E-Book, Deutsch, 268 Seiten
Sperl Der Archivar: Historischer Roman
1. Auflage 2018
ISBN: 978-80-272-4130-9
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 268 Seiten
ISBN: 978-80-272-4130-9
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der historische Roman 'Der Archivar' von August Sperl entführt den Leser in das Leben eines Archivars im 18. Jahrhundert. Sperl präsentiert einen fesselnden Mix aus historischen Fakten und fiktionalen Elementen, der den Leser in eine vergangene Welt eintauchen lässt. Sein schreibstil ist geprägt von präzisen Beschreibungen und einer detailreichen Sprache, die sowohl Kenner als auch Neulinge des historischen Romans anspricht. Der Roman hebt sich durch seine akribische Recherche und die lebendige Darstellung der damaligen Zeit von anderen Werken des Genres ab. August Sperl, ein erfahrener Historiker, nutzt sein Fachwissen, um eine überzeugende Geschichte zu erzählen. Seine Leidenschaft für die historische Forschung und seine Liebe zum Detail sind in jedem Kapitel spürbar. 'Der Archivar' ist ein Muss für alle Geschichtsinteressierten und Liebhaber guter Literatur. Die Verknüpfung von Fakten und Fiktion macht dieses Buch zu einem packenden und lehrreichen Leseerlebnis, das lange im Gedächtnis bleibt.
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2. Im Lande der Väter
Inhaltsverzeichnis Ein Vater und seine Tochter befanden sich auf Reisen. Im Zwielichte des scheidenden Sommertages waren sie drunten im Naabtale angekommen und vom Schnellzug auf die Nebenbahn umgestiegen. Sie hatten nichts gesehen als einen kleinstädtischen Bahnhof und dunkle Menschenmassen, die sich dem Ausgange zuwälzten, und hatten sich hinübergefragt zu dem entlegenen Geleis, auf dem der andere stand, der nur ein entfernter, kleiner Verwandter des schnaubenden, brausenden Großen da drüben zu sein schien und kurzatmig immer wieder versicherte: ich kann ja warten, was liegt mir daran? Endlich waren sie im vollbesetzten Wagen dritter Klasse weitergefahren; denn Vaters Grundsatz war, im fremden Land sich unters Volk zu mischen und seine Eigenart zu beobachten. Nicht lange, dann hatte zur Linken aus der tiefen Dämmerung eine winzige Bergstadt mit einem vielfensterigen Schlosse herübergeschimmert und war nach einigen Minuten in die Schatten des Abends versunken. Und wieder nicht lange, dann waren sie an endlosen, mit Unmassen gewaltiger Felsblöcke überschütteten Halden vorübergekrochen. Jetzt ging es bergan. Es war Nacht geworden, finstere Nacht. Die Räder rollten und hämmerten, die Leute schwatzten und lachten, matt glühten die Lampen über dem Dunst und Qualm, der aus Menschenleibern, Pfeifen und Zigarren emporstieg. Liselore schloß die Augen, drückte sich in die Ecke und spann sich in ihre Gedanken ein. Da fuhren sie nun durch das fremde Land der Oberpfalz, und aus dem Rauschen und Brausen ringsumher stieg leise das Wundersame, nie Gesehene und doch so oft Geschaute, und aus den Tagen ihrer Kindheit kamen lautlos die Geschichten einer alten Magd heran und redeten in der geheimnisvollen Sprache des Märchens. Sie schaute das Land und die Leute. Das unsichtbare Land, durch dessen Nacht sich der Zug pustend und schnaubend emporarbeitete, die Leute, die um sie her summten und schrien und qualmten. Sie schaute – mochte das Land nun sein, wie sie sich's träumte, und die Menschen, wie sie sich's dichtete – – oder anders, ganz anders. Und also schaute sie das Land, und also die Menschen: Schwermut liegt wie ein Schleier über den weitgedehnten Nadelwäldern, über dem endlosen Gewoge von Hügel und Tal und über einer rauhen, alles