E-Book, Deutsch, 485 Seiten, eBook
Reihe: Studien zum Weber-Paradigma
Sigmund / Albert / Bienfait Soziale Konstellation und historische Perspektive
2008
ISBN: 978-3-531-90998-1
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Festschrift für M. Rainer Lepsius
E-Book, Deutsch, 485 Seiten, eBook
Reihe: Studien zum Weber-Paradigma
ISBN: 978-3-531-90998-1
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
M. Rainer Lepsius hat wie kaum ein anderer die deutsche Soziologie intellektuell und institutionell geprägt. Die in seinen prägnanten Aufsätzen entwickelten Kategorien und Analysen beeinflussten nicht nur dauerhaft den soziologischen und sozialhistorischen Diskurs, sondern zeichnen sein Werk auch als ein originäres aus, hinter dem eine besondere soziologische Perspektive deutlich wird. Ausgehend von Überlegungen, die die Originalität des Werkes von M.R. Lepsius im Kontext der Arbeiten Max Webers wie auch der bundesrepublikanischen Soziologie herausarbeiten, gliedert sich dieser Band entlang seiner Forschungsinteressen. Unter den vier seinem Werk entnommenen Kapitelüberschriften 'Die kulturellen Dimensionen sozialer Ungleichheit', 'Demokratie in Deutschland' - und Europa -, 'Interessen, Ideen und Institutionen' sowie 'Zur Lage der Soziologie' werden seine Begriffsprägungen, Forschungsorientierungen und -beiträge von zahlreichen Kollegen aufgenommen, reflektiert und weitergeführt.
Dr. Gert Albert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Heidelberg.
Dr. Agathe Bienfait ist Privatdozentin am Institut für Soziologie der Universität Heidelberg.
Dr. Steffen Sigmund ist Akademischer Direktor am Institut für Soziologie der Universität Heidelberg.
Dr. Mateusz Stachura ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Heidelberg.
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;7
2;Vorwort;10
3;Der Weber-Forscher;11
4;Soziologie als kulturelle Selbstvergewisserung. Die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft nach 1945;20
5;Die Gabe der Rede;42
6;I. Interessen, Ideen, Institutionen;56
6.1;Interessen, Ideen, Institutionen: Schlüsselbegriffe einer an Max Weber orientierten Soziologie;57
6.2;Ist Gemeinwohl institutionalisierbar? Prolegomena zu einer Soziologie des Stiftungswesens;81
6.3;Institutionenwandel in Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens;104
6.4;Die Bedeutung von Institutionen: Die Entwicklung von Ost- und Westdeutschland, die Wiedervereinigung und zur Rekonstruktion ostdeutscher Städte am Beispiel von Halle ( Saale);121
6.5;Leitideen der Gesundheitsversorgung;149
7;II. Kulturelle Dimensionen sozialer Ungleichheit;174
7.1;Lebenschancen und Lebensstile. Die kulturellen Dimensionen sozialer Schichtung;175
7.2;„Sozialmoralisches Milieu“. Ein Grundbegriff der deutschen Geschichte;205
7.3;Der diskrete Charme der Bourgeoisie? – Ein Beitrag zur Soziologie des modernen Wirtschaftsbürgertums;226
7.4;Ständische Ordnung, „neue“ Intelligenzija oder Klassenstrukturierung im Postsozialismus? Was aus der Revolte des Umbruchs geworden ist1;251
8;III. Demokratie in Deutschland und Europa;282
8.1;Nationalität und Supranationalität in Europa. Zur Anwendbarkeit von M. Rainer Lepsius’ Institutionensoziologie auf die europäische Einigung;283
8.2;Das Erbe zweier Diktaturen und die politische Kultur des gegenwärtigen Deutschland im europäischen Kontext;303
8.3;Europäische Identität und intellektueller Diskurs. Eine historische Perspektive;319
