Small / Vorgan Als ich die nackte Dame im Kopfstand fand
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8387-1042-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Psychiater erzählt
E-Book, Deutsch, 364 Seiten
ISBN: 978-3-8387-1042-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Psychiater Gary Small öffnet seine Türen und zeigt uns eine Welt, in der nichts so ist wie wir es kennen: Menschen, die hysterisch erblinden, eine Schulklasse, die in Ohnmacht fällt, Männer, deren Penis schrumpft - oder Damen, die nackt auf dem Kopf stehen.
In seinen 30 Berufsjahren hat Dr. Gary Small alles gesehen. Die Geschichten, die er davon erzählt, machen süchtig. Sie nehmen uns mit auf eine inspirierende Reise zu uns selbst - und am Ende werden wir begreifen, dass uns erst unsere Verschrobenheiten zu dem machen, was wir sind: menschliche Wesen.
Autoren/Hrsg.
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(S. 141-142)
Jason Riley betrat Punkt vierzehn Uhr meine Praxis. Mit Button-down-Hemd, gestreiftem Schlips und grauen Hosen erinnerte er eher an einen Buchhalter als an einen zweiundzwanzigjährigen Philosophiestudenten, der kurz vor einem Abschluss mit Auszeichnung an der UCLA stand. Er begann die Sitzung wie immer – indem er seine Hosentaschen leerte und Terminkalender, Portemonnaie, Brille, Schlüssel und Pfefferminzbonbons ordentlich aufgereiht auf den Tisch neben dem Sofa legte. Dann klopfte er Sitzfläche und Rückenkissen ab, bevor er sich setzte. Mit seiner sanften Stimme sagte er:
»Heute würde ich gern herausfinden, warum ich in Wahrheit hier bin.« Jason mochte gestelzt, zwanghaft und kontrollierend wirken, immerhin wusste er, was er von der Sitzung erwartete. »Soweit ich mich erinnere, wollten Sie sich Klarheit verschaffen, was Sie nach Ihrem Abschluss tun wollen.« Er rückte seinen Schlips zurecht und dachte nach. »Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit.« »Letzte Woche klang an, dass Ihr Vater Druck auf Sie ausübt, damit Sie seine Alma Mater besuchen und Jura an der Loyola University studieren.« Ja, aber für mich dürfte es das Beste sein, wenn ich meinen Ph.D. in Philosophie in Berkeley mache«, meinte er darauf. »Wenn Sie davon überzeugt sind, Jason, warum denken Sie dann überhaupt darüber nach, Jura zu studieren?«
»Das ist ein ganz anderes Thema, Dr. Small. Heute möchte ich ein sehr tief greifendes Problem besprechen.« Er rückte seine Siebensachen auf dem Beistelltisch gerade. »Ich weiß nicht, ob Sie mit den Schriften von Wittgenstein vertraut sind.« »Ich habe ein paar seiner Werke auf dem College gelesen.« »Dann erinnern Sie sich vielleicht an sein Argument, dass viele unserer Probleme auf den Missbrauch von Sprache zurückzuführen sind. Wenn wir eine logische Analyse durchführen wollen, um mein Dilemma zu lösen, müssen wir zunächst eine viel grundsätzlichere Frage beantworten:
Habe ich einen freien Willen, mit anderen Worten, liegt die Entscheidung überhaupt bei mir?« Aus unerfindlichen Gründen musste ich ans Mittagessen denken, während Jason seinen Mini-Vortrag hielt. Normalerweise rede ich gern über Philosophie, aber dank Jasons Bedürfnis, alles und jeden zu kontrollieren, ähnelten die Sitzungen mit ihm eher einem Kräftemessen als der Erkundung seiner Seele. Ich kam mir wie in einer zum Gähnen langweiligen Vorlesung vor, aus der man am liebsten wegrennen würde. Im ersten Monat der Behandlung hatte ich Jason ein Antidepressivum vorgeschlagen, um seine Zwangsstörung zu lindern, aber er wollte nicht von Medikamenten kontrolliert werden. »Wir alle haben einen freien Willen, Jason. Wir treffen täglich Entscheidungen.« »Sie kennen meinen Vater nicht.«