Steinwendtner | Du Engel Du Teufel | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Steinwendtner Du Engel Du Teufel

Emmy Haesele und Alfred Kubin - eine Liebesgeschichte
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-7099-7754-5
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Emmy Haesele und Alfred Kubin - eine Liebesgeschichte

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-7099-7754-5
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Geschichte einer großen, einer ungleichen Liebe: Alfred Kubin, der bedeutende Zeichner und Autor des Romans Die andere Seite, und Emmy Haesele, die Frau eines Landarztes, die durch Kubin zur Künstlerin wurde. Während für den Frauenhelden Kubin Haesele nur eine von vielen Geliebten war - die leidenschaftliche Liaison dauerte kaum drei Jahre -, veränderte für sie die Begegnung ihr ganzes Leben. Obwohl sie an dieser Beziehung, an allen späteren Zurückweisungen, fast zugrundeging, hat sie ihre Liebe über alle persönlichen Katastrophen hinweg bis zum Tod bewahrt. Brita Steinwendtner erzählt die Lebensgeschichte dieser ungewöhnlichen Frau als packendes Zeitdokument des kriegserfüllten und schicksalbildenden 20. Jahrhunderts als detailgetreue Biographie, die einen anderen Blick auf Alfred Kubin wirft, und als poetische Erzählung, die das Abenteuer einer bedingungslosen Liebe in Glück und Erniedrigung, Erfüllung und Erinnerung nachzeichnet.

Brita Steinwendtner, geboren 1942 in Wels, Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie in Wien und Paris. Freie Mitarbeiterin des ORF und anderer Rundfunkanstalten. Bis 2012 Leiterin der Rauriser Literaturtage. Lebt als Autorin, Regisseurin und Feuilletonistin in Salzburg. Bei Haymon erschienen: 'Rote Lackn'. Roman (1999), 'Im Bernstein'. Roman (2005), 'Jeder Ort hat seinen Traum'. Dichterlandschaften (2007), 'Du Engel Du Teufel'. Emmy Haesele und Alfred Kubin - eine Liebesgeschichte (2009), 'Mittagsvorsatz. Noon Resolution' Gedichte. Poems (2011).
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EINS


1

Drüben.

Ja, dort.

Das Grummet war geschnitten.

Heißer Mittag, Sommerende. Laut der letzten Grillen. Er schwoll an und ab, drängend und durchdringend, und es war ihr ein Zeichen. Wespen über dem Fallobst, süße Fäulnis der Mostbirnen. Kolbenschlagen eines Traktors im Wald. Über den Hügelkuppen flimmerte die Luft.

Ihr Rücken schmerzte. Die Rinde der Eiche jenseits auf dem Hügel grub sich in die Haut. Sie verscheuchte die Ameisen von den Schuhen und zog den Rock bis zu den Knöcheln. Nahm den Feldstecher wieder auf. Schaute hinüber. Dorthin. Stützte die Arme auf die Knie, um dem Zittern Halt zu geben. Im Hals spürte sie den Herzschlag. Sie stand auf, ging um den Baum, verließ aber seinen Schatten nicht. Setzte sich wieder hin, blieb reglos. Schaute. Drüben blieb alles still.

Die Sonne neigte sich.

Im ersten Stock hatte die Hausfront fünf Fenster. Die Sicht war fast zur Gänze verdeckt durch die großen Bäume, die um den Tümpel standen, aber sie wußte, daß es fünf waren und welche zur Bibliothek gehörten, welche zum kleinen Salon und welche zu seinem Arbeitszimmer. Sie wußte, wo der Schreibtisch stand, der Zeichentisch mit den alten Katasterpapieren, den Bleistiften, Federn, Pinseln, Linealen, Tinten-, Tusche- und Wassergläsern, den Schnüren, Blechschachteln, Federmessern, Zeitungen, toten Käfern, Briefen, den vielen Briefen. Wie die hellen Weichholzschränke aussahen mit den Fächern für die fertigen Blätter, hunderte, tausende. Sie wußte noch immer, welche er ihr beim ersten Mal gezeigt hatte, damals, im Mai einer anderen Zeit. Und später neue und wieder neue in den zweieinhalb Jahren, die alles waren.

Kein Schimmelhengst sprang in das Bild.

Sie stand auf und barg den Feldstecher im Lederfutteral.

Trank vom Holundersaft.

Sie war leer und müde.

In weitem Bogen ging sie über die Wiesen.

Die Hügel hinauf, die Hügel hinunter.

Den Waldrand entlang, durch die Gräben.

Mied die Straßen und Wege.

Ging und schlich, beharrlich und hoffnungslos.

Wut in ihrem Gesicht, Scham.

Und etwas Verzehrendes, das sich sanft ergab.

