Simenon | Maigret und Monsieur Charles | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 75, 224 Seiten

Reihe: Georges Simenon

Simenon Maigret und Monsieur Charles


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-311-70389-1
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 75, 224 Seiten

Reihe: Georges Simenon

ISBN: 978-3-311-70389-1
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der renommierte Pariser Notar Gérard Sabin-Levesque wird vermisst - eigentlich nichts Ungewöhnliches, denn der lebenslustige 48-Jährige ist nicht zum ersten Mal für ein paar Tage verschwunden. Der Grund: außereheliche Eskapaden. Doch nun ist er schon seit einem Monat fort, und seine Frau Nathalie fürchtet, er könne einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein. Die Ermittlungen führen Kommissar Maigret durch die angesagtesten Nachtlokale von Paris, und er muss erkennen: Levesque hat gleich in zweifacher Hinsicht ein Doppelleben geführt. Die Animierdamen der Nachtlokale kannten den ehrenwerten Notar nämlich unter dem Namen »Monsieur Charles« ...Maigrets 75. Fall spielt im 6. und 9. Arrondissement von Paris.

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.
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1


Maigret spielte in der strahlenden Märzsonne, die noch ein wenig kühl war, jedoch nicht mit Bauklötzen wie früher als Kind, sondern mit Pfeifen.

Es lagen immer fünf oder sechs davon auf seinem Schreibtisch. Jedes Mal, wenn er eine stopfen wollte, wählte er sie je nach Stimmung sorgfältig aus.

Mit leerem Blick und hängenden Schultern saß er da. Gerade eben hatte er über seine restliche Laufbahn entschieden. Er bereute nichts, aber ein bisschen wehmütig war er schon.

Mechanisch und mit größtem Ernst schob er die Pfeifen auf seiner Schreibunterlage herum, sodass sie mehr oder weniger geometrische Figuren ergaben oder an dieses oder jenes Tier erinnerten.

Rechts auf seinem Schreibtisch stapelte sich die Morgenpost, aber er hatte keine Lust, sich damit zu befassen.

Als er um kurz vor neun am Quai des Orfèvres angekommen war, hatte er eine Aufforderung vorgefunden, den Polizeipräsidenten aufzusuchen, was nur selten vorkam. Er hatte sich zum Boulevard du Palais begeben, während er sich fragte, was das zu bedeuten hatte.

Der Polizeipräsident hatte ihn sofort mit einem herzlichen Lächeln empfangen.

»Können Sie sich nicht denken, worum es geht?«

»Ich muss gestehen, nein.«

»Setzen Sie sich. Stecken Sie Ihre Pfeife an.«

Der Polizeipräsident war noch jung, kaum vierzig, und hatte an den besten Universitäten studiert. Er war elegant, vielleicht ein wenig zu elegant.

»Wie Sie wissen, wird der Leiter der Kriminalpolizei nächsten Monat nach zwölf Jahren auf diesem Posten in den Ruhestand treten. Ich habe mich gestern mit dem Innenminister über seine Nachfolge unterhalten. Wir sind übereingekommen, Ihnen dieses Amt anzubieten.«

Wahrscheinlich rechnete der Polizeipräsident damit, Freude im Gesicht seines Gesprächspartners zu sehen.

Maigrets Miene verfinsterte sich jedoch.

»Ist das ein Befehl?«, fragte er fast mürrisch.

»Nein, natürlich nicht. Aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass es eine bedeutende Beförderung ist, die wichtigste, auf die ein Beamter am Quai des Orfèvres hoffen kann.«

»Ich weiß, aber ich würde doch lieber Kommissar der Kriminalpolizei bleiben. Bitte nehmen Sie mir diese Entscheidung nicht übel. Ich bin nun schon seit vierzig Jahren als Polizeibeamter im Dienst. Es wäre mir unerträglich, meine Tage im Büro zu verbringen, Akten zu wälzen und mich mit mehr oder weniger verwaltungstechnischen Angelegenheiten zu befassen.«

Der Polizeipräsident konnte seine Überraschung nicht verbergen.

