E-Book, Deutsch, 384 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 205 mm
Reihe: Memoranda
Steinmüller Pulaster
Neuausgabe 2021
ISBN: 978-3-948616-49-6
Verlag: Memoranda
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman eines Planeten
E-Book, Deutsch, 384 Seiten, Format (B × H): 130 mm x 205 mm
Reihe: Memoranda
ISBN: 978-3-948616-49-6
Verlag: Memoranda
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mit Raumschiffen, die fast halbe Lichtgeschwindigkeit erreichen, hat sich eine interstellare Flotte der Menschen etabliert, die sowohl im Sonnensystem als auch bei anderen Sternen Stützpunkte unterhält. Einer davon befindet sich auf dem Sumpfplaneten Pulaster, wo die Hreng leben, vernunftbegabte Saurier in einer steinzeitlichen Gesellschaft.
Fabius Grosser wollte auf Pulaster eigentlich nur kurz Zwischenstation machen, muss aber wegen einer seltenen Erkrankung bleiben, wahrscheinlich für immer – eine entsetzliche Aussicht für den Flottenmechaniker, der es gewohnt ist, im Kälteschlaf Lichtjahre und Jahrhunderte zu überspringen. Bald schon verwickeln ihn das Fortschrittsstreben der Menschen und der Beharrungswille der Hreng in Konflikte, die ihn dem Planeten und seinen Ureinwohnern näher bringen, als ihm lieb ist.
»Pulaster« gehört zum Zyklus um das Steinmüller-Universum und wurde mit dem Preis »Traumfabrikant« als bester DDR-SF-Roman der Jahre 1986 und ’87 ausgezeichnet. 2008 von den Steinmüllers für ihre Werkausgabe überarbeitet, erscheint der Roman nunmehr mit sechs ihn umrahmenden Anhängen, von denen zwei – eine Chronologie und ein Nachwort der Autoren – hier erstmals veröffentlicht werden.
Autoren/Hrsg.
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Der Liebesschuß der Tirambia Als ein unverrückbares Wahrzeichen der Menschenmacht thronte die Pyramide über Dschungel und Sumpf. Sie beherbergte alles, was für die Flotte und ihr Personal wichtig war: Leitungsbüros und Kantine, das Nachrichtenzentrum und Freizeiträume. Fabius bezog vorerst ein Gästeappartement in der sechsten Etage. Er fühlte sich zerschlagen von der Pulasterschwere und übersättigt von all den neuen Eindrücken, zugleich aber war er zu aufgeregt, um sich gleich von seinem Deltawellen-Stimulator in Schlaf versetzen zu lassen. Also ließ er sich auf der Terrasse, die eine ganze Seite der Pyramide einnahm, den kühlen Wind um den Kopf blasen. Der Regen, zum Glück, hatte aufgehört. Die Luft quoll über von unbekannten Gerüchen, und neben einer ekelhaften, säuerlich-rauhen Komponente wehte ein Duft wie von betäubenden Blumen oder einem der maßgeschneiderten Parfüms aus dem 27. Jahrhundert heran. Die Atmosphäre sei biologisch unschädlich und chemisch inaktiv, hatten ihm die Raumdienstler in der Orbitalstation versichert. Den vorherrschenden Gestank hatten sie verschwiegen. Flottenangehörige haben keine Nase. Mit beiden Händen stützte er sich auf die Stahlrohrbrüstung, die die Terrasse umgab. Was sollte aus ihm werden? Er war »transitunfähig« geschrieben. Nach den Regeln der Flotte konnte er sich zur Ruhe setzen – mit gerade einmal 35 Biojahren – und dann auch noch auf dem sumpfigsten Planeten im ganzen Universum! Ein Flug mehr, und die Erdsonne hätte für ihn geleuchtet! Ruhestand auf Pulaster, das verhieß Langeweile bis zum Tod. Aber er sollte sich nichts vormachen. Für die Flotte war er bereits gestorben. Ein Eintagsmensch. Auf einem Planeten gescheitert. Dennoch mußte er sich eine Beschäftigung suchen. Aber brauchte man auf einem Planeten Antriebstechniker? Also hieß es umlernen. Wahrscheinlich auf Saurierkunde, was sonst … Einen Lichtblick gab es: Mit dem nächsten Schiff kam Iris. Er schloß die Augen und schwelgte einen Moment in Erinnerungen. Das abgedunkelte Planetarium der