Mittelpunkt ihres Umkreisens war das hellgrüngraue Landschlößchen mit den weißen Fenstereinrahmungen und dem hölzernen Glockenturm auf dem Giebel als Wahrzeichen, waren der Garten davor und das Gehege für die Hühner dahinter, der Kiesweg, das Lusthaus, der Teich. Das eine Zimmer, das große, helle, über dessen Doppelbett Alexej Jawlenskys Portrait der anderen hing.

Ja, dort.

Drüben war niemand zu sehen.

Das Haustor blieb geschlossen.

Als die Sonne sank, wurde es kühl.

Das Zirpen der Grillen schwoll panisch an.

Sie hatte auf ihn zugelebt, lange, bevor sie ihn kannte.

Und als es zu Ende war, war es nicht zu Ende.

Um neun Uhr siebzehn ging ihr Zug.

2

Es war die Angst, schrieb sie später in ihren „Lebenserinnerungen“, die sie mit 51 Jahren in einer Gefängniszelle beginnen wird. Angst und das Gefühl von Einsamkeit, von Fremdsein. Es hätte eine glückliche Kindheit sein können, vielleicht war sie es auch, und das Dunkle war nur, was sich mit den Jahren in den Vordergrund drängte und entfaltete.

Unser Gedächtnis ist ein launenhafter, flüchtiger Kumpan.

Sie waren vier Geschwister, sie war die zweite, alle ge-liebt und umhegt. Wien, auf der Wieden, vierter Gemeindebezirk. Heumühlgasse, unweit der Stadtbahn und des damals noch nicht regulierten Wienflusses, der einst viele Mühlen angetrieben hatte, wovon die Namen heute noch zeugen: Mühlgasse, Schleifmühlgasse, Heumühlgasse. Eine gediegene, gute Gegend, aristokratisch urspünglich mit den Sommerresidenzen der Adeligen, jetzt bürgerlich und geschäftig. Die ersten Spitäler der Stadt waren hier gebaut worden, Brauereien und ausladende Gasthöfe an den Fernstraßen in den Süden. Nahe dem Starhemberg’schen Freihaus, in dem um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert an die tausend Menschen zur Miete wohnten, war einst das Schikanedertheater gestanden und das Häuschen, in dem Mozart seine „Zauberflöte“ komponiert haben soll. In der Mühlgasse war immer noch der kaiserlich-königliche Hof- & Kammer-Clavierfabrikant Friedrich Ehrbar ansässig und daneben das Konservatorium für Musik und Dramatische Kunst. Blühende Akazienalleen im Frühling.

Am 8. Juli 1894 kam Emmy Haesele im nahen Mödling, wo sich die Familie in den Sommerwochen aufhielt, zur Welt. Es war noch das Mödling der besungenen lieblichen Gegend, die schon Schubert angezogen hatte und Beethoven, Raimund, Hofmannsthal und Schnitzler, und die das bevorzugte Ausflugsziel vieler Wiener war, wenn sie abends oder sonntags hinausfuhren in ihren Kaleschen oder zu Fuß wanderten, den Bächen entlang, unter Föhren und Buchen, Lachen und Singen. Es war das Jahr, in dem der französisch-russische Zweibund geschlossen wurde, in Paris die Dreyfus-Affäre ihren Anfang nahm und in dem Anton Bruckner an seiner letzten, der 9. Symphonie, arbeitete.

Das erste Bild, das Emmy in sich trägt, ist das Bild einer Doppelperspektive: sie sieht sich auf dem Arm ihrer Iglauer Amme, das große Eingangstor des Hofes steht halb offen, die Amme zeigt auf das tobende Wasser des Mödlingbaches, der vor dem Haus vorbeifließt, und das Kind hört das mit Schrecken ausgerufene Wort: Überschwemmung! Und später wundert sie sich, wie es möglich war, sich selbst von außen zu sehen, als ob sie eine dritte Person wäre, währenddessen sie doch selbst auf dem Arm der Amme war.

Bilder, die blieben: das wilde Reich des Mödlinger Gartens, dessen Wiese sich zunächst sanft, dann immer steiler die Hänge des Frauensteins hinaufzieht. Ein Gartenhäuschen, das voll von Gerümpel und Geräten ist, die Fenster haben dunkelrotes Glas, manche Jalousien sind geschlossen. Spinnweb und Staub. Eine schwarze Katze flüchtet. Unter dem Tisch zwei große, fremde Augen, die sie bedrohlich anstarren. Nachtpfauenauge des Entsetzens.