»Finden Sie nicht, Sie sollten sich Zeit nehmen, um darüber nachzudenken, und mir Ihre Antwort in ein paar Tagen mitteilen? Vielleicht möchten Sie sich auch mit Ihrer Frau besprechen?«

»Sie würde mich verstehen.«

»Ich verstehe Sie auch und möchte Sie nicht drängen …« Dennoch war ihm ein gewisser Unwille anzusehen. Er verstand, ohne zu verstehen. Maigret brauchte die Kontakte, die mit seinen Ermittlungen einhergingen. Man hatte ihm oft vorgeworfen, dass er diese nicht vom Büro aus leitete, sondern selbst aktiv wurde und sich mit Aufgaben befasste, für die normalerweise die Inspektoren zuständig waren.

Er spielte geistesabwesend mit seinen Pfeifen. Sie waren jetzt so angeordnet, dass sie an einen Storch erinnerten.

Das Fenster glitzerte im Sonnenlicht. Der Polizeipräsident hatte ihn noch bis zur Tür gebracht und ihm herzlich die Hand gegeben. Maigret wusste dennoch, dass man ihm die Sache an höherer Stelle übelnehmen würde.

Langsam steckte er sich eine seiner Pfeifen an und rauchte in kleinen Zügen.

Innerhalb weniger Minuten hatte er über seine Zukunft entschieden, die gar nicht mehr so lang war, denn in drei Jahren würde man ihn in den Ruhestand versetzen. Verdammt noch mal, da sollte man ihn diese drei Jahre doch wenigstens so verbringen lassen, wie er es wollte!

Er musste aus seinem Büro herauskommen, die frische Luft draußen atmen, bei jeder neuen Ermittlung eine andere Welt entdecken. Er brauchte die Bistros, in denen er so oft an der Theke warten musste und wo er ein Bier oder einen Calvados trank, je nach den Umständen.

Er musste die Gelegenheit haben, in seinem Büro geduldig mit einem Verdächtigen zu ringen, der nichts sagen wollte und manchmal nach Stunden ein dramatisches Geständnis ablegte.

Ihm war mulmig zumute. Er fürchtete, dass man ihn nach längerer Überlegung auf die eine oder andere Art dazu zwingen würde, diese Beförderung anzunehmen. Aber er wollte sie um keinen Preis, auch wenn sie eine Art Marschallstab war.

Er starrte auf die Pfeifen, die er gelegentlich hin und her schob wie die Figuren eines Schachspiels, und zuckte zusammen, als es leise an der Tür klopfte, die sein Büro mit dem der Inspektoren verband.

Ohne auf eine Antwort zu warten, trat Lapointe ein.

»Entschuldigen Sie, dass ich störe, Chef.«

»Du störst mich überhaupt nicht.«

Es war jetzt fast zehn Jahre her, dass Lapointe zur Kriminalpolizei gestoßen war. Man hatte sich angewöhnt, ihn den kleinen Lapointe zu nennen. Damals war er lang und dürr gewesen, aber inzwischen hatte er ein bisschen zugelegt. Er hatte geheiratet und zwei Kinder. Trotzdem war er der kleine Lapointe geblieben. Manche nannten ihn auch: Maigrets Liebling.

»In meinem Büro ist eine Frau, die Sie unbedingt persönlich sprechen möchte. Mir will sie nichts sagen. Sie sitzt kerzengerade auf ihrem Stuhl, rührt sich nicht und ist fest entschlossen, sich durchzusetzen.«

Das kam oft vor. Wegen der Artikel, die in den Zeitungen erschienen, beharrten die Leute darauf, ihn persönlich zu sprechen. Es war oft schwer, sie davon abzubringen. Manche hatten sogar Gott weiß woher seine Privatadresse und klingelten am Boulevard Richard-Lenoir.

»Hat sie dir ihren Namen genannt?«

»Hier ist ihre Karte.«

Madame Sabin-Levesque

207a, Boulevard Saint-Germain

»Sie kommt mir seltsam vor«, sagte Lapointe. »Ihr Blick ist starr. Sie hat so einen nervösen Tick, bei dem sich ihr rechter Mundwinkel nach unten zieht. Sie hat ihre Handschuhe nicht ausgezogen, aber man sieht, dass sich ihre Finger die ganze Zeit verkrampfen.«

»Bring sie rein und bleib hier. Nimm für alle Fälle deinen Stenoblock mit.«

Maigret betrachtete seine Pfeifen und seufzte mit Bedauern. Die Pause war vorbei.

