Stock / Bertram / Fürnkranz-Prskawetz | Zukunft mit Kindern | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 473 Seiten

Stock / Bertram / Fürnkranz-Prskawetz Zukunft mit Kindern

Fertilität und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz

E-Book, Deutsch, 473 Seiten

ISBN: 978-3-593-41816-2
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Warum bleibt der Kinderwunsch vieler Paare unerfüllt, während sich andere gegen Kinder entscheiden? Das Buch präsentiert die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Leopoldina zu den Gründen niedriger Geburtenraten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Es führt auf einmalige Weise den heutigen Wissensstand aus Medizin, Soziologie, Demografie, Ökonomie, Psychologie, Politik- und Geschichtswissenschaften zusammen, räumt mit Legenden auf, beleuchtet Probleme der Datenerhebung und entwickelt schließlich Empfehlungen, wie die Realisierung von Kinderwünschen besser ermöglicht werden kann. Der Ländervergleich zeigt eindrücklich, dass eine erfolgreiche Familienpolitik neben den Dimensionen Zeit, Geld und Infrastruktur unbedingt den jeweiligen sozialen Kontext berücksichtigen muss.
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Inhalt

1.Einleitung 13
Günter Stock, Hans Bertram, Alexia Fürnkranz-Prskawetz,
Wolfgang Holzgreve, Martin Kohli, Ursula M. Staudinger

2.Autoren und Mitwirkende 20

3.Mythen und Legenden 26

4.Fertilität in historischer Perspektive 32
Josef Ehmer, Jens Ehrhardt, Martin Kohli
4.1Wozu nützt ein Blick in die Geschichte? 32
4.2Grenzen der Fruchtbarkeit im vorindustriellen Europa 34
4.2.1Historische Variabilität von biologischen Zäsuren 34
4.2.2Soziale Einschränkungen der Reproduktion 35
4.2.3Bewusste Beeinflussung der "natürlichen Fruchtbarkeit" 36
4.2.4Methoden der Geburtenkontrolle 37
4.3Das demographische System des vormodernen Europa 38
4.3.1Der Mythos der kinderreichen Familie 38
4.3.2Der Kinderreichtum des 19. Jahrhunderts 39
4.4Wandlungen der Fertilität im 19. und 20. Jahrhundert 40
4.4.1Die Theorie des "demographischen Übergangs" 40
4.4.2Kritik an der Theorie des demographischen Übergangs 42
4.4.3Phasen des Wandels der Fertilität im 20. Jahrhundert 43
4.4.4"Erster" und "zweiter" Geburtenrückgang 44
4.4.5Der "Eigensinn" von Fertilitätsentscheidungen 45
4.5Einstellungswandel im Hinblick auf Kinder 47
4.5.1Kinderrechte als Eltern- bzw. Mütterpflichten 48
4.5.2Staatliche Reformen im Interesse der Kinder 50
4.5.3Ausweitung der Ansprüche und Rechte der Kinder 51
4.5.4Gesellschaftliche, elterliche, väterliche oder mütterliche Pflicht? 52
4.6Fertilität als Gegenstand von Bevölkerungsdiskursen und Bevölkerungspolitik 53
4.6.1Pronatalismus der frühen Neuzeit: das Streben nach Bevölkerungswachstum 54
4.6.2Die "Malthusianische Wende" im Bevölkerungsdiskurs 54
4.6.3Neomalthusianismus 57
4.6.4Eugenik und Rassenhygiene 58
4.6.5Fertilität im Bevölkerungsdiskurs und in der Bevölkerungspolitik des Nationalsozialismus 59
4.6.6Strukturmerkmale von Bevölkerungsdiskursen 62
4.7Literatur 67

5.Theorien der Fertilität 72
Jens Ehrhardt, Johannes Huinink, Martin Kohli, Ursula M. Staudinger
5.1Einleitung 72
5.2Wichtige Erklärungsansätze der Fertilität: ein Überblick 77
5.2.1Die evolutionäre Anthropologie und die biologischen Grundlagen von Fertilität 77
5.2.2Entscheidungstheoretische Ansätze und die Rolle
sozialer Normen und Leitbilder 83
5.2.3Ökonomische und soziologische Theorien der Fertilität 88
5.2.4Rahmenbedingungen von Fertilität und Elternschaft 94
5.2.5Die Lebenslaufperspektive als Rahmenkonzept zur Analyse von Fertilität 99
5.3Ist eine Prognose der weiteren Entwicklung möglich? 105
5.4Literatur 108

