E-Book, Deutsch, Band 1364, 160 Seiten
Reihe: Baccara
Sellers Heimkehr in den Palast der Liebe
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-86494-204-4
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1364, 160 Seiten
Reihe: Baccara
ISBN: 978-3-86494-204-4
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein neues Leben hat für Prinzessin Shakira begonnen: Lange musste sie sich im Ausland verstecken - jetzt darf sie endlich wieder in ihrem Palast leben. Aber nicht nur Dankbarkeit empfindet sie für Scheich Sharif, der sie nach Bagestan zurückbrachte. Leide
Alexandra Sellers hat schon an vielen verschiedenen Orten gelebt - wie viele genau, kann sie selbst nicht mehr sagen. Schon als kleines Mädchen träumte sie von fernen Ländern, inspiriert von den Märchen aus 1001 Nacht. Und irgendwann sah sie sich selbst an diesen geheimnisvollen Orten als Schriftstellerin. Prompt wurde die erste romantische Geschichte, die sie verfasste, von einer Zeitung abgedruckt. Alexandra schreibt seit 1980, wann immer ihr ihre ausgedehnten Reisen und ihre Vorlesungen an der Universität Zeit dafür lassen. Ihr großes Hobby ist das Fremdsprachenstudium. Bis jetzt hat sie acht Sprachen gelernt, kann aber zu ihrem Bedauern keine davon perfekt. Die schönste Zeit ihres Lebens hat sie in London verbracht, wo sie nach drei Jahren an der School of Oriental and African Studies einen Abschluss in Persisch und Religionswissenschaft machte. Alexandra lebt zusammen mit ihrem Mann Nick und ihrem Kater Monsieur.
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2. Kapitel
"Bist du es, mein Sohn? Hat Gott es gut mit dir gemeint?"
Farida lag auf dem Bett neben ihrem Baby und versuchte, den weinenden Säugling mit einem in Zuckerwasser getränkten Stofffetzen zu beruhigen. Ihr schweißfeuchtes Haar hatte sie mit einem Schal zurückgebunden. Als Hani eintrat, blickte die junge Mutter auf und wischte sich seufzend mit der Hand über die feuchte Stirn. In dem Raum herrschte eine Temperatur wie in einer Sauna, obwohl die Sonne nur durch ein winziges, vergittertes Fenster hereindrang.
Der Junge holte die Ausbeute des Tages unter seinem T-Shirt hervor. Nacheinander landeten mehrere Schokoriegel, ein Armband, ein Beißring für Babys und mehrere Orangen auf dem Bett. Farida lächelte müde.
"Wie hast du das geschafft?" fragte sie und schüttelte staunend den Kopf.
Der Junge zuckte nur mit den Achseln und ließ noch mehr Gegenstände auf das Bett fallen – manche waren nützlich, andere würden sich gegen Nützliches eintauschen lassen. Hani gelangen Dinge, von denen andere nur träumten.
Er war ein geborener Jäger und Sammler. Vielleicht war es nur der elfengleichen Geschmeidigkeit seiner Bewegungen zu verdanken oder seiner Erfahrenheit, oder vielleicht war es einfach Glück, jedenfalls versorgte Hani seine Familie gut. Es war ein Glückstag für Farida gewesen, als der Junge sich ihr angeschlossen hatte. Er war zwar sehr jung und sehr zierlich, aber er hatte viele Jahre in Camps verbracht, und er war hart und zäh und dabei so schlau wie ein Erwachsener. Oft beschützte er sie und das Kind, einfach indem er schnell und gewitzt reagierte, wo ein Erwachsener seine Muskeln eingesetzt hätte.
Wahrscheinlich nutzte er seine Fähigkeit, fließend Englisch sprechen zu können, um die Leute in den Läden auszutricksen. Niemand im Lager wusste, was er alles draufhatte – und wie nützlich das war! Hani wusste zum Beispiel immer, was im Lager vor sich ging, einfach weil er regelmäßig um die Verwaltungsbüros herumstrich und Augen und Ohren offen hielt. Er hatte auch als erster Bescheid gewusst über den Gesandten des Sultans, der kommen würde.
Der Junge ließ einen letzten Gegenstand auf das Bett fallen. Eine Brieftasche aus schwarzem Leder.
