Einleitung
Die Erde 3.0 und der Flaschenhals
Milliarden Jahre in der Zeit und Milliarden Lichtjahre im Raum scheinen eines zu lehren: Nachhaltigkeit ist schwierig und entscheidend, sie ist eine Prüfung und universell. Was ist damit gemeint? Gehen wir Milliarden Jahre in der Zeit zurück und dringen anschließend Milliarden Lichtjahre in den Weltraum vor, findet sich die Antwort.
Sie beginnt mit einer großen, ultrakalten Wasserstoffwolke. In ihrer Nähe explodierte vor etwa fünf Milliarden Jahren ein uns unbekannter Stern. Ohne ihn wären wir nicht hier. Sein Tod ermöglichte neues und schließlich unser Leben: Die Materie, aus der wir größtenteils bestehen, stammt von diesem Stern. Seine Explosion setzte viele chemische Elemente des Periodensystems frei. Sie durchdrangen und reicherten die Wasserstoffwolke an, in der auch schwere Elemente wie Gold oder Blei waberten. Diese entstanden bei einer anderen Explosion, ausgelöst durch eine Kollision zweier Neutronensterne.
Eine Region in dieser Wolke zog sich durch die Schwerkraft zusammen. Das sich verdichtende Gas heizte sich auf, wie sich Luft in der Luftpumpe erwärmt, wenn sie zusammengedrückt wird. Die Hitze in der Wolke wurde schließlich so groß und die Atombewegungen so schnell, dass eine Kernfusion zündete: Wasserstoffatome verschmolzen miteinander zu Helium, und dabei wurde Energie frei. Das war die Geburt der Sonne. Aus sich ineinander verhakenden, miteinander verklumpenden Staubteilchen des übrigen Materials wuchsen kleine Brocken, die weiteren Staub aufnahmen und zu immer größeren Brocken anschwollen, in die weitere Brocken krachten. Nach Millionen von Jahren formierte sich die Erde – eine tosende Hölle, die nur aus brodelnd heißem, flüssigem Gestein bestand. Als ihre Oberfläche abkühlte und Kruste wurde, kollidierte Theia, ein marsgroßer Planet, mit der Erde, und die tosende Hölle der Vorzeit war nur eine Spielwiese im Vergleich mit dem Inferno, das nun folgte.
Die neue Erde
Die spannendste Geschichte der Erde ist die Erde selbst, und in den folgenden vier Milliarden Jahren machte unser Planet drei große Transformationen durch – derart große, dass man von drei verschiedenen Planeten sprechen kann: In ihrer ersten Phase war die Erde wüst und leer. Sie bestand aus geschmolzenem Gestein, das abkühlte und an der Oberfläche fest wurde. Und sie bestand aus Wasser, das in Asteroiden und Kometen enthalten war, die auf der Erde einschlugen, und das dann als Dampf in die Atmosphäre aufstieg und abregnete. Die Erde hatte damals eine Physiosphäre, sie bestand rund eine Milliarde Jahre lang aus nichts als toter Materie. Das war, könnte man sagen, die Erde 1.0.
Diese Materie veränderte sich qualitativ und wurde lebendig: Aus im toten Gestein enthaltenen und vom Wasser gelösten Stoffen entwickelten sich die ersten einzelligen Lebewesen. Langsam füllte sich die Erde mit Kreaturen – zunächst in den Ozeanen, dann an Land. Und obwohl die Kontinente drifteten, sich die Atmosphäre wandelte, Eiszeiten kamen und gingen, Arten entstanden und schwanden und sich das Gesicht der Erde jedes Mal veränderte, lässt sich all dies in das zweite große Kapitel der Erde einordnen: die Erde 2.0. Sie hatte eine Physio- und eine Biosphäre – eine dünne Schicht an der Oberfläche des Planeten, die aus Lebewesen und allem besteht, was sie hinterlassen haben. Eine dieser Hinterlassenschaften ist Erde. Denn Erdboden bildete sich erst mit den Landpflanzen, die als Moose und Flechten den nackten Küstenfels besiedelten. Sie verrotteten Schicht auf Schicht, und daraus wurde fruchtbarer Erdboden, der sich mit den ins Hinterland kriechenden Pflanzen ausbreitete.
Einmal entstanden, blieb die Biosphäre – wenngleich reduziert – sogar erhalten, als sich die Erde zwischenzeitlich im Cryogenium für einige Millionen Jahre in einen Schneeball verwandelte. Rund 3,5 Milliarden Jahre dauerte dieser zweite große Abschnitt der Erdgeschichte. Etwas Gewaltiges musste geschehen, damit er endete.
Es geschah der Mensch. Als Homo erectus hinterließ er noch wenig Spuren, obwohl er lernte, Feuer und Sprache zu gebrauchen, zwei Millionen Jahre lang über große Teile der Erde wanderte und sich dabei an unterschiedliche Ökosysteme anpasste. Homo erectus lebte in Afrika, Asien und Europa. Homo sapiens besiedelte dagegen alle Kontinente mit ihren tropischen und arktischen Regionen, Küsten und Wüsten, Tälern und Gebirgen. Er passte sich aber nicht nur an unterschiedlichste Umwelten an, sondern auch die unterschiedlichsten Umwelten an sich. Diese Doppelleistung unterscheidet ihn von allen anderen Kreaturen der Erde, und schließlich wurden seine Spuren sogar aus dem Weltraum sichtbar. Was ihn vom Homo erectus unterschied und auszeichnete, war ein größeres Hirnvolumen, und aus mehr Gehirn folgte ein größerer planetarer Impact.
