E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Shortall Liebe in Reihe 27
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-22281-9
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-641-22281-9
Verlag: Diana
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eithne Shortall hat an der Dublin City University Journalismus studiert und in London, Frankreich und Amerika gelebt. Inzwischen ist sie in Dublin zu Hause, wo sie als Kulturreporterin für die ›Sunday Times‹ schreibt. Wenn sie nicht gerade dabei ist, sich Geschichten auszudenken, geht sie schwimmen, Radfahren und isst leidenschaftlich gerne Scones.
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1 Das Self-Check-in-Embargo war seit acht Tagen in Kraft, als eine Frau mit mehreren Tornistern an den Aer Lingus-Schalter trat und, ohne es zu ahnen, die größte Liebesgeschichte im Leben der Cora Hendrick ins Rollen brachte. Eine Liebesgeschichte, die umso reizvoller war, da Cora nicht selbst die Hauptrolle darin spielen musste. Cora war an einem Punkt angelangt, an dem sie völlig zufrieden war, in Herzensangelegenheiten nur eine Nebenrolle zu spielen.
Es war der letzte Julitag, und Cora arbeitete erst seit knapp einem Monat bei der Fluggesellschaft. Sie hatte kaum Zeit gehabt, sich einzugewöhnen, als das Embargo den gesamten Flughafen Heathrow in ein völliges Chaos stürzte. Sie fertigte gerade die endlose Schlange der zunehmend gereizten Passagiere ab und tat ihr Bestes, den Eindruck zu vermitteln, als hätte sie alles unter Kontrolle, als sich die vollbepackte Dame näherte und ein kleines Aufnahmegerät auf Coras Schalter legte.
»Das ist für meinen Podcast.« Die Frau betätigte einen Schalter an der Seite des Geräts und ließ ihren Wust an Taschen auf den blitzblanken Flughafenboden fallen. »Keine Sorge. Das hört sich sowieso niemand an. Mein Podcast läuft jetzt schon seit knapp einem Jahr, und bis jetzt hatte ich nicht mehr als drei Zuhörer.« Die Frau steckte ihren Kopf in eine überquellende Handtasche und kramte nach ihrem Reisepass. »Und obwohl sie behauptet, dass sie das nicht ist, weiß ich genau, dass meine Mutter eine davon ist … Gefunden!«
Cora nahm den zerfledderten Reisepass entgegen und tippte die Daten der Frau ein. »Und um was geht es in Ihrem Podcast?«
»Es ist eine Buch-Reise-Sendung. Ich habe mir immer gesagt: ›Trish, du musst mehr reisen und du musst mehr lesen.‹ Als dann mein Freund mit mir Schluss gemacht hat – über den ich übrigens total weg bin, don’t cry for me, Argentina – habe ich beschlossen, das als Chance zu sehen. Endlich kann ich all das tun, was ich immer tun wollte.«
»Lesen und reisen?«
»Genau. Und es ist mir egal, wenn niemand sich das anhört. Ich vergesse und verliere ständig Sachen, da ist es gut, alles aufzuzeichnen. Das hier« – sie tippte das Mikro an – »ist quasi die mündlich überlieferte Geschichte einer befreiten, sprich emanzipierten, jungen Frau.«
»Klingt toll«, sagte Cora aufrichtig. Ihr altes Ich hätte gerne etwas Ähnliches gemacht, doch als Cora »befreit« wurde, um den euphemistischsten aller Euphemismen zu verwenden, hatte sie eher den klischeehaften Weg eingeschlagen und sich in ein Häufchen Elend verwandelt.
