E-Book, Deutsch, 280 Seiten
Soupault Geistige Brücken
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-88423-643-7
Verlag: Das Wunderhorn
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Radio-Essays
E-Book, Deutsch, 280 Seiten
ISBN: 978-3-88423-643-7
Verlag: Das Wunderhorn
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ré Soupault, geboren 1901 als Erna Niemeyer in Pommern, arbeitete bereits während ihres Studiums 1921-1925 am Bauhaus in Weimar. Über ihren Mann, dem Dadaisten und Filmkünstler Hans Richter lernte sie u.a. Man Ray und Sergeij Eisenstein kennen. 1931 gründete sie in Paris ihr erstes eigenes Modestudio »Ré Sport«. Im Kreis der Pariser künstlerischen Avantgarde traf sie ihren späteren Ehemann Phillipe Soupault. Mit ihm unternahm sie ab Mitte der dreißiger Jahre zahlreiche Reisen durch Europa und Amerika, wo sie seine Reportagen fotografisch begleitete. Seit 1948 wieder in Europa, arbeitete sie als Übersetzerin und Rundfunkautorin. Sie starb 1996 in Paris.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort des Herausgebers 5
Die Welt der Kelten.
Eine Zivilisation und ihr Ende. 7
Paris. Bilder aus der Geschichte einer Weltstadt. 30
Bartholomäusnacht.
Eine historische Erinnerung aus dem Zeitalter der Religionskriege. 61
Paris unter der Kommune.
18. März – 28. Mai 1871.
Nach zeitgenössischen Dokumenten dargestellt. 84
Republikaner unter der Kommune.
Louis Rossel, Kriegsdelegierter der Kommune. Porträt eines freien Gewissens. 112
Vorläufer der Moderne.
Der Fall Lautréamont. Eine Revision. 141
Die Melodie der Vergänglichkeit: Rabindranath Tagore.
Zum 100. Geburtstag von Tagore. 164
Der Weltbürger im Ersten Weltkrieg. Romain Rolland – Ein Porträt. 177
»Dem Tod die Waage halten«
Antoine de Saint-Exupéry – zum 50. Todestag.
Der fliegende Poet, der im Zweiten Weltkrieg starb. 204
Joseph Roths letzte Tage. Sein Leben. Sein Werk. 225
Musils Hauptwerk Der Mann ohne Eigenschaften in Frankreich. 233
Richard Huelsenbeck 238 Erinnerungen an Karl Jaspers 245
Geht die »Despotie des Mannes zuende?«
Die Rolle der Frau in der europäischen Kultur von der Antike bis heute. 249
Ré Soupault (1901–1996) Leben/Ausstellungen/Publikationen 271
Die Welt der Kelten.
Eine Zivilisation und ihr Ende.
Hessischer Rundfunk (HR), 2. 3. 1982
Als Julius Cäsar, im Kampf gegen seinen Rivalen Pompejus, Marseille belagerte, diese Stadt, die sich nicht für einen der beiden Gegner entscheiden wollte, beschloß er, Schiffe bauen zu lassen, um die Flotte des Pompejus vom Meer aus anzugreifen. Aber die Kelten der Cevennen weigerten sich, die dazu nötigen Eichen zu fällen. Denn die Eiche war für sie der »heilige Baum« par excellence. Lieber den Tod als Teutates, den Höchsten der Götter, beleidigen. Die Römer, die wenige Jahre zuvor – 52 vor Christus – den endgültigen Sieg über Gallien errungen hatten, wußten, daß es vor allem galt, den Einfluß der keltischen Priester, der Druiden, zu vernichten. Denn diese waren Spiritualisten, während die Römer Materialisten waren. Für die Römer war der Staat eine Struktur aus einem Stück. Die Druiden sahen den Staat als eine freiwillige, moralische Ordnung, deren Idealismus mythisch war. Ihre Wissenschaft, ihre Philosophie, ihr Glaube lenkten die keltische Gesellschaft. Zu dem römischen Konformismus standen sie in flagrantem Widerspruch. Der Geist der Kelten war also eine Bedrohung für die sozialpolitische Ordnung der Römer. Darum wurden die Druiden verfolgt, bis sie aus Gallien und später aus Britannien verschwanden.
