E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Spörrle Der Maulwurf
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-32131-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-641-32131-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schluss mit Großstadt, ab aufs Land! Sascha und Anna kaufen ein Haus und ziehen mit Teenietochter Marie in die Dorfidylle. Das passt prima zu Saschas neuer Stelle als Nachhaltigkeitsbeauftragter und dazu, dass Anna für ihren beruflichen Neustart Freiraum braucht. Marie, als engagierte Umweltaktivistin, liebt die Natur sowieso, nur die Spinnen nicht. Doch das Landleben wird schwieriger als gedacht. Es gibt manipulative Rasenmäherverkäufer und argwöhnische Nachbarinnen, und da ist dieser Maulwurf, der bald den ganzen Garten umpflügt. Ordnungsfreak Sascha sagt ihm den Kampf an. Doch bald muss sich die Familie fragen, wer hier eigentlich in wessen Territorium eingedrungen ist. Und was der Tote nebenan damit zu tun hat.
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Sascha
»Sie suchen einen Rasenmäher?«, wiederholte der Mann, »Herr Schnappauf« stand auf seinem Namensschild. Er war ganz in Grün gekleidet statt in Knallorange wie die Verkäufer in den anderen Abteilungen. Sascha hielt das für ein gutes Zeichen. Bis Herr Schnappauf weiterredete. »Einen Viertakter? Wir haben gerade eine Sonderaktion, gute Geräte …«
O nein! »Ich dachte an etwas Nachhaltiges.«
»An etwas – Nachhaltiges?«
»Genau.«
Herr Schnappauf sah ihn an. War da leichte Irritation in seinem Blick?
Sascha räusperte sich. »Also zum Rasenmähen. Ich möchte, dass das – ganz nachhaltig ist. Das Mähen. Und alles drum herum.«
Er hatte noch ein »Verstehen Sie?« hinzufügen wollen, sich dann aber im letzten Moment dagegen entschieden. Sascha wollte keinesfalls besserwisserisch rüberkommen. Zumal er umständehalber seinen coolen hellblauen Anzug trug, Herr Schnappauf dagegen einen verwaschenen Overall, der schon recht knapp saß. Außerdem war Sascha gut einen Kopf größer, sodass der etwas ältere Verkäufer mit seinen milchig blauen Augen zu ihm aufsehen musste.
Den schien das allerdings nicht zu stören. Er begann zu grinsen. »Sie wollen Ihren Rasen nachhaltig mähen? Geht es denn auch nicht-nachhaltig?«
Sascha starrte den Mann an. Wusste der vielleicht gar nicht, was »nachhaltig« bedeutete?
Der grinste weiter. »Na, das Gras wächst nach dem Mähen von ganz allein wieder hoch. Nachhaltiger geht’s doch nicht, oder?«
Es war das erste Mal in seinem Leben, dass Sascha einen Rasenmäher kaufte, aber er hatte sich diesen Akt weniger kompliziert vorgestellt.
Er holte Luft. »Es geht mir um den Mähvorgang selbst. Ich suche keinen Viertakter. Auch keinen Dreitakter oder Zweitakter. Ich suche etwas ohne Motor.«
Bei »Dreitakter« hatte der Verkäufer schon große Augen gemacht. Jetzt sah er drein, als habe Sascha einen Rasenmäher verlangt, der fliegen könne.
»Ohne Motor? Ernsthaft?«
»Ja, OHNE MOTOR!«
Sascha war schon leicht irritiert. Außerdem, das irritierte ihn zusätzlich, saß bei der grünen Latzhose des Verkäufers die linke Verschlussschnalle des Trägers zwei Zentimeter höher als die rechte. Ohne erkennbaren Grund.
Was Schnappauf nicht davon abhielt, jetzt Saschas Anzug von oben bis unten zu mustern.
»Das«, sagte er dann langsam, »würde ich mir an Ihrer Stelle noch mal überlegen.«
»Wie bitte?«, fragte Sascha reflexhaft.