»Ich lese tonnenweise Bücher, über die ich hier berichte, und wenn sie etwas taugen, versuche ich die Orte zu besuchen, an denen sie spielen. Die Sendung heißt ›Ganz viel Buch(en)‹ – falls Sie meine vierte Zuhörerin werden wollen.«
»Sitz 27B, Gate B«, sprach Cora vorgebeugt ins Mikro, als sie der Frau ihren Reisepass mit dem Flugticket darin zurückgab. »Und was ist das für ein Buch, das Sie nach Belfast führt? Ein Thriller?«
»Ehrlich gesagt habe ich hier ein wenig geschummelt. Ich habe mit dem Lesen der Game of Thrones-Bände zur gleichen Zeit angefangen wie mit dem Podcast. Mein Ex hat Fantasy gehasst, deshalb habe ich sie anfänglich einfach aus Trotz ausgesucht, aber inzwischen bin ich völlig vernarrt in die Reihe! Egal, doch da Westeros nicht wirklich existiert, habe ich mir gedacht, ich fliege nach Belfast, wo die Serie gedreht wurde. Das kommt dem wohl am nächsten.«
»Ehrlich gesagt hatte ich es nie so mit Science-Fiction.«
Die Frau hielt inne. »Das ist Fantasy.«
»Aha.«
»Da geht es nicht um Wissenschaft.«
»Das war mir nicht klar.«
»Das sind völlig unterschiedliche Genres.«
Cora schaffte es, den Augenkontakt abzubrechen. »Na schön, ich werde mir auf jeden Fall Ihre Sendung mal anhören.«
»Danke!« Die Frau stopfte ihr Aufnahmegerät zusammen mit ihrem Reisepass in einen ihrer vielen Rucksäcke. »Vermutlich sind Sie die Einzige!«
Sechs Monate später in der U-Bahn – auf den Tag genau sechs Monate – erinnerte sich Cora daran, wie sie sofort gespürt hatte, dass es irgendetwas Besonderes mit der Podcast-Dame auf sich hatte. Ihre Energie und ihre Begeisterung waren ansteckend gewesen. Cora, die sich immer für das Leben anderer Menschen interessiert hatte, hatte gewusst, dass da noch etwas kommen würde. Und als ungefähr eine Stunde später jemand eine zerknitterte Ausgabe von George R. R. Martins Game of Thrones auf ihren Schalter knallte, war die Check-in-Mitarbeiterin wenig überrascht gewesen. Das musste Schicksal sein.
»Belfast, nehme ich an?«, fragte sie den lockigen Besitzer des Buches mit hochgezogener Augenbraue.
Der junge Mann sah verlegen drein. »Gibt es so viele Game of Thrones-Fans, die nach Nordirland fliegen? Hätte ich mir eigentlich denken können, dass ich nur einer von vielen bin«, meinte er und überreichte ihr die erforderlichen Dokumente. »Nach dem ersten Herr der Ringe-Film bin ich nach Neuseeland geflogen, da war die Hälfte der Hostels voll von britischen Fans.«
»Sie sind extra wegen eines Films nach Neuseeland geflogen?«
»Na ja, ins Auenland ging ja schlecht.«
Cora betrachtete den schlaksigen Mann, und irgendwo in den dunklen Tiefen seiner nervös zuckenden Augen ergab plötzlich alles einen Sinn. Ihr Kopf spulte zu der Podcast-Dame zurück, die von den ausgefransten Enden ihres Schals bis in die letzten Spitzen ihrer statisch aufgeladenen Haare enthusiastisch und abgekämpft gewirkt hatte. Aufmerksam betrachtete sie diesen Mann mit seinem unbeholfenen Lächeln und seinem entspannten Verhältnis zum eigenen Aussehen. Coras Blick scannte seine Finger – kein Ehering – und landete wieder auf dem sichtlich abgewetzten Wälzer auf ihrem Schalter. An diesem Flughafen, an diesem Tag, fand ihr Leben plötzlich seine Bestimmung. »Eine Frage«, sagte sie und bemühte sich, nicht zu übereifrig zu klingen, »würden Sie Game of Thrones zu Fantasy zählen?«
Der Mann lachte begeistert. »Hat Bilbo Beutlin behaarte Füße?«
»Ähm … ja?«
»Ja, natürlich, das ist doch völlig klar!«
Ihre neue Anstellung am Flughafen war für Cora kein Karrieresprung gewesen, sondern vielmehr ein Rettungsanker. Sie war nach zwei Jahren aus Berlin zurückgekehrt, nachdem sie sich aus einer Beziehung befreit hatte, die ihr das Herz zerrissen und die Eingeweide umgedreht hatte. Es fühlte sich an, als hätte jemand ihr Inneres so kräftig geschüttelt, dass alles durcheinandergeraten war. Cora war mit dem Wunsch nach Hause gekommen, Menschen zu helfen, aber alle darauf ausgerichteten Bereiche – Krankenpflege, soziale Arbeit, Beratung – waren ihr zu verantwortungsvoll, zu gewichtig erschienen, und sie hatte Angst gehabt, es zu vermasseln. Der Job bei Aer Lingus sollte ihr Zeit geben, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen und sich zu fangen.
