E-Book, Deutsch, 126 Seiten
Stoker / Müller Dorf der Vampire
2. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8190-5898-1
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 126 Seiten
ISBN: 978-3-8190-5898-1
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Von früh an fasziniert von den Tiefen des Vampirmythos', dem ewigen Leben und den Möglichkeiten, die ein Dasein als Vampir bietet, hat Franny Stoker es sich zur Aufgabe gemacht, das Unbekannte zu erkunden und die Grenzen zwischen Leben und Tod zu überschreiten. Mit jedem Wort entführt sie den Leser in eine Welt voller Geheimnisse und unerwarteter Wendungen. Franny Stoker arbeitet bereits an neuen fesselnden Werken, die ihre Leser in eine Welt jenseits der Sterblichkeit entführen werden. Die deutsche Autorin Dana Müller, die bereits mehrere Titel in den Genres Mystery/Horror/Fantasy veröffentlicht hat, ist als Franny Stoker bemüht, die Trennung zwischen den Genres aufrechtzuerhalten und dadurch gezielt die Vampirfans unter den Lesern anzusprechen.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 7
Auf dem Weg dorthin versuchte ich, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen, und fragte Lucian Löcher in den Bauch. »Glauben alle Dörfler hier an Vampire?«
Er räusperte sich. »Nicht alle. Aber die meisten schon.«
»Und woher kommt das?«
»Sie haben ihre Erfahrungen gemacht.«
»Lucian, ich will nicht hören, was du Fremden erzählst, sondern die Wahrheit.«
»Die Wahrheit ist, dass die Toten nicht immer tot bleiben. Manchmal wissen sie nicht, dass sie tot sind, und stehen einfach wieder auf.«
Das war zwar nicht, was ich wissen wollte, aber wir kamen dem schon etwas näher. »Werden sie deshalb mit einem Ziegelstein im Mund beerdigt?«
»Warum sonst?«
Das klang sehr nach stiller Post. Aber ich brauchte Augenzeugen. »Und ist denn schon mal einer wieder aufgestanden, bei dessen Beerdigung du dabei warst?«
»Während der Totenwache passiert das oft. Dann stehen die Toten auf. Deshalb dauert sie nur noch 24 Stunden.«
»Aber, warum? Was, wenn sie gar nicht wirklich tot sind? Habt ihr auch schon an Scheintod gedacht?«
»Scheintod? Was würde das ändern? Weißt du denn nicht, dass das nur eine andere Bezeichnung für untot ist? Es spielt keine Rolle, welchen Namen die Puppe trägt, aus der am Ende der Schmetterling schlüpft.«
Das widersprach voll und ganz meiner Überzeugung. Wie konnte jemand wie er, der in einer hochmodernen Welt gelebt hatte, glauben, es ginge nach dem Tod weiter? An dieser Stelle endete meine Vorstellungskraft. Ich wollte aber nichts dazu sagen. Leider war meine Zunge schneller als mein Verstand und so plapperte ich wild drauf los. »Der Scheintod ist aber wissenschaftlich belegt. Untersuchungen deuten nicht auf genetische Veränderungen hin, wenn jemand wieder erwacht. Vampirismus ist ein Mythos. Ich verstehe nicht, warum noch heute so viele Menschen an Mythen glauben.«
Er schmunzelte – warum schmunzelte er nur immer wieder? Nahm er meine Bedenken denn nicht ernst? Wie sollte er auch? Wenn er selbst so fest davon überzeugt war, dass die Toten sich aus ihren Gräbern erhoben, könnte ich wahrscheinlich mit eindeutigen Beweisen kommen, er würde mir trotzdem nicht glauben.
Der schmale Weg führte einen Hügel steil hinauf. Meine Ausdauer drohte, mich im Stich zu lassen. Die Muskeln meiner Oberschenkel brannten, als hätten sie Feuer gefangen. So langsam geriet ich außer Atem. »Wie weit ist es noch?«
»Gleich da vorne«, sagte er und zeigte auf einen entfernten Punkt.
»Ich brauche eine Pause«, jammerte ich.
Doch Lucian hatte einen anderen Vorschlag. »Steig auf. Ich habe genug Kraft für uns beide.« Er drehte mir den Rücken zu.
