E-Book, Deutsch, Band 13, 224 Seiten
Reihe: Liliane Susewind ab 8
Stewner Liliane Susewind – Ein Seehund taucht ab
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7336-5173-2
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 13, 224 Seiten
Reihe: Liliane Susewind ab 8
ISBN: 978-3-7336-5173-2
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Tanya Stewner wurde 1974 im Bergischen Land geboren und begann bereits mit zehn Jahren, Geschichten zu schreiben. Sie studierte Literaturübersetzen, Englisch und Literaturwissenschaften in Düsseldorf, Wuppertal und London und widmet sich inzwischen ganz der Schriftstellerei. Ihre Trilogie über die Elfe »Hummelbi« hat unzählige Fans, und ihre Kinderbuchserie »Liliane Susewind« ist ein Welterfolg, der fürs Kino verfilmt wurde. Die Autorin lebt mit ihrer Familie am Rhein.
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Graf Dracula
»Schnell, Lilli!«, rief Herr Susewind und hob den großen Koffer in den Waggon. »Der Zug fährt gleich ab!«
Liliane Susewind, genannt Lilli, nahm ihren Hund Bonsai auf den Arm und kletterte ihrem Vater nach.
Ihre Oma Leonora war gleich hinter ihr. »Wenn Regina nicht so lange telefoniert hätte, müssten wir jetzt nicht so hetzen!«, beschwerte sie sich.
Lillis Mutter Regina, die ebenfalls gerade einstieg, verteidigte sich. »Ich musste vor unserem Urlaub noch ein paar wichtige Dinge mit der Arbeit klären! Außerdem haben wir den Zug doch noch erwischt, oder etwa nicht?«
Lilli setzte Bonsai ab und streckte den Kopf zur Tür heraus. »Wir sind noch nicht alle drin …« Sie hielt nach ihrem besten Freund Jesahja Sturmwagner Ausschau, der zusammen mit ihnen die Pfingstferienwoche an der Nordsee verbringen würde. Da entdeckte sie ihn! Jesahja drängelte sich durch das Gewusel am Bahnsteig und versuchte, so schnell wie möglich zum Zug zu kommen. Allerdings wurde er von einer orangegetigerten Katze aufgehalten, die er an einer Leine hinter sich herzog. Die Katze, die Lilli gut kannte und die den vornehmen Namen Frau von Schmidt trug, sträubte sich heftig und schien keinen Schritt weitergehen zu wollen. Jetzt hörte Lilli ihre durchdringende Stimme inmitten des Bahnhofsgemurmels.
»Das ist einfach ungeheuerlich!«, zeterte die Katze. »Zuerst legen Sie mich in Ketten, und dann ziehen Sie mich auch noch durch die Gegend! Das ist eine unermesslich unverschämte Unverschämtheit!«
Lilli konnte das zornige Miauen genau verstehen, denn sie hatte eine besondere Gabe: Sie konnte mit Tieren sprechen.
Da erklang die Pfeife der Zugbegleiterin. Der Zug fuhr jeden Moment ab!
Jesahja nahm Frau von Schmidt hoch und sprintete zu Lilli und ihrer Familie. Er schaffte es gerade noch, die Stufen hinaufzuhasten, bevor sich die Zugtür hinter ihm schloss.
»Puh, das war knapp«, ächzte Jesahja und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.
»Welch unfassbare Schmach ist mir widerfahren!«, jammerte Frau von Schmidt auf seinem Arm. »Wie können Sie es wagen, mich derart grob am Schopf zu packen? Zuerst die Fessel, und dann das! Ich bin eine Schnurrdame von Welt – und Ihr Betragen ist eine himmelschreiende Unfassbarkeit!«
»Bitte beruhigen Sie sich, Madame«, sagte Lilli mit leiser Stimme zu der Katze. »Die Leine war meine Idee, nicht Jesahjas. Ich dachte, Sie möchten bestimmt nicht in einer Transportbox reisen – darin fühlen Sie sich doch immer sehr eingezwängt, nicht wahr?« Lilli ließ der verwunderten Katze gar keine Zeit zum Antworten, sondern sprach gleich weiter. »Wir wollten Sie gern in aller Freiheit mit uns reisen lassen, aber zwischen den vielen Leuten am Bahnsteig hätten Sie schnell verloren gehen können. Deswegen dachte ich, dass die Leine eine gute Lösung wäre. Selbstverständlich nehmen wir sie jetzt wieder ab.« Lilli, die den noblen Sprachstil der Katze mittlerweile ziemlich gut nachmachen konnte, entfernte die Leine.
