Stegemann / Ehrensperger / Al-Suadi | Der eine Gott und die eine Menschheit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 254 Seiten

Stegemann / Ehrensperger / Al-Suadi Der eine Gott und die eine Menschheit

Israels Erwählung und die Erlösung von Juden und Heiden nach dem Römerbrief
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-045753-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Israels Erwählung und die Erlösung von Juden und Heiden nach dem Römerbrief

E-Book, Deutsch, 254 Seiten

ISBN: 978-3-17-045753-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ekkehard W. Stegemann hat in seiner bislang unveröffentlichten Heidelberger Habilitationsschrift aus dem Jahr 1981 Grundlagen zum Verständnis des Römerbriefs, der Theologie des Paulus und des theologischen Denkens im Hinblick auf das Verhältnis von Judentum und Christentum erarbeitet - Themen, die bis heute für die wissenschaftliche Diskussion und den gesellschaftlichen Diskurs von hoher Relevanz sind. Paulus ringt damit, wie die unwiderrufliche Erwählung Israels angesichts dessen zu verstehen ist, dass die meisten seiner jüdischen ZeitgenossInnen in Jesus nicht den Messias aus dem Haus David sahen. Was bedeutet das für das Verhältnis von jüdischen und nichtjüdischen Menschen in der Nachfolge Jesu? Wie verhalten sich 'Kirche' und 'Israel' zueinander? Stegemann zeigt, wie sich die Antworten des Paulus vom Antijudaismus der christlichen Rezeption unterscheiden. Durch seine Lehre, seine Veröffentlichungen sowie sein Engagement im christlich-jüdischen Dialog prägte Stegemann nicht nur die Theologie, sondern beeinflusste auch eine ganze Generation von Pfarrerinnen und Theologen. Unter dem Titel 'Exegese im Angesicht Israels' ordnet Prof. Dr. Esther Kobel (Mainz) die Habilitationsschrift sowohl forschungsgeschichtlich als auch in das Lebenswerk Stegemanns ein.

Prof. Dr. Ekkehard W. Stegemann (1945-2021), zuletzt Professor für Neues Testament an der Universität Basel.
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Einleitung


Mit dem Namen des Apostel Paulus verknüpft sich seit je her die Idee einer brüderlich geeinten Menschheit, die alle ihre objektiven Unterschiede und schmerzlich trennenden Gegensätze hinter sich läßt. Die folgende Untersuchung des Römerbriefes unterstreicht das Recht solcher Assoziation. Damit reiht sie sich ein in die Geschichte der Auslegung, die zumal seit der Aufklärung mit dem Stichwort »Universalismus« den entscheidenden Beitrag des Apostel Paulus zur Urchristentumsgeschichte bezeichnet. Zugleich unterscheidet sie sich jedoch von dem Hauptstrom dieser Auslegungstradition, da sie die paulinische Hoffnung auf die Erneuerung der Menschheit in brüderlicher Einheit nicht von einer prinzipiellen Antithese zu Israel und dem Judentum begleitet sieht.

»Universalismus« und »Antijudaismus« gelten schon in der (späten) Aufklärungstheologie als die einander korrespondierenden Prinzipien des paulinischen Christentums (vgl. dazu K. Aner 1921; K. Scholder 1971). Erst von F. Chr. Baur wird diese Paulusinterpretation jedoch einer Gesamtdeutung der Urchristentumsgeschichte integriert, ja, zum hermeneutischen Schlüssel der Religions- und Christentumsgeschichte insgesamt gemacht.

Für Baur kam bei Paulus das Christentum zum Bewußtsein seiner selbst und das heißt zum Bewußtsein des Prinzips des Universalismus. Zugleich erreichte für ihn damit die Dynamik der Religionsgeschichte der alten Welt ihren Höhepunkt. Denn einerseits habe Paulus nur konsequent weiterentwickelt, was der Intention nach schon bei Jesus selbst angelegt gewesen sei. Andererseits vollendete der Apostel nach Baurs Meinung, was die griechisch-römische Kultur, vor allem aber die jüdisch-hellenistische Symbiose der alexandrinischen Religionsphilosophie auch anstrebten. »Ihren innersten Mittelpunkt haben alle diese Erscheinungen in dem Drange des Geistes, alles Beschränkte, Nationale, Particuläre zur Universalität aufzuheben, und in eine freiere und weitere Sphäre einzutreten« (1866, 91f.).

