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Strindberg Am Meer


1. Auflage, Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst 2016
ISBN: 978-3-95870-559-3
Verlag: nexx verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

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Strindberg schildert in diesem Roman den unaufhaltsamen Abstieg des Fischereiinspektors Axel Borg, der auf eine abgelegene Schäreninsel versetzt wird, um die dortige Fischerei zu modernisieren. Borg vereinsamt angesichts der feindlich gesinnten Bevölkerung zunehmend, bis er ein Liebesverhältnis mit Maria eingeht.

Johan August Strindberg (1849-1912) war ein schwedischer Schriftsteller und Künstler. Er gilt als einer der wichtigsten schwedischen Autoren, besonders seine Dramatik ist weltbekannt. Von den 1870er Jahren bis zu seinem Tod dominierte er das literarische Schweden, sein umfangreiches literarisches Werk zählt zu den Klassikern schwedischer Literatur.
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Zweites Kapitel


Als der Inspektor nach einem schweren, todesähnlichen Schlaf, eine Folge der Anstrengungen des vorhergehenden Tages und der starken Seeluft, am Morgen erwachte und über die Bettdecke hinweglugte, überraschte ihn zuerst eine rätselhafte Stille, die ihm gestattete, kleine Laute aufzufangen, die er sonst nie zu beachten pflegte. Er hörte selbst die leiseste Bewegung in dem Betttuch, wenn es sich bei seinem Atemzug hob, er hörte das Reiben des Haares gegen den Kissenbezug, den Pulsschlag in der Halsader, des wackelnden Bettes schwache Wiederholung seines Herzschlages. Er hörte die Stille, denn der Wind hatte sich jetzt ganz gelegt, und nur der Schlag der Dünung gegen die in den Aushöhlungen des Strandes zusammengepresste Luft ertönte jede halbe Minute von neuem. Von dem Bett aus, das gerade vor dem Fenster stand, sah er in der untersten Fensterscheibe etwas Blaues, blauer als die Luft; es bewegte sich leise auf ihn zu, als wolle es durch das Fenster kommen und das Zimmer überschwemmen. Er wusste, dass es das Meer war, aber es kam ihm so klein vor und erhob sich wie eine lotrechte Wand, statt sich auszubreiten wie eine waagerechte Fläche, denn die langen, voll von der Sonne beleuchteten Dünungen riefen keine Schatten hervor, aus denen sich das Auge ein perspektivisches Bild gestalten konnte.

Er stand auf, zog einige Kleidungsstücke an und öffnete das Fenster. Die raue, feuchte Luft in der Kammer fuhr hinaus, und von der See her strömte eine warme Treibhausluft herein, die mehrere Stunden lang von der strahlenden Maisonne erwärmt worden war. Unter dem Fenster erblickte er herabgestürzte zerrissene Steinmassen, in deren Spalten kleine staubige Schneewehen lagen, neben denen weiße Gänseblümchen, gut beschützt von einem Mooslager, blühten, und bescheidene Stiefmütterchen mit des Hungers gelbem und der Kälte blauviolettem Aussehen die armseligen Farben ihres armseligen Landes bei der ersten Lenzsonne hissten. Weiter unten kroch das Heidekraut, und das Moosbeer-Gestrüpp guckte über die Abhänge hinweg, unterhalb welcher eine Schicht weißen Sandes lag, das die See pulverisiert hatte und in die vereinzelte Pflanzen von Dünengras hineingesteckt waren. Dann kam der Tanggürtel wie eine dunkle Schärpe oder ein Rocksaum auf dem weißen Sand, ganz oben fast kohlschwarz von vorjährigem Tang, mit trockenen Tannenzweigen und Fischgräten, und an der Wasserkante schmutzigbraun von den letzten frischen Tangpflanzen, die, gekräuselt und knotig, Chenillen an der Garnierung bildeten. Und drinnen auf dem Strandweg lag der Wipfel einer Tanne, ohne Rinde, geschunden, vom Sande abgeschliffen, vom Wasser durchwaschen, vom Winde poliert, von der Sonne gebleicht, dem Brustkasten eines skelettierten Mammuts gleichend. Rings um diese Baumleiche herum ein ganzes osteologisches Museum von ähnlichen Skeletten oder Bruchstücken solcher. Hier lag ein angetriebener Pricken, der Jahre hindurch Wegweiser an der Einfahrt gewesen war und nun mit dem dicken Unterteil aussah wie der Schenkelknochen einer Giraffe mit dem Hüftbecken; hier lag ein ganzer Busch wie der Kadaver einer ertränkten Katze, die weiße, dünne Wurzel als Schwanzknochen von sich gestreckt. Außerhalb des Strandes lagen Riffe und Klippen, den einen Augenblick nass im Sonnenschein glänzend, um im nächsten von den Dünungen ertränkt zu werden, die mit einem Plumps über sie hingingen oder, wenn es ihnen an der erforderlichen Kraft gebrach, zerschellten und einen Wasserfall von Schaum kerzengerade in die Luft hinaufwarfen.