Frau von Schmidt schien nun schon etwas weniger aufgebracht. Ihre wütend zurückgelegten Ohren klappten wieder nach vorn. »Nun ja, die Transportbox schätze ich wahrlich nicht«, räumte sie ein und seufzte. »Zwar hat das Ganze meine sensiblen Nerven arg strapaziert, aber da ich von Natur aus zur Großherzigkeit neige, werde ich meinem Hausmännchen vergeben.« Mit »Hausmännchen« war Jesahja gemeint, denn Frau von Schmidt wohnte bei der Familie Sturmwagner. »Ich werde nun also zu meiner üblichen feurigen Fröhlichkeit zurückkehren und mich ein wenig umsehen.« Damit stolzierte sie Richtung Großraumwagen.
»Schmidti!«, kläffte Bonsai, der neben Lillis Füßen stand. »Warte mal! Ich will auch mitkommen und rumschnüffeln!« Er zog an seiner Leine, und Lilli machte ihn ebenfalls los.
Gleichzeitig bat sie die Tiere jedoch: »Gehen wir doch erst mal zusammen zu unseren reservierten Plätzen. Und wenn wir uns da hingesetzt haben, wäre es eigentlich super, wenn ihr unter den Sitzen bleiben und schlafen würdet.«
Frau von Schmidts Kopf fuhr herum. »Selbstverständlich schlafe ich immer nur genau dann, wenn es mir gerade passt!«
»Natürlich«, erwiderte Lilli, denn sie wusste, dass man Frau von Schmidt zu nichts zwingen konnte. Deswegen hatte sie sich vorbereitet. »Ich habe ein extra wuscheliges Wollknäuel dabei – für den Fall, dass Sie nicht zu schlafen wünschen. Vielleicht möchten Sie auf meinem Schoß damit spielen?«
Die Katze stutzte. Wollknäuel waren für sie unwiderstehlich. »Nun ja, eventuell wäre das denkbar …«
»Dabei könnten Sie Ihre feurige Fröhlichkeit so richtig ausleben«, setzte Lilli noch einen drauf.
Jesahja, der ja nur verstand, was Lilli sagte, lachte in sich hinein.
»Suchen wir doch mal unsere Plätze«, schlug Lillis Mutter vor und betrat mit den Tickets in der Hand den Waggon.
Ihre Sitzplätze waren rasch gefunden, und sobald Lilli sich hingesetzt hatte, sprang Frau von Schmidt schon auf ihren Schoß. »Wo ist das Wollknäuel? Holen Sie es heraus, und dann lassen Sie den Faden tanzen, und ich hasche danach, ja? Oh, das wird zauberhaft!«
Lilli hatte sich noch nicht einmal die Jacke ausgezogen. Trotzdem holte sie als Erstes das Wollknäuel aus ihrem Rucksack und ließ den Faden in der Luft baumeln. Die Katze schnappte danach und schnurrte vor Vergnügen. »Sensationell! Noch mal!«
Bonsai trippelte derweil den Gang hinunter. Lilli hoffte, dass er keinen Unsinn anstellen würde. Interessiert blickte sich der kleine weiße Hund um und blieb vor einem älteren Mann stehen. »Tagchen!«, hechelte er. »Hast du Lust, mich zu streicheln? Hundestreicheln macht glücklich!«
Der Mann verstand natürlich kein Wort und schaute ihn nur fragend an.
»Eher nicht?« Bonsai legte den Kopf schief. »Oder vielleicht möglicherweise doch? Ein ganz klein bisschen willst du es auch, oder?«
Verwundert schaute sich der Mann nach dem Herrchen oder Frauchen des zotteligen Fellballs um. Lilli winkte ihm zaghaft. Der Mann bekam große Augen, als er die Katze auf Lillis Schoß entdeckte. Nach Fäden haschende Samtpfoten sah man wohl nicht alle Tage im Schnellzug.
