E-Book, Deutsch, 860 Seiten
Stratmann / Åslund / Vilela 3 Krimis für den Urlaub
17001. Auflage 2017
ISBN: 978-3-95819-117-4
Verlag: Ullstein Midnight
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mord in der Provence/ Andalusische Machenschaften/ Mord in San Vincenzo
E-Book, Deutsch, 860 Seiten
ISBN: 978-3-95819-117-4
Verlag: Ullstein Midnight
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Edina Stratmann wurde 1966 in Budapest geboren, wo sie auch aufwuchs und Bibliothekswissenschaft und Pädagogik studierte. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Lehrerin. 1996 zog Edina Stratmann nach Deutschland, wo sie mit ihrer Familie lebt und seit 2008 als freie Autorin tätig ist. Der Gedanke, es mit dem Schreiben zu versuchen, kam erst nach und nach. Zuerst war es eine große Herausforderung für Edina Stratmann, in Deutsch zu schreiben. Ein Abenteuer, das sie monatelang beschäftigte, aber am Ende eine Kurzgeschichtensammlung und einen Krimi entstehen ließ.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Mittwoch, 26. Juni 2013
Schon wieder ein schlechter Kaffee. Hannah Richter strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und rührte gedankenverloren mit dem Löffel in dem Koffeingebräu. Woher stammte bloß der Mythos vom schmackhaften Café au Lait? Gewiss nicht aus der Provence, so viel stand fest. Seit sie vor einer Woche hier angekommen war, hatte Hannah noch nicht einen wirklich guten Kaffee getrunken. Für einen Coffeeholic eine Qual, die an mittelschweren Entzug grenzte. Dabei waren die Maschinen gar nicht mal übel. Wo lag dann das Problem? Menschliches Versagen? Zu heiß gebrüht, zu bitter, zu wenig oder falsch temperierte Milch, zu viel Schaum. Oder diese unsägliche Angewohnheit, haltbare, fettarme Milch zu verwenden, geschmacklich ein völliges No-Go.
»Einen Cappuccino«, hatte sie beim Kellner bestellt und hinzugefügt: »Ohne Schokolade bitte.«
»Aber ohne Schokolade ist es kein Cappuccino. Einen Café Crème also.«
Resigniert hatte Hannah auf eine Diskussion über Kaffeevariationen, Espressobohnen, Röstverfahren und Milch-Schaumanteile verzichtet und lediglich genickt.
Von der Kaffeeproblematik einmal abgesehen, fühlte sie sich eigentlich ganz wohl in ihrem temporären Zuhause. Sie ließ den Blick umherschweifen. Einheimische und Touristen bevölkerten das kleine Café am Ortseingang von Vaison unweit der Pont Romain, der alten Römerbrücke, die über die Ouvèze führte und die mittelalterliche Oberstadt mit der Neustadt verband. Hannah gefiel das Städtchen, dessen voller Name Vaison-la-Romaine lautete. Der mittelalterliche Teil mit seinen engen Gassen schmiegte sich an einen markanten Felsen. Oben auf dem Felsen thronte, weithin als Orientierungspunkt sichtbar, die Ruine eines Châteaus, ein melancholisch anmutendes Überbleibsel einer stürmischen Zeitspanne, in denen sich Herrscher vielfältig abgewechselt hatten. Jenseits des Flusses breitete sich auf sanften Hügeln die Neustadt aus. Sie beherbergte, und dadurch hob sich Vaison von anderen pittoresken Provencedörfern ab, ein weitläufiges Areal mit Ausgrabungen aus dem ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus. In der Mitte der Anlage erhob sich als Herzstück ein römisches Antiktheater.
Drei Monate würde Hannah »die provenzalische Polizei mit ihrem kriminologischen Wissen und ihren fundierten Kenntnissen unterstützen, französische Fachtermini lernen und ein Mosaikstein im Rahmen der Angleichung europäischer Ermittlerarbeit sein«. So hatte es zumindest in der Ausschreibung geheißen. Hannah hatte keine Sekunde gezögert, als ihr Chef von dem Austauschprogramm erzählte, das sich eine fortschrittsgesinnte Kommission in Brüssel ausgedacht hatte. Eine durchaus willkommene Ablenkung von ihrem Arbeitsalltag bei der Kripo Köln. Und zugleich eine absolut überfällige räumliche Trennung von Justus.
