E-Book, Deutsch, 274 Seiten
Stevenson Die Schatzinsel
1. Auflage 2025
ISBN: 978-619-7791-43-3
Verlag: Pretorian Media
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 274 Seiten
ISBN: 978-619-7791-43-3
Verlag: Pretorian Media
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der junge Jim Hawkins stößt auf eine mysteriöse Schatzkarte, die ihn auf eine gefährliche Reise zu einer abgelegenen Insel führt. Gemeinsam mit einer bunt zusammengewürfelten Crew begibt er sich auf die Suche nach dem legendären Piratenschatz. Doch schon bald wird klar, dass nicht jeder an Bord ehrliche Absichten hat und Jim muss sich fragen, wem er wirklich trauen kann. Und dann taucht plötzlich ein geheimnisvoller Fremder auf, der behauptet, den Schlüssel zum Schatz zu besitzen - doch ist er wirklich ein Freund oder ein gefährlicher Feind?
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Kapitel 1: Der alte Seehund im »Admiral Benbow«
Gutsherr Trelawney, Dr. Livesey und die anderen Herren baten mich, unsere Reise zur Schatzinsel vom Anfang bis zum Ende zu schildern und dabei nichts zu verschweigen als die genaue Lage der Insel, und das auch nur, weil es dort noch ungehobene Schätze gibt. So greife ich zur Feder und versetze mich in die Zeit zurück, als mein Vater den Gasthof zum »Admiral Benbow« führte und der braungebrannte alte Seemann mit der Säbelnarbe im Gesicht zum ersten Mal unter unserem Dach Wohnung nahm.
Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, wie der Mann durch die Tür unseres Hauses kam, während ihm seine Seemannskiste auf einem Schiebkarren hinterhergezogen wurde - ein großer, kräftiger, schwerer, haselnussbrauner Mann; sein teeriger Zopf hing ihm über seinen fleckigen blauen Rock im Nacken herab; seine Hände waren schwielig und rissig mit abgebrochenen schwarzen Fingernägeln, und die Säbelnarbe, die sich über eine Wange hinzog, war von schmutzigweißer Farbe. Er sah sich in der Schankstube um und pfiff, dann stimmte er das alte Schifferlied an, das er später so oft sang:
Fünfzehn Mann bei des Toten Kist' -
Johoho, und 'ne Buddel, Buddel Rum!
mit dieser zitternden, hohen Stimme, die sich anhörte, als würde eine Ankerwinde gedreht. Dann schlug er mit einem Knüppel, so dick wie eine Handspeiche, gegen die Tür, und als mein Vater erschien, verlangte er barsch ein Glas Rum. Als man es ihm brachte, trank er es langsam aus, wie ein Kenner, mit der Zunge den Geschmack prüfend, während er durch das Fenster die Klippen am Strand und das Schild unseres Gasthauses betrachtete. Schließlich sagte er:
»Das ist 'ne schöne Bucht und 'ne schön gelegene Grogkneipe. Viel Gesellschaft, Maat?«
Mein Vater antwortete ihm, dass es leider nicht viel Gesellschaft gäbe.
»Na, dann ist das der richtige Ort für mich. Heda, mein Mann!« rief er dem Mann zu, der den Handwagen schob: »Ladet meine Kiste ab und bringt sie nach oben! Ich will eine Weile hier bleiben! Ich bin ein einfacher Mann - Rum und Speck und Eier, mehr brauche ich nicht; und die Klippe da draußen, um die Schiffe zu beobachten. Wie kann man mich nennen? Kapitän können Sie mich nennen. Ach - ich sehe schon, worauf Sie hinauswollen - da!« und er warf drei oder vier Goldstücke auf den Tisch. »Wenn ich das verzehrt habe, können Sie mir Bescheid sagen!« rief er und sah dabei so stolz aus wie ein Admiral.
