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E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Freia Hardt ermittelt
Staedter Hardt am Abgrund
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8437-3605-3
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Krimi | Atmosphärischer Berlin-Krimi: Kommissarin Freia Hardt in ihrem ersten, nervenaufreibenden Fall
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Freia Hardt ermittelt
ISBN: 978-3-8437-3605-3
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Chris Staedter aus Hilden, NRW (eigentlich Christiane Pesendorfer) studierte Germanistik und Musikwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und an der Ruhr-Universität Bochum. Nach freien Assistenzen trat sie ihr erstes Festengagement 1999 an der Kölner Oper an. Es folgten das Aalto-Theater Essen und die Städtischen Bühnen Osnabrück, bevor sie als Künstlerische Betriebsdirektorin und Stellvertretende Intendantin an das Theater Erfurt wechselte, wo sie erstmals auch Regie führte ('Salome' und 'La clemenza di Tito'). Seit 2016 ist sie als Künstlerische Produktionsleitung an der Deutschen Oper Berlin tätig und lebt mit ihrem Mann, dem gemeinsamen Kind und zwei Dackelmädchen in Steglitz.
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»Mist! Mist! Mist!«
Freia skandierte die Worte, während sie die Hardenbergstraße herunterjoggte. Der Haselnuss-Schoko-Latte gluckerte gefährlich bei jedem Schritt in ihrem Magen. Sprint und ein voller Magen, wenn auch nur mit Kaffee, waren keine gute Kombination. Aber dieser Kaffee! Ein Pluspunkt für Berlin. In fast jeder Straße zu haben. Sie würde nicht so weit gehen, dass sie ihre Wohnung nach dem Café im Erdgeschoss ausgesucht hatte. Es war nur ein erfreulicher Zufall gewesen, dass sich täglich ab 7 Uhr eine Schlange vor der Coffee-to-go-Theke bildete. Zu Recht. Das Zeug war gut. Das perfekte Frühstück. Aber das heutige Kaffeeglück war nur von kurzer Dauer gewesen.
»Mist. Mist. Mist.«
Sie hätte viel lieber das S-Wort benutzt. Das S-Wort wäre weitaus treffender gewesen. Es war doch so wohltuend, seine Wut oder seinen Ärger einfach mal rauszulassen. Den Frust hinauszubrüllen, bei all der S …, die es auf der Welt gab. Aber das S-Wort war verboten. Verboten, seit Freias kleine Nichte Emmi das Wort lautstark an der Kaffeetafel über die Schwarzwälder Kirschtorte geprustet hatte, nachdem ihr die Kirsche vom Löffel auf den Boden gekullert war. Alle hatten Freia angesehen. Allen war klar gewesen, dass die Kleine das Wort nur von ihr aufgeschnappt haben konnte. Freia musste Bella, Emmis Mutter, gegenüber Besserung geloben. Nein, nicht nur geloben. Bella hatte insistiert, hatte ihr das heilige Schwestern-Ehrenwort abgerungen. Natürlich im besten Sinne und voller Liebe: Freia, weniger fluchen und vielleicht endlich mal erwachsen werden. Erwachsen? Das hatte Freia doch versucht. Und was hieß das überhaupt? Bella konnte sich da ruhig an die eigene Nase fassen. Was war aus den Schwestern geworden, die die Welt zu einem besseren Ort hatten machen wollen, wie Superheldinnen – nur ohne Capes? Freia arbeitete überwiegend im Büro und ihre Schwester verhandelte in der Kanzlei ihres Mannes Eheverträge und Scheidungen. Nichts mit Staatsanwaltschaft. Nichts mit Ermittlungen an echten Tatorten. Nichts mit Verbrecherjagd. Freia hatte in ihrem Leben noch nicht wirklich Verantwortung übernehmen müssen. Weder privat noch beruflich. Sie hatte sich vom Leben treiben lassen, statt es in die Hand zu nehmen. Oder hatte sie es einfach nur erduldet? Aber jetzt, jetzt hatte sie es getan. Hatte den großen Schritt gemacht.