6.Demographische Analyse der Fertilitätsentwicklung 116
Alexia Fürnkranz-Prskawetz, Ina Jaschinski, Michaela Kreyenfeld,
Tomáš Sobotka, Dimiter Philipov, Laura Bernardi, Joshua Goldstein, Kryštof Zeman
6.1Einleitung 116
6.2Demographische Perspektiven der Fertilitätsanalyse 117
6.2.1Zur Messung der Fertilität - Fertilitätsindikatoren auf dem Prüfstand 117
6.2.2Die Fertilitätsentwicklung aus Perioden- und Kohortenperspektive 122
6.3Fertilitätstrends in Deutschland, Österreich und der Schweiz 127
6.3.1Familiengröße und Kinderlosigkeit 127
6.3.2Der Zusammenhang von Bildung und Fertilität 131
6.3.3Partnerschaft und Fertilität 135
6.3.4Migration und Fertilität 136
6.3.5Regionale Fertilitätsunterschiede 139
6.4Der Kinderwunsch im Fokus von Wissenschaft und Öffentlichkeit 143
6.4.1Konzepte und Messung von Fertilitätsidealen und Fertilitätsintentionen 145
6.4.2Empirische Ergebnisse im Dreiländervergleich148
6.4.3Fertility Gap - die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit 150
6.5"Aufgeschoben ist (nicht) aufgehoben!?" - Aufschieben und Nachholen von Geburten aus der Kohortenperspektive 156
6.5.1Aufschieben und Nachholen von Geburten im Ländervergleich 157
6.6Fertilität als Schlüsselindikator für Bevölkerungsprognosen 161
6.6.1Nationale Bevölkerungsvorhersagen in den Vergleichsländern 162
6.6.2Demographische Stimmigkeit der prognostizierten Fertilitätsindikatoren 167
6.6.3Entwicklung der zukünftigen Kohortenfertilität 170
6.7Datengrundlagen zur Analyse des Fertilitätsverhaltens - Möglichkeiten und Probleme 172
6.7.1Datengrundlagen in Deutschland 173
6.7.2Datengrundlagen in Österreich 180
6.7.3Datengrundlagen in der Schweiz 184
6.8Literatur 189

7.Familienpolitik für Kinder und Eltern 198
Hans Bertram, Martin Bujard, Gerda Neyer, Ilona Ostner, C. Katharina Spieß
7.1Einleitung 198
7.2Familienpolitik und die Förderung der Institution Familie 198
7.2.1Die vergessenen Kinder 200
7.2.2Die unterschätzte Dynamik der familialen Entwicklung und die Benachteiligung neuer familiärer Lebensformen 201
7.3Das Wohlbefinden von Kindern und Eltern als zentrales familienpolitisches Ziel 204
7.3.1Wie sich das Wohlbefinden von Kindern und Eltern messen lässt 205
7.3.2Zeit-, Infrastruktur- und Geldpolitik und das Wohlbefinden von Kindern und Eltern 207
7.4Nachhaltige Familienpolitik als lebenslauforientierte Politik 211
7.4.1Nachhaltige Familienpolitik als Politik für Eltern und Kinder 215
7.4.2Nachhaltige Familienpolitik - Lernen bei den Nachbarn 216
7.4.3Finanzielle Transferleistungen in der Familienentwicklung 217
7.4.4Von der Work-Life-Balance zur Integration von Fürsorge für Kinder und Berufsarbeit 223
7.4.5Alltagszeit, Zeitautonomie und Zeitmangel224
7.4.6Alltagszeit und Lebenszeit 227
7.5Familienpolitik in Deutschland, Österreich und der Schweiz 230
7.5.1Vorreiter, Nachzügler und Politiklernen in der Familienpolitik 230
7.5.2Geld-, Zeit- und Infrastrukturpolitik in Deutschland, Österreich und der Schweiz 239
7.5.3Nationale Besonderheiten, Institutionen und familienpolitischer Wandel 251
7.6Wirkungsanalysen zum Zusammenhang von Familienpolitik und Fertilität 260
7.6.1Einleitung 261
7.6.2Mikrostudien 263
7.6.3Potenziale und Grenzen von Makroanalysen 268
7.6.4Qualitative Analysen, Kontexte und Nichteffekte 276
7.6.5Perspektiven zukünftiger Wirkungsforschung 278
7.7Literatur 282