Wie konnte es sein, dass sie eine Woche gebraucht hatte, um zu erkennen, welche Chance sich direkt vor ihrer Nase auftat? Das Embargo war ein Geschenk des Himmels: kein Online-Check-in und keine Check-in-Automaten mehr, das hieß, dass alle Passagiere persönlich an den Schalter kommen mussten. Mit anderen Worten, ihr Schicksal – oder zumindest die Entscheidung, wo sie mehrere Stunden im Flugzeug sitzen würden – lag in ihrer Hand. Das Potenzial, Amor zu spielen, war schier endlos. Das war sie – das war ihre Chance, anderen Menschen zu helfen.
Cora prüfte den Sitzplan für den Flug nach Belfast und sah, dass Sitz 27A, der Platz direkt neben der Podcast-Lady noch frei war. Cora überreichte dem lockigen Typen das Flugticket, als ihr ein Zweifel kam. »Sie fliegen nicht mit Ihrer besseren Hälfte, oder?«
Er errötete. »Dafür müsste ich erst einmal eine haben, oder nicht?«
»Perfekt! Sie sitzen auf Platz 27A. Abflug ist an Gate B. Guten Flug!«
Während die morgendliche U-Bahn durch die Vororte Londons ratterte und gelegentlich von der Dunkelheit des U-Bahn-Tunnels in die Dunkelheit des Wintermorgens hinaufstieg, verspürte Cora einen unwillkürlichen Freudenschauer. Alles Gute zum Halbjährigen!, beglückwünschte sie sich. Sechs Monate, seit sich ihr tägliches Pendeln wirklich lohnte. Sechs Monate, seit ihr Job hinter dem Check-in in Heathrow vom anständig bezahlten Broterwerb zur schicksalhaften Berufung geworden war.
Das meiste, was sie über ihre Kuppelkandidaten wissen musste, konnte sie den Passagierdaten oder dem Internet entnehmen. In den sozialen Medien erfuhr man mindestens ebenso viele Dinge über einen Menschen wie auf einem Datingprofil. Und als Dankeschön für seine kostenlosen Stand-by-Flüge hatte ihr jüngerer Bruder Cian ein Computerprogramm entwickelt, das im Handumdrehen alle »ledigen« Passagiere markierte.
Die U-Bahn fuhr in Heathrow ein, wo Cora mit den noch verbliebenen Fahrgästen ausstieg. Sie streckte den Rücken, fuhr die Rolltreppe hoch und nahm sich vor, später ein wenig Sonne zu tanken, sobald sie sich denn endlich zeigen würde. Hinter dem Taxistand gab es eine Bank, auf der sie gerne zu Mittag aß und völlig Fremden dabei zusah, wie sie darüber verhandelten, sich ein Taxi in die Stadt zu teilen. Es machte ihr Spaß, sich vorzustellen, wie diese Leute lebten und worüber sie wohl im Taxi redeten.
Für Cora war das Beste am Fliegen immer die große Frage gewesen, wer neben einem saß. Jedes Mal, wenn sie am Abfluggate saß, schaute sie sich um und überlegte, welchen der anderen Passagiere sie am...




