E-Book, Deutsch, 370 Seiten
Steinmüller Andymon
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-946503-29-3
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 370 Seiten
ISBN: 978-3-946503-29-3
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
'Andymon' ist ein überaus ideenreicher SF-Roman und zugleich eine klassische Utopie. Die geradlinig erzählte Handlung mit den gelungenen Identifikationsfiguren, vor allem aber die Weite des Entwurfs - es geht um nichts Geringeres als die Gründung einer neuen Menschheit auf einem terraformierten Planeten, Lichtjahre von der Erde entfernt - stehen für eine dynamische soziale Vision. Der Roman hat mit bisher weltweit neun Auflagen bzw. Ausgaben eine Gesamtauflage von 200.000 Exemplaren überschritten. Diese Neuausgabe ist eine überarbeitete und gegenüber der Erstausgabe von 1982 um zusätzliche Texte ergänzte Version des Romans.
Angela Steinmüller, Jahrgang 1941, ist Diplommathematikerin, der 1950 in Klingenthal geborene Karlheinz Diplomphysiker und Doktor der Philosophie; beide leben seit langem in Berlin. 1982 wurden sie freischaffende Schriftsteller, in den neunziger Jahren wandte sich vor allem Karlheinz der Futurologie zu. Sie haben eine Darwin-Biographie sowie (teils gemeinsam, teils Karlheinz allein) futurologische Sach- und Fachbücher geschrieben.
Ihr Werk auf dem Gebiet der Science Fiction (mit seltenen Ausflügen in Fantasy und andere Spielarten der Phantastik) umfasst bisher fünf Romane, einen Kurzroman sowie rund fünf Dutzend Erzählungen. Die meisten Werke haben die Steinmüllers gemeinsam verfasst, manche Erzählungen aber auch separat. Einige Texte entstanden in Zusammenarbeit mit Erik Simon, der auch als Herausgeber ihre Werkausgabe koordiniert.
Erik Simon, Jahrgang 1950, Diplom-Physiker, trug als Lektor und Herausgeber wesentlich zur Publikation ausländischer Science Fiction in der DDR bei; selbst übersetzt hat er unter anderem Bücher von Arkadi & Boris Strugatzki, Andrzej Sapkowski und Vernor Vinge.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Labyrinth des Schiffs Denke ich heute an das Schiff, so sehe ich die logische Anordnung seiner Sektionen auf den Konstruktionszeichnungen vor mir. Seine Teile fügen sich in ein einziges gigantisches und sinnvolles Aggregat von mathematischer Schönheit mit klaren Linien und einer präzisen Funktionstüchtigkeit. Damals aber, nachdem wir zum erstenmal mit Guro den vertrauten Naturpark verlassen hatten, war es für mich ein fremdartiges, unverständliches, aber überwältigendes Chaos von seltsamen Geräten, Türen, die Geheimnisse verbargen, und Symbolen, die ich zwar lesen gelernt hatte, die mir aber doch nichts sagten. Wie hätte ich da widerstehen können? Bei der ersten Gelegenheit warf ich Früchte in einen Beutel und ein paar Fladen dazu. An Kleidung dachte ich nicht. Eine Sekunde zögerte ich. Sollte ich ein Geschwister mitnehmen? Delth nicht. Und Alfa würde es nicht interessieren. Vielleicht Gamma? Nein, ich wollte allein sein! Einmal ausschließlich auf mich selbst gestellt, etwas Neues erkunden, den anderen eine Erfahrung voraus sein. Ich vergewisserte mich, daß mir niemand folgte, schlich dann zur Tür im Felsen. Sie öffnete sich. Ich holte tief Luft und schritt in den Korridor, den ich schon kannte. Die Stimme Guros, deren sich der Schiffscomputer bediente, fragte: »Beth, wohin willst du? Wohin kann ich dich leiten?« Ich blickte nach links und nach rechts, in beiden Richtungen stieg der Korridor ganz allmählich an. »Es ist gleich«, antwortete ich, »ich brauche deine Hilfe nicht.