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E-Book

E-Book, Deutsch, 548 Seiten

Silbermann Verwandlungen

Eine Autobiographie
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-947373-91-8
Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Eine Autobiographie

E-Book, Deutsch, 548 Seiten

ISBN: 978-3-947373-91-8
Verlag: Dittrich Verlag ein Imprint der Velbrück GmbH Bücher und Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Alphons Silbermann (1909-2000) war eine schillernde Figur seiner Zeit: er hat als Musiklektor, Kaufmann, Professor für Soziologie und Kommunikation sowie als Publizist gearbeitet. Als Jude, Emigrant und Homosexueller war er für viele ein unbequemer Außen seiter. Als Medienstar war er ein höchst geist reicher und origineller Denker abseits vom Mainstream. In seiner Autobiografie blickt er auf ein abenteuerliches Leben zurück: Flucht vor den Nazis über die Niederlande und Frankreich nach Australien, wo er als Tellerwäscher begann und die erste Fastfood-Kette Australiens gründete. Danach war er Dozent in Sydney, Paris und Lausanne, schließlich Professor für Massenkommunikation und Kunstsoziologie in Köln und dann in Bordeaux. Eine ungewöhnlich offene Autobiografie eines Weltmannes, die ein farbiges Panorama des 20. Jahrhunderts entfaltet.

Seinen Beitrag in die »WELT« zum 90. Geburtstag von Alphons Silbermann betitelte der Journalist Tilman Krause »Den Provokateur braucht es nach wie vor«. Als Nestor der deutschen Kommunikationsforschung und Musiksoziologie analysierte der ungewöhnlich temperamentvolle Professor die deutschen Zustände. Zum Beispiel an deutschen Hochschulen: »Eine Universität sollte geführt werden wie ein großes Handelsunternehmen: Wenn du schlecht bist, fliegst du raus. Unkündbare Beamtenstellen sind vorsintflutlich.« Er verfluchte die Segnungen der modernen Unterhaltungsindustrie, und sah die Gefahr in der zunehmenden Privatisierungen: der Mensch müsse in die Öffentlichkeit. Sonst verliere er seine Dynamik.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Vorworte S. 5
Eine Autobiographie S. 17
Kapitel I S. 19
Kapitel II S. 61
Kapitel III S. 74
Kapitel IV S. 82
Kapitel V S. 95
Kapitel VI S. 114
Kapitel VII S. 131
Kapitel VIII S. 153
Kapitel IX S. 175
Kapitel X S. 210
Kapitel XI S. 230
Kapitel XII S. 256
Kapitel XIII S, 280
Kapitel XIV S. 296
Kapitel XV S. 316
Kapitel XVI S. 334
Kapitel XVII S. 343
Kapitel XVIII S. 360
Kapitel XIX S. 383
Kapitel XX S. 412
Kapitel XXI S. 432
Kapitel XXII S. 458
Kapitel XXIII S. 474
Kapitel XXIV S. 493
Verzeichnis sämtlicher Schriften
von Adolphe Silbermann S. 524


II


Chronologischen Zeitabläufen folgend, hat er sich nunmehr den Monaten vor und nach dem Abitur zuzuwenden, welches er mit Hilfe von Abschreiben und Zettelchenpfuscherei, dieser von Romanschreibern als vergnügliche Übertölpelungen und nicht als das, was sie sind, nämlich als ausgemachte Betrügereien anzusehende Machenschaften, bestanden hat. Als Gesamtnote war »Genügend« verzeichnet, was die Eltern nicht gerade mit Begeisterung entgegennahmen, was aber auch keine Beunruhigung über die Zukunft des Sohnes hervorrief. Denn daß studiert werden sollte, stand schon längst fest. Dabei wäre es doch viel gangbarer und zweckmäßiger gewesen, ihn stehenden Fußes, vor allem angesichts des mindergradigen »Genügend«, eine kaufmännische Lehre durchmachen zu lassen oder direkt ins väterliche Druckereigeschäft einzubringen. Schließlich war dies nicht unüblich. Denn wofür rackert man sich schon ab, baut ein Geschäft auf, wenn man es nicht dem einzigen Sohn als Teilhaber und Nachfolger überlassen kann. Es wäre ein vergebliches und, so meint er, auch entwürdigendes Unterfangen, diesbezüglich das Gedankengut, die Vorstellungen und die Ideenassoziationen des Vaters in Besitz zu nehmen, zumal ihm schon längst zunächst die kindlichen Wünsche, Lokomotivführer oder Feuerwehrmann zu werden, ausgetrieben und später die Absicht, Musiker zu werden, als hirnverbrannt aufgezeigt worden waren. So wurde er, wie es schnurrig heißt, »auf die Universität geschickt«.