8.Medizinische und biologische Aspekte der Fertilität294
Henning M. Beier, Wolfgang van den Daele, Klaus Diedrich, Joachim W. Dudenhausen, Ricardo Felberbaum, Gerd Gigerenzer, Gisela Gille, Ursula-Friederike Habenicht, Philipp Hinderberger, Wolfgang Holzgreve, William Ledger, Eberhard Nieschlag, Petra Ritzinger, Jochen Taupitz, Egbert te Velde
8.1Einleitung 294
8.2Fekundität (Fertilität von Mann und Frau) 295
8.2.1Was sind Fekundität und Fertilität? 295
8.2.2Ursachen, Diagnose und Prognose der In- und Subfekundität 296
8.2.3Nimmt die Fekundität der Bevölkerung in Europa ab? 299
8.2.4Auswirkungen des Geburtenaufschubs 302
8.2.5Sexuell übertragbare Infektionen und dauerhafte ungewollte Kinderlosigkeit 311
8.2.6Auswirkungen von Lifestyle-Faktoren auf die Fekundität und Fertilität 315
8.2.7Beeinflussen hormonaktive Substanzen die menschliche Reproduktion? 319
8.2.8Fazit 321
8.3Risikokommunikation 322
8.4Späte Mutterschaft 323
8.4.1Gesundheitliche Risiken für Mutter und Kind und deren Prävention 323
8.4.2Pränataldiagnostik im Kontext später Elternschaft 331
8.5Medizinisch-biologische Aspekte von Fertilität zu Beginn des 21. Jahrhunderts: jenseits von Eugenik und Bevölkerungspolitik 335
8.6Familienplanung im Lebenslauf 337
8.7Aufklärung und Prävention 341
8.7.1Vermittlung von Kenntnissen zu Fekundität, Sexualität und Kontrazeption 341
8.7.2Wissen um Risikofaktoren hinsichtlich der Fekundität 344
8.7.3Sexualaufklärung von Kindern mit Migrationshintergrund 345
8.7.4Sexualaufklärung und Prävention in Schulen 346
8.8.Die Rolle der assistierten Reproduktionstechniken (ART) 349
8.8.1Entwicklung der Reproduktionsmedizin - der heutige Stand 349
8.8.2ART-Erfolgsraten und gesundheitliche Risiken für Mutter und Kind(er) 353
8.8.3Psychosoziale Aspekte der ungewollten Kinderlosigkeit nach ART 356
8.8.4Akzeptanz und Legitimität von ART: der Vorrang des Kinderwunsches 359
8.8.5Reproduktionsmedizin in Deutschland, Österreich und der Schweiz im europäischen und internationalen Vergleich 360
8.8.6Folgen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes in Deutschland und Erstattung der ART-Kosten in Österreich und der Schweiz 368
8.9Welche Perspektiven bietet die Forschung im Hinblick auf die Fekundität? 370
8.9.1Bewahrung der Fekundität von Mann und Frau 371
8.9.2In-vitro-Erzeugung von Keimzellen ("künstliche" Samen- und Eizellen) 374
8.9.3Embryoteilung für die Reproduktion (Klonen) 375
8.9.4Fetale Inkubation außerhalb der Gebärmutter (künstliche Plazenta) 375
8.10Literatur 375

9.Kernaussagen 391

10.Empfehlungen 419

11.Glossar 450

12.Fachpublikationen aus der Akademiengruppe 465

13.Autorinnen und Autoren 469


Seit mehreren Jahrzehnten sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz sehr niedrige Geburtenraten zu verzeichnen. Das hat zur Folge, dass die Zahl der potenziellen Mütter heute viel geringer ist als noch vor einer Generation. In der Öffentlichkeit, der Politik und der Wissenschaft wird diese Entwicklung seit Langem breit diskutiert. Allerdings stehen dabei meist die Konsequenzen geringer Kinderzahlen für die Gesellschaft im Vordergrund, und die Debatte ist von Themen wie Pflegenotstand, Fachkräftemangel oder Rentenfinanzierung geprägt. Solche Krisenszenarien sind nicht neu, sondern haben die Geburtenentwicklung im 19. wie im 20. Jahrhundert in vielen europäischen Ländern begleitet: Diese defizit-orientierte Sichtweise ist den modernen Gesellschaften vertraut.