Während ihres Aufenthalts in der Provence würde sie Polizeistationen unterschiedlicher Größe kennenlernen. Nach Vaison-la-Romaine folgten Arles und Marseille. Hannah war zunächst überrascht gewesen, dass man sie als Erstes in die Gendarmerie eines kleinen Nests steckte. Doch dann hatte sie recherchiert und herausgefunden, wie geschichtsträchtig dieser Ort war. Mit zunehmender Begeisterung hatte sie der ersten Station entgegengesehen. Die Aussicht, sich dort ihrer Leidenschaft, der römischen Geschichte, widmen zu können, hatte sie über den Gendarmerieposten hinwegsehen lassen. Es konnte ja auch ganz angenehm sein, sich endlich einmal nicht mit Mord und Totschlag herumärgern zu müssen. Sie hatte beschlossen, die erste Station als sanften Einstieg zu betrachten, quasi als bezahlten Urlaub. Ohnehin würde sie spätestens in Arles, der zweiten Station, wieder verstärkt mit dem üblichen kriminalistischen Alltag konfrontiert werden. So hatte sie gedacht, als sie eine Woche zuvor in dem malerischen Städtchen angekommen war.
Leider war ihr Arbeitsbeginn von zugleich angespannter und zäher Natur gewesen. Beim Gedanken an Capitaine Claude-Jean Bernard, der die Gendarmerie in Vaison leitete, kräuselte sich ihre Stirn. Deutlich hatte sie bei ihrer ersten Begegnung gespürt, wie dessen kritischer Blick an ihr heruntergewandert war. Ihr aus Jeans, weißem T-Shirt mit anthrazitgrauem Jackett und flachen Lederschuhen bestehendes Outfit schien ihn wenig anzusprechen. Zu allem Überfluss überragte sie ihn um knapp zehn Zentimeter.
»So, so, aus Deutschland? Um das vorneweg einmal klarzustellen, Madame Richter, Sie befinden sich hier bei der Gendarmerie, und wir von der Gendarmerie sind allesamt beim Militär ausgebildet worden. Offiziersschule! Nicht zu vergleichen mit der police municipale, das ist etwas ganz anderes!«
Hannah wusste sogleich, dass es kein Spaß werden würde, mit ihm zusammenzuarbeiten. Doch zwölf Dienstjahre in einem immer noch männerlastigen Metier hatten sie ihren Weg mit derartigen Erschwernissen finden lassen.
Sie nahm den letzten Schluck aus der Tasse und verzog das Gesicht. Nun gut. Sie würde die Hoffnung nicht aufgeben und weiter nach einem Stammcafé für ihren morgendlichen Koffeinschub suchen.
In der Dienststelle der örtlichen Gendarmerie herrschte gemütliche Ruhe. Capitaine Bernard hatte einen auswärtigen Termin, von dem er erst am Nachmittag zurückkehren würde. Hannah war im Begriff, den PC in ihrem Büro hochzufahren, als das Telefon im Vorraum läutete. François Rigaud, ambitionierter Absolvent der Offiziershochschule der nationalen Gendarmerie in Melun und erst seit einem knappen Jahr in Vaison, nahm den Anruf entgegen. Binnen kürzester Zeit schlug seine Stimme einen hektischen Tonfall an und Hannah sah rote Flecken auf seinem Gesicht erscheinen.
»Ein Mann hat sich letzte Nacht im römischen Theater in Orange erhängt«, teilte er Hannah mit, nachdem er aufgelegt hatte. »Ganz spektakulär, direkt vor der Nische mit der hohen Kaiserstatue, mittig über der Bühne. Unbegreiflich, wie er das geschafft hat, in der Höhe. In Orange ist die Hölle los …«
»Und da ruft man ausgerechnet Sie an, Rigaud?« Hannah konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen.
