E-Book, Deutsch, 126 Seiten
Reihe: C. H. Beck Wissen
Sommer Die Phönizier
2. Auflage 2025
ISBN: 978-3-406-81645-1
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichte und Kultur
E-Book, Deutsch, 126 Seiten
Reihe: C. H. Beck Wissen
ISBN: 978-3-406-81645-1
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Phönizier bildeten eine der Hochkulturen des Vorderen Orients und waren ein wirkungsmächtiger Faktor der Geschichte des antiken Mittelmeerraums. Der Band bietet einen anschaulichen Überblick über ihre Religion, ihr Wirtschaftsleben und insbesondere ihre weitreichenden Handelsbeziehungen sowie ihre politische Geschichte, in deren Verlauf die Phönizier in intensivem, gelegentlich auch konfliktgeladenem Austausch mit ihren Nachbarn standen.
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I. Wer waren die Phönizier?
«Ein Silber-Mischgefäß, kunstvolle Arbeit, konnte sechs Maß fassen, / an Schönheit aber trug’s den Sieg davon auf der gesamten Erde / bei weitem, denn Sidoner voller Kunstsinn hatten’s schön gefertigt. / Phoiniker aber hatten’s mitgebracht über das dunkle Meer hin / und hatten Halt gemacht im Hafen und dem Thoas es als Gastgeschenk gegeben.» (Homer, Ilias XIII 741–45, Übersetzung Joachim Latacz) Die Rede ist von einem Krater, einem Gefäß zum Mischen von Wein. Achill, der homerische Held der Griechen, setzte ihn als Preis für die Teilnehmer eines Wettrennens aus, das Teil der Leichenfeiern für seinen gefallenen Freund Patroklos war. Die Ilias, in schriftlicher Form entstanden im 8. oder 7. Jahrhundert v. Chr., steht am Anfang aller griechischen Literatur, und schon in diesem Epos spielen die Phönizier eine prominente, wenngleich nicht immer schmeichelhafte Rolle: Phönizier bringen Luxuswaren zu den Griechen, die andere, Leute aus Sidon, hergestellt haben. Sidon ist – neben Arados und Byblos im Norden sowie Tyros im Süden – eine der vier Städte des «klassischen» Phönizien, jener antiken Landschaft, die grob mit der Küstenebene des heutigen Staates Libanon übereinstimmt. Nach moderner und auch späterer antiker Vorstellung waren die Sidoner der Ilias eindeutig den Phöniziern zuzurechnen. Dass Homer – oder wer immer die Epen von Ilias und Odyssee niederschrieb – eine Unterscheidung vornimmt, berührt einen wunden Punkt aller historischen Überlieferung, aus der die Forschung ihre Informationen über die Vergangenheit mühsam schöpfen muss: Texte richten sich nicht nach dem Wissensdurst moderner Gelehrter, sondern spiegeln Wissensstand, Erzählabsicht und Erfahrungshorizont ihrer Urheber. Antike Autoren schufen keine «Quellen», sondern Literatur: Sie wollten erzählen, unterhalten, überzeugen, vielleicht auch zum Nachdenken anregen. Allzu oft führten Manipulationsabsichten ihnen die Feder, bisweilen schlicht Unkenntnis. Auch Homers geographische und ethnographische Vorstellungen waren kaum sehr präzise. Als Ilias und Odyssee entstanden, befand sich die griechische Gesellschaft im Aufbruch und setzte zu ihrem großen Sprung erst an: der großen Kolonisationswelle, die Griechen ihr übervölkertes Mutterland verlassen und ihr Heil dauerhaft an entfernten Küsten des Mittelmeers suchen ließ (ca. 750–550 v. Chr.). Jenseits des heimischen Meeres der Ägäis, lag eine rätselhafte Fremde. Aus ihr kamen Homers Phoinikes, und ihren Namen («die Purpurroten») trugen sie, weil sie mit Purpur (phoinix) gefärbte Stoffe feilboten, eine Ware, die mit Gold kaum aufzuwiegen war. Es ist durchaus denkbar, dass bereits die Griechen der mykenischen Zeit die Seefahrer von der Levante so genannt hatten. So vage die geographischen Begriffe der frühen Griechen waren, sie lagen doch nicht völlig daneben: Im 8. Jahrhundert v. Chr. gab es Menschen aus dem Osten, die das Reisen auf kleinen Schiffen, mit denen sie jahrein, jahraus große Entfernungen zurücklegten, zu ihrem Broterwerb gemacht hatten. Dort, wo sie mit ihren Schiffen festmachten, kauften sie Waren aller Art, die sie woanders mit Gewinn wieder verkauften. Die Profite aus solch fliegendem Tauschhandel waren ihre Existenzgrundlage. Einen ganz anderen Typus verkörperten Homers Sidoner: Händler und Gewerbetreibende, die in einer der großen phönizischen Städte wohnten und hier ortsfest ihren Geschäften nachgingen. Das musste nicht Sidon sein, denn die größte der vier Metropolen, Tyros, hatte sich im 9. Jahrhundert v. Chr. zur Herrin über andere phönizische