Weiter hinaus lag das Meer blank und still, da kam man auf das große Flach hinaus, wie die Schiffer es nannten, und jetzt in den Morgenstunden streckte sich das Meer aus wie ein blaues Tuch ohne Falten, aber wogend wie eine Flagge. Diese große, runde Fläche würde ermüdend gewirkt haben, wenn nicht außerhalb der Sandbank eine rote Boje verankert gelegen hätte, die wie das Siegel auf einem Brief wirkte und die einförmige Fläche belebte.

Dies war das Meer, freilich nichts Neues für Inspektor Borg, der verschiedene Teile der Welt gesehen hatte, aber es war das öde Meer und gleichsam in einem »Untervieraugen« gesehen. Es beängstigte nicht wie der Wald mit seinen dunklen Verstecken, sondern wirkte beruhigend wie ein offenes, großes, blaues, treues Auge. Alles konnte auf einmal übersehen werden, hier war kein Hinterhalt, hier gab es keine Schlupfwinkel. Es schmeichelte dem Beschauer, wenn er diesen Rundkreis um sich sah, wo er stets selbst der Mittelpunkt blieb, welchen Platz er auch einnahm. Die große Wasserfläche war gleichsam eine verkörperte Ausstrahlung vom Beschauer, der, solange er an Land stand, sich dieser ungefährlichen Macht vertraut fühlte, überlegen ihren mächtigen Kraftmitteln gegenüber, die ihn jetzt nicht mehr treffen konnten. Als er sich der Lebensgefahren erinnerte, die er am vorhergehenden Abend ausgestanden, der Angst, des Zornes, die er durchgemacht hatte im Kampf mit einem brutalen Feind, den zu überlisten ihm doch gelungen war, lachte er edelmütig nach dem Besiegten hinaus, der nur ein blindes Werkzeug im Dienste des Windes gewesen war und sich jetzt ausruhend im Sonnenschein streckte.

Dies war Österskär, das klassische, weil es seine alte Geschichte hat, seine Blüte- und Verfallperiode; das alte Österskär, das im Mittelalter ein großes Fischerdorf gewesen, bekannt für seine wichtige Strömling-Fischerei, und das seine eigenen Gildenabzeichen hatte, die noch aufbewahrt werden.

Der Strömling hat für Oberschweden und Norrland dieselbe Aufgabe gehabt wie der Hering für die Westküste von Schweden und für Norwegen, und ist nichts weiter als eine Heringsart, die den kleinen Verhältnissen der Ostsee angepasst und ihr Produkt ist. Begehrt, wenn der Hering knapp und teuer, und Gegenstand weniger lebhafter Nachfrage, wenn der Heringsfang reichlich war, hat er lange die Winternahrung Mittelschwedens gebildet, und zwar in dem Maße, dass man in einem Liede noch das Klagelied der von Königin Christine ins Land gerufenen Franzosen über das ewige Flachbrot und den unendlichen Strömling finden kann. Vor einem Menschenalter lohnten die großen Grundbesitzer ihre Fronbauern mit Heringen, als aber der Heringsfang abnahm, wurde die Naturallieferung Hering in gesalzenen Strömling verändert. Die Preise stiegen, und die Fischerei, die früher nur mäßig zum Hausbedarf betrieben worden war, nahm den heftigen Charakter der Spekulation an. Die Fischgründe bei Österskär wurden allmählich in großem Maßstabe ausgebeutet; die Fische wurden in ihrer Laichzeit beunruhigt, die Maschen der Netze wurden enger und enger, und die natürliche Folge hiervon war, dass die Fischerei schlechter wurde, nicht so sehr, weil der Fisch gefangen wurde, als weil er aus den gewöhnlichen Laichplätzen nach der Tiefe hinaus flüchtete, wo die Fischer noch nicht gedacht hatten, den Fliehenden aufzusuchen.

