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E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Spitzer Goethe, Schiller, Chinakohl

Als Humorbotschafter im Land des Lächelns
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7325-3080-9
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Als Humorbotschafter im Land des Lächelns

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-7325-3080-9
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Was passiert, wenn ein deutscher Poetry Slammer nach China reist, um dort an Schulen und Universitäten Workshops zu geben? Noch dazu unter der Aufsicht des ehrwürdigen Goethe-Instituts? Als Thomas Spitzer klar wird, auf was er sich eingelassen hat, ist es zu spät: Im Laufe weniger Wochen erlebt er einen Culture Clash nach dem anderen. Er knabbert Hühnerfüße und Heuschrecken, verirrt sich in einer 13-Millionen-Stadt, besucht eine Pandabären-Aufzuchtstation, klaut einen Bierkrug beim taiwanesischen Oktoberfest und wird unfreiwillig Teil der Regenschirm-Revolution in Hongkong.

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Nichts


In China gibt es angeblich über zweihundert Millionenstädte. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es vier. Nämlich Berlin, München, Hamburg und Köln.

In Europa gibt es um die dreißig Millionenstädte, in den USA um die zehn. In China? Zweihundert.

Noch einmal: zweihundert. Zwei. Hundert. Millionenstädte.

Zwei. Hundert.

Das Papier bietet leider nicht viele Möglichkeiten, diesen Umstand adäquat zu verdeutlichen. Oder haben Sie schon einmal von Wafangdian gehört, einer frischgebackenen Millionenstadt, deren Einwohnerzahl noch Ende der Nullerjahre auf etwas über 250 000 geschätzt wurde?

Hörten Sie von Nanyang, von Hebi, von Wuzhou? Oder von den Millionenstädten Zhumadian, Jingdezhen, Dongying? Nein? Klingelt da gar nichts? Was ist mit Huizhou, Chuzhou, Qitaihe, was mit Baicheng, Tieling, Suizhou? Kennen Sie Beihai, Zhongshan, Pingxiang, Anqing, Chifeng, Putian – alles Städte, die größer sind als München und doch in der westlichen Welt so unwichtig, dass sie teils nicht einmal einen eigenen Wikipedia-Eintrag haben?

Ist das nicht verrückt, dass Sie wahrscheinlich schon zweitausend Fotos von Kim Kardashians linker Pobacke gesehen, aber kein einziges Mal von Pingxiang gehört haben?

Allein Anqing hat über sechs Millionen Einwohner – das ist fast so viel wie alle deutschen Millionenstädte zusammen. In ganz Europa gibt es nur eine einzige Stadt, deren Stadtkern größer ist als Anqing. Und das ist London.

Man kann noch so viele Fun Facts vergessen, diesen sollte man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Und wenn man von Günther Jauch oder irgendeinem anderen Rätselwicht je danach gefragt wird, sollte man wie von der Tarantel gestochen aufspringen und schreien: »Zweihundert Millionenstädte! Es sind zweihundert Stück! Und jetzt her mit meiner Kohle!«

Nicht einmal in der gesamten restlichen Welt zusammen gibt es so viele Millionenstädte wie in China. Je nachdem, wie man zählt, kommt man außerhalb Chinas auf eine Zahl zwischen einhundert und einhundertfünfzig. Aber in China gibt es nicht nur zweihundert Städte mit einer Million Einwohnern oder mehr, inzwischen haben allein fünfzig Städte mehr als zwei Millionen Einwohner. Unter den hundert größten Städten der Welt befinden sich vierzehn chinesische – wenn man nur die Stadtkerne mitrechnet. Rechnet man die komplette Umgebung mit, zählte man also zum Beispiel das Ruhrgebiet als eine einzige Stadt, die größte Stadt Europas, so ist das chinesische Chongqing die größte Stadt der Welt mit rund 32 Millionen Einwohnern und – jetzt halten Sie sich fest – einem Stadtgebiet, das flächenmäßig ungefähr so groß ist wie Österreich.

