Strefford | Nur kurz leben | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 84 Seiten

Strefford Nur kurz leben


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7394-8958-2
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

E-Book, Deutsch, 84 Seiten

ISBN: 978-3-7394-8958-2
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Platz 1 des tolino media Newcomerpreis 2020

Richie hat genug und klaut vierzehntausend Euro und ein Auto. Zu spät bemerkt er, dass er in dem Auto nicht alleine ist und ein ungeplanter Road Trip beginnt.

Richie hat die Schnauze voll. Immer hat er sich an die Regeln gehalten, das Leben gab ihm trotzdem nichts. Er beschließt, es selbst in die Hand zu nehmen und seinem Leben ein bisschen auf die Sprünge zu helfen: er beklaut eine Tankstelle und flüchtet mit gut vierzehntausend Euro sowie einem geklauten Auto Richtung Süden.

Dumm nur, dass auf der Rückbank des Autos Leon schläft ...

Eine Geschichte über Selbstliebe und Freundschaft und darüber, dass es manchmal auch okay ist, wenn es nicht so läuft, wie man immer dachte, dass es laufen würde.



Catherine Strefford liest, gestaltet und schreibt Bücher.

Liebenswerte Antiheld*innen, ermutigendes Außenseitersein und das symbolische Licht nach der Dunkelheit - das sind die Themen in ihren Romanen.

Sie trägt überwiegend schwarze Oberteile, Tee ist ihr Kaffee und die Muse trifft sie regelmäßig beim Spazierengehen.

Ihr Debütroman "Nur kurz leben" wurde mit dem ersten Platz des tolino media Newcomerpreises 2020 ausgezeichnet.

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Samstag


Von Kopf bis Sohle durchschnittlich.

Die Antwort auf die Frage, wie ich so bin. Bemerkenswerterweise erkenne ich das erst jetzt in diesem Moment, als ich die Einkäufe anderer Leute über den Scanner ziehe. Butter – , eingeschweißte billige Salami – , Kaffee – , zwei Kartons Milch – , teure Schokocreme – , Senf – , ein Glas Gurken – und Klopapier – . Die nervige Piepsalve eines vorbildlichen Durchschnittseinkaufs. Ich rattere mein Repertoire an Kassierergeschwafel herunter. Mein großer Moment auf der Supermarktbühne: Haben Sie eine Kundenkarte? Aber vielleicht eine Punkte-Karte? Vielleicht möchten Sie wenigstens Treuepunkte sammeln? Aber die Sammelbildchen, die nehmen Sie doch sicher mit? Schade, in Ordnung. Bar oder mit Karte? Dort eine Unterschrift, hier Ihr Bon. Bittedankeschön. Haben Sie noch einen schönen Tag. Bis zum nächsten Mal. Verbeugung, Applaus, Abgang.

Schneller Outfitwechsel und weiter zur nächsten Vorstellung. Schwarz-braunes Poloshirt mit weißem Kragen löst weißes Hemd und rote Weste ab. Nur der Name auf dem Namensschild bleibt: R. Krienhagen. Ihr Versager vom Dienst, wie kann ich Ihnen helfen?

Den kühlsterilen Supermarktflair mit seiner Schlagermusik tausche ich gegen die fettwarme Luft einer Fast-Food-Hölle. In meinen Ohren ein unentwegtes Zisch- und Piepkonzert der Fritteusen.

Guten Tag, herzlich willkommen, Ihre Bestellung bitte. Hamburger mit Pommes und Cola. Ein Glanzstück an Durchschnittlichkeit. Groß oder klein? Sauce dazu? Aktuell haben wir auch Rabattgutscheine. Noch einen Cheeseburger dazu? Natürlich, kein Problem. Fahren Sie bitte vor zum zweiten Fenster. Dankeschön. Vorhang zu, Vorhang auf. Herzlich willkommen, Ihre Bestellung bitte.

Textaufsagen in Dauerschleife.

Nach viereinhalb Stunden sitze ich hinter dem Restaurant auf dem Bordstein, Rücken und Kopf an die Wand gelehnt und die Augen geschlossen. Eine kurze Pause in der Hoffnung, das Piepen der Fritteusen aus meinem Kopf zu kriegen. Aber ich höre es immer noch. Nicht sicher, ob das Geräusch in meinem Kopf widerhallt oder ob es tatsächlich durch die Mauern dringt. Die Tür, auf der nur noch steht, schwingt auf, erwischt mein Knie. Kollege Teamleiter steht im Rahmen. Er versucht lässig auszusehen, damit ich mich von seiner Autorität nicht bedroht fühle. Will mein Kumpel sein. Versaut es prompt.