Und in der Tat, so ärmlich seine Kleider waren und so gemein er sprach, er sah gar nicht aus wie ein Mann, der vor dem Mast segelte, sondern war offenbar ein Steuermann oder Schiffer, der gewohnt war, dass man ihm gehorchte, da es sonst Prügel setzte. Der Mann, der den Schiebkarren gelenkt hatte, erzählte uns, die Postkutsche habe ihn am Vortage in Royal George abgesetzt; er habe sich erkundigt, was für Gasthäuser es an der Küste gäbe, und als er gehört habe, wie man unser Haus lobte - und vor allem, so vermute ich wenigstens, als man es ihm als einsam schilderte -, habe er beschlossen, bei uns zu bleiben. Und das war alles, was wir über unseren Gast erfahren konnten.
Er war ein schweigsamer Mann. Den ganzen Tag trieb er sich in der Bucht oder auf den Klippen herum und blickte durch sein Messingfernrohr über das Meer und den Strand; den ganzen Abend aber saß er in einer Ecke der Schenkstube, dicht am Feuer, und trank Rum und Wasser, eine sehr steife Mischung. Wenn man ihn ansprach, antwortete er gewöhnlich nicht, sondern blickte nur plötzlich mit zornigen Augen auf und blies durch seine Nase wie durch ein Nebelhorn; und wir und unsere Besucher merkten bald, dass man ihn dann in Ruhe lassen musste. Jeden Tag, wenn er von seinen Gängen zurückkam, fragte er, ob Seeleute auf der Landstraße vorbeigekommen seien. Zuerst dachten wir, er frage, weil er sich nach der Gesellschaft von Kameraden sehne, aber schließlich merkten wir, dass er im Gegenteil das vermeiden wollte. Wenn ein Seemann im »Admiral Benbow« einkehrte, wie es von Zeit zu Zeit geschah, wenn die Leute auf der Küstenstraße nach Bristol gingen, sah er ihn durch das kleine, verhängte Fenster in der Tür an, bevor er in die Schenke trat; und wenn ein solcher Seemann anwesend war, verhielt er sich immer mäuschenstill. Auch vor mir versuchte er kein Geheimnis daraus zu machen, im Gegenteil, er ließ mich gewissermaßen an seiner Unruhe teilhaben. Er hatte mich nämlich eines Tages beiseite genommen und mir versprochen: Er wolle mir an jedem Monatsersten ein silbernes Vierpfennigstück geben, wenn ich nur »mein Wetterauge nach einem einbeinigen Seemann offenhalten« wolle, und wenn ich ihm, sobald er auftauche, sofort Bescheid gebe. Wenn nun der Monatserste kam und ich meinen Lohn von ihm verlangte, so kam es oft genug vor, dass er nur durch die Nase blies und mich mit einem zornigen Blick ansah; aber ehe die Woche um war, hatte er sich jedes Mal besonnen: er brachte mir das Vierpfennigstück und wiederholte seinen Befehl, »nach dem einbeinigen Matrosen Ausschau zu halten«.
Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, wie dieser Matrose mich in meinen Träumen verfolgte. In stürmischen Nächten, wenn der Wind an den vier Ecken unseres Hauses rüttelte und die Brandung der Bucht gegen die Klippen donnerte, sah ich ihn in tausend Gestalten und mit tausend teuflischen Gesichtern. Bald war das Bein am Knie abgetrennt, bald an der Hüfte; dann wieder war er ein monströses Geschöpf, das immer nur ein Bein hatte, und zwar mitten unter dem Rumpf. Es zu sehen, wie es sprang und lief und mich über Gräben und Hecken verfolgte, war für mich der schrecklichste Albtraum. So bezahlte ich mein monatliches Vierpfennigstück eigentlich recht teuer, denn ich nahm dafür diese schrecklichen Traumgesichter in Kauf.