« Ich entschied mich für rechts und schritt zügig aus. Bog dann in den erstbesten Quergang ein, er war nicht gekrümmt. So hätte ich sehr weit sehen können; doch nur in dem Gangsegment, in dem ich mich gerade befand, strahlten die langen Leuchtflächen in mildem gelblichem Ton. Ich lief auf das vor mir befindliche Dunkel zu, ohne es zu erreichen, das Licht eilte mir voraus. In regelmäßigen Abständen kreuzten Korridore den Gang, Reihen von Türen unterbrachen die Monotonie der pastellgelben Wände, sie waren mattoliv und mattkarmin, mattkobaltblau und mattsiena. Weiße, selbstleuchtende Buchstaben verkündeten: 4384 TRAKT RB 6, 4382 TRAKT RB 6. Alle hundert Schritt lief ein zehn Zentimeter breites schwarzes Band um den Gang, hier konnten ihn, wie ich später lernte, Schotte versperren. Stahlgraue Intercomgeräte hingen zu beiden Seiten des Bandes. Ich wußte schon, wie man sie bedient, der kleine Bildschirm konnte mir die Geschwister zeigen oder auch Karten der Schiffsarchitektur. Doch ich wollte mich allein zurechtfinden. In den Dreitausendern wurde mir der Gang zu langweilig. Da eine Glastür! TREPPE las ich. Auf meine bloße Annäherung hin glitt die Tür lautlos noch oben. Eine Flut von Licht mit vielen stumpfen Reflexen flammte auf. Ich stand am Rand einer gigantischen, nach oben und unten führenden Röhre. Die größten Bäume des Naturparks hätten spielend hineingepaßt. Etwa anderthalb Meter ragten die zerbrechlich wirkenden gläsernen Stufen von drei je um ein Drittel des Runds versetzten Treppen in sie hinein. Nach oben setzte sich die Röhre nur um drei Windungen fort. Doch nach unten! Ich hielt mich an dem blauglänzenden und sehr weichen, elastischen Geländer fest und schaute hinab. Zählte ein Dutzend Windungen bis zum Grund. Die Treppe gab unter meinen Schritten leicht nach, federte zurück. Fasziniert begann ich den Abstieg. Bedächtig legte ich die erste Runde zurück. Dann lief ich schneller, immer schneller, bis sich alles um mich drehte. Plötzlich wäre ich fast gestürzt: Die Treppe lief mit sachtem Schwung aus, endete in einem horizontalen Absatz. War ich am Boden der Röhre angelangt? Schwer atmend lehnte ich mich gegen die Brüstung. Ja und nein. Die Treppen brachen ab, doch die Röhre führte noch ein kurzes Stück weiter und stieß dann auf eine ebenso große, waagerechte Röhre, die wie ein großer dunkler Tunnel wirkte. Ich konnte ein wenig in sie hineinschauen und staunte: Auch diese Röhren umrundeten Treppen – unsinnigerweise; niemand hätte auf ihnen gehen können. Ich zog einen Fladen heraus, kaute an ihm und starrte auf die seltsamen Treppen. Sie erschienen mir so verrückt, daß ich selbst von Guro keine Erklärung erwartete. Erst Jahre später erfuhr ich, daß während der Konstruktion des Schiffs durch diese Röhren riesige Geräte im schwerefreien Flug an ihren Bestimmungsplatz manövriert worden waren. Mich fröstelte. Meinen bloßen Körper überzog eine Gänsehaut. Durch eine Doppeltür gelangte ich in einen winzigen Raum. Die mir gegenüberliegende Wand wölbte sich nach innen. Sie klaffte auseinander und gab den Blick auf eine Kuppel mit acht Sesseln frei. Kaum hatte ich mich in einen der beiden vorderen gesetzt, schloß sich die Wand wieder. Bildschirme leuchteten auf, zeigten verworrene Diagramme, Symbole, lange Texte, die ich nicht verstand. Und gleichzeitig fragte Guro: »Wohin willst du, Beth?« Seine Stimme erschreckte mich, ich stammelte: »Weiß nicht.« Da preßte mich eine unsichtbare Kraft sekundenlang in den Sessel. Ich wollte »Halt!« schreien, doch ich brachte kein Wort heraus. Auf dem Bildschirm wanderte ein hellroter Punkt langsam durch das Diagramm. Als der Druck nachließ, stand ich auf, ging zu der Stelle, durch die ich hereingetreten war. Nichts öffnete sich. Ich klopfte, zuerst nur zaghaft, dann schlug ich mit den Fäusten gegen den glatten, weichen Kunststoff. Ich war gefangen. Von Guro festgesetzt. »Eh, was soll das?