Farida staunte. Hani betätigte sich nicht oft als Taschendieb. Die Brieftasche sah sehr teuer aus, das Leder war fein und weich. Farida öffnete sie und seufzte, als sie das Bargeld im Innern sah. Rasch zählte sie es und lächelte. Dieser Betrag würde ihnen über viele Tage, ja Wochen, hinweghelfen!
Sie reichte Hani das Geld, und der nahm einen Joghurtbecher, der auf dem Waschtisch zwischen einer Spülschüssel und einem Wassereimer stand. Darin steckte ein kaum kleinerer Becher, der einen Topfkratzer, ein Stück grüne Seife und einen Schwamm enthielt. Hani nahm den kleineren Behälter heraus, legte das Geld in den größeren und setzte den kleineren wieder hinein. Das war ihre Bank.
"Barakullah! Was ist das?" zischte Farida. Sie hielt eine Visitenkarte mit Goldschnitt in der Hand. "Seine Exzellenz Sharif Azad al Dauleh …" In ihrem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Verblüffung und Entsetzen. "Du hast einen bagestanischen Diplomaten bestohlen?" flüsterte sie, denn die Wände waren sehr dünn. "Was ist das für ein Mann? Wie bist du ihm so nah gekommen?"
Hani schöpfte mit der Hand Wasser aus dem Eimer, um den blauen Beißring abzuspülen. Dann bespritzte er sich Gesicht und Hals mit seinen kleinen, knochigen Händen. Den Beißring gab er dem Baby.
"Es passierte auf der Straße. Sein Wagen folgte einem Lastwagen, den ich als Taxi benutzte. Um ein Haar hätte er mich überfahren, aber er hat sehr gute Reflexe."
Erschrocken blickte Farida auf. "Bist du verletzt?"
Der Junge zuckte nur mit den Achseln.
"Erzähl mir, was passiert ist."
Farida stand auf und ging in dem engen Zimmer auf und ab, während sie Hanis Bericht lauschte. Das Baby hatte sie sich über die Schulter gelegt. Es kaute auf dem Beißring und beobachtete Hani mit großen, glänzenden Augen.
"Mein Sohn, er hat dein Leben gerettet und dich davor bewahrt, verprügelt zu werden, und du stiehlst ihm seine Brieftasche?" sagte Farida, als Hani die Schilderung seines Abenteuers beendet hatte.
Der Junge schwieg.
"Hani, aber überleg doch – das muss Sultan Ashrafs Gesandter sein."
Seit Tagen schon herrschte große Aufregung im Lager, denn einem Gerücht zufolge wurde ein hoher Vertreter der Regierung Bagestans erwartet. Den Grund für sein Kommen kannte niemand, aber die bagestanischen Flüchtlinge innerhalb des Lagers hofften sehr darauf, dass er gekommen war, um sie zu repatriieren, nun, da der neue Sultan auf dem Thron saß. Selbst Flüchtlinge aus anderen von Bürgerkriegen heimgesuchten Staaten glaubten, dass ihre Rettung kurz bevorstand.
"Er war allein, er hatte nicht einmal einen Chauffeur. Ein Diplomat, der ein Flüchtlingslager besucht, tritt nicht ohne Assistenten und Presse auf", erklärte Hani altklug.
"Vielleicht folgen sie ja in anderen Autos. Warum sonst sollte so ein Mann an einem Ort wie diesem sein? Ya Allah! Der Tafelgefährte des Sultans! Wenn er nur nicht merkt, dass du ihm die Brieftasche gestohlen hast, Hani! Meinst du, er wird dich erkennen?"
In diesem Augenblick klopfte es laut an der Tür.
Die junge Mutter zuckte zusammen und drückte mit zitternden Händen die Brieftasche an sich. Das Baby öffnete den Mund, ließ den Beißring fallen und begann zu weinen.
"Was sollen wir tun?" zischte Farida.
"Gib sie mir." Hani griff nach der Brieftasche und ließ sie unter seinem weiten T-Shirt verschwinden.
"Hani!" flüsterte Farida, doch da klopfte es wieder. Mit vor Angst geweiteten Augen öffnete Farida die Tür.
Es war einer der "Wachleute", Männer, die selbst Flüchtlinge waren und die man mit einem Abzeichen versehen und mit der Aufgabe betraut hatte, als Verbindungsleute zwischen Lagerverwaltung und Lagerinsassen zu fungieren. Was die Lagerverwaltung nicht merkte oder nicht merken wollte, war die Tatsache, dass mit diesen Abzeichen einer skrupellosen Lagermafia Rückendeckung gegeben wurde.