Das Recht der Römer war auf den Besitz – den individuellen Besitz – des Bodens gegründet, ein Besitz, der übrigens nur dem Familienoberhaupt zuerkannt wurde. Bei den Galliern dagegen war der Boden kollektiver Besitz. Die Römer sahen in der Frau ein Fortpflanzungs- und Vergnügungsobjekt. Die Kelten dagegen beteiligten ihre Frauen am politischen und religiösen Leben des Volkes. Später, als das Christentum Staatsreligion geworden war – das war zu Anfang des vierten Jahrhunderts –, setzte die Kirche, die alle Strukturen des römischen Staates übernommen hatte, die systematische Zerstörung der keltisch-geistigen Werte fort. Patriarchalische Gesellschaftstypen – und das Christentum, das offizielle Christentum, ist ein gutes Beispiel dafür – hielten alles, was keltisch war, für verdächtig, weil der keltische Geist nicht mit dem patriarchalischen Ideal übereinstimmte, auch nicht mit dem Glauben an einen Gott.
Eine fest umrissene Geschichte der Kelten gibt es nicht. Sie waren ein Volk ohne Schrift, das nur die mündliche Überlieferung kannte, ein Volk, dem nicht an Reichsgründungen lag, das aber eine auf Glauben, Gesetz und Freiheit gegründete hohe Zivilisation entwickelte. Woher kam dieses Volk? In historisch nicht erfaßbarer Vorzeit – so wird behauptet – kamen sie, wie alle indoeuropäischen Völkergruppen aus den weiten Ebenen Zentralasiens. Teile dieser Völker zogen in die Täler des Indus und des Ganges, andere bevölkerten die iranischen Hochebenen. Viel später, im Neolithikum – der jüngeren Steinzeit – wanderte eine dieser Völkergruppen westwärts, bis in die nordeuropäischen Ebenen. Eine andere, aus der Gegend der Karpathen kommend, ließ sich an den Ufern des Ägäischen Meeres nieder; das waren die in den homerischen Epen so gerühmten Achäer. Jener Teil der Kelten, der die Gebiete längs der Donau und des Rheines besiedelte, begann im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung in das heutige Frankreich einzuwandern, was die Römer später Gallien nannten. Sie drangen bis nach Großbritannien, Spanien, Norditalien vor, ja, ihre Spuren sind im Balkan und in Kleinasien zu finden. Die Galater, seit dem 4. Jahrhundert vor Christus in Kleinasien ansässig, an die Paulus einen Brief richtete – siehe das Neue Testament – waren Kelten. Und Galiläa, dieser nördlichste Teil Palästinas? Läßt der Name nicht einen keltischen Ursprung vermuten? Während der sogenannten Hallstatt-Zivilisation, der frühen Eisenzeit – etwa 725 bis 480 vor Christus – organisierte sich die Gesellschaft der Gallier mit der Entwicklung von Handelsbeziehungen zu den Völkern der Mittelmeerländer. Griechische und etruskische Einflüsse machten sich in der keltischen Kunst bemerkbar. Spannungen zwischen Römern und Kelten gab es schon damals. Im Jahre 390 zog Brennus, der Häuptling des Stammes der Senonen, gegen die Römer und besiegte sie. Er plünderte Rom, war aber bereit, sich gegen ein Lösegeld zurückzuziehen. Was die Römer ihm nicht verziehen, war die Tatsache, daß die Gallier falsche Gewichte mitgebracht hatten, um die tausend Pfund in Gold – das verlangte Lösegeld – zu wiegen. Als Antwort auf ihre Proteste warf Brennus sein Schwert in die Waage mit dem Ruf: »Vae Victis!« (Wehe dem Besiegten!) Jetzt kannte der Haß der Römer keine Grenzen mehr, und tatsächlich wurde Brennus bald danach von dem römischen Feldherrn Markus Furius Camillus besiegt. Aber derartige Kriegszüge waren nicht Sache des gesamten keltischen Volkes. Die Kelten gründeten kein Imperium. Sie waren eine Gemeinschaft einzelner Stämme, eine freie Gemeinschaft; was sie einte, war ihre Sprache und ihre Religion.