Plötzlich tauchte hinter Bonsai ein anderer Hund im Gang auf! Lilli erschrak, denn es war ein großer schwarzer Rottweiler mit ungewöhnlich langen, vorstehenden Eckzähnen, die an einen Vampir erinnerten und ein bisschen unheimlich aussahen.
»Ey du!«, knurrte der Hund Bonsai an. »Was bist du denn für ’ne Knalltüte? Das ist mein Revier! Wenn hier einer gestreichelt wird, dann bin ich das!«
Bonsai zuckte zusammen. Aber nur ein klitzekleines bisschen. »Ganz ruhig, Kollege«, wuffte er. »Wie wäre es, wenn wir uns vertragen würden? Ich bin voll nett!«
»Du bist voll klein!«, blaffte der Rottweiler. »Und ich bin voll groß!«
Bonsai sprach einfach weiter. »Weißt du, ich bin ein richtig cooler Kerl, und richtige Kerle brauchen eben viele Streicheleinheiten. Das verstehst du bestimmt. Ich bin dann mal wieder weg!«
»Bonsai!«, rief Lilli mit halblauter Stimme. »Komm her!«
Doch ihr Hund tippelte schon zum nächsten Fahrgast und hechelte ihn schwanzwedelnd an. »Kuckuck! Ich bin voll süß, oder? Also cool-süß. Wahrscheinlich kannst du gar nicht anders, als mich zu streicheln, stimmt’s?«
Der junge Mann, den er so charmant angehechelt hatte, begann tatsächlich, ihn zwischen den Ohren zu kraulen.
Das fand der Rottweiler allerdings gar nicht lustig. »Ich hab gesagt, dass das mein Revier ist! Und deswegen krieg auch alle Streicheleinheiten hier!« Er bellte jetzt richtig, und andere Fahrgäste wurden auf die beiden Hunde aufmerksam.
Lillis Mutter streckte den Kopf in den Gang. »Lilli!«, zischte sie ihrer Tochter zu. »Hol Bonsai zurück!«
Lilli rief ihn noch einmal, aber sie wurde von dem Rottweiler übertönt.
»Du bist ’ne Knalltüte!«, kläffte der. »Und voll klein! ’ne voll kleine Knallkleintüte!«
Da sprang Frau von Schmidt von Lillis Schoß. Zwar waren Hundisch und Katzisch sehr verschiedene Sprachen, und sie hatte den Rottweiler bestimmt nicht verstanden. Aber wenn Bonsai derartig angeschrien wurde, schritt eine Schnurrdame von Format wohl unweigerlich zur Tat.
»Ruhe jetzt, Sie schrecklicher Schreihals!«, fauchte sie den großen Hund an. »Wenn Sie es wagen, Herrn von Bonsai auch nur ein Haar zu krümmen, wird Sie der glühende Sturm meiner Entrüstung treffen!«
Verdutzt starrte der Rottweiler die Katze an. »Boah! ’ne Schnurr-Trulla!«, fing er wieder an zu bellen. »Mitten in meinem Wagen! Jetzt reicht’s aber!« Drohend senkte er den Kopf.
Lilli eilte zu den drei Tieren. »Ganz ruhig!«, flüsterte sie. Sie wollte eigentlich nicht noch mehr auffallen, denn es beobachteten sie schon genügend Leute. Aber es half nichts. Sie würde vor den anderen Fahrgästen mit dem Rottweiler reden müssen. »Bitte flipp nicht aus!«, bat sie und kniete sich neben ihn.
Irritiert schaute der schwarze Hund sie an. »Wer bist du denn? Bist du etwa auch so eine Knalltüte wie die Kleintüte? Wieso hast du ’ne Hose an?«
»Ich –«
»Das ist voll schräg!«
Lilli musste lächeln. Wenn Tiere sie zum ersten Mal sahen, hielten sie sie oft für eine von ihnen, und dieser Rottweiler dachte offenbar, sie sei ein Hund mit Hose.
»Jetzt denk mal richtig nach, du Schnellmerker!«, schnuffte Bonsai. »Was könnte sie sein?«
Der Rottweiler musterte Lilli von oben bis unten. »Sie hat nicht nur ’ne Hose an, sondern auch ’n Pulli!«, stellte er fest. »Und Schuhe!«...