E-Book, Deutsch, 231 Seiten
Strindberg Die Beichte eines Thoren
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3723-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 231 Seiten
ISBN: 978-3-8496-3723-1
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein weitgehend autobiografisches Werk des großen schwedischen Autors, in dem er u.a. seine Beziehung zu Siri von Essen aufarbeitet.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Am Tische sitzend, die Feder in der Hand, wurde ich von einem Fieberanfall erfaßt: Seit fünfzehn Jahren war ich nicht ernstlich krank gewesen, darum erschreckte mich dieser plötzliche Anfall. Nicht als ob ich den Tod gefürchtet hätte, nein, durchaus nicht. Mit 38 Jahren hatte ich ein geräuschvolles Leben hinter mir, ohne etwas Tüchtiges geleistet, ohne alle meine jugendlichen Wünsche verwirklicht zu haben; ich hatte den Kopf noch voller Pläne, und so war mir dieser Anfall durchaus unerwünscht. Seit vier Jahren lebte ich mit Weib und Kind in einem halb freiwilligen Exil, ich hielt mich in einem bairischen Weiler verborgen, war abgehetzt, vor Kurzem war ich verklagt und gepfändet worden, ich war verbannt und auf die Straße geworfen; und nun beherrschte mich das Gefühl der Rache selbst noch in dem Augenblick, als ich aufs Bett sank. Jetzt entspann sich ein Kampf. Ohne Kraft, um nach Hülfe zu rufen, lag ich in meinem Dachstübchen allein da, und das Fieber schüttelte mein Inneres durcheinander wie ein Federbett, schnürte mir die Kehle zu, setzte mir die Kniee auf die Brust, meine Ohren glühten und die Augen schienen aus dem Kopf zu dringen. Ich zweifelte nicht daran, daß es der Tod sei, der in mein Zimmer gedrungen war und sich auf mich geworfen hatte.
Doch ich wollte nicht sterben. Ich leistete ihm Widerstand; es war ein erbittertes Ringen; die Nerven spannten sich, das Blut tobte in den Adern, das Gehirn tanzte wie ein Polyp in Essig. Doch plötzlich gewann ich die Ueberzeugung, daß ich in diesem schrecklichen Totentanz unterliegen müßte, ich ließ los, fiel rückwärts über und gab mich ganz dem schrecklichen Würger gefangen.
Doch da überströmte mein ganzes Wesen ein unsagbarer Frieden, eine wollüstige Schlaffheit überlief meine Glieder, eine süße Ruhe ergoß sich über Körper und Seele, die beide in den vielen arbeitsharten Jahren der wohlthätigen Erholung entbehrt hatten.
Das war ohne Zweifel der Tod: allmählich schwand der Wille zum Leben, ich hörte auf zu empfinden, zu fühlen, zu denken. Das Bewußtsein entschwand, und die wohlthuende Empfindung des Nichts füllte die Leere aus, die durch das Schwinden der namenlosen Schmerzen, der beunruhigenden Gedanken, der uneingestandenen Sorgen entstanden war.
Als ich erwachte, saß meine Frau am Bette und sah mich mit ängstlichem Blick forschend an.
– Was ist Dir denn, lieber Freund? sagte sie.
– Ich bin krank, antwortete ich; aber wie gut ist es, krank zu sein!
– Was sagst du? Ist das dein Ernst?
– Das Ende naht heran; ich hoffe es wenigstens.
– Laß uns um Gotteswillen nicht auf dem Stroh zurück, rief sie. Was soll aus uns werden in einem fremden Land, fern von Freunden, ohne Mittel!
– Ich hinterlasse euch meine Lebensversicherung, tröstete ich sie. Es ist nicht viel, aber es reicht hin, um in die Heimat zurückzukehren.
Sie hatte nicht daran gedacht, und etwas ruhiger fuhr sie fort:
– Aber, wir müssen etwas thun, lieber Mann, ich werde den Arzt holen lassen.
– Nein! Ich will keinen Arzt.
– Warum?
– Weil ... weil ich nicht will.
Wir wechselten verständnisvolle Blicke an Stelle von Worten.
– Ich will sterben, erwiderte ich schroff. Das Leben widert mich an, die Vergangenheit erscheint mir wie ein Knäuel Garn, den abzuwickeln ich nicht die Kraft fühle. Mag das Dunkel hereinbrechen! Vorhang herunter!
Sie blieb bei diesen edelmütigen Ergüssen kalt.
– Immer wieder das alte Mißtrauen, sagte sie.
– Ja, noch immer! Vertreibt das Phantom! Du allein, du hättest es gekonnt!
Wie gewöhnlich legte sie die Hand auf meine Stirn.
– Thut dir das wohl, schmeichelte sie mit dem Ton ihrer früheren mütterlichen Zärtlichkeit.
– O, wie wohl das thut!
Die Berührung dieser kleinen Hand, die so schwer auf meinem Geschick lastete, besaß wirklich die Macht, die schwarzen Gespenster zu bannen und die verstohlenen Zweifel zu beschwören.
Nach kurzer Zeit brach das Fieber noch heftiger aus. Meine Frau stand auf, um einen beruhigenden Trank zu bereiten. Als ich einen Augenblick allein war, setzte ich mich auf, um einen Blick durch das Fenster gegenüber zu werfen. Es war ein breites, dreiteiliges Fenster, draußen von Weinranken umrahmt; zwischen den grünen Blättern konnte man noch ein Stück Landschaft sehen: Vorn die Krone einer Quitte, mit ihren schönen, goldgelben Früchten zwischen den dunkelgrünen Blättern, weiterhin die mitten auf den Rasen gepflanzten Apfelbäume, der Turm der Kapelle, ein blaues Fleckchen vom Bodensee und im Hintergrunde die Tyroler Alpen.
Es war mitten im Sommer, rings herum war Alles beschienen von den schrägen Strahlen der Nachmittagssonne – es war ein entzückendes Bild.
Drunten ertönte das Plappern der Staare, welche auf den Leitern der Weinberge saßen, das Piepsen der jungen Enten, das Zirpen der Grillen, die Kuhglocken; und in dieses fröhliche Konzert mischte sich das Lachen der Kinder und die anordnende Stimme meiner Frau, welche mit der Frau des Gärtners über meine Krankheit sprach.
Da ergriff mich wieder die Lust zum Leben, und die Furcht vor der Vernichtung durchbohrte mich. Nein, ich wollte nicht mehr sterben, hatte ich doch noch viele Pflichten zu erfüllen, viele Schulden zu begleichen. Von Gewissensbissen gepeinigt, fühlte ich das dringende Bedürfnis zu beichten, die Welt für irgend etwas um Verzeihung zu bitten, mich, vor wem es auch sei, zu demütigen. Ich fühlte mich schuldig, mein Gewissen wurde von unbekannten Verbrechen gemartert. Ich brannte vor Begierde, mein Herz durch ein vollständiges Bekenntnis meiner eingebildeten Schuld zu erleichtern.
Während dieses Schwächeanfalls, der meiner angeborenen Verzagtheit entsprang, trat meine Frau ein und brachte den Beruhigungstrank in einem Milchnapf. Indem sie auf einen leichten Anfall von Verfolgungswahn anspielte, den ich früher einmal gehabt, kostete sie von dem Getränk, bevor sie es mir reichte.
– Es ist kein