Lange zerbrachen sich die Gelehrten die Köpfe mit der Untersuchung über die Ursache der Abnahme der Strömling-Fischerei, bis die Landwirtschaftliche Hochschule durch Ernennung kundiger Fischerei-Konsulenten oder Inspektoren die Initiative ergriffen, sowohl die Ursachen zu den veränderten Verhältnissen ausfindig zu machen, als auch die Mittel zu finden, wie dem Schaden abzuhelfen sei.

Dies war der Hauptzweck von Inspektor Borgs Sendung nach Österskär, wo er den Sommer über bleiben sollte. Der Platz gehörte nicht zu den lebhaftesten, denn die Schäre liegt nicht an einer der Haupteinfahrten nach Stockholm. Von Süden gehen die großen Schiffe gewöhnlich durch die Landsort-Schären, vorüber an Dalarö und Vaxholm; von Osten, und mit gewissen Winden auch von Süden, nimmt die Schifffahrt den Kurs durch das Sandhamn-Vaxholm-Fahrwasser; und von Norrland wie von Finnland aus dringen die Kauffahrteischiffe durch Furusund-Vaxholm ein.

Die Fahrt an Österskär vorbei ist ein Weg, der nur im Notfalle benutzt wird, hauptsächlich von Estländern, die in der Regel aus Südosten kommen, und von andern, die infolge von Wind, Strömung oder Sturm nicht nach Landsort oder Sandhamn hineingelangen können. Das Fischerdorf ist daher nur mit einer Zollstation dritter Klasse unter einem Kontrolleur und mit einer Lotsenabteilung versehen, und beide Institutionen unterstehen Dalarö.

Hier ist das Ende der Welt, stumm, still, verlassen, ausgenommen zur Fischereizeit im Frühling und im Herbst; und kommt im Laufe des Sommers einmal eine vereinzelte Lustjacht da hinaus, so wird sie wie eine Offenbarung aus einer lichteren und froheren Welt begrüßt. Fischereiinspektor Borg aber, der zu anderen Zwecken dahinaus gekommen war, um zu »schnüffeln«, wie die Bevölkerung es nannte, wurde mit einer auffallenden Kälte empfangen, die sich zuerst durch die Gleichgültigkeit am vorhergehenden Abend zu erkennen gab, und sich nun in Form des elenden, eiskalten Kaffees offenbarte, der ihm in sein Zimmer gebracht wurde.

Obwohl im Besitz eines stark entwickelten Geschmacksinns, hatte er sich zugleich durch fortgesetzte Übung die Fähigkeit erworben, unangenehme Gefühle zu unterdrücken. Er goss daher, ohne eine Miene zu verziehen, den unschmackhaften Trunk herunter und ging darauf hinab, um die Umgebung in Augenschein zu nehmen und die Bevölkerung zu begrüßen.

Als er an der Küche des Zollassistenten vorüberkam, wurde es still da drinnen, und die Bewohner schienen sich den Anschein geben zu wollen, als seien sie nicht zu Hause, sie schlossen die Türen und brachen die Unterhaltung ab, um nicht bemerkt zu werden.

Mit dem unangenehmen Eindruck, unwillkommen zu sein, setzte Borg seinen Spaziergang auf die Insel hinaus fort und kam an den Hafen. Hier lag eine Gruppe...



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