen Gedanken nicht mehr hörte oder das Autoradio, weshalb er es immer bis zum Anschlag aufdrehte. Eine schlechte Angewohnheit. Doch in dieser Nacht war es anders. Der Vollmond übergoss alles mit seinem Licht, sodass die ganze Welt zu leuchten schien, und der Wind blies ruhig und gelassen, rüttelte nur leicht am Präriegras und zerzauste es, wie er es gern mit Dannys Haaren tat. Trotzdem war es immer noch verdammt heiß, und das Hemd klebte an seinem Rücken. Er drehte das Radio leiser, schnappte sich seinen Hut, richtete seinen Gürtel – sein Holster – und hoffte, dass er halbwegs nüchtern wirkte. Dann stellte er das angefangene Bier ab, stieg aus dem Pick-up und ging auf die Frau zu. Sie war eine halbe Portion, füllte das dünne Kleidchen nicht mal ansatzweise aus, ihre Titten keine Handvoll. In der linken Hand hielt sie Plateauschuhe mit hohen Absätzen, mit der rechten schirmte sie die Augen gegen seine Scheinwerfer ab. Ihr Make-up war ruiniert, und im grellen Licht konnte er nicht erkennen, ob ihre Wimperntusche nur verlaufen war oder ob sie ein blaues Auge hatte. Er hatte sie schon tanzen, hatte sie schon nackt gesehen, doch jetzt, knapp bekleidet und barfuß am Straßenrand, wirkte sie noch verletzlicher. Das weißgelbe Licht umgab sie wie ein Heiligenschein und zeigte, wer sie wirklich war. Man sah ihr wahres Alter, ein halbes Kind, und das machte ihm ein schlechtes Gewissen, hatte er doch schon geglaubt, eine Begleitung für den See und vielleicht noch andere Dinge gefunden zu haben. Ein schlechtes Gewissen wegen des Eherings, der sich zu eng um seinen Finger schloss. Und als sie auf Zehenspitzen hochkam, stellte er sie sich auf einer anderen Bühne vor. Bei einer Highschool-Aufführung. Als Tochter eines anderen Mannes. »Miss, wie kann ich Ihnen helfen?« »Ich heiße Sierra«, sagte sie, der Akzent unverwechselbar West Texas. Er trat näher, warf einen Blick zur hochgeklappten Motorhaube. »Okay, Sierra.« Sie hieß ganz sicher nicht Sierra. Sara oder Becky, vielleicht, oder Catherine, aber mit Sicherheit nicht Sierra. Seine Frau, die zu Hause schlief, hieß Catherine. »Was hat er? Kolbenfresser? Tank leer?« Er wies mit dem Daumen zum Auto. »Ach, das.« Sie schaute zum Fiesta, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen. Die Hand, in der sie keine Schuhe hielt, zuckte nervös, als wollte sie eine Zigarette zum Mund führen, und auf der Straße lagen tatsächlich etliche Kippen, umgaben ihre Füße wie tote Motten. Sie stand hier schon eine ganze Weile. »Ich hab Sie schon mal gesehen«, sagte sie. »Im Aces? Ich tanze da.« Er nickte. »Yeah, ich schaue hin und wieder vorbei. Dachte mir doch, Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Heute Abend war ich auch da, aber Sie hab ich nicht … auf der Bühne gesehen.« Bei den letzten Wörtern verhaspelte er sich und schaute weg. »Nee, heute nicht. Mir ging’s nicht so gut. Down Low wird mir die Hölle heiß machen, aber was soll’s.