»D-a-s w-ü-r-d-e i-c-h m-i-r a-n I-h-r-e-r S-t-e-l-l-e n-o-c-h-m-a-l-ü-b-e-r-l-e-g-e-n!«
»Ich, ähem, wieso?«
»Ich möchte Ihnen keinesfalls zu nahe treten. Aber das scheint mir wirklich keine gute Idee.«
Sascha sog kurz die Luft ein. Und überlegte tatsächlich. Ob es ein Fehler gewesen war, wieder hierherzukommen. Er war schon einmal in diesem Baumarkt gewesen, ein einziges Mal, und zwar am 24. Dezember letzten Jahres. Damals suchte er sehr hektisch eine Lichterkette fürs Balkongeländer, als Ersatz für die alte, die sich last minute entschieden hatte, nicht mehr zu leuchten. Und obwohl er sehr spät dran war, zehn Minuten vor Ladenschluss, hatte Sascha unverschämtes Glück gehabt. Im fast völlig geplünderten Lichterkettenregal lag noch eine einzige Kette – und die passte von der Länge her perfekt!
Zwei Stunden später hatte er auf dem Balkon bei fünf Grad und Nieselregen das Kabel inklusive sämtlicher 380 Lichter entwirrt und befestigt. Er taute seine Finger im Bad unter warmem Wasser wieder auf. Rief Anna. Betätigte dann feierlich den Lichtschalter. Und das mit dem Glück relativierte sich sofort, das »unverschämt« allerdings nicht: Die Kette blieb dunkel.
Sie war kaputt!
Anna hatte ihn mit ihren wunderschön tiefgründigen grünblauen Augen angesehen. Allerdings auf diese forschende Psychologinnen-Art, die sie unheimlich gut beherrschte, weil sie eben eine war. Und ihn gefragt, ob er das nicht schon im Geschäft hätte feststellen können.
Danach begann sie zu kichern. »Erinnert dich das nicht an den Film Schöne Bescherung mit Chevy Chase?«
Sascha liebte Annas Humor. Und er liebte diesen Film.
Aber nicht in diesem Moment. Er war in die Küche gerannt, um die Schere zu holen und die Kette fluchend (»Verdammtes Weihnachten! Verfluchte Lichterkette!«) in kleine Teile zu zerschneiden.
Der Stromschlag beim ersten Schnitt tat gar nicht weh. Trotzdem wollte Anna ihn unbedingt in die Notaufnahme fahren. Dort warteten sie zwei Stunden, während ein blutüberströmtes Opfer weihnachtlicher Familienstreitereien nach dem anderen an ihnen vorbeigeschleust wurde. Sascha erwog schon, sich an der nächstbesten Tür ebenfalls eine beeindruckende Platzwunde zu holen, um endlich auch dranzukommen, entschied dann aber, »auf eigenes Risiko« zu gehen. Schließlich war Heiligabend, in Oldenburg warteten Annas Eltern mit der Weihnachtsgans, und sie hatte ihm schon vorher die Hölle heißgemacht, wieso er mit seinem furchtbaren Perfektionismus noch unbedingt diese blöde Lichterkette auswechseln müsse.
Bis zu den Schwiegereltern benötigte Sascha mit dem Auto normalerweise anderthalb Stunden. An jenem Tag schaffte er, vielleicht eine Folge des Stromschlags, die Strecke in völlig unökologischen dreiundsiebzig Minuten.
Aber es half nichts.
Im Vorgarten schlug ihnen der Geruch von verkohlter Gans entgegen. Anna war völlig am Ende wegen Saschas Lichterkettenaktion (oder wegen seiner Fahrweise). Und ihre damals fünfzehnjährige Tochter Marie sah ihn, kaum war sie aus dem Auto gestiegen, anklagend an, sagte »Digga, Papa!« und erbrach sich.
Der Rest des Heiligabends verlief entsprechend.
Heute hatte Sascha dem Baumarkt eine zweite Chance geben wollen. Denn der warb mit der größten Gartenabteilung sämtlicher Bau- und Pflanzenmärkte auf dieser Seite der Stadt. Sascha war davon ausgegangen, an solch einem Ort der Superlative natürlich auch den größtmöglichen Sachverstand anzutreffen.