8.4;Braucht Europa Grenzen?;337
8.5;Die Entstehung charismatischer Gruppenführung: Hitlers Übernahme der NSDAP- Führung 1919- 1921;354
9;IV. Zur Lage der Soziologie;384
9.1;Die Soziologie und ihr Publikum;385
9.2;Gestaltung und Kritik der Gesellschaft. Zur Soziologie der Intellektualität;399
9.3;Zur Rolle der Phantasie in der Forschung. Eine methodologische Untersuchung im Anschluss an Max Weber;421
9.4;Soziologie mittlerer Reichweite. Die methodologischen Konzeptionen Robert K. Mertons und Max Webers im Vergleich;439
10;Schriftenverzeichnis;462
11;Autorenverzeichnis;478
Der Weber-Forscher.- Der Weber-Forscher.- Soziologie als kulturelle Selbstvergewisserung. Die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft nach 1945.- Soziologie als kulturelle Selbstvergewisserung. Die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft nach 1945.- Die Gabe der Rede.- Die Gabe der Rede.- Interessen, Ideen, Institutionen.- Interessen, Ideen, Institutionen: Schlüsselbegriffe einer an Max Weber orientierten Soziologie.- Ist Gemeinwohl institutionalisierbar? Prolegomena zu einer Soziologie des Stiftungswesens.- Institutionenwandel in Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens.- Die Bedeutung von Institutionen: Die Entwicklung von Ost- und Westdeutschland, die Wiedervereinigung und zur Rekonstruktion ostdeutscher Städte am Beispiel von Halle (Saale).- Leitideen der Gesundheitsversorgung.- Kulturelle Dimensionen sozialer Ungleichheit.- Lebenschancen und Lebensstile. Die kulturellen Dimensionen sozialer Schichtung.- „Sozialmoralisches Milieu“. Ein Grundbegriff der deutschen Geschichte.- Der diskrete Charme der Bourgeoisie? — Ein Beitrag zur Soziologie des modernen Wirtschaftsbürgertums.- Ständische Ordnung, „neue“ Intelligenzija oder Klassenstrukturierung im Postsozialismus? Was aus der Revolte des Umbruchs geworden ist.- Demokratie in Deutschland und Europa.- Nationalität und Supranationalität in Europa. Zur Anwendbarkeit von M. Rainer Lepsius’ Institutionensoziologie auf die europäische Einigung.- Das Erbe zweier Diktaturen und die politische Kultur des gegenwärtigen Deutschland im europäischen Kontext.- Europäische Identität und intellektueller Diskurs. Eine historische Perspektive.- Braucht Europa Grenzen?.- Die Entstehung charismatischer Gruppenführung: Hitlers Übernahme der NSDAP-Führung 1919–1921.- Zur Lage der Soziologie.- DieSoziologie und ihr Publikum.- Gestaltung und Kritik der Gesellschaft. Zur Soziologie der Intellektualität.- Zur Rolle der Phantasie in der Forschung. Eine methodologische Untersuchung im Anschluss an Max Weber.- Soziologie mittlerer Reichweite. Die methodologischen Konzeptionen Robert K. Mertons und Max Webers im Vergleich.
III. Demokratie in Deutschland und Europa (S. 286-288)
Nationalität und Supranationalität in Europa. Zur Anwendbarkeit von M. Rainer Lepsius’ Institutionensoziologie auf die europäische Einigung
Maurizio Bach
Fragt man mit M. Rainer Lepsius, welches der geeignete Gegenstand und die tragfähigsten Problemstellungen für eine entwicklungsfähige politische Soziologie der europäischen Integration sind, dann sind das weder der europäische Staat, noch die europäische Gesellschaft, noch die europäische Kollektividentität. Es ist auch nicht der europäische Raum oder die Frage der territorialen Grenzen, mit dem sich die spezifische Integrationsdynamik Europas soziologischanalytisch am Besten fassen ließe.