Gleichwohl konnte für Baur dieser Drang des Geistes nur dann zum Bewußtsein seiner selbst kommen, als durch den Gott-Menschen Jesus Christus der eine Gott mit der einen Menschheit versöhnt war und zugleich gegen jede partikulare Vermittlung dieser Idee prinzipiell Widerspruch erhoben wurde. Da aber das Judentum diese Idee nach Baurs Überzeugung immer nur partikular vermitteln konnte, schloß das dem Paulus bewußt gewordene christliche Prinzip des reinen Universalismus den »Bruch mit dem Judenthum in sich« ein (1860, 46). Ihn vollzogen zu haben, und zwar auch und gerade gegen solche Anhänger Jesu, die das Christentum noch innerhalb der Grenzen des partikularen Judentums gefangenhielten, macht für Baur die eigentliche Bedeutung des Paulus aus. Aus dieser Perspektive kann er in seiner nachgelassenen Vorlesung zur Theologie des Neuen Testaments sogar formulieren, »daß das wesentliche Element seines (sc. des Apostel Paulus) Lehrbegriffs die Antithese gegen das Judenthum ist« (1864, 132).

Ähnlich wie die Theologie der späten Aufklärung hat auch Baur den Antijudaismus als ein Prinzip verstanden, das seine Funktion für die Befreiung des Christentums vom Judenthum immer wieder historisch zu erfüllen hatte. Schon bei J. S. Semler begegnet die Vorstellung, daß die Entstehung des Christentums ein allmählicher, durch Regressionen immer wieder unterbrochener Prozeß der Emanzipation vom Judentum gewesen sei. Mit dieser Theorie erklärte er sich die divergierenden theologischen Tendenzen innerhalb des urchristlichen Schrifttums und zumal die Widersprüche in den Evangelien. Zugleich versuchte er so, den Angriff auf die christliche Theologie zu parieren, der deren Konformität mit den Prinzipien einer »vernünftigen« Religion in Frage stellte. Alles, was im Neuen Testament mit der zeitgenössischen Forderung nach einer reinen Religion nicht übereinstimmte, wurde deshalb von Semler als noch nicht überwundene, menschlich verständliche Anhänglichkeit oder als Akkommodation an das Judentum erklärt (vgl. dazu H. Liebeschütz 1967, 133ff.).

Baur setzte zwar diesen bloß apologetischen Gebrauch der historischen Kritik nicht fort. Doch wendete seine konsequent historische Methode das primitive Akkommodations- und Regressionsschema Semlers dialektisch auf die gesamte Christentumsgeschichte an, bis hin zu der grotesken Behauptung, daß der Katholizismus des Mittelalters »die unendliche Entwicklungsfähigkeit des Judenchristenthtums« (1860, 76) unter Beweis gestellt habe. Das Judentum gerät so bei Baur zum prinzipiellen Gegner des wahren, nämlich paulinisch-protestantischen Wesens des Christentums. Das Prinzip des Antijudaismus erhält entsprechend die ideologische Funktion, das Christentum zu seinem wahren Wesen immer wieder zurückzurufen. In gewisser Weise figuriert das Judentum als Chiffre für alles Inferiore und Partikulare, von dem das Christentum sich zu emanzipieren hat, wenn anders es mit seinem Wesen historisch identisch werden oder bleiben will.

Baur hat dabei einer »marcionitischen« Konsequenz widerstanden (vgl. schon 1835, 656ff. gegen Schleiermacher). Und anders als Semler (vgl. H. Liebeschütz 1967, 15) hat er, zumal in seinen späten Schriften, die Sittlichkeit des Alten Testaments hoch eingeschätzt, und zwar im Zusammenhang einer Verschiebung des anfänglich spekulativ bestimmten Prinzips des Universalismus hin zu einem Prinzip des sittlichen Universalismus (vgl. dazu W. Geiger 1964, 81ff.). Gleichwohl reflektiert sich in Baurs Schema, was politisch für nicht wenige der liberalen Befürworter der »bürgerlichen Verbesserung« der Juden immer gegolten hat: Die Emanzipation der Juden sollte zwar deren Integration in die bürgerliche und mithin in die christliche Gesellschaft dienen, so aber gerade das Judentum selbst überwinden.