Aber Baumärkte waren sowieso nicht seine Welt. Einen Anzug trug hier außer ihm niemand.
Und dann gab es all die Produkte, über deren Sinn und Zweck man nur rätseln konnte. Zum Beispiel die »Schwingschleifer«. Zig Modelle standen gleich am Eingang, die Geräte mussten also sehr begehrt, sehr wichtig oder beides zugleich sein – ohne dass Sascha in seinem 43-jährigen Leben auch nur ein einziges Mal Sehnsucht nach einem solchen Schleifer verspürt hätte. Mehr noch – er konnte sich weder vorstellen, was man damit schliff, noch, was man dabei schwang (außer vielleicht, es handelte sich um ein Utensil für Nudisten). Natürlich hatte er sofort »Was macht man mit einem Schwingschleifer?« gegoogelt. Aber es gab hier so gut wie kein Netz, sicher weil man wollte, dass die Leute auf bloßen Verdacht hin ein, zwei Schwingschleifer mitnahmen und daheim auf dem Sofa ausprobierten.
Oder diese absurd langstieligen »Hochentaster«, an deren oberen Ende eine lächerlich kleine Säge saß. Zufälligerweise gab es in deren Nähe einen kleinen Fleck Internet, und Sascha hatte herausfinden können, dass »Hochen« der Name eines Aussichtspunktes auf der Schwäbischen Alb war. Offenbar war es bei den Schwaben Brauch, dort mit solchen Dingern herumzutasten; gut, solange sich niemand dabei verletzte. Aber wieso sollte jemand im Hunderte Kilometer entfernten Hamburg solch ein Folkloreteil kaufen?
Nicht zu vergessen das »Aktionsregal Maulwurfschreck«. Hier hatte Sascha vorhin auch Verkäufer Schnappauf entdeckt (der tat, als räume er auf, aber vielleicht hatte er auch nur versucht, sich dort vor Kunden zu verstecken). Und das Regal war vollgestopft mit seltsamem Kram: hexenartigen Vogelscheuchen. Duftknödeln. Mächtigen Elektrospießen, mit denen man drei Vampire auf einen Streich hätte pfählen und zugleich erleuchten können, wären die Teile nicht so furchtbar stumpf gewesen (vermutlich wegen irgendwelcher EU-Vorschriften). Was für abgedrehte Menschen mussten das sein, die solches Zeug kauften!
Und nun stand vor ihm dieser Herr Schnappauf, und ihn beschlich das dumme Gefühl, dass ein weiteres Fiasko drohte.
»Wieso ist ein Handrasenmäher keine gute Idee?« Sascha wählte seine Worte mit Bedacht. »Ich denke an die Umwelt.«
»Das ist gut!« Sein Gegenüber nickte.
Vermutlich war das Ironie. Er würde sich nicht provozieren lassen.
Auch nicht von Schnappaufs ungleich positionierten Latzhosenverschlüssen, die ihm jetzt bei jedem Blick ins Auge stachen.
Sascha redete also unbeirrt weiter. »Und sollte angesichts des Klimawandels nicht jeder von uns tun, was er kann?«
»Doch, doch!«
War der Mann ein Zyniker, oder dachte er nur an den Reibach, den er machen würde, wenn er Sascha das Gerät mit dem dicksten Motor verkaufte?
Aber jetzt hatte Sascha ihn in der Zange.
»Und was würden Sie an meiner Stelle tun? Wenn Sie ganz frei wären? Wenn Sie Ihren Kunden nicht das teuerste Gerät verkaufen müssten – sondern das beste für die Umwelt?!«
Schnappauf schwieg. Touché!
Die Sache mit den unterschiedlich hohen Latzhosenverschlüssen ließ sich übrigens leicht beheben. Man musste nur den einen Verschluss am Träger entlang nach oben schieben. Oder den anderen nach unten …
»Einen Moment!« Schnappauf drehte sich zur Seite. »Susanne«, rief er. »Susanne!«
Es dauerte ein paar Sekunden. Dann tauchte fünf, sechs Regalgänge weiter eine zweite, weibliche Gestalt in Grün auf.
»Susanne!«,...