»Huckepack?«
»Warum nicht. Oder hast du Angst?«
»Wovor denn?« Zugegeben, er war nicht gerade der Typ Mann, an dem man einfach so vorbeiging und wäre ich nicht verheiratet gewesen, hätte ich schwach werden können. Sein Charme war wie ein Köder, den er auswarf. Vor einigen Jahren hätte ich noch ohne zu zögern angebissen, aber in diesem Augenblick schoben sich die Gesichter meiner Mädchen vor mein inneres Auge.
»Komm schon. Du willst doch deine Kinder anrufen.«
Ich schluckte. Konnte er etwa Gedanken lesen? »Ich bin zu schwer. Außerdem wiegt auch der Rucksack einiges.«
»Dann gib mir deinen Rucksack. Ich trage ihn für dich.«
Damit konnte ich leben. Also setzte ich ihn ab und reichte ihn Lucian.
Den Rest des Weges schaffte ich gerade so und war wirklich erleichtert, als wir den Friedhof erreichten.
Der ganze Hügel war mit Gräbern bestückt. Auf einigen Grabsteinen saßen Raben, als hielten sie Wache. Wo ich auch hinsah, erblickte ich alte Grabsteine, denen Witterung und Zeit zum Verhängnis geworden waren. Kaum ein Name war noch zu lesen. Weiter hinten sah ich simple Kreuze.
»In diesem Bereich dort hinten liegen die ärmlichen Toten. Hier hingegen ruhen die, mit denen es das Leben besser gemeint hatte. Aber die Verwandlung unterwandert jede Schicht. Arm und reich«, klärte mich Lucian auf.
Ich aber hatte nur den Wunsch, meine Kinder anzurufen und fummelte an meinem Handy herum. »Ich hab Netz«, rief ich euphorisch. »Moment, ich muss nur kurz anrufen.«
»Lass dir Zeit. Heute ist es bewölkt.«
Was auch immer das bedeutete. Ich ließ mich von nichts daran hindern, endlich bei Caro anzurufen.
Meine Schwägerin empfing mich total hysterisch. »Mein Gott, Sarah. Ich dachte, dir wäre etwas passiert. Warum meldest du dich denn nicht?«
»Es tut mir so wahnsinnig leid. Ich hatte die ganze Zeit über keinen Empfang. Jetzt bin ich hier auf dem höchsten Punkt im Ort. Aber unten gibt es einfach kein Netz. Was machen die Kinder?«
»Sie sind in der Schule. Hast du mal auf die Uhr gesehen? Es ist früher Vormittag. Robert hat auch schon hundert Mal versucht, dich zu erreichen. Aber dann hat er bei Florian angerufen und von ihm erfahren, dass du angekommen bist und lebst. Also wirklich, ich kann kaum zum Ausdruck bringen, wie besorgt hier alle sind. Konntest du denn kein Festnetz finden?«
Lucian hörte jedes einzelne Wort, also ging ich einige Schritte und antwortete leise: »So etwas gibt es hier nicht. Die Leute hier sind weit von Zivilisation entfernt.«
Es knisterte in der Leitung. »Caro?« Ich hörte nur noch Bruchstücke ihrer Worte und dann riss die Verbindung wieder ab. »Nein, bitte nicht!«
»Zu viele Wolken«, sagte Lucian.
»Ich verstehe das nicht. Woher wusste denn Flo, dass ich gut angekommen bin?«, murmelte ich.
»Ich gestehe – schuldig.«
Machte er sich gerade lustig über mich? »Wie bitte? Was gestehst du?«
»Ich war heute Nacht unterwegs und hatte für einen kurzen Moment Netz. Da dachte ich, es könnte nicht schaden, deinem Chef zu schreiben, dass du lebst. Manche Leute denken immer gleich, ihre Lieben wären ermordet worden, wenn sie sich aus Rumänien nicht zurückmelden.«
Sollte ich ihn jetzt umbringen oder küssen? Nein, töten war wohl übertrieben und zum Küssen fehlte mir die Berechtigung. »Danke«, musste reichen.