„Deine Arbeitszeit ist aber rum, oder?“

„Ja, keine Sorge.“ Ein alter Tanz, für den ich nicht mal meine Augen öffne.

„Gut.“ Und erneut: „Gut.“ Schon verschwindet er wieder hinter der Mitarbeitertür. Zurück in den Bau, fleißige Ameise.

Meine Armbanduhr piept. Warum muss alles piepen?

Ich stehe auf und nehme den nächsten jobbedingten Outfitwechsel vor. Fleißige Ameise, die nichts anderes kann als zu arbeiten.

Das Poloshirt mit Fettaroma weicht einem knallblauen Shirt mit gelben Säumen. Ich fühle mich, als hätte ich die Klamotten eines Fünfjährigen an. Grell und unsexy. Fehlt nur noch ein Aufdruck à la oder .

Ein letztes Mal Luft holen und Akt drei beginnt.

Guten Tag. Einmal Säule vier. Möchten Sie die Superpflege-Autowäsche dazu? Die ist aktuell dreißig Prozent günstiger. Nicht? Okay. Macht fünfzig Euro. Bar oder Karte? Ist nichts Persönliches, ich muss alle Fünfzigeuroscheine prüfen. Heute Morgen noch selbst gedruckt, ja, haha, sehr witzig. Ihr Bon. Einen schönen Abend noch, danke, bis zum nächsten Mal. Und damit beginnen vier Stunden mit den schlechtesten Witzen für Tankstellen-Kassierer. Ihr Hauptdarsteller: weiterhin Ich.

Bei jedem Kunden der reinkommt, frage ich mich, ob sein Leben genauso ist wie sein Tankbetrag: durchschnittlich. Wissen diese Jemande, wie öde ihre Kassierer-Witze sind? Stört sie diese Mittelmäßigkeit ihres Seins? Oder denken sie, sie seien originell und einzigartig? Hatte einzig ich diesen Moment der Erkenntnis? Bin ich der einzige Mensch auf der Welt, dem seine Mittelprächtigkeit einigermaßen bewusst ist? Der irgendwann deswegen wahnsinnig werden wird?

Wohl oder übel wird das mit dem Wahnsinn noch warten müssen. Wenigstens bis alles abbezahlt ist. Aktuell ist es schlicht keine Option, auch nur einen der Jobs zu verlieren. Wahnsinnig zu werden ist eben auch wieder eines dieser Dinge, die ausschließlich den Wohlhabenden vorbehalten sind. Kann ich mir nicht leisten. Ebenso wenig wie das, was sich alle anderen in meinem Alter leisten: Auto, Haus, Familie.

Was ich mir mit meinen achtundzwanzig Jahren dagegen leisten kann: einen Kühlschrank, fast antik, gefüllt mit Discounter-Käse, Discounter-Ketchup, Discounter-Marmelade, Discounter-Joghurt. Ein Discounter-Leben. Zudem eine Couch, die gleichzeitig Bett ist – und das ohne schicke Ausklappfunktion. Wie man sich bettet, so lebt man. Unbequem, beengt, knarzend.

Der einzige Luxusgegenstand, der aus einer besseren Zeit übrig ist: mein Fernseher. Nicht nötig zum Leben, aber nötig zum Überleben.

Das Auto musste ich verkaufen. Das Symbol für Status und Unabhängigkeit aufgegeben, als die Miete fällig und kein Geld mehr da war. Bin eh kaum noch damit gefahren, Sprit ist ja auch so ein Luxusgut.

Einer der Obdachlosen am Bahnhof reißt mich aus meinen Gedanken. „Hey Kumpel, haste vielleich’n bisschen Klimpergeld übrich?“

„Verdammte Scheiße! Nein, ich habe nichts übrig. Wenn du Geld brauchst, dann such dir einen Job.“ Spucketröpfchen fliegen dem Mann entgegen. Ausfallend füge ich noch hinzu: „Ich pflücke mein beschissenes Geld auch nicht von den Bäumen!“ Meine Stimme hallt von den Wänden der Unterführung wider, klingt verzerrt, weil meine Stimmbänder diese Tonlage nicht gewohnt sind. Ich bin nicht gewohnt, erschrecke mich vor mir selbst. Der Typ macht einen Schritt rückwärts und hebt beschwichtigend die Hände. Wie ein Spiegelbild mache ich gleichzeitig die gleiche Bewegung, allerdings entschuldigend. Für gewöhnlich gehe ich andere Menschen nicht so an. Hastig stopfe ich meine Hände in die Taschen meiner Jeansjacke, marschiere weg von ihm. Weg von meinem schlechten Gewissen.