Nachdem ihre Bewerbung auf die Stelle der Kriminalhauptkommissarin vor fast zwei Jahren im Sand verlaufen war – angeblich wegen Coronarückstau –, hatte sie nur eine Chance gesehen, weiterzukommen, sie musste ihr Kaff verlassen. Eigentlich war ihr egal gewesen, wohin. Hauptsache, weg, Hauptsache, endlich mehr Verantwortung. Und nun war es Berlin geworden.
Ein Neuanfang. Allerdings drohte der erste Tag gerade gehörig schiefzulaufen. Scheiterte sie jetzt schon an einer ihrer Schwächen, ihrem mangelnden Orientierungssinn? Löwentor, Hardenbergplatz oder Elefantentor, Budapester Straße? So hätte die korrekte Frage lauten müssen. Eigentlich hatte sie alles richtig gemacht. Sie hatte nur nicht bedacht, dass ein Hauptstadtzoo auch zwei Eingänge haben könnte. Der Berliner Zoo war sicher nicht der größte in Deutschland, aber er war definitiv einer der größeren. Das bekam Freia nun am eigenen Leib zu spüren. Vorbildmäßig hatte sie die Öffentlichen in Form der U2 genommen und war am Bahnhof Zoo ausgestiegen. Pünktlich war sie am Löwentor aufgeschlagen, wo der freundliche Herr mit überdimensionalem Schnäuzer im noch geschlossenen Kassenhäuschen, kopfschüttelnd und mit starkem Berliner Dialekt mitgeteilt hatte, dass der Eingang für das Aquarium einmal um die Ecke sei. Das war leicht untertrieben. Zu Fuß war das einmal um den Zoo herum. Freia hatte tief durchgeatmet und war los, musste aufpassen, wo sie hintrat, war mehreren großen Sch … haufen ausgewichen, die vielleicht doch eher menschlichen Ursprungs waren als … Sie wischte sich entsetzt den Gedanken aus ihrem Kopf. Diese Stadt hatte echt ein Problem mit Fäkalien! Sie sprintete vorbei an den ersten frühen Touristen, den letzten Schnapsleichen der Nacht und dem Rest der Bevölkerung, der zur Arbeit oder zum Zug wollte. Ausgerechnet! Hätte sie sich heute früh nicht selbst so einen Stress gemacht, hätte Google bestimmt noch eine Antwort parat gehabt, welcher Weg der beste zum Aquarium gewesen wäre. Aber die U-Bahn war erschreckend voll und stickig gewesen, mit einer Mischung aus Urin, altem Schweiß und abgestandenem Bier, und so hatte sie lieber die Ankunft an den einzelnen Stationen verfolgt, aus Angst, ihre Haltestelle zu verpassen.
Der Tag war so ja überhaupt nicht geplant gewesen. Maximilian Bode, ihr brandneuer und noch nicht persönlich bekannter Kollege, hatte sie heute früh angerufen und mitgeteilt, dass es einen Toten im Berliner Zoo gegeben habe, im Aquarium. Ihr offizieller Dienstantritt wäre eigentlich erst am Montag. Da aber der Fund einer Leiche bekanntlich den Anfang eines neuen Falls markierte, war es nur sinnvoll, dass sie bereits heute – am Freitag – mit dazu kam. Alles also ein wenig unvorbereitet.