»Gern geschehen.«
»Woher hast du denn Flos …«
»Was denkst du denn, wie er mir den Dolmetscherauftrag verpasst hat?«
»Natürlich! Mein Fehler«, erwiderte ich. Klar hatte er Flos Nummer. Ich war einfach so angespannt, dass ich hinter jeder Kleinigkeit eine Verschwörung sah.
»Jetzt kannst du dich auf die Arbeit konzentrieren.«
Nicht wirklich, denn ich hatte nicht mit meinen Kindern gesprochen und Caro hatte so abweisend und vorwurfsvoll geklungen, dass ich mich kein Stück besser fühlte. Robert hatte ich auch nicht angerufen, aber mein Blick auf das Display verriet mir, dass ich das jetzt auch nicht tun konnte. Also griff ich intuitiv nach meinem Rucksack, der noch immer auf Lucians Rücken saß.
»Ich muss da mal ran. Halt bitte still. Ich brauche meine Kamera.«
Da drehte er sich um. »Tut mir leid, Sarah. Keine Fotos hier. Die Dorfbewohner glauben, dass man die Seele eines Toten in einem Foto einsperren kann. Vor zwei Tagen ist der arme Vito zur letzten Ruhe gebettet worden. Seine Seele ist noch nicht übergegangen. Also keine Fotos.«
»Aber – ich muss Bilder machen.«
Lucian war mir so nah, dass mich seine Aura erfasste. Er war einen guten Kopf größer als ich und blickte aus seinen grünen Augen zu mir hinunter. »Nicht heute, nicht hier!«
Seine Stimme berauschte mich auf unheimliche Weise. »Glaubst du etwa auch, dass meine Kamera Seelen einfangen könnte?«
»Ich glaube, was ich sehe«, hauchte er. »Sehen ist Glauben.«
Und was ich sah, durfte ich gar nicht erst wahrnehmen. Was ich dachte, war erst recht verwerflich, denn auf einmal wollte ich nichts mehr, als ihm auf eine sehr intime Weise näherzukommen. Ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte, wie meine Knie so weich wurden, dass sie einzuknicken drohten. Knisterte es etwa zwischen uns? Das durfte ich auf keinen Fall zulassen. Ich räusperte mich und wandte mich von Lucian ab. »Werden alle Toten hier mit Steinen oder Pflöcken beerdigt?«, lenkte ich ein.
Offenbar verstand er meinen Wink und schaltete in den Normalmodus. »Das ist hier Tradition. Allerdings war das nicht immer so.«
»Aha, und was war der Auslöser?« Wir kamen der Sache offenbar näher.
»Der Auslöser?«, wiederholte er, als hätte ich die dämlichste Frage überhaupt gestellt. »Ich denke, diese Informationen sind authentischer, wenn du mit Betroffenen redest. Sie können dir im Detail erklären, was sie erlebt haben.«
Ich nickte zwar, aber mich zog es unversehens auf die andere Seite des Friedhofs. So, als würde mich jemand rufen. Also schritt ich vorsichtig an den dicht an dicht angelegten Gräbern vorbei, bis ich an eine alte Eiche kam. Hier verließ mich das Gefühl – als hätte ich mein Ziel erreicht. Mein Blick glitt zu einem Grabstein, auf dem der eingravierte Name verwaschen war. Ich konnte das Geburtsdatum erkennen und das Sterbedatum. Das Grab war über 120 Jahre alt. Mir fiel ein tiefes Loch auf. »Gibt es hier Ratten?«
»Ich kenne keinen Ort, an dem es keine gäbe. Falls du auf das Loch anspielst: Es ist ein unverkennbares Zeichen dafür, dass hier ein Vampir liegt.«
Er nahm mich eindeutig auf den Arm. »Ist das so? Und das ist dann ein Luftloch, weil er sonst erstickt?«
Lucian legte die Stirn in Falten. »Es ist ein Schlupfloch. Vampire atmen nicht.«
»Du behauptest also, dass da unten ein Mensch liegt, tief unter der Erde, der sich durch dieses Loch quetscht? Dir ist schon klar, dass das physikalisch unmöglich ist, oder?«
»Du glaubst mir nicht«, stellte er fest.
»Vorhin sagtest du, sehen ist glauben, aber ich...