Flottenakademie, monoton säuselte der Lehrroboter (ebenfalls in bestem Retro-Design) von nahen Doppelsternen und den verschlungenen Bahnen ihrer Planeten. Auch seine Hände folgten verschlungenen Bahnen, als sie nach Iris tasteten. Mit keinem Laut durften sie sich den anderen verraten, was den Reiz noch erhöhte … Sex unter freiem künstlichen Sternenhimmel … Mein Gott, war er damals in Iris verknallt gewesen! Dann, nach der Akademie, hatten sich ihre Wege getrennt. Aber über all die Zeit, trotz Parsecs Distanz war sie seine Vertraute geblieben. Das lag nicht zuletzt daran, daß sie beide aus Kokkygia stammten, der Zylinderwelt, die einst um die Erde gekreist war. – Mit Iris konnte er seine Situation besprechen. Sie allein verstand ihn. Zuvor aber wollte und sollte er sich mit Pulaster anfreunden. Der Planet hatte doch gewiß auch seine Reize. Den grau verhangenen Himmel etwa mußte man ja nicht unbedingt düster und trist nennen, schließlich schützte er Tiere und Pflanzen vor der angeblich zu gleißenden Sonne (die man nur nie zu Gesicht bekam), und der Nebel, der in schweren Schwaden über die flachen Dächer der Siedlung wallte, verhinderte wenigstens, daß sich der Urwaldlärm zu sehr ausbreitete. Still und träge floß ein breiter, nebelverschleierter Strom dem Meer zu. Wenn man nur richtig hinschaute, dann wehrten am nahen Hafen die Kräne mit ihren Auslegern die herandräuenden Dunstmassen majestätisch und reglos ab, und daneben am Kai träumten zwei grünbewachsene Speicherbaracken mit geschlossenen Toren davon, daß Sumpfröschen erlöst würde. – Was für einen Unsinn malte er sich da aus! Er war schlicht zu lebenslang schlechtem Wetter verurteilt … Er riß sich zusammen. Morgen war er zum Administrator bestellt. Nicht einmal einen Tag Eingewöhnung gönnte man ihm. Dabei hatte es hier doch niemand eilig. Schlußfolgerung: Er sollte überrumpelt werden. Aber zu welchem Zweck? Merkwürdig, sehr merkwürdig. Die nächsttiefere Terrasse war leer bis auf einige verkrautete Blumenbänke. Doch an der Wand, direkt unterhalb der Kante, kroch ein dunkler, schwabbliger Fleck empor, ein schneckenhafter Fassadenkletterer, der sich endlich über die Kante schob und schleimig quellend mit der Eroberung der Ebene begann. In diesem Moment rissen die den Horizont verhüllenden Wolken sekundenlang auf, und ein paar dünne rötliche Sonnenstrahlen streiften über die ihnen nur selten zugängliche nasse Welt. Wie in einem stroboskopischen Foto erstarrte alles Leben. Die wenigen Hreng in den Straßen hielten inne, die Menschen breiteten die Arme aus, plumpe Vögel, eben noch zielstrebig geradeaus gleitend, stürzten wie Steine herab. Ein dumpfes Trommeln dröhnte aus dem Dschungel. Reflexe tanzten auf der glitschigweißen Haut des Weichtieres. Blaue und smaragdgrüne Organe zuckten in dem milchigen Inneren. Härchen umflimmerten die Basis. Zwei Handbreit vor Fabius’ Fuß schleimte das lebende Gallert unbeirrt schmatzend auf dem Steinboden entlang. War es nur das soeben wieder abgeschnittene Sonnenlicht, das dieses Tier so rot pulsieren ließ? Das Wesen klumpte zu einer grauen Kugel zusammen und katapultierte heimtückisch blitzschnell ein schwarzes Geschoß aus seinen Eingeweiden. Vor Schreck und Schmerz schrie Fabius auf. Er hüpfte in sichere Distanz, umfaßte das getroffene Bein. Dann lehnte er sich keuchend an die Glaswand des Appartements und befühlte die Wunde im Unterschenkel. Vergiftung, Wundinfekt, was war nicht alles möglich! Das Geschoß saß wie festgewachsen. Verbissen zerrte er an dem Stachel. Schwere Schritte näherten sich. Dreizehige Krallenfüße gerieten in sein Blickfeld, darüber plumpe, warzenbedeckte Hinterextremitäten, ein Flottenoverall: das Hreng Primus aus dem Weltraum. »Welch staunenswürdiger Vorfall! – Eine Tirambia iaculans!