Mit Niederschreiben dieser phrasenhaften Formulierung für den Beginn eines neuen Lebensabschnittes und den Eintritt in die dazumal noch erlesenen Hallen zur Förderung und Erfüllung der Wißbegierde eröffnet sich ihm ein ganzes Szenarium, das hinführt bis zu der stolzen Auslassung: »Mein Sohn, der Herr Doktor.« Noch waren es Zeiten, in denen der Akademiker und besonders der mit einem Doktortitel versehene über ein Ansehen verfügte, das Ehrbarkeit, Gelehrsamkeit, Vornehmheit und auserlesenen Respekt umgab, selbst wenn, wie lange Zeit scherzend gesagt wurde, der Doktortitel beim Umsteigen auf dem Bahnhof in Graz erworben werden könne. In dem akademischen Ansehensgefüge vereinen sich für eine jüdische Mittelstandsfamilie wie die Silbermanns mehrere Elemente, von denen ein jedes das andere mit sich bringt. Zum einen vollzieht sich über die Generationenfolge die stufenweise Versetzung von einer sozialen Schicht in die andere, gekennzeichnet sowohl durch objektive Merkmale wie Einkommen, Vermögen, Bildungsstand und Berufszugehörigkeit als auch durch subjektive Merkmale wie Prestige, Status, Anerkennung etc. Der Aufstieg ist zum anderen aber auch ein Ausstieg aus einer Vergangenheit, die, so weit sie auch zurückliegen mag, in ihrem entwicklungsgeschichtlichen Inhalt von Belang ist. Es werden Möglichkeiten genutzt, die erst in jahrzehntelangem, von den Vorfahren geführten Kampf erzwungen worden sind, nämlich die gesetzlich verankerte Gleichstellung der Juden in den deutschen Landen. Ohne diese schlechthin »Emanzipation« benannte Errungenschaft – von seinen Eltern und denen seiner Glaubensgenossen als ein fait accompli hingenommen – hätten über einen Universitätsbesuch nicht einmal andeutungsweise Überlegungen stattfinden können.

Daß in diesen zwanziger Jahren, in denen wir uns zur Zeit befinden, der Zutritt zur Professorenschaft für den Juden in Deutschland allerdings in den meisten Fällen zuvörderst von einer Konvertierung zum Christentum abhängig war, davon wußten weder er noch die Eltern. Aber dann war ja für ihn gar nicht eine Gelehrtenkarriere vorgesehen, sondern ein Studium, mit dem er, prall gesagt, später etwas anfangen kann. Und da kamen für einen Hebräer nur zwei Berufe in Frage: Arzt oder Rechtsanwalt. Für naturwissenschaftliche Fächer oder solche, die in den philosophischen Fakultäten gelehrt wurden, bestand in den jüdischen assimilierten Kreisen nur geringes Interesse; entweder, weil sie nicht als einkunftsträchtig angesehen wurden, oder weil es hierfür innerhalb des Bekanntenkreises so gut wie keine Vorbilder gab. Auch wurden diese Berufszweige für unjüdisch angesehen, das heißt, sie strahlten vom Sohn nicht das gewünschte Ansehen auf die nicht-akademischen Eltern zurück, hätten deren mit Erfolg gekrönte Strebsamkeit nicht genügend beleuchtet. Einer ähnlichen Gedankenverknüpfung gehört die Feststellung an, daß die wirtschaftswissenschaftlichen Fächer von jüdischer Seite kaum Zulauf fanden, obwohl es doch auf der Hand gelegen hätte, die zahlreichen jüdischen Kaufmannssöhne, deren Eltern, ebenso wie die seinen, den Eintritt ins väterliche Geschäft wohlbedacht als Nebenabsicht lebendig hielten, dorthin zu schicken. Es verdeutlicht sich hier aber eine Befürchtung, das althergebrachte abwertende Stereotyp vom Juden als Wucherer, Händler, Financier, unehrlichem Geschäfts- und Kaufmann würde sich verstärkt auf die Häupter der Söhne senken, wenn sie jetzt auch noch ihre Durchtriebenheiten fachwissenschaftlich untermauerten.