Schnellen Schrittes lief Freia die Budapester Straße herunter, vorbei an Zoo-Palast und dem Bikinihaus, warf einen kurzen Blick auf die Gedächtniskirche und begriff wieder einmal, dass sie wirklich in Berlin war. Das war ihr in den letzten Tagen schon häufiger passiert. Sie lief eine Straße entlang und plötzlich blitzte ein Wahrzeichen irgendwo auf, wie die Goldene Else, das Brandenburger Tor oder der Fernsehturm, und ließ sie realisieren, dass sie nun wirklich in der Hauptstadt lebte. Hier in der Nähe musste auch das LKA sein, wo sie am Montag ihr Büro beziehen würde. Sie erreichte leicht verschwitzt das Elefantentor. Mist! Ob es wirklich so eine gute Idee war, sich gerade in Berlin das Fluchen abzugewöhnen? Man würde sehen …
Keuchend sah sie auf die Uhr. Kurz vor 10. Na ja, halbwegs pünktlich. Freia wollte an ihrem ersten Tag im LKA 1 einen guten Eindruck hinterlassen. Nicht, dass sich das so entwickelte wie bei ihrem Ex-Chef, der sie diverse Male in ihrem Vorhaben, voranzukommen, boykottiert hatte. Bis sie absprang. Abspringen musste, nach dem Vorfall …
Sie erinnerte sich noch sehr genau, als sie den Brief vor einem Dreivierteljahr in der Hand gehalten hatte. »Sehr geehrte Frau Hardt, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass …« Echt jetzt? Berlin? Es so schwarz auf weiß zu lesen, hatte sie dann doch mehr beunruhigt als gedacht. Aber was hatte sie eigentlich erwartet? Die Stellen waren rar gesät und wenn man die Behörde und das Bundesland wechseln wollte, dann musste es einen Tauschpartner geben, der exakt die Stelle suchte, die man innehatte. Jedes noch so kleine Kaff hatte eine Polizeidienststelle und nach dem ganzen Trubel wollte sie einfach nur weg. Es hatte zwei Stellen gegeben, die Chancen hatten also fifty-fifty gestanden: Berlin oder Uckermark. Sie hatte es dem Schicksal überlassen, was es für sie auswählen würde. In ihrer alten Dienststelle wäre sie nicht weitergekommen. Da war sie die Ki-Ko gewesen – die Kinderkommissarin – so nannten die Kollegen Leute wie sie. Kommissare, die, weil sie Abitur hatten, im System gleich weiter oben in der Karriereleiter einsteigen konnten, ohne wirklich Ahnung von »echter« Polizeiarbeit zu haben. Das hatte man sie sehr deutlich spüren lassen und natürlich auch, weil sie eine Frau war. Ihr Ex-Chef hatte ihr nichts zugetraut. Er hatte sie meistens Innendienst schieben lassen. Sechs Jahre am Schreibtisch. Anzeigen aufnehmen, Akten nach Hinweisen durchforsten, Protokolle bei Vernehmungen schreiben, aber keine Arbeit an den Tatorten, keine Vernehmungen von Tatverdächtigen. Dabei hatte sie immer gute Polizeiarbeit geleistet, wenn er sie denn einmal einsetzte. Es war doch alles gut gelaufen, besonders bei dem letzten Fall hatte es viel Presserummel und Lobeshymnen für ihre Abteilung mitsamt oberstem Chef gegeben. Alle hatten rangemusst, weil der Fall so große Dimensionen angenommen hatte. Es war eine Sonderkommission gebildet worden, inklusive ihrer Dienststelle, aufgrund der Nähe zur holländischen Grenze. Freia strich sich gedankenverloren über ihr rechtes Schlüsselbein. Es war ein glatter Durchschuss gewesen. Ein paar Zentimeter weiter und es wäre ihr Hals … Aber an so etwas durfte man als Polizistin nicht denken. Wenn man vom Pferd fällt, soll man ja auch sofort wieder draufsteigen. Ein zentraler Punkt, den ihre Therapeutin über mehrere Sitzungen monologisiert hatte. Und sie war auch sofort nach der Krankschreibung wieder im Dienst gewesen. Und sich so sicher wie nie, dass ihr alter Posten ihr nicht mehr reichte. Eine Aussprache wollte sie nicht. Das war schon einmal schiefgegangen und hatte mit ihrem Ex-Chef noch nie etwas gebracht. Sie trat die Flucht nach vorn an.
Freia gab sich einen Ruck. Weniger Grübeln, mehr riskieren. Mann, würde ihr das Zeit sparen. Mit der Wahl der Garderobe hatte es heute schon angefangen. Für den ersten Tag sollte ihr Outfit nicht weniger als perfekt sein. Endlich, nachdem sie ungefähr sieben Outfits anprobiert hatte, hatte sie sich für Blue Jeans, leichte Stiefeletten, weißes T-Shirt und ihre cognacfarbene Lederjacke entschieden. Genau richtig für...