« tönte mitleidlos der Kommunikator. Das Hreng beugte sich gelenkig nieder, um die Verletzung zu mustern. Sein Schwanz schlängelte sich wie ein separates Lebewesen auf Fabius zu. Dann grapschten die klobigen, hornigen Klauen nach der Wunde. Fabius hielt die Luft an und kniff die Augen zu. Ein scharfer, stechender Schmerz. Das Hreng richtete sich zu voller Größe auf und reichte ihm das Geschoß herunter, das einem in Teer getauchten Bleistiftstummel ähnelte. Harte Grannen, Widerhaken liefen von der Spitze nach hinten. Zaghaft und seiner Formulierungen nicht sicher, murmelte Fabius einige gedrechselte Dankesworte. »Was gibt’s, Gabriell?« erklang eine helle Stimme von dem Appartement her, das das Hreng soeben verlassen haben mußte. Ein jugendlicher Mann in einem sahneweißen Anzug trat durch die Tür. Feiner Duft aromatischer Essenzen strömte von ihm aus. Dieser Mann hatte eindeutig nie in der Flotte gedient. Denn da waren Geruchsbelästigungen verpönt. »Oh, darf ich mich vorstellen? Lich Oulemm, dreißigstes.« Sowie er lächelte, blitzten Synthesebrillanten an den Ohrläppchen auf. »O je, was ist dir denn widerfahren? Bist du nicht heute erst gelandet? Ich bring dich zum Arzt. Kannst du gehen? Stütz dich doch auf mich.« Fabius zog es vor, tapfer zu humpeln. Oulemm, aber auch das Hreng Primus mühten sich nach Kräften um ihn. Das Hreng trapste voraus, schuf allein durch seinen wuchtigen Leib Platz, wenn ihnen in einem Gang Menschen entgegenkamen, hielt die Lifttüren mit seinen Pranken offen, marschierte, ohne nach links oder rechts zu schauen, durch das Vorzimmer des Medpunktes – und dann lag Fabius schon halb benommen auf der Behandlungsliege, die Instrumente kreisten über seinem Bein, säuberten die Wunde. Er nahm kaum wahr, daß Oulemm ihm wie einem Schwerverletzten die Hand tätschelte. Und während sich die Wunde unter der Wirkung der Stoffwechselstimulantien allmählich schloß und Fabius fühlte, wie sich alle Kraft seines Körpers auf die winzige Stelle konzentrierte, überschüttete ihn der Kommunikator des Hreng mit Erklärungen. Daß die Tirambiae, wenn man ihre Eigenart berücksichtigte, völlig harmlos seien, daß sie ihre Eier in lebendes Gewebe deponierten, daß die geschlüpften Larven den Wirt von innen auffräßen, daß die Samenkapsel der Tirambia allgemein als »Liebespfeil« bezeichnet werde, dies jedoch auf einer Fehldeutung eines Wortes aus der Berghrengsprache beruhe. Fabius wartete darauf, daß ihm endlich schwarz vor Augen würde; statt dessen kehrten seine Kräfte zurück. »Man sollte jeden Neuankömmling vor diesen Bestien warnen!« beschwerte er sich, als sie sich auf den Rückweg machten. Oulemm schaute ihn erstaunt an: »Hast du nicht Alles über Pulaster gelesen?« Als sie wieder oben anlangten, war die Tirambia davongerutscht. Das Hreng postierte sich an der Brüstung und verschränkte die Pranken ineinander – für Menschen in Kopfhöhe. Starr wie ein Plastiksaurier stierte es in die Dämmerung. Oulemm brach das Schweigen. »Hast du dich mit Gabriell schon bekannt gemacht, Fabius? Genauer Gab-hriell, Flottenname Primus. Müßte eigentlich Primum heißen … Wir haben uns bereits angefreundet, bevor Gabriell in der Orbitalstation ausgebildet wurde«, plauderte Oulemm voller Überschwang fort. »Den meisten Menschen fällt es schwer, mit den Hrengeng engere Bande zu knüpfen. Ich aber habe den Ehrgeiz, sie ein wenig zu studieren.« Die Brillanten strahlten. »Lich beliebt, meinen Wert als Studienobjekt zu überschätzen.« Das Hreng Primus, genauer Primum, oder Gabriell, genauer Gab-hriell, zuckte mit keinem Muskel. Das Drachenmaul – oder sollte man bei einem vernunftbegabten Lebewesen Mund sagen? – blieb, während es pfiff, halb geschlossen. »Ohne ihm widersprechen zu wollen,...