Vor der Haustür begrüßt mich der muffig herbe Duft von abgestandenem Urin. Der Hauseingang ist die Toilette der feiernden Nachtschicht. Diesen Luxus bekommt man gratis dazu, wenn man in die billigste Straße der Stadt zieht. Schon von draußen höre ich den Bass, der aus einer der Studenten-WGs im Haus wummert. Im Hausflur brennt Licht. Ich beschäftige mich länger als nötig mit dem Briefkasten, in der Hoffnung, heute weiterem Kontakt mit Menschen entgehen zu können.

Eine kostenlose Wochenzeitung und zwei Flyer für neue Schnellrestaurants in der Gegend. Den Flyer vom Chinesen stopfe ich in den Briefkasten unter meinem, den vom Inder behalte ich. Außerdem ein großer Umschlag, in dem ich meine verknickte Bewerbung samt höflicher, aber unpersönlicher Absage vermute. Ich klemme mir Umschlag und Flyer unter den Arm und mache mich auf den Weg nach oben. Dachgeschoss, eineinhalb Zimmer, famoser Ausblick auf die Backsteinmauer des Nebengebäudes. Auf der zweiten Treppe schleicht die alte Bugajczyk nach oben, schleppt zwei Stoffbeutel voller Einkäufe. Ehe sie mir irgendwelchen Hausflur-Smalltalk um die Ohren knallen kann, dränge ich mich an ihr vorbei, nehme je zwei Stufen auf einmal. Ignoriere ihr „Guten Abend, Herr Krienhagen“. Tür auf, Tür zu. Verpiss dich, Scheißtag. Danke für nichts.

Sehr geehrter Herr Krinnhagen,

wir bedauern sehr, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Ihnen keine Stelle in unserem Unternehmen anbieten können.

Blabla. Nicht mal mein Name ist richtig geschrieben. Der ganze Kram landet auf dem Boden neben meinen alten Fachbüchern vom Studium. Ich sehe mir den Flyer vom Inder genauer an.

NEUERÖFFNUNG!


Curry-Palace

Wählen Sie, was Sie wollen.

Hallo, Curry-Palace? Ich hätte gerne einmal ein weniger frustrierendes Leben. Bitte zum Mitnehmen. Danke!

Ich versacke in der alten Couch wie in der Umarmung einer liebenden Mutter, und folge halbherzig dem Actionfilm im Fernsehen. Erst am Montag wieder Dienst. Den Rest des Wochenendes habe ich frei und somit eine Menge Zeit, um Filme anzuschauen. Der beste Teil meiner Woche. Im Fernsehen eine Explosion, ein Tresor der durch mehrere Stockwerke rauscht und im venezianischen Gewässer landet. Taucher, die Goldbarren für Goldbarren aus dem Tresor holen. Wenn es doch so einfach wäre, loszuziehen, sich zu nehmen was man braucht und damit auch noch durchzukommen, wie Wahlberg und Norton.

Und was, wenn es so einfach ist?

Ich springe auf und suche meinen Taschenrechner. Ein Relikt aus der Schulzeit. Ich rechne meine acht Stunden der kommenden Doppelschicht an der Tankstelle in Minuten um. Dann geschätzte Autos, die tanken, multipliziert mit der Anzahl der Tanksäulen und das wiederum multipliziert mit dem Betrag, der getankt wird, macht … rund vierzehntausend Euro. Vierzehntausend Euro in einer Achtstundenschicht! Damit wären die Schulden bezahlt. Und es wäre sogar noch ein bisschen was übrig. Nicht unbedingt das, was Mark Wahlberg und seine Crew aus dem Tresor in Venedig rausgeholt haben, aber genug für mich. Genug für einen Neustart. Ich muss nichts weiter dafür tun, als kaltschnäuzig zu sein und diese Stadt, dieses Leben, hinter mir zu lassen. Wenn’s sonst nichts ist.

Die Konsequenz: Ich werde zum Dieb. Dieb einer beachtlichen Summe. Spielt die Summe eine Rolle? Dieb bleibt Dieb. Dieb. Dieb. Dieb. Wenn man es oft sagt,...



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