beherrschenden Armut. Selbst an hellen Tagen spiegelt sich ein Himmel von stumpfer Bläue, ein Himmel, nicht so hoch, so frei wie anderswo, in den stillen Weihern und den braun dahinrinnenden, dem Walde und dem Hochmoor entsprungenen Gewässern. Wohl leuchtet die Sonne des Tages und blinkt der Mond des Nachts – aber sie blinken und leuchten aus andern Ursachen als sonst in der Welt. Sie sind ein Er und eine Sie und ein mit sich zerfallenes Paar. Mag auch sie die heißesten Strahlen einer unglücklichen Liebe an den kalten Gesellen verschwenden, es will ihr nimmer gelingen, ihn zu erwärmen. Ja, er richtet all sein Sinnen darauf, wie er die Geliebte von einstmals vernichte. Kommt's dann soweit, daß sein böser Schatten an die Sonne herangreift, und diese trübe wird wie eine erlöschende Ampel, dann sieht auch der Mensch die Gefahr, und es ist ihm nicht zweifelhaft, auf welche Seite er in diesem Kampfe gehört. Der umsichtige, aufs gemeine Wohl bedachte und vornehmlich für sein Hab und Gut besorgte Mann treibt das braune Vieh in den Stall, deckt den Brunnen zu, scheucht die Kinder ins Haus, schließt die Fensterläden – wirft sich betend vor seinem Ofen nieder und trommelt mit dem Messer auf eine alte Eisenpfanne, damit die Sonne ihr Äußerstes tue und Siegerin bleibe. Und wie für seinen Urahn vor tausend Jahren, so gibt es für seinen simpeln Verstand auch außerdem nichts Unerklärliches droben am Himmel. Denn er weiß es doch so gut, daß all die zahllosen Sternlein nichts weiter sind als Löcher im ehernen Gewölbe, durchgeschlagen von ruchlosen Steinwürfen vorzeitlicher Riesen. Ganz einfach! Mögen sie draußen in der Welt sagen und lehren, was sie wollen. Und also lebt er zufrieden unter dem ungeheuern Himmelssiebe, durch das auf sein harmloses Haupt letzten Endes auch nicht viel weniger Erkenntnis herabträufelt, als in den langen Tubus des gelehrtesten Sternguckers. Die Geister einer untergegangenen Gedankenwelt treiben als Spukgestalten ihr Wesen im Schatten der Wälder, im wehenden Winde, im fließenden Wasser, in den Höhlen der Berge, im Dämmerlichte der Kapellen und im heimlichsten Bewußtsein der Seele. Und das Leben ist von seinem Aufgang bis zu seinem Niedergang besteckt mit den Warnungstafeln einer unerbittlichen Sitte und eingeengt in die Dornhecken des Aberglaubens. Der Lichtgott einer entthronten Religion gleitet als Gespenst durch die Wälder, braust als Unhold durch die Lüfte, verbirgt sich in der Kutte eines fremdländischen Heiligen. Und es ist, als läge unter einer dünnen Schicht neureligiöser Vorstellungen meilenweit das riesenhaft Heidnische begraben, immer bereit, das Erdreich aufzubrechen und sich wieder in sein altes Erbe zu setzen. Die Räder rollten und hämmerten, Leute stiegen aus und andere kamen und besetzten verlassene Plätze, unverändert klang es wie Rauschen und Brausen, und über dem Schwatzen und Lachen und Schreien lastete der Qualm, glühten als ferne Punkte die Lampen. Trümmer allüberall in dem Leben, das wir leben und das uns umgibt. Weißgeäderter Epheu umklammert auf einsamen Höhen zerschlagenes Gestein, auf älteren Grundmauern stehen alte Gebäude, immer wieder muß Leben zerstört werden, damit sich Leben emporringe aus den Resten dessen, was einstmals gewesen. Über den abgeriebenen Kieseln einer vergessenen Sprache murmeln die Wellen der neuen. Auf zerfallene Skelette werden Leichen gebettet. Hoch über dem Leben des Tages und dem, was unter ihm ruht, wandelt die Sonne mit ihrem befruchtenden, kreist der Mond mit seinem tot blinkenden Lichte. Und auf kleinen, der Erdrinde abgewonnenen Ausschnitten müht sich der Mensch