Die gemeinsame interdisziplinäre Arbeitsgruppe "Zukunft mit Kindern - Fertilität und gesellschaftliche Entwicklung" der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die diesen Bericht vorlegt, hat sich für eine andere Perspektive entschieden. Sie wählte keinen defizit-orientierten, sondern einen konstruktiven, zukunftsgerichteten Weg, um die Ursachen der niedrigen Geburtenzahlen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu untersuchen. Die Arbeitsgruppe, der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen drei Ländern angehörten, legt politische Vorschläge vor, die dazu beitragen können, die Lebensbedingungen von Kindern und Eltern zu verbessern. Ihr Anliegen ist nicht, zu untersuchen, wie eine Gesellschaft, in der die Menschen länger leben, damit zurechtkommt, dass immer weniger Kinder geboren werden. Vielmehr geht es der Arbeitsgruppe darum, aufzuzeigen, wie die Lebenssituation von Kindern und Eltern in der heutigen Gesellschaft zu verbessern ist, um dadurch die Realisierung von Kinderwünschen zu erleichtern.

Zwei Begriffe sind aus Sicht der Arbeitsgruppe zentral, wenn es um die "Zukunft mit Kindern" geht: das kindliche und das elterliche Wohlbefinden. Wie es in einer Gesellschaft darum bestellt ist, kann eine Analyse von mehreren Einzelaspekten zeigen, zu denen die materielle Lage von Eltern und Kindern, ihre gesundheitliche Entwicklung, ihre Teilhabe an Bildung und ihre subjektive Zufriedenheit zählen. Nötig für elterliches Wohlbefinden ist, dass Eltern überhaupt die Zeit finden, die aus ihrer subjektiven Sicht erforderlich ist, um sich um ihre Kinder tatsächlich kümmern zu können, dass sie aber auch die Zeit haben, die sie als Partner füreinander brauchen. Diese Konzeption von Wohlbefinden legt nahe, dass die Teilhabe an Bildung, Beruf und zivilgesellschaftlichem Engagement nicht alternativ zur elterlichen Fürsorge gesehen wird, sondern dass elterliche Fürsorge die gleiche Bedeutung bei der Lebensgestaltung hat wie andere gesellschaftliche Bereiche.

In der klassischen Industriegesellschaft war die Teilhabe an den verschiedenen Lebensbereichen geschlechtsspezifisch geteilt. Dies hatte zur Folge, dass Männer und Väter sich stark über den Beruf definierten, Frauen und Mütter hingegen im Wesentlichen über die Fürsorge für Kinder und den Haushalt. Dagegen gehen wir in diesem Bericht davon aus, dass die Teilhabe an den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ein integrativer Bestandteil des Lebenslaufs sowohl von Männern wie von Frauen sein sollte.

Bismarck hatte mit seiner Sozialreform ein Modell des dreigeteilten Lebenslaufs konzipiert: mit Kindheit und Jugend als Lernphase, dem Erwachsenenalter als Arbeitsphase für die Männer und Fürsorgephase für die Frauen und der anschließenden Rentenphase. Bei einer Lebenserwartung von etwa 65 Jahren entsprach dieses klassische Modell möglicherweise der Realität. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von heutzutage annähernd 80 Jahren ist es jedoch infrage zu stellen, weil ein so langer Zeithorizont ganz andere Herausforderungen an eine sinnvolle und befriedigende Lebensgestaltung mit sich bringt. Deshalb hat sich die Arbeitsgruppe auch damit auseinandergesetzt, dass durch das Festhalten an der althergebrachten Dreiteilung des Lebenslaufs in der heutigen Gesellschaft im zweiten Drittel eine "Rushhour des Lebens" entsteht, weil zu viele Herausforderungen in einer eher kurzen Lebensphase zu bewältigen sind. Zukunft mit Kindern heißt aus dieser Perspektive vor allem, die Gestaltung von Lebensläufen neu zu denken, damit allen dauerhaft die gleiche Teilhabe an den gesellschaftlichen Lebensbereichen ermöglicht wird.

Migration wird in diesem Bericht bei der Untersuchung der demographischen Entwicklung insbesondere unter der Perspektive innerstaatlicher Migrationsprozesse sorgfältig analysiert, aber bei der Diskussion um die Verbesserung der Lebensbedingungen von Kindern in unserer Gesellschaft nicht mehr eigens thematisiert. Denn die unterschiedlichen Zukunftschancen von Kindern hängen viel stärker von ihrem sozialen Hintergrund und dem regionalen Kontext, in dem sie leben, ab als von ihrer ethnischen Herkunft.
Wer sich empirisch mit der Geburtenentwicklung in verschiedenen Ländern auseinandersetzt, wird mit einer Vielzahl unterschiedlicher Konzepte und Daten konfrontiert, die sich nicht ohne Weiteres zu einem stimmigen Ganzen fügen. Selbst das, was häufig als sichere Datenbasis wahrgenommen wird, ist zu hinterfragen. So wird die in der Öffentlichkeit immer wieder diskutierte "zusammengefasste Geburtenziffer" (Total Fertility Rate, TFR) in diesem Bericht kritisch betrachtet, weil sie die tatsächliche Geburtenentwicklung nicht richtig abbildet. Hier müssen möglicherweise andere Indikatoren entwickelt werden.