Wenn ich auch vor dem einbeinigen Matrosen schreckliche Angst hatte, so hatte ich vor dem Kapitän selbst weniger Angst als andere, die ihn kannten. An manchen Abenden trank er mehr Rum und Wasser, als sein Kopf vertragen konnte; dann saß er manchmal da, ohne sich um jemanden zu kümmern, und sang seine schändlichen, alten, wilden Seemannslieder; manchmal aber bestellte er Runden und zwang die ganze zitternde Gesellschaft, seinen Geschichten zu lauschen oder im Chor in seine Lieder einzustimmen. Oft bebte das Haus von dem »Johoho, und 'ne Buddel, Buddel Rum«; alle anderen Gäste sangen aus voller Kehle mit, mit Todesangst im Leibe, und einer sang noch lauter als der andere, damit nur der Kapitän nichts merkte. Denn wenn er solche Anfälle hatte, war er die unangenehmste Gesellschaft der Welt; dann schlug er mit der Faust auf den Tisch und befahl Ruhe; wenn eine Zwischenfrage gestellt wurde, ärgerte er sich fürchterlich - manchmal aber noch mehr, wenn keine Frage gestellt wurde, weil er dann glaubte, man höre seiner Erzählung nicht zu. An solchen Abenden durfte niemand die Schenkstube verlassen, bis er selbst vom Trinken schläfrig geworden war und ins Bett taumelte.
Am meisten erschreckte er die Leute mit seinen Geschichten. Und es waren schreckliche Geschichten: vom Hängen, über die Planke gehen, von Stürmen auf hoher See, von den Schildkröteninseln, von wilden Kämpfen und Taten, von Häfen in den westindischen Gewässern. Nach seinen eigenen Erzählungen musste er unter den größten Verbrechern gelebt haben, die Gott je zur See gehen ließ; und die Worte, mit denen er diese Geschichten erzählte, entsetzten unsere guten Landsleute fast ebenso sehr wie die Verbrechen, von denen sie handelten. Mein Vater sagte immer wieder: "Unser Wirtshaus wird zugrunde gehen, denn bald werden die Leute nicht mehr kommen, um sich anschreien zu lassen und sich dann mit zitternden Gebeinen zu Bett zu legen. Aber ich glaube, in Wirklichkeit tat uns seine Anwesenheit gut. Die Leute waren zwar entsetzt, aber im Nachhinein mochten sie die Geschichten; es war eine angenehme Aufregung in ihrem stillen Landleben. Unter den Jüngeren gab es sogar einen Teil, der voller Bewunderung von ihm sprach. Sie nannten ihn »einen echten Seehund« und »eine echte alte Teerjacke« und so weiter und sagten, das seien eben die Leute, die England auf See so gefürchtet machten. In einer Beziehung aber ruinierte uns der Kapitän: Er blieb eine Woche nach der anderen, so dass die Goldstücke, die er auf den Tisch warf, schon längst bezahlt hätten werden sollen; aber mein Vater brachte es nie übers Herz, mehr Geld von ihm zu verlangen. Sobald er die leiseste Andeutung machte, blies der Kapitän so laut durch die Nase, dass es fast ein Brüllen war, und sah meinen Vater so zornig an, dass dieser die Schankstube verließ. Ich sah, wie er nach dieser Zurückweisung die Hände rang, und ich bin überzeugt, dass der Ärger über seinen Gast und die Angst, in der er lebte, seinen frühen unglücklichen Tod sehr beschleunigten.
Während der ganzen Zeit, die der Kapitän bei uns verbrachte, trug er immer denselben Anzug; er änderte ihn nie, nur einmal kaufte er von einem Hausierer Strümpfe. Als sich eine der Krempen seines Hutes gelöst hatte und herunterhing, ließ er ihn so, wie er war, obwohl ihn diese Krempe bei starkem Wind sehr störte. Ich sehe noch seinen Rock vor mir, den er oben in seinem Zimmer selbst flickte, so oft er es für nötig hielt, denn der ganze Rock bestand nur aus Flicken. Nie schrieb er einen Brief, nie erhielt er einen; mit niemandem sprach er ein Wort, außer mit den Nachbarn, die zu uns in die Wirtschaft kamen, und auch mit diesen meist nur, wenn er zu viel Rum getrunken hatte. Niemand von uns hatte je seine große Seemannskiste offen gesehen.
Nur ein einziges Mal wagte es jemand, ihm über den Mund zu fahren, und das geschah erst in der letzten Zeit, als mein armer Vater schon sehr krank und dem Tode nahe war. Doktor Livesey kam eines Nachmittags zu später Stunde, um nach dem Kranken zu sehen; meine Mutter setzte ihm...