»Na ja …« Der Kollege druckste herum. »Ein Kumpel von mir in der Dienststelle dort …«
Hannah kannte das antike Theater lediglich von Bildern. Die gut erhaltene Bühnenwand war einzigartig in der westlichen Welt und 1981 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt worden. Nun hatte jemand diese Wand entweiht.
Sie betrachtete ihren Schreibtisch, auf dem nur einige wenige Taschendiebstahlmeldungen ihr Unwesen trieben, und zögerte nicht lang.
»Halten Sie hier die Stellung, Rigaud, ich bin in ein paar Stunden zurück.« Ohne auf die Proteste des jungen Gendarmen einzugehen, verließ sie raschen Schritts die Dienststelle, lief zu ihrem alten Polo und machte sich auf den Weg in das nur 30 Kilometer entfernte Städtchen.
Als Hannah in Orange ankam, war das Gelände um das Theater herum bereits weitläufig abgesperrt. Mit ihrem Dienstausweis gelang es ihr jedoch, ins Innere des Bauwerks vorzudringen. Wie gern hätte sie diesen Ort unter anderen Vorzeichen besichtigt. Hannah durchschritt den Eingangsbereich und bog nach links in einen Gang ab. Am Ende des Ganges gelangte sie wieder ins Freie. Zu ihrer Rechten stiegen die halbkreisförmigen Sitzreihen an. Zu ihrer Linken erhob sich die mächtige Bühnenwand. Was für eine magische Kulisse, wenngleich der Anblick durch die jüngsten Vorkommnisse auf grausame Weise entstellt wurde. Hannah konnte die Augen nicht von dem Leichnam abwenden, der direkt vor der Kaiserstatue hing. Richtiggehend winzig wirkte der Tote im Vergleich zu der überdimensionalen Figur.
Männliche Leiche, mittleres Alter, teurer Anzug, speicherte Hannah sogleich ab. Sie blieb am Rand der orchestra stehen und sah sich um. Die Spezialisten der Spurensicherung aus Carpentras waren schon da und eifrig damit beschäftigt, jedes Detail, auch wenn es noch so unbedeutend schien, festzuhalten. Außerdem war natürlich die Gendarmerie von Orange anwesend sowie ein Gerichtsmediziner.
Ein uniformierter Mann Anfang dreißig, der sichtbar stolz seinen trainierten Körper zur Schau trug, war offenbar der Leiter der Einsatztruppe. Jedenfalls bemühte er sich nicht mit anzupacken, sondern stand mit verschränkten Armen breitbeinig auf der Bühne und erteilte ab und an einen knappen Befehl.
Nun begann man damit, den Leichnam langsam herabzulassen. Hannah trat näher heran und betrachtete eingehend das blasse Gesicht, das von dunklem, leicht schütterem Haar eingerahmt wurde. Dann wanderte ihr Blick zu den Händen. Im selben Moment ertönte hinter ihr eine schneidende Stimme.
»Pardon, Madame, was bitte haben Sie hier verloren?« Der Schönling hatte sie entdeckt und hielt im Stechschritt auf sie zu.
»Hannah Richter, Kriminalpolizei Köln, zurzeit im EU-Austauschprogramm, Dienststelle Vaison-la-Romaine.« Hannah zeigte erneut ihren Ausweis. »Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
Schon eine einzige Gegenfrage brachte den Herrn Befehlserteiler offenbar so aus dem Konzept, dass er sich prompt vorstellte.
»Capitaine Ricard Point, Spezialeinheit Carpentras.«
Innerlich grinste Hannah, fehlte nur noch das Salutieren und Hackenschlagen. Einmal erlernter Gehorsam ließ sich eben schlecht wieder ablegen, selbst wenn man in der Rangordnung aufgestiegen war. Das führte sie sich stets vor Augen, wenn sie mit Uniformträgern der unangenehmen Sorte konfrontiert wurde. In der Regel fand Hannah eine Möglichkeit, die gründlich eingehämmerte Programmierung dieser Personen, wenngleich nur für einen kurzen Moment, durcheinanderzubringen. Sogar bei Capitaine Point...