Städte aufgeschwungen, darunter Sidon. Der daraus erwachsene Territorialstaat nannte sich «Königreich der Sidoner». Hier dürfte Achills Krater hergestellt worden sein. Dass den Griechen die Seenomaden des transmediterranen Fernhandels und die stadtsässigen Bewohner Phöniziens zunächst wie zwei Völker vorkamen, überrascht also nicht unbedingt. Und doch sprachen sie alle dieselbe Sprache und verehrten dieselben Götter, sie kleideten sich ähnlich und teilten dieselben Sitten und Gebräuche. Deshalb wurden sie, in der Wahrnehmung der Griechen, bald alle unterschiedslos zu «Phöniziern». Der Volksname übertrug sich auf die Karthager, die von den Römern Poeni bzw. Punici («Punier») genannt wurden, und stand noch um 200 n. Chr. Pate für die römische Provinz Syria Phoenice, ein Spaltprodukt der von Kaiser Septimius Severus (193–211 n. Chr.) veranlassten Teilung der Provinz Syrien. An den Namen knüpften sich Klischees und Vorurteile, die selten schmeichelhaft waren: Schon Homer sah in den Phöniziern ausgemachte Halunken, die allein auf ihren Vorteil bedacht waren, und bei den Römern war die fides Punica sprichwörtlich: Die «punische Treue» stand stellvertretend für Vertragsbrüchigkeit und dubiose Geschäftspraktiken. Ein gewisses gemeinphönizisches Zusammengehörigkeitsgefühl scheint den Untergang Karthagos nach dem Dritten Punischen Krieg im Jahre 146 v. Chr. überdauert zu haben. Menschen in vielen Teilen des Römischen Reiches sprachen weiterhin Phönizisch oder dessen westliche Variante, Punisch, und sie begriffen sich als «Phönizier», wie hellenisiert oder romanisiert sie auch sein mochten. Der zuvor erwähnte Kaiser Septimius Severus stammte aus Lepcis Magna, einer phönizischen Kolonie an der libyschen Küste. Er sprach als Muttersprache Punisch und heiratete später in eine Priesterdynastie ein, die dem Kult des lokalen Sonnengottes Elagabal vorstand – womit er vielleicht einer subjektiv empfundenen landsmannschaftlichen Nähe des einst karthagischen Nordafrika zum aramäischsprachigen Nahen Osten Ausdruck gab. Die Stadt Tyros prägte bis ins späte 2. Jahrhundert n. Chr. Bronzemünzen mit dem Bildnis des Stadtgottes Melkart und der phönizischen Legende l?r (phönizisch: gehörend zu Sur = Tyros). Stolz schwang mit, wenn Ulpian, der bedeutendste Jurist seiner Zeit und römischer Prätorianerpräfekt seit 222 n. Chr., seine inzwischen in den Status einer römischen Kolonie erhobene Vaterstadt als «colonia der Tyrer, von höchstem Rang» bezeichnete und fortfuhr: «Aus dieser Stadt stamme ich, aus einer vornehmen Umgebung, von ehrwürdigstem Alter, machtvoll im Krieg» (Digesten 50, 15, 1, pr.). Unter Berufung auf seine ruhmreiche Geschichte reklamierte Tyros den Titel «Mutter der Provinz», gemeint war die Provinz Syria Phoenice. Das Markusevangelium berichtet von einer Frau aus Tyros, deren Tochter Jesus von einem Dämon heilte. Syrophoinikissa sei die Frau von Geburt gewesen, Hellenís obendrein. In dem Begriff Héllen schwangen, in der jüdischen Perspektive, Vorstellungen von kultureller und religiöser Fremdheit mit: Die Frau war ihrer Herkunft und vielleicht Sprache nach «Syrophönizierin», also Bewohnerin einer der levantinisch-phönizischen Städte, sie war «Heidin», also Nichtjüdin, und zugleich «Griechin», also Trägerin griechischer Kultur im weitesten Sinn. Die Terminologie veranschaulicht, wie vielschichtig die ethnisch-religiöse Gemengelage in der kaiserzeitlichen Levante war. Das Matthäusevangelium bezeichnet dieselbe Frau als Chananaia, als Kanaaniterin. Es greift damit auf einen uralten Volksnamen zurück, der schon aus der Bronzezeit überliefert ist und sich von dem akkadischen Wort kinahhu ableiten dürfte, das – ebenso wie das griechische phoinix – «purpurrot» bedeutet. Kanaan war das westliche Syrien und Palästina, in der Bibel bezieht sich der Begriff auf das Land, das Abraham und seinen Nachkommen verheißen worden war. Das Alte Testament versteht zunächst unter «Kanaanitern» die Bevölkerung Palästinas, vor allem die der Städte, vor der Landnahme der Stämme Israels. «Kanaan» blieb nach biblischer Lesart alles Land, das die Israeliten nicht unterwerfen konnten, namentlich die Städte und besonders der stark urbanisierte phönizische Küstenstreifen. Der Begriff hielt sich bis in die römische Zeit: Das seleukidische Berytos (Beirut), das in hellenistischer Zeit Laodikeia hieß, nannte sich auf seinen Münzen, um...