Etwa zwei Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung wurde von der äußersten Westküste Frankreichs, bis in die heutige Tschechoslowakei, bis nach Österreich, keltisch gesprochen. Als in den Fünfziger Jahren in Paris eine Ausstellung tschechoslowakischer Kunst – seit der Vorgeschichte bis ins 15. Jahrhundert – gezeigt wurde, befanden sich unter den etwa 300 Werken sechzig Stücke Vorgeschichtlicher keltischer Kunst, darunter sehr schöne Schmucksachen und der Kopf eines Kriegers. Die Qualität dieser Werke zeigte die hohe Entwicklung keltischer Zivilisation. Diese Zivilisation erreichte im ersten Jahrhundert vor Christus ihre höchste Blüte. Überall kam es zu Städtegründungen. In der Gewinnung von Metallen – Eisen, Bronze, Gold, Silber – zeichneten sich die Kelten schon seit langem aus. Neue Verfahren zur Glasherstellung wurden entdeckt, die Emailletechnik erfunden, der Schiffbau vervollkommnet. Die Landwirtschaft stand dem Handwerk nicht nach. Plinius der Ältere, der im Jahre 79, beim Ausbruch des Vesuvs ums Leben kam, schrieb bewundernd von den Kelten, daß sie den Radpflug benutzten, der dem Pflug ohne Räder der Römer weit überlegen war. Sie kannten auch die Egge und hatten eine Mähmaschine erfunden, die Plinius als »eine große Kiste« beschreibt, »deren Rand mit scharfen Zinken ausgerüstet ist, die auf zwei Rädern rollt und von einem Ochsen durch das Kornfeld gezogen wird. Die abgerissenen Ähren fallen in die Kiste.« Kein Wunder, daß die Kornernten der Gallier denen der Römer weit überlegen waren, und so entwickelte sich ein reger Handel zwischen Römern und Galliern. Fast alles, was wir von den Kelten wissen, verdanken wir vor allem den römischen und einigen griechischen Geschichtsschreibern. Denn die Kelten hatten keine Schrift. Die nur mündliche Überlieferung war Geheimnis der Druiden. Denn – so war die Überzeugung – das menschliche Denken darf nicht »in die gemeine Materie gebannt werden«. Alles Wissen mußte im Gedächtnis bewahrt werden, da ein geschriebenes Gesetz den Gedanken unbeweglich macht, ihn »festlegt«. Sie glaubten an die unsichtbaren Mächte, die die Welten lenken. Der Tod war für sie nicht das Ende. Die Geschichte der Menschheit interessierte sie nicht. Und doch waren sie keine Träumer. Wie wir schon hörten, waren sie erfinderisch und arbeitsam. Sie hatten Gesetze – nur waren sie ungeschrieben. Sie befolgten die dreifache Forderung der Druiden: »Ehre die Götter, tue nichts Böses, beweise deinen Mut!« Nie – bis zur Eroberung durch die Römer – hatten die Kelten ihren Göttern Denkmäler errichtet oder sie in menschlicher Gestalt dargestellt. Ihre Götter waren unsichtbar, aber überall gegenwärtig: in Steinen, Pflanzen, Bäumen, in Quellen, Flüssen, Bergen, in Donner und Blitz, in Sonne und Mond. Sie vereinigten sich mit allen Elementen, sie durchdrangen die ganze Natur. Ihre Namen sind zahllos und für uns nicht mehr auffindbar. Es scheint, daß in der vorrömischen Zeit die älteste und verehrteste Gottheit die »Mutter-Erde« war, ebenso gütig zu den Lebenden wie zu den Toten. Sie war die Göttin der Fruchtbarkeit, Quelle aller Güter. Ihr Gemahl war »Gott-Vater«, der Herr des Himmels, dessen Macht durch die antike Steinaxt symbolisiert wurde. Offenbar ist er identisch mit Teutates, dem »Höchsten der Götter«. Dieser gilt auch als der Gott des Friedens, des Beschützers von Feldern und Ernten, von Handel und Kunst. Belenos war der Gott alles dessen, was glänzt und brennt. Zu ihm gehört das Rad, das seit ferner Vorzeit das Bild der Sonnenscheibe war. Der Sonnenkult – der alte heidnische Glaube – ist in Mythen und Märchen überliefert. Grannos und Bormo waren die Götter der Heilquellen. Ogmios, eine Art von spirituellem Herkules, dessen Stärke nicht in den Muskeln, sondern im Wort lag, war der Gott der Redekunst, für die Kelten gewiß von höchster Wichtigkeit, da ja ihre Überlieferung nur mündlich...