« schimpfte ich. Ein sachter Ruck ließ mich nach rechts taumeln, dann nach links. »Du setzt dich besser«, sagte Guros Stimme. Trotzig blieb ich stehen. Plötzlich warf mich die unsichtbare Kraft zu Boden. Starr vor Schreck, lag ich da. Nach einigen Sekunden verschwand der Andruck, und wie zum Hohn öffnete sich die Wand. Ich rieb mir das Gesäß, schwang meinen Beutel über die Schulter und verließ den heimtückischen Raum – einen Lift. Schotte, Glastüren, weite Tore, das Licht begleitete mich. Schilder, Türaufschriften: PHYS.–LAB. 11, REGENERATORTRAKT, TRANSFORMER … Langsam wurden mir die Füße schwer. Ich befand mich in einer riesigen Halle, nur den kleinsten Teil davon konnte ich überschauen. Überdimensionalen Bauklötzen gleich waren hier Container gestapelt. Große Netze aus dicken roten Trossen umspannten sie und teilten die Halle. Ich wollte einen Container öffnen, doch vergeblich kratzte ich an seiner matten Oberfläche. Enttäuscht setzte ich mich und aß. Der Fußboden, der Container, gegen den ich mich lehnte, alles fühlte sich kühl an. Eine unnatürliche Stille herrschte hier. Und ich war einsam, ein winziges Insekt im weiten Schiff. Ich schluckte, dann sagte ich vorsichtig: »Hallo.« Nicht einmal ein Echo erklang. Ich wiederholte den Ruf, nun schon lauter. Alles blieb still. Ich erhob mich und schrie aus Leibeskräften: »Haaallooo!« Der Schrei versickerte in der Weite. Doch gleich darauf leuchtete neben dem Tor, durch das ich die Halle betreten hatte, ein kleiner Bildschirm rot auf, und über die geringe Distanz konnte ich Guros Stimme vernehmen: »Suchst du jemanden, Beth? Benötigst du etwas, Beth?« »Nein, danke!« Meine Stimme überschlug sich. Das Rot erlosch, und ich verließ die ungastliche Halle. Türen, Schächte, Korridore, Lifts, Gänge, Treppen, Tore, Hallen. Gekrümmte Korridore und gerade verlaufende. Ein toter Gang. An seinen Seiten standen seltsame schlaffe Figuren, der Form nach Menschen, doch silbern. Ich ergriff ihre Arme, schaute in die leeren Helme, erwartete eine Bewegung, doch nichts geschah. Einen löste ich aus seiner Halterung, die richtigen Handgriffe fand ich schnell. Er fiel auf mich, mit Armen und Beinen schlenkernd. Entsetzt befreite ich mich von ihm. Er blieb liegen, ein lebloses Bündel, dessen unmenschlich verkrümmte Gliedmaßen mir zu drohen schienen. Vorsichtig schlich ich zurück. Da! Ein sanftes Surren. Aus der Dunkelheit tauchte ein bedrohlich bizarres Gefährt auf. Ein Serviceroboter mit erhobenen Zangen. Schreckensstarr drückte ich mich ganz eng an die Wand, dann war er vorbei, und ich atmete auf. Erschöpft und zerschlagen – wie nach der längsten Wanderung durch den Naturpark – suchte ich mir einen Liegeplatz, öffnete Türen aufs Geratewohl und sah in die Räume dahinter: Manche wurden von riesigen Apparaturen ausgefüllt, verschlungenen Glasgeräten, Instrumenten in faltigen Umhüllungen. Dann entdeckte ich einen Sessel, ich kannte nur noch einen Wunsch, ich setzte mich auf ihn, zog dann meine Füße an, drehte mich zur Seite, rollte mich ganz zusammen, mit der Linken meinen Beutel umklammernd. Frierend schlief ich ein. Als ich erwachte, wärmte mich eine Decke. Unwillig schob ich sie zur Seite, stand auf, meine Glieder waren noch starr, ich verspürte große Lust nach einem schnellen Bad, aß einen Fladen und zwei Äpfel. Auf dem Pult vor dem Nachbarsessel strahlte eine kleine Tafel grün: FÄHREN EINSATZBEREIT. Das Pult reichte mir bis zur Brust. Ich drückte wahllos auf die Knöpfe, ein Summen ertönte, Lichter flammten auf, über ein Gerät zu meiner Linken liefen lange bunte Symbolreihen. Schlagartig schien die Frontwand verschwunden zu sein, ich sah hinab in eine Halle, die größer noch war als die, die ich am Vortag erkundet hatte. In ihr standen riesige metallene Käfer in langen Reihen. Doch sosehr ich auch schaltete, nichts geschah dort unten. Als ob mir das richtige Wort fehlen würde, als ob ich den entscheidenden Knopf...