Und anderntags mit Rudi, dem größeren Bruder, noch weiter hinauf in diesen ersten Garten ihrer Kindheitssommer. Dichte Gebüschhecke, eiserne Gitterpforte, schmale Brücke. Unheimliche, rumpelnde Geräusche kommen aus der Tiefe, kommen näher, grauenerregende Dämonen scheinen nach ihr zu greifen. Die Dampftramway rollt immer noch durch ihr Gedächtnis. Oder die Drachenbahn im Prater, deren unheimlichste Szene der „Kampf auf dem Meeresgrund“ ist, in der ein Taucher mit einem Messer auf ein Ungeheuer einsticht, aussichtslos scheinbar, denn er sticht und sticht noch immer zu, während die Bahn weiterfährt. Unterwasserlandschaften werden die Themen ihrer ersten Bilder sein, als sie Jahrzehnte später zu zeichnen beginnt.

Sommer war auch Pörtschach. Es war das lichte Land mit Großvater, dem Fabrikanten der berühmten Geburth-Öfen, und Tante Anna, die das Kind umsorgte mit einer Innigkeit, die es von zu Hause her nicht kannte. Auf den Fotografien ist sie ein drei-, vierjähriges Mädchen, kurzer, dunkler Pagenkopf, weißes Spitzenkleidchen, lachend. See und Sonne. Der Großvater, schon über siebzig, nimmt Stunden im Bicycle-Club, die Männer fahren auf einem eingezäunten Platz im Kreis auf ihren hohen Rädern, manche auf Tandems. Vor dem Aufsteigen hüpfen sie lange Zeit auf einem Bein neben dem Rad.

Das Kind beobachtet genau. Der Hausbesorger in Pörtschach heißt Franz Haas, er hat ein Flinserl im linken Ohrläppchen, wie Herr Kirchschlager, der Hausmeister in der Wiener Heumühlgasse. Beide riechen sie nach Schweiß, beide haben einen gönnerhaften, teils respektvollen Ton im Umgang mit den Kindern. Sie sind handwerkskundige Männer, und wenn Franz frühmorgens die Gartenwege recht, erzählt er, wie viele Hechte Großpapa heute schon gefangen hat. Beim Fischkasten unten am See späht sie durch die Löcher im Holz, grausige Bartwürmer eines großen, schwarzen Wallers.

Sie fängt selbst Fischlein und wirft sie wieder ins Wasser, sie sollen leben. Eines löst sich nicht mehr vom Angelhaken, es blutet aus dem stummen Maul und stirbt. Die Erinnerung daran bleibt ihr als Schuld, getötet zu haben, und das Wort Mörderin prägt sich ihr ein.

Einmal fährt Emmy mit Großpapa und Tante Anna nach Triest. Reserviertes Halbcoupé I. Klasse, das eigens aufgesperrt wird, weiße Spitzenüberzüge auf den roten Samtkissen. So nobel reist Mama nie mit den vier Kindern. Mittags werden aus einer großen, roten Ledertasche Köstlichkeiten ausgepackt, gebratenes Huhn, Semmeln, eine Flasche Rotwein. Silberne Reisebecher, die man ineinanderschieben kann. Das Hotel in Triest liegt am Pier, am Hafen einer Monarchie, deren Fassade immer noch glänzt. Handelsschiffe, Kräne, Lastenträger, Passagierdampfer, Segelboote. Sie steht am Fenster, aufregendes Leben. Aber da hört sie ein durchdringendes Jaulen und Heulen – in einem am Quai vertauten Boot schlägt ein Bursche auf einen jungen Bernhardinerhund ein, prügelt blindlings und wütend, sie schreit, weint, der Großvater schickt einen Hotelangestellten hinunter zum Schiff. Die Vision dieser Szene überfällt sie immer wieder, und sie muß die Qual der Kreatur ohnmächtig mitfühlen. Wenn Großpapa mir damals diesen kleinen Hund gekauft und geschenkt hätte, wäre mir viel einsames Leid erspart geblieben, aber ich weiß, daß dieser kleine Hund ebenso in mein Schicksal hineinverwoben ist wie alles andere Leid, das Gott für mich ausersehen hatte.

Die Wohnung im ersten Stock in der Heumühlgasse Nr. 3 ist groß und dunkel. Sieben Zimmer, sechs Nebenzimmer. Im Kreis angeordnet, in der Mitte...


Brita Steinwendtner, geboren 1942 in Wels, Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie in Wien und Paris. Freie Mitarbeiterin des ORF und anderer Rundfunkanstalten. Bis 2012 Leiterin der Rauriser Literaturtage. Lebt als Autorin, Regisseurin und Feuilletonistin in Salzburg. Bei Haymon erschienen: "Rote Lackn". Roman (1999), "Im Bernstein". Roman (2005), "Jeder Ort hat seinen Traum". Dichterlandschaften (2007), "Du Engel Du Teufel". Emmy Haesele und Alfred Kubin - eine Liebesgeschichte (2009), "Mittagsvorsatz. Noon Resolution" Gedichte. Poems (2011).



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