von Tag zu Tag, von Geschlecht zu Geschlecht in triebhafter Arbeit, in triebhafter Lust. Mit brennenden Augen sah Liselore durch den Qualm und beobachtete die kommenden und gehenden Leute. Und sie mußte lächeln: Nein, von denen hier kniete wohl keiner mehr vor seinem Ofen und trommelte auch keiner mit dem Messer auf die Pfanne. Von denen hier glaubte keiner mehr an das durchlöcherte Himmelssieb. Die waren durch Schule und Zeitung längst schon herangewachsen an die Erkenntnis der Sterngucker und wähnten bis ins letzte zu wissen – was auch diese nicht wußten. Liselore lächelte. Sie hatte Märchen geträumt. Aber wer weiß? Märchen? Wer weiß! Die Räder rollten und hämmerten, die Leute schwatzten, die Bremsen kreischten. Alle die dunkeln Gestalten erhoben sich. Trübe Lichter schimmerten zur Rechten durch die Finsternis. Ein Name wurde von Wagen zu Wagen gerufen, ein Name, den niemand verstand und jeder schon wußte. Man war am Ziel. Sie standen auf einem winzigen Bahnhof, und der Vater meinte tiefaufatmend: »Liselore, diese Luft, diese Luft!« »Jeder Atemzug einen Kronentaler wert bei uns da heroben«, sagte ein Mann mit Jägerhut und Jagdgewehr neben ihnen, lachte und verschwand in der Dunkelheit. Sie waren am Ziele. * Hoch über das wellige Land der nördlichen Oberpfalz ragt ein Berg empor. Verschwiegene Wege führen durch immergrüne Wälder von allen Seiten zu der Kirche hinan, die auf seiner Kuppe thront. Wenn sich die Türen dieser Kirche öffnen, dann trifft ein Gleißen und Funkeln die Augen; denn da drinnen strotzt alles von Gold. Es ist nicht die Schwerfälligkeit und die Wucht einer romanischen Kirche mit niederer Decke und kurzen, dicken Säulen und etwa einem mächtigen Kruzifixus, der im Chor zwischen Erde und Himmel hängt, leidbeladen, gottergeben. Es ist nicht die emporstrebende Schönheit der gotischen Kirche mit schlanken Säulen, hochgeführten Spitzbogen und wappengeschmückten Seitenaltären. Es ist die farbenleuchtende, üppige Freudigkeit des Rokoko, das die weiten, palastähnlichen Kirchenhallen liebte, das an Stelle romanischer Kraft und gotischer Wahrhaftigkeit verlogenes Blendwerk pflanzte und mit all seinen ekstatisch verrenkten Heiligenfiguren, verschwenderischen Altarbauten, theatralisch vor Auge gestellten Riesengemälden und aufgeblasenen Engeln nichts anderes bedeutet als das zu goldener Pracht und weißleuchtendem Stuck erstarrte Siegesgeschrei der triumphierenden Kirche über die zu Boden gestampfte Irrlehre. Mag sein, daß vorzeiten unsere Vorfahren auch die romanische Kirche fremdartig, feindselig angemutet hat. Es ist schon lange her, wir können's nimmer fühlen, und auch der romanische Bau ist fest eingefügt in deutsche Vorstellung. Aber die gotische Kirche vollends will uns so heimisch dünken, so natürlich, so ganz und gar aus unserem Erdboden gewachsen – anzusehen wie der lange, blätterlose Lindengang im Herbste, dessen Äste auch spitzbogig gegeneinander gestellt sind wie das Gewölbe über dem Säulengang einer Kirche. – Die Türe ist angelehnt. Ein Lederpolster ist zwischen die Flügel geklemmt. Von früh bis abend steht diese Türe offen. Mit einem Schritt kommst du aus der Welt in das Haus hinein, das Menschenhände ihrem Gott erbaut haben. Jede Sorge darf am Altar niedergelegt, jeder Dank in weltferner Einsamkeit von stammelnden Lippen emporgeflüstert werden in die sichtbare Pracht der farbenglühenden Decke – durch diese hinauf in ein unsichtbares, himmelhoch entrücktes Heiligtum. Denn es ist eine katholische Kirche, die alle Tage offensteht, nicht nur an Sonntagen, nein, jedem zugänglich zu jeder Stunde. Wenn alle die...