Als die Frau eintrat, stand er auf.

»Setzen Sie sich, Madame.«

Sie starrte ihn an.

»Sie sind doch Kommissar Maigret?«

»Ja.«

»Ich habe Sie mir kräftiger vorgestellt.«

Sie trug einen Pelzmantel und eine passende Mütze. War sie aus Nerz? Maigret kannte sich mit diesen Dingen nicht aus, denn die Frau eines Kommissars musste sich in der Regel mit Kaninchen oder bestenfalls Bisam oder Biberratte zufriedengeben.

Madame Sabin-Levesque ließ ihren Blick langsam durch das Büro schweifen, als wollte sie eine Bestandsaufnahme machen. Als sich Lapointe mit Block und Bleistift ans Schreibtischende setzte, fragte sie:

»Bleibt der junge Mann hier?«

»Ja, natürlich.«

»Schreibt er unser Gespräch mit?«

»Das ist so üblich.«

Ihr Gesicht verdüsterte sich. Ihre Finger umklammerten die Handtasche aus Krokodilleder.

»Ich dachte, ich könnte vertraulich mit Ihnen reden.«

Maigret antwortete nicht. Er beobachtete seine Besucherin und fand sie, wie Lapointe, zumindest sonderbar. Mal starrte sie einen so intensiv an, dass es unangenehm war, mal wirkte sie abwesend.

»Ich nehme an, Sie wissen, wer ich bin.«

»Ich habe Ihren Namen auf Ihrer Visitenkarte gelesen.«

»Wissen Sie, wer mein Mann ist?«

»Er heißt wahrscheinlich genauso wie Sie.«

»Er ist einer der bedeutendsten Notare von Paris.«

Immer dieser Tick, dieser nach unten zuckende Mundwinkel. Sie schien nur mit Mühe einen kühlen Kopf zu bewahren.

»Fahren Sie bitte fort.«

»Er ist verschwunden.«

»In dem Fall sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Es gibt eine Sonderabteilung, die sich mit Vermissten befasst.«

Sie lächelte spöttisch, freudlos und machte sich nicht die Mühe, zu antworten.

Ihr Alter war schwer zu schätzen. Wahrscheinlich war sie kaum älter als vierzig, höchstens vierundvierzig, doch sie hatte markante Gesichtszüge und Tränensäcke unter den Augen.

»Haben Sie getrunken, bevor Sie herkamen?«, fragte Maigret unvermittelt.

»Ist das wichtig?«

»Ja. Sie wollten unbedingt mit mir sprechen, nicht wahr? Da müssen Sie schon auf Fragen gefasst sein, die Sie vermutlich indiskret finden.«

»Ich habe Sie mir anders vorgestellt, verständnisvoller.«

»Gerade weil ich zu verstehen versuche, muss ich manche Dinge wissen.«

»Ich habe zwei Cognac getrunken, um mir Mut zu machen.«

»Nur zwei?«

Sie blickte ihn stumm an.

»Wann ist Ihr Mann verschwunden?«

»Vor fast einem Monat. Am 18. Februar. Heute ist der 21. März.«

»Hat er Ihnen gesagt, er wolle verreisen?«

»Kein Sterbenswörtchen.«

»Und Sie melden sein Verschwinden erst jetzt?«

»Ich bin daran gewöhnt.«

»Woran?«

»Dass er mehrere Tage fort ist.«

»Ist das schon lange so?«

»Seit Jahren. Es fing kurz nach unserer Hochzeit an, vor fünfzehn Jahren.«

»Hat er Ihnen nie gesagt, warum er verreist?«

»Ich glaube nicht, dass er verreist.«

»Ich verstehe nicht.«

»Er bleibt in Paris oder in der Umgebung.«

»Woher wissen Sie das?«

»Weil ich ihn die ersten Male von einem Privatdetektiv verfolgen...


Simenon, Georges
Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.



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