Nachdem er »sich mit Handschlag verpflichtet hat, die Gesetze und Vorschriften für die Studierenden treu und gewissenhaft zu beobachten« – wie es in dem schwülstig formulierten, vom Rektor der Universität Köln unterzeichneten Dokument vom 30. April 1927 heißt –, »wird er als Studierender der rechtswissenschaftlichen Fakultät unter die akademischen Bürger der Universität aufgenommen«. Über die lächerliche Leichtfertigkeit nachzudenken, mit der es sich eine Institution erlaubt, jemanden mir nichts, dir nichts zum »akademischen Bürger« zu ernennen, kam ihm nicht in den Sinn, ebensowenig wie wenige Jahre später, als sich in dieser Universität das Heil-Hitler-Gebrüll breit machte, daran zu denken, sich auf die ihm verliehene akademische Bürgerschaft zu berufen. Vorbehaltlos stiebt er in den »Ernst des Lebens«, wie es so unheilschwanger heißt, der daraus bestand, wöchentlich vier Stunden »Einführung in die Rechtswissenschaft«, sieben Stunden »System des römischen Privatrechts« durchzusitzen sowie vier Stunden »Deutsche Rechtsgeschichte«, vier Stunden »Grundzüge des bürgerlichen Rechts« und drei Stunden »Juristischer Lateinkurs«. Alles andere, was ein Jugendlicher so treibt, hatte ihm »Unernst« zu sein. Das ging nicht nur aus der die Räume durchziehenden Atmosphäre dieser sich später hochgemut Universität zu Köln nennenden Lehranstalt hervor, sondern überdies aus den in die Vorlesungen unermüdlich eingeflochtenen, sich bei der Erläuterung juristischer Nomenklaturen leicht einbinden lassenden »moralischen« Ermahnungen. Damit bezeugte sich gewiß ein größeres, fast läßt sich sagen persönlicheres Interesse an den zu Belehrenden, als es heute beim universitären Massenbetrieb der Fall ist, freilich auch, wes Geistes Kind die Professorenschaft gewesen war.

Es wird förderlich sein, hierüber sogleich nachzugrübeln, schon allein um nicht mit ungerechtem Besserwissen in einen Gegensatz zum vorherrschenden und beherrschenden Zeitgeist einer Generation zu geraten. Ohne in Verallgemeinerungen zu verfallen, läßt sich umrißhaft sagen, daß der Großteil seiner Professoren zu einem Jahrgang gehörte, der unter dem Zeichen von Autoritätsglauben, Untertanentum, starren akademischen Konventionen sowie industriellen Umwälzungen aufgewachsen war. Es waren die Leute mit der Allgemeinbildung, die Leute um Thron und Altar, die Leute mit Idealen. Es waren die Leute, denen man anerzogen hatte, daß die Sozialisten vaterlandslose Gesellen seien, daß der Akademiker aus Gottes rechter Hand gefallen sei, weit fort von dem, was man das niedere Volk nannte. Es war die Generation, die sich wie ein Gütezeichen nach einem Schmiß auf der Wange sehnte, nach dem Reserveleutnant, für den der Vers »Dein höchstes Ziel, mein Sohn, auf Erden, sei dies, Geheimer Rat zu werden« in den Ohren klang. Sie gehörten zur Sippe derer, die den Privatdozenten nicht grüßten, weil er sein Gspusi und nicht die schiache Tochter des Professors geheiratet hat; zu dem Geschlecht, das Wedekinds »Frühlingserwachen« zur Unsitte zählte und die Kunst der Käthe Kollwitz als «Rinnsteinkunst« verpönte. Doch vergessen wir nicht, es war auch die Generation des Ersten Weltkrieges, dessen Erbarmungslosigkeit die Fassaden des Glanzes, der Prahlerei, der Hohlheit, der Traditionen zerschlagen hatte und sie dem Antlitz des Todes ausgesetzt hat. Es war eben ein Geschlecht von Leuten, und nicht von Menschen, von Leuten, denen es schwergemacht worden war, Mensch zu werden. Dennoch wäre es töricht zu sagen, sie hätten nicht etwas überbracht, und wenn es nur darum gewesen war, den die Hörsäle füllenden Jugendlichen inmitten politischer Ungewißheiten und Turbulenzen die Angst vor Begriffen und Förmlichkeiten zu nehmen, vor Göttern und Teufeln, vor Ruhm und Schande, Wunden und Verzweiflung.

Ihnen stand in der Person des Silbermann ein...


Seinen Beitrag in die »WELT« zum 90. Geburtstag von Alphons Silbermann betitelte der Journalist Tilman Krause »Den Provokateur braucht es nach wie vor«. Als Nestor der deutschen Kommunikationsforschung und Musiksoziologie analysierte der ungewöhnlich temperamentvolle Professor die deutschen Zustände. Zum Beispiel an deutschen Hochschulen: »Eine Universität sollte geführt werden wie ein großes Handelsunternehmen: Wenn du schlecht bist, fliegst du raus. Unkündbare Beamtenstellen sind vorsintflutlich.« Er verfluchte die Segnungen der modernen Unterhaltungsindustrie, und sah die Gefahr in der zunehmenden Privatisierungen: der Mensch müsse in die Öffentlichkeit. Sonst verliere er seine Dynamik.



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