Zudem hat China etwa dreitausend »kleine« Städte. Wobei klein zwischen 100 000 und 500 000 Einwohner bedeutet. Ein Blick auf die Liste der größten Städte unseres Nachbarlandes Schweiz lässt vermuten, wie absurd diese Zahl ist: Da haben wir Zürich mit etwas mehr als 400 000 Einwohnern, Genf mit fast 200 000 Einwohnern, Basel mit 175 000 Einwohnern, Lausanne mit 135 000 Einwohnern, Bern mit 130 000 Einwohnern, Winterthur mit 106 000 Einwohnern, Luzern mit 80 000 Einwohnern und St. Gallen mit 75 000 Einwohnern.

Das sind die acht größten Städte der Schweiz. Und jetzt kommt’s: In China wäre jede dieser Städte ein Dorf, mehr noch: Luzern und St. Gallen wären Dörfchen, zu vergleichen mit – sagen wir – Westerland auf Sylt.

Ich fasse mich kurz: China ist einfach scheißegroß.

Eine Zahl wie 1,35 Milliarden Einwohner lässt sich schnell sagen, aber zweihundert Kölns und Hamburgs sind dann doch relativ unvorstellbar. Ja, es fällt schwer, sich der Größe Chinas adäquat bewusst zu werden, ohne es mit der Angst zu bekommen. Über zwölf Prozent der Weltbevölkerung spricht Chinesisch, wobei die zweitmeistgesprochene Sprache Spanisch nur von circa sechs Prozent gesprochen wird. In China gibt es mehr Menschen, die Englisch sprechen, als in den USA. Und es gibt mehr Leute, die jeden Sonntag in eine christliche Kirche gehen, als in ganz Europa. Generell ist praktisch jede Religion und Glaubensrichtung häufiger in China vertreten als in jedem anderen Land der Welt. Es gibt zum Beispiel allein über zwanzig Millionen chinesische Muslime. Und dabei sind offiziell nicht einmal zehn Prozent der Chinesen religiös.

Und – mein Gott – die chinesische Wirtschaft! Jeder dritte VW wird nach China exportiert (nach dem Abgasskandal sind es wahrscheinlich noch mehr). Wäre Walmart ein Land, es wäre Chinas sechstgrößter Handelspartner. Das ist doch einfach nicht zu fassen! Im wahrsten Sinne des Wortes! Jeden fünften Tag wird in China ein Wolkenkratzer gebaut, wenn man diese als Hochhäuser definiert, die höher sind als 150 Meter. Zum Vergleich: In ganz Deutschland gibt es überhaupt nur fünfzehn Wolkenkratzer.

Die aktuelle – und unmittelbar bevorstehende – geopolitische Lage wird gerne skizziert als eine Art Kalter Krieg zwischen den USA, Russland, Europa, Arabien und China. Und man kann sich darüber streiten, inwiefern diese Ansicht stimmt und was das jetzt bedeutet und wer aktuell am meisten Macht hat, wer am meisten Macht haben wird und so weiter, aber Fakt ist: China hat als Einzige dieser fünf Großmächte eine Geschichte, die mehrere tausend Jahre alt ist.

Wenn die meisten Länder der Welt an ihre zivilisatorischen Wurzeln zurückdenken, denken sie an das alte Griechenland, an Ägypten oder sogar an die Maya. Die gesamte westliche Philosophie, heißt es zum Beispiel, sei nichts als eine Fußnote zu Platon. Die Maya hätten die moderne Zeitrechnung entwickelt, die Ägypter die moderne Architektur. Gutenberg hätte mit seinem Buchdruck die Zeit der Aufklärung eingeleitet. Aber was gerne vergessen wird, ist: Das alles gilt nicht für China.

China hat immer schon sein eigenes Ding gemacht. Und die westliche Welt kann da erst seit der Industrialisierung mithalten.