Der Mann sah Hani missmutig an.
"Du warst heute in der Stadt", erklärte er in dem merkwürdigen Sprachenmischmasch der Lagerinsassen. Sein Blick fiel auf das Bett, wo die armselige Ausbeute von Hanis Expedition lag. "Lass mal sehen!"
Hani sprang ihn an, packte seinen Arm und versuchte, seine Schätze zu verteidigen. Aber der Mann war groß und stark. Er warf den Jungen einfach zur Seite, so dass er gegen den Waschtisch fiel. Einen Moment lang blieb er dort liegen und hielt sich den schmerzenden Knöchel.
Er verfluchte den Wachmann mit der erbitterten Verachtung des Schwächeren. "Ein Babyschnuller!" rief er hämisch. "Willst du daran saugen? Vielleicht wachsen dir ja dann deine verfaulten Zähne nach!"
Blitzschnell war er wieder auf den Beinen. Er sprang dem Wachmann auf den Rücken, als dieser sich über das Bett beugte. Mit seiner kleinen Faust traf er den Mann am Ohr. Da wurde sein Handgelenk von einer großen, kräftigen Hand gepackt und brutal verdreht. Der Junge schrie auf und gab sich geschlagen. Wie ein Stück Abfall wurde er einfach fallen gelassen.
Der Mann hatte das Armband entdeckt. Er griff danach und gleichzeitig nach zwei Schokoriegeln.
"Mein Anteil", sagte er grimmig. Stolz hielt er das Armband hoch. "Ich weiß schon, wem das gefallen wird." Sein Blick war voller Gier.
Der Junge machte eine Grimasse vor hilflosem Zorn. "Möge Gott dich impotent machen!"
"Was gibt es noch?" sagte der Mann. Er war offensichtlich wütend, aber seine Gier war stärker. "Gib alles her."
Hani und Farida zwangen sich mit aller Kraft, nicht zu dem Joghurtbecher zu blicken.
Da näherten sich draußen Schritte.
"Farida, wo bist du? Hast du schon gehört? Der Gesandte des Sultans ist endlich da! Es heißt, er sucht nach jemandem!" rief eine Stimme. "Er besucht jedes Zimmer. Komm und sieh es dir an!"
Mit Tränen in den Augen starrte Farida Hani an. Aber es war jetzt zu spät, die Brieftasche noch irgendwie loszuwerden.
"Guten Morgen, Rashid, guten Morgen, Mrs. Rashid", begrüßte der Lagerdirektor fröhlich ein Ehepaar. "Was gibt es zu diesen beiden zu sagen, Allison?"
Seine Assistentin wischte sich über die feuchte Stirn und blickte auf ihr Klemmbrett. "Rashid al Hamza Muntazer, mit Frau und sieben Kindern. Aus Joharistan. Wir wissen nicht genau, wie alt die Kinder sind, aber die Schwester schätzt sie alle auf unter zwölf."
Sharif Azad al Dauleh, Tafelgefährte des Sultans von Bagestan, begrüßte die Familie respektvoll mit einer Faust auf der Brust. Das kurze Gespräch, das dann folgte, unterschied sich kaum von den unzähligen anderen, die er in den letzten Wochen geführt hatte. "Bitte sagen Sie, dass die Kinder unbedingt in die Schule müssen, dass meine Frau mit den Nerven am Ende ist; dass ich Bauingenieur bin; dass ich arbeiten möchte. Bitte fragen Sie, wie lange wir noch hier festgehalten werden."
Sie gingen weiter, aber in Sharifs Herz klang die Verzweiflung der Menschen nach. In jedem Lager waren es die gleichen Geschichten, Geschichten aus der Hölle auf Erden.
Sie hatten jetzt mehr als die Hälfte des Lagers inspiziert, und Sharif hatte die Hoffnung, den Jungen zu finden, fast aufgegeben. Ein so flinkes, geschicktes Kerlchen wie er hatte bestimmt längst ein sicheres Versteck gefunden, und nachdem er auch noch Sharifs Brieftasche mitgenommen hatte – Sharif war darüber nicht allzu überrascht gewesen –, hatte...