E-Book, Deutsch, 704 Seiten
Shakespeare / Bachmann / Schwab Shakespeare
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-10-402099-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Variationen
E-Book, Deutsch, 704 Seiten
ISBN: 978-3-10-402099-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
William Shakespeare (1564-1616) gilt als einer der größten Dichter und Dramatiker der Weltgeschichte. Er verfasste zahlreiche Dramen, Tragödien, Komödien und Gedichte, mit denen er schon zu Lebzeiten Anerkennung und Wohlstand errang. Aber erst in den folgenden Jahrhunderten wurde er zum Prototypen des literarischen Genies, ohne den die Entwicklung der neueren Literatur von Goethe über Brecht bis in die Gegenwart hinein undenkbar ist.
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I.
1.
Auftritt Barnardo und Francisco, zwei Wachtposten.
BARNARDO
Wer ist da?
FRANCISCO
Nein, nein, du mußt mir antworten. Bleib stehen und zeig dich.
BARNARDO
Lang lebe der König!
FRANCISCO
Barnardo?
BARNARDO
Genau der –
FRANCISCO
Du trittst deine Stunde äußerst pünktlich an.
BARNARDO
Es hat gerade zwölf geschlagen. Geh ins Bett, Francisco.
FRANCISCO
Für die Ablösung vielen Dank. Es ist bitter kalt,
und mir ist schwer ums Herz.
BARNARDO
War deine Wache ruhig?
FRANCISCO
Nicht eine Maus hat sich gerührt.
BARNARDO
Dann gute Nacht.
Falls du Horatio und Marcellus triffst,
die mit mir Wache halten, bitt sie, sich zu beeilen.
Auftritt Horatio und Marcellus.
FRANCISCO
Ich glaube, ich höre sie.
Halt, stehenbleiben, wer da?
HORATIO
Freunde dieses Landes.
MARCELLUS
Und Lehnsmänner des Dänen.
FRANCISCO
Dann gute Nacht.
MARCELLUS
Leb wohl, tapferer Soldat, wer hat dich abgelöst?
FRANCISCO
Barnardo nahm meinen Platz ein. Gute Nacht. Ab.
MARCELLUS
Holla, Barnardo!
BARNARDO
Sprecht, was, ist Horatio da?
HORATIO
Ein Teil von ihm.
BARNARDO
Willkommen, Horatio, willkommen, guter Marcellus.
HORATIO
Und? Ist das Ding heute nacht wieder erschienen?
BARNARDO
Horatio sagt, wir haben zuviel Phantasie,
er weigert sich auch nur ein Wort
von dem entsetzlichen Anblick zu glauben,
der sich uns schon zweimal bot.
Deshalb habe ich ihn gebeten, zusammen mit uns
jede einzelne Minute dieser Nacht zu durchwachen,
damit – falls diese Erscheinung wiederkommt –
er unseren Augen endlich recht gibt
und er mit der Erscheinung spricht.
HORATIO
Ach was, es wird gar nichts erscheinen.
BARNARDO
Setzt Euch,
bestürmen wir noch einmal Eure Ohren,
die wie Festungsmauern
kein Wort von dem durchlassen,
was wir zwei Nächte hintereinander gesehen haben.
HORATIO
Gut, setzen wir uns, hören wir,
was Barnardo zu berichten hat.
BARNARDO
Erst letzte Nacht, als jener Stern
dort westlich des Polarsterns
seine Bahn gezogen hatte und genau
da am Himmel leuchtete, wo er jetzt brennt,
sahen Marcellus und ich,
die Glocke schlug gerade eins –
Auftritt Geist.
MARCELLUS
Still, nicht weiter, seht, da kommt es wieder!
BARNARDO
Es sieht genau aus wie der tote König!
MARCELLUS
Ihr habt studiert, sprecht Ihr mit ihm, Horatio.
BARNARDO
Sieht es nicht aus wie der König?
Seht Euch das an, Horatio.
HORATIO
Genau so. Es zieht eine Spur
des Grauens und Staunens über mich
wie eine Egge.
BARNARDO
Es möchte, daß wir mit ihm sprechen.
MARCELLUS
Sprecht Ihr mit ihm, Horatio.
HORATIO
Was bist du, daß du diese Stunde der Nacht usurpierst,
und noch dazu die stolze und kriegerische Gestalt,
in der die begrabene Majestät von Dänemark
einst marschierte? Beim Himmel, ich befehle: Sprich.
MARCELLUS
Es ist beleidigt.
BARNARDO
Seht, es schreitet davon.
HORATIO
Bleib hier, sprich, sprich,
ich befehle dir zu sprechen!
BARNARDO
Wie Ihr jetzt zittert, Horatio,
und wie blaß Ihr seid!
Ist das nicht etwas mehr als Phantasie?
Was haltet Ihr jetzt davon?
HORATIO
Bei meinem Gott,
ich würde es immer noch nicht glauben,
hätten meine eigenen Augen
es nicht selbst gesehen.
MARCELLUS
Sieht es nicht aus wie der König?
HORATIO
So wie Ihr wie Ihr ausseht.
Das war die Rüstung, die er trug,
als er mit dem gierigen Norweger kämpfte,
und so verzog er wütend das Gesicht,
als er die Polen mit ihren Schlitten
hinaus aufs Eis trieb,
es ist sonderbar.