« Down Low – Daryl Lynch – war der Besitzer des Aces, und außerdem Barmann, Türsteher und Zuhälter in einer Person. Hielt sich für einen beinharten Typen und bildete sich sonst was ein, wenn er seine brandneue Harley, eine Softail Night Train, vor der Tür des Ladens parkte, wo jeder daran vorbeimusste und sie mit der Weihnachtslichterkette, die das ganze Jahr über an der Veranda hing, um die Wette strahlte. Er kannte Lynch seit einigen Jahren, wusste, dass er ein Scheißkerl und ein Spitzel war, der ihm hin und wieder einen Tipp gab. Die teure Maschine hatte Lynch mit dem Geld bezahlt, das er im Gegenzug von ihm bekam, aber gereicht hatte es mit Sicherheit nicht. Nicht mal ansatzweise. Auch das Aces war keine Goldgrube, also musste Down Low ein verdammt guter Geschäftsmann sein, ein Selfmademan, der seine schmutzigen Finger überall drin hatte. Der Gedanke, dass der Möchtegernbiker die Mädels verdrosch, missfiel ihm. Vielleicht war mal wieder eine längere Unterhaltung mit Lynch fällig. »War er das?« Er deutete auf ihr Auge. Ihre Hand schoss nach oben. »Das? Nee, war was anderes. Sie wissen ja, irgendwas ist immer.« »Stimmt wohl.« Wer wusste das besser als er? Sein Blick wanderte wieder zum Ford Fiesta. Der Motor knackte nicht, verströmte keine Hitze. Der Wagen stand schon länger da. »Sie sind Cop, oder?« Er nickte und drehte sich so, dass sie den silbernen Stern an seinem Gürtel sehen konnte. »Texas Ranger. Bob Ford.« Sie lachte nervös. »Dachte, ihr seid auf Pferden unterwegs.« Er lachte mit. »Nein, schon lange nicht mehr.« Schlagartig fühlte er sich müde, so müde, und fürchtete sich schon vor dem Kater, der ihn am nächsten Morgen erwartete. Irgendwas ist immer … An den See würde er nicht mehr fahren. Nachdem er das Auto von Sierra, oder wie auch immer sie hieß, zum Laufen gebracht oder die junge Frau irgendwo abgesetzt hatte, würde er auf direktem Weg nach Hause fahren. Leise würde er sich zur Tür reinschleichen und kurz nach Danny sehen, der zwar längst hätte schlafen sollen, aber mit Sicherheit unter der Bettdecke mit einer Taschenlampe noch einen Comic las, gegen den Schlaf ankämpfte und auf seinen Daddy wartete. Am Sonntag wollten sie angeln gehen und morgen bei Sears die neue Rute abholen, die sie für Danny ausgesucht hatten. Und nachdem er nach seinem Sohn gesehen hatte, würde er neben Caty ins Bett fallen, hoffentlich ohne sie zu wecken. Davor würde er noch eine Handvoll Aspirin einwerfen, die er im Bad unten versteckte, und sie mit einem letzten lauwarmen Bier runterspülen und dabei möglichst nicht in den Spiegel schauen – auf das erste Grau in seinem Bürstenschnitt oder die sich ausdehnende Wampe, die die Druckknöpfe an seinem Hemd abzusprengen drohte. In diesen Spiegel, der zeigte, wer er wirklich war. Die ganze Wahrheit. Und Bob Ford gefiel nichts davon. »Schon lange nicht mehr.« Er beugte sich über den kalten Motor, versuchte, sich ein Bild zu machen, obwohl er kein Fachmann war. Sierra redete jetzt ohne Punkt und Komma, die Wörter hoben und senkten sich mit dem Wind, während das Radio in seinem Pick-up weiterlief. »Goodbye Stranger.« Das Lied hatte er immer gemocht, schon zu Highschool-Zeiten in Midlothian. Es erinnerte ihn daran, wie er mit Caty hinten im Chevy seines Dads gesessen hatte, beide mit einem Plastikbecher Johnnie Walker plus Cola bewaffnet, und er versucht hatte, eine Hand in ihre Bluse zu schieben, während Caty so tat, als wollte sie es nicht. Und wie sie hinterher, als die Becher leer waren und sie beide sich innen drin ganz warm fühlten, händchenhaltend auf dem alten Quilt seiner Mom lagen, in den Sternenhimmel schauten, den Grillen lauschten und die hin und wieder aufleuchtenden Glühwürmchen zählten – ein Zauber, der sich niemals abnutzte. Damals nicht und heute nicht, aber als er im Kopf ausrechnete, dass diese Nächte mindestens zwanzig Jahre zurücklagen, wollte er lieber...