Auch die Frage, ob Ländervergleiche - etwa auf OECD-Ebene - automatisch zuverlässige Aussagen ermöglichen, drängt sich auf. Denn die Variation zwischen verschiedenen Regionen innerhalb der Länder ist so groß, dass Mittelwerte nicht automatisch aussagekräftig sind. Das mag nach einer fachinternen Diskussion der demographischen Forschung klingen, doch es hat erhebliche politische Implikationen. Denn einzelne Maßnahmen wirken sich in verschiedenen regionalen Kontexten möglicherweise ganz unterschiedlich aus.

Die Konzentration auf die drei Länder Deutschland, Österreich und die Schweiz eröffnete der Arbeitsgruppe die Möglichkeit, beim Abgleich und der Analyse der Daten auf die regionale Ebene der Gesellschaften zu kommen. Das stellte eine Vergleichbarkeit der zugrunde liegenden empirischen Daten und damit der hier getroffenen Aussagen sicher. Die Arbeitsgruppe ist davon überzeugt, dass dies für die Politikberatung sinnvoll und zukunftsweisend ist, weil die Wirkung von Maßnahmen im Bereich von Kindheit und Familie in hohem Maße kontextabhängig ist. Vorstellbar ist nun, dass die Studien einzelner Gesellschaften mit hoher Tiefenschärfe ergänzt werden um Studien, die eine größere Zahl von Ländern einbeziehen. Damit ließe sich prüfen, ob die in einzelnen Fällen gefundenen Wirkungszusammenhänge generalisierbar sind. Die Kombination der wissenschaftlichen Betrachtung ausgewählter Gesellschaften und Regionen mit Studien, die mehrere Gesellschaften oder Länder vergleichend analysieren, ist aus unserer Sicht gerade im europäischen Kontext eine zukunftsweisende Wissenschaftskonzeption.

In der Familienpolitik wie auch in der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik geht man häufig von der Vorstellung aus, dass Individuen ihre Entscheidungen auf Basis zweckrationaler Kalküle treffen. Demgegenüber wird in diesem Bericht ausführlich die gesamte Breite der aktuellen Theorien, die international hinsichtlich der Entscheidung für Kinder und des Zusammenlebens mit ihnen diskutiert werden, systematisiert und aufbereitet. Wir hoffen, mit dieser Analyse zu verdeutlichen, dass der Ansatz einer zweckrationalen Interpretation dieser Entscheidungsprozesse allein zu kurz greift. Auch wenn hier keine endgültige und eindeutige Theorie der Entscheidung für Kinder und des Zusammenlebens mit Kindern zu formulieren war, so war es doch unser Anspruch, die verschiedenen Theoriestränge aufeinander zu beziehen und aufzuzeigen, in welcher Weise sie weiterzuentwickeln sind.

Dabei zeigte sich deutlich, dass die klassisch-disziplinäre Trennung bei solch komplexen Analysen nur partiell von Nutzen ist. Denn derartige Entscheidungsprozesse enthalten neben individualpsychologischen, sozialpsychologischen, soziologischen und ökonomischen Komponenten eben auch biologisch-medizinische Aspekte. Das war der Grund dafür, dass die Arbeitsgruppe von Beginn an interdisziplinär aufgestellt war und neben Demographen, Ökonomen, Historikern, Psychologen und Sozialwissenschaftlern auch Mediziner einbezogen waren. Im Verlauf der Diskussionen stellte sich heraus, dass eine Reihe von medizinischen und teilweise auch biologischen Fragestellungen und Erkenntnissen für die Zukunft mit Kindern von zentraler Bedeutung ist.


Günter Stock ist Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Hans Bertram ist Professor für Soziologie an der Humboldt-Universität Berlin. Alexia Fürnkranz-Prskawetz ist Professorin für Mathematische Ökonomie an der TU Wien und stellvertretende Direktorin am Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wolfgang Holzgreve ist Professor für Gynäkologie, Ärztlicher Direktor und Vorsitzender des Vorstands am Universitätsklinikum Bonn. Martin Kohli ist Professor für Soziologie am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Ursula M. Staudinger ist Vizepräsidentin der Jacobs University Bremen sowie der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.


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