In China wird unglaublich viel Fleisch gegessen. Zum Beispiel lebt weltweit jedes zweite Schwein in China. Das ist bekannt. Aber auch Umweltschutz und erneuerbare Energie sind hier ein boomender Markt. Mittlerweile ist China das Land, das am meisten in den Umweltschutz investiert und Spezialisten aus aller Welt ins Land lockt, um gemeinsam an Lösungen für den Klimaschutz zu arbeiten. Auf dem Entwicklungskontinent Afrika wird mittlerweile jeder zweite Bauauftrag an eine Firma aus China vergeben. Das heißt, auch in Sachen Entwicklungshilfe sind die Chinesen ganz vorne mit dabei.

Chinesische Studenten sind sowohl in Deutschland als auch in den USA die mit Abstand am häufigsten vertretenen Ausländer an Universitäten. Und immer fleißig.

Sämtliche Vergleiche machen deutlich: Nicht nur könnte China unser aller Zukunft werden, westliche Entwicklungen sind im Vergleich zu chinesischen ein Tropfen auf den heißen Stein. Man weiß ja nicht, ob die »Gelbe Gefahr« wirklich eine Gefahr ist. Aber sagen wir so: Die Frage, ob China das 21. Jahrhundert beherrschen wird, ist sehr real. Und wird in Deutschland für meinen Geschmack zu selten diskutiert. Gleichberechtigung, Vegetarismus, Kündigungsschutz, Elternteilzeit, Terrorismus, die Flüchtlingskrise, die Eurokrise, die AfD, der Brexit, Steuersünder, Varoufakis, Böhmermann, Erdogan, Christiano Ronaldo, die Bekämpfung ausbeuterischer Strukturen, Mr. Robot oder ob Xavier Naidoo zum Eurovision Song Contest antreten sollte, einfach alles, was uns in den letzten Jahren beschäftigt hat, könnte schon sehr bald zu einer mickrigen Randnotiz in der Weltgeschichte verkommen. Also sollte man nicht den Fehler machen, die Chinesen aus der Gleichung auszuklammern und sich angesichts dieser riesigen, modernen, stetig wachsenden Bevölkerung zu verhalten wie ein Kind, das sich die Augen zuhält und denkt, dass die Welt wirklich verschwunden ist, nur weil es diese nicht sehen kann.

Es war erschreckend, wie wenig ich vor meiner Reise im Spätsommer 2014 über China wusste. Und dass mir das bis jetzt nichts ausgemacht hatte!

Ich wusste, dass China irgendwie eine sehr alte Tradition hat. Feuerwerkskörper, hatte ich gehört, gab es in China schon vor Jesu Geburt. Und Papiergeld schon vor über einem Jahrtausend, als die Fugger bei uns noch Sterne putzten. Aber ansonsten wusste ich wirklich nicht besonders viel, und die wenigen Bekannten, die China gesehen hatten, erzählten sehr Widersprüchliches. Dass Shanghai eine der modernsten und schönsten Städte der Welt sei auf der einen Seite. Dass es auf der anderen Seite sehr dreckig sein sollte, gerade auf dem Land. Dass die Leute auf den Boden spuckten und mit ihrem Schwein auf dem Gepäckträger durch die Straßen fuhren. Und dass China deshalb so anfällig für Seuchen sei.

Ich hatte von dem Smog in Peking gehört. Dass man dort an besonders schlimmen Tagen seine Hand nicht vor dem Gesicht sehen könne. Und ich wusste von der Ein-Kind-Politik. Ich wusste, dass viele Genies aus China kamen. Vor allem aus dem Bereich der Mathematik und der klassischen Musik. Diese Leute, die schon mit neun Jahren die dreizehnte Wurzel einer hundertstelligen Zahl ziehen können und dir mit dem einen Fuß Mozart auf einem gläsernen Flügel vorspielen und mit dem anderen ein Kreuzworträtsel lösen.

Ich...



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