MARCELLUS
Genau zu dieser toten Stunde
schritt er schon zweimal
in voller Rüstung so an uns vorbei.
HORATIO
Was das im Einzelnen zu bedeuten hat,
weiß ich nicht, aber im Ganzen
ist das nach meiner Einschätzung
der Vorbote einer ungeahnten Veränderung
unseres gesamten Staats.
MARCELLUS
Also gut, setzt euch,
und wer es weiß, der sage mir,
warum der Untertan dieses Landes
jetzt Nacht für Nacht Wache stehen muß,
warum jeden Tag mehr Kanonen gegossen werden,
warum wird jeden Tag
in der Fremde mehr Kriegsgerät gekauft,
warum der Druck auf die Werften,
wo die harte Arbeit
nicht mal mehr sonntags stillsteht?
Warum diese atemlose Eile,
daß jetzt sogar die Nacht
dem Tag zuarbeiten muß,
kann mir das jemand sagen?
HORATIO
Das kann ich.
Zumindest was man flüstert.
Unser letzter König,
dessen Ebenbild eben erst vor uns stand,
war, wie Ihr wißt, von Fortinbras von Norwegen –
den völliger Übermut dazu verleitet hatte –
zum Zweikampf gefordert worden,
in dem unser tapferer Hamlet
(denn als das galt er
auf dieser Seite der uns bekannten Welt)
diesen Fortinbras niederwarf,
woraufhin der gemäß besiegeltem Vertrag
und Sitte und Gesetz bei seinem Leben
all sein Land an den Sieger verlor;
so wie auch an Fortinbras,
wenn der gewonnen hätte,
nach demselben Artikel und Paragraphen des Vertrags
ein entsprechender Teil des Landes
unseres Königs gefallen wäre,
nach dem nun seins an Hamlet fiel.
Der junge Fortinbras aber,
unerfahren, unbeherrscht und heiß,
hat jetzt an den Grenzen Norwegens
gegen Brot und Geld
ein Heer gesetzloser Söldner
für eine Unternehmung angeheuert,
die es in sich hat und deren einziges
und für unseren Staat klar erkennbares Ziel es ist,
mit starker Hand und unter Anwendung von Gewalt
das Land, das sein Vater verloren hat,
von uns wieder zurückzuholen.
Und das ist, denke ich,
der Anlaß unserer Vorbereitungen,
der Grund für diese Wache
und die Ursache der Übereile
und der Unruhe im ganzen Land.
BARNARDO
Ich glaube, es kann nicht anders sein
als genau so.
Und das würde auch erklären,
warum hier vor uns Wachen
diese furchtbare Gestalt in Waffen aufmarschiert,
die dem König so ähnelt,
der der Grund für diese Kriege war und ist.
HORATIO
Es brennt wie Sand im Auge des Verstandes.
In der Blütezeit des großen Roms standen,
kurz bevor der mächtige Julius fiel,
die Gräber leer, und Tote in Leichentüchern
kreischten und heulten in den Straßen Roms.
Da waren Sterne mit Feuerschweifen
und Tau aus Blut,
die Sonne explodierte,
und der feuchte Stern,
der Neptuns Reich regiert,
verdunkelte sich krank
fast wie am Jüngsten Tag.
Und genau solch böse Vorzeichen,
die schon immer die Herolde des Omens waren
und Vorboten eines herannahenden Verhängnisses,
haben sich an Himmel und Erde
landauf landab unseren Landsleuten gezeigt.
Auftritt Geist.
Aber still, seht, da kommt es wieder.
Ich stell mich ihm in den Weg,
und wenn es mich vernichtet.
Bleib stehen, Trugbild –
Er breitet die Arme aus.
Und wenn du eine Stimme hast
und Töne von dir geben kannst,
dann sprich mit mir.
Wenn es irgend etwas gibt,
das dir Ruhe schafft und mir Ehre,
dann sprich mit mir.
Wenn du über das Schicksal deines Landes etwas weißt,
was glückliche Voraussicht noch verhindern könnte,
dann bitte, sprich.
Oder falls du, als du noch lebtest,
im Schoß der Erde
gestohlene Schätze angehortet hast –
weshalb ihr Geister oft im Tod umhergeht,
wie man sagt –
sag es uns, bleib stehen und sprich.
Der Hahn kräht.
Haltet es auf, Marcellus!
MARCELLUS
Soll ich nach ihm mit meiner Hellebarde schlagen?
HORATIO
Tut’s, wenn es nicht stehenbleibt.
BARNARDO
Jetzt ist es hier!
HORATIO
Jetzt hier!
Geist ab.
MARCELLUS
Es ist weg. Es ist nicht recht,
daß wir es in seiner Majestät
mit Gewalt bedrohen wollen,
denn es ist wie Luft, unverwundbar,
und unsere vergeblichen Hiebe sind bloß ein schlechter Witz.
BARNARDO
Als der Hahn krähte,
wollte es gerade anfangen zu sprechen.
HORATIO
Und dann erschrak es wie ein sündiges Ding,
das Angst davor hat, entdeckt zu werden,
weil ihm sonst eine fürchterliche Strafe droht.
Ich habe gehört, daß der Hahn,
der der Trompeter des Morgens ist,
mit seinem schrillen Schrei
den Gott des Tages weckt
und daß auf seine Warnung,
ob in der See...