In gewisser Weise nimmt Baur so am Vorabend des modernen politischen Antisemitismus dessen Prinzip theologisch vorweg (vgl. dazu meine Kritik 1980, 122ff.). Er legt das Judentum a limine auf einen religiös inferioren Status gegenüber dem Christentum fest; ja, er erklärt das Judentum als diejenige Gefahr, die das Christentum an seiner Selbstverwirklichung hindert (vgl. zum Einfluß des politischen Parteienstreits auf Baurs Tendenzkritik W. Geiger 1964, 172ff.).

Allerdings muß der Unterschied dieses theologischen Antijudaismus zum modernen Antisemitismus beachtet werden. Für diesen waren nicht nur das Judentum als Religion, sondern auch die Juden als Bürger ein für allemal auf einen inferioren Status festgelegt. Der politische Antisemitismus strebte darum an, die soziale und politische Diskriminierung der jüdischen Minorität vor der Emanzipation festzuschreiben, wo sie noch vorhanden war, oder wiederherzustellen, wo sie durch die Gesetzgebung bereits überwunden worden war (vgl. dazu zuletzt J. Katz 1980, bes. 321). Verbunden mit den national-konservativen Tendenzen im Deutschen Reich nach 1870 (vgl. dazu G. Seebaß 1980, 177ff.) hat dieser Antisemitismus alle möglichen Elemente des Judenhasses angezogen, zumal in seiner vulgären Artikulation. Dabei kam es vereinzelt auch zu einer bemerkenswerten Wende in der Beurteilung des Paulus. Gerade der in der Tübinger Schule gerühmte Universalismus des Apostels wurde als ein der nationalen deutschen Einigung entgegenstehendes jüdisches Erbe verdächtigt. Wie das Judentum überhaupt nun nicht mehr wegen seiner Partikularität und sozialen Kohäsion, sondern wegen seiner Internationalität und demokratischen Liberalität zur Gefahr für die Einigung der deutschen Nation erklärt wurde, so galt auch Paulus als Verfechter einer antinationalen jüdischen Weltreligion im Gewande des Christentums. Für den Göttinger Orientalisten P. de Lagarde standen deshalb Protestantismus und Katholizismus ebenso wie natürlich das Judentum der Entstehung einer »deutschen Religion« im Wege. Denn auch das Christentum habe, wenn auch in den großen Konfessionen ganz unterschiedlich, durch Paulus, der als Pharisäer, der er war und immer geblieben ist, »gelehrt …, daß Israel die Blüthe der Menschheit sei, und die Menschheit nur in und durch Israel beglückt werden könnte« (51920, 66), die »jüdische Ansicht von der Geschichte« und andere Prinzipien jüdischer Religion aufgesogen. Mit seinem »raffinierten Israelitismus« habe Paulus das Alte Testament und dessen »pharisäische Exegese« dem Evangelium Jesu aufgezwungen und es dabei zerstört. Indem er sich zugleich mit der alttestamentlichen »Verstockungstheorie« – Lagarde spielt offenbar auf Röm 9–11 an – »gegen alle Einwürfe gepanzert« (51920, 62) habe, sei es ihm gelungen, das Evangelium Jesu zu verfälschen. Trotz der Ablehnung durch die wahren Anhänger Jesu, die von Paulus nach Meinung Baurs mit Recht bekämpften Judenchristen also, habe er seine Botschaft als das wahre Evangelium durchsetzen können.

Lagardes Antipaulinismus wäre trotz seines nachhaltigen Einflusses auf die Deutschen Christen und die Ideologen des Dritten Reiches nicht erwähnenswert, käme hier nicht etwas zum Ausdruck, was – freilich in anderer Weise – auch in der protestantischen Theologie erörtert worden ist. Ich meine jene Debatte um die jüdischen und nicht-jüdischen (d. h. hellenistischen) Anteile an der paulinischen Theologie. Auf der einen Seite, vertreten zumal durch R. Reitzenstein und W. Bousset, findet man »in der Weltanschauung des Apostels … die beiden Elemente des jüdisch-apokalyptischen und des hellenistisch-mystischen Dualismus zusammen« (W. Bousset 1913, 1291); auf der anderen Seite sieht man Paulus allein aus der jüdischen Eschatologie (so pointiert A. Schweitzer 1930) oder hauptsächlich aus der pharisäisch-rabbinischen Tradition (so E. Lohmeyer 1929) schöpfen. War für Bousset selbstverständlich, daß Paulus trotz seines durch...


Prof. Dr. Ekkehard W. Stegemann (1945-2021), zuletzt Professor für Neues Testament an der Universität Basel.



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