Es sind vielmehr die konkreten Institutionen und institutionellen Konstellationen der Europäischen Union, deren Ausdifferenzierung im supranationalen Handlungsfeld, die damit einhergehenden Institutionenkonflikte sowie Konfliktinstitutionalisierungen, weiterhin die Verfahren der Kompromiss- und Entscheidungsfindung sowie der Legitimierung. Mit der institutionalistischen Problemstellung hat Lepsius einen herausragenden Entwurf zur Entwicklung einer spezifisch soziologischen Perspektive für die Analyse des europäischen Einigungsprozesses vorgelegt, dessen Analyse- und Prognosefähigkeit in diesem Beitrag gewürdigt werden sollen.
Der von Lepsius entwickelte Ansatz ist wie kein anderer dazu geeignet, zwei grundlegende Fehlschlüsse bzw. Erkenntnisschranken der gegenwärtigen Europaforschung zu überwinden: das Denken in nationalstaatlichen Analogien einerseits und die Ausrichtung der Forschungsfragen an der Selbstbeschreibung und den politischen Programmen von EU-Organe andererseits. Die nationale Analogiebildung führt in eine Sackgasse, weil sie der post-nationalen Singularität und Eigendynamik des europäischen Verbandes nicht gerecht wird. Die Europaforschung als EU-Auftragsforschung steht in der Gefahr, zu einer Legitimationswissenschaft der herrschenden Europaideologie zu entarten und dadurch mit der Unabhängigkeit ihre Kritik- und Prognosefähigkeit einzubüßen.
Das von Lepsius entwickelte Analysemodell vermag demgegenüber sowohl kritische Distanz den Selbstbeschreibungen bestehender Herrschaftsordnungen und gegenüber deren selbstgefälligen Legitimationsformeln zu wahren, als auch den in der Europaforschung verbreiteten nationalstaatlichen Reduktionismus zu vermeiden. Der von ihm entwickelte Institutionenbegriff besitzt zudem einen höheren Grad der begrifflichen Generalisierung. Dabei stellt die nationalstaatliche Vergesellschaftungsform nur eine spezifische institutionelle Konstellation unter anderen möglichen Ordnungen, wie etwa der des supranationalen Verbandes, dar.
Mit einer eigenständigen soziologischen Begriffsbildung und den entsprechenden Problemstellungen, um die sich Lepsius stets bemüht hat, sind zudem spezifische Beurteilungskriterien verknüpft, die sich weder mit den normativen „Verfassungs"-prinzipien der europäischen Verträge und des Europarechts noch mit den ökonomischen Effektivitätszielen der Europäischen Union decken. Die politische Soziologie der europäischen Integration ist, heute vielleicht mehr denn je, aufgefordert, ihr fachspezifisches theoretisch-analytisches Instrumentarium für eine unabhängige und kritische Beobachtung und Beurteilung der neuartigen transnationalen Herrschaftsstrukturen sowie den ihnen zugrunde liegenden Machtverhältnissen und institutionellen Prozessen nutzbar zu machen. Das beinhaltet auch, die Selbstbeschreibungen des herrschenden europäischen Systems und deren Mythen sowie Illusionen zum Gegenstand soziologischer Forschung zu erheben.
Im Folgenden stehen zunächst die zentralen Problemstellungen von Lepsius’ institutionensoziologischem Analysemodell im Vordergrund. Im Anschluss daran soll versucht werden, mit Bezug auf dieses Modell die gegenwärtige Dynamik der Europäischen Union zu analysieren und Prognosen zu den Entwicklungschancen und -potentialen des europäischen Integrationsprojekts zu formulieren. Soziologische Institutionenanalyse bedeutet für Lepsius immer Analyse gesamtgesellschaftlicher Ordnungsstrukturen und zugleich des sozialen Wandels unter Modernisierungsbedingungen, das heißt unter Bedingungen der fortschreitenden Rationalisierung im Sinne Max Webers.
Institutionen und institutionellen Ordnungen kommt eine zentrale ordnungsbildende Funktion zu und sie bestimmen besonders in der modernen Gesellschaft die ständigen institutionellen Neubildungen sowie Institutionenreformen und die daraus notwendig erwachsenden interinstitutionellen Konflikte die soziale Dynamik (Institutionenwandel). Diese bricht beständig traditionelle Strukturen und „revolutioniert" das gesamtgesellschaftliche Gefüge.