Durch sein Gehirn konnte der Mensch nun wissen, dass er weiß; Tiere wissentlich überlisten und zähmen und einsperren und das gefährlichste aller Raubtiere werden; die Erde erkunden und enträtseln; in jeden ihrer Winkel eindringen, Wälder roden und urbar machen, fruchtbare Landschaften in Halbwüsten und Halbwüsten in Wüsten verwandeln, Flüsse stauen, begradigen, vergiften und wieder renaturieren, Städte bauen, verwalten, zerstören und neu erschaffen; Technologie entwickeln und weiterentwickeln, Landschaften mit Burgen, Straßen, Schienen, Telegraphenmasten, Stromtrassen und Windrädern anreichern, tiefe Stollen und lange Tunnel durch Erdkruste und Berge graben, den Meeresboden mit Tausenden Kilometer langen Kabeln bedecken; Unmengen Fische aus den Meeren holen und Unmengen Kunststoffe in die Meere leiten, aus Kunststoffen und anderen Stoffen eine Vielzahl von Artikeln schaffen, die die Anzahl der natürlichen Arten um ein Vielfaches übersteigen. Kurz: Menschen begannen eine neue Erdsystemsphäre zu erschaffen. Neben der Physio- und Biosphäre entwickelte sich nun eine Technosphäre. Mit jeder Sphäre wurde der Planet komplexer, und mit der Entstehung der Technosphäre begann der jüngste, der erstaunlichste und der dritte große Abschnitt der Erdgeschichte – die Erde 3.0. Sie begann sich vor etwa 12.000 Jahren zu formieren. Mit dem Beginn der Landwirtschaftlichen Revolution.
Denn zur Technosphäre zählt all das, was von Menschenhand gemacht wurde und den Planeten überzieht, z.B. Ackerland, Bewässerungskanäle, Höfe, Zuchttiere, Weiden und Almen; Städte und Straßen, Start- und Landebahnen, Steinbrüche, Schuttberge und Mülldeponien; Schiffe, U-Boote, Häfen, Docks, Seemauern, Leuchttürme, Polder, künstliche Inseln, Schiffswracks und versunkene Städte; Bergwerke, U-Bahn-Schächte, Kanalisationen, unterirdische Bunkeranlagen. Die Technosphäre gliedert sich folglich in eine ländliche, eine urbane, eine marine und in eine unterirdische Komponente.
Zur Technosphäre zählen aber auch Dinge wie Tongefäße und Pergamentrollen, Roboter und Supercomputer, Haferkekse und Furzkissen. Die Diversität der Technosphäre ist grandios: »Wenn wir die Technofossilien nach paläontologischen Kriterien klassifizieren, dann übertrifft ihre Vielfalt den heutigen Artenreichtum und geht weit über die Vielfalt der geologischen Fossilien hinaus und könnte sogar die biologische Vielfalt der gesamten Erdgeschichte noch übertreffen.«
1 Selbst Berge zählen zur Technosphäre, wenn sie künstliche sind: Die jüngsten »Berge« der Erdgeschichte sind Halden, die zwar vielerorts aufgeschüttet wurden, in besonderer Dichte jedoch im Ruhrgebiet zu finden sind. Dessen sechzig Halden sind aus aufgeschüttetem Abraumgestein entstanden, das Bergleute aus unterirdischen Kohlestollen an die Erdoberfläche befördert haben. Dieses künstliche »Gebirge« ist mit seinen bis zu 200 Metern hohen Bergen zwar eher niedrig, jedoch haben sie diese Höhe in unnatürlich kurzer Zeit erreicht: Während Gebirge wie die Alpen oder der Himalaja jedes Jahr rund zwei Millimeter emporwachsen und für 200 Meter 200.000 Jahre benötigen, wuchsen die Berge des Ruhrgebiets in nur 200 Jahren, d. h. 1.000-mal schneller, auf dieses Niveau an. Umgekehrt werden natürlich gewachsene Berge in den USA (vor allem im Appalachen-Gebirge) entnatürlicht, indem ihre Gipfel gesprengt und abgetragen werden, um die Kohleflöze im Berg kostengünstig abbauen zu können. Auf diese Weise werden die rund 400 Millionen Jahre alten und durchschnittlich 900 Meter hohen Berge binnen weniger Wochen um bis zu 120 Meter reduziert.
Die Masse aller von Menschen gemachten und genutzten Dinge auf der Welt wiegt schätzungsweise dreißig Billionen Tonnen. Den größten Anteil am Gewicht der Technosphäre haben ihre urbanen Artefakte – und zu ihnen zählen auch die Industrieberge zwischen Duisburg und Dortmund. Den größten Raum nimmt jedoch die ländliche Technosphäre ein. Denn Ackerfläche zählt ebenso zu ihr, wie Forst- und Weideflächen.
Der Planet ist heute ein vollkommen anderer, als er das die vorangegangenen 3,5 Milliarden Jahre war. In diesem unvorstellbaren Zeitraum bestand er aus einer Physio- und einer Biosphäre. Vom Weltraum aus betrachtet, unterschied sich die Erde 2.0 von der Erde 1.0 durch eine weithin sichtbare neue Farbe: Grün. Grün ist die Farbe des Lebens. Die Erde 3.0 unterscheidet sich, vom Weltraum aus betrachtet, dagegen durch neue, künstliche Formen, durch quadratische oder kreisrunde Ackerflächen sowie nachts durch künstliche Lichter, die von Städten, Straßen und Schiffen ausstrahlen. Es sind die Formen und Lichter der Technosphäre.
Seit der Entdeckung der Jebel-Irhoud-Menschen gehen Anthropologen davon aus, dass Menschen, die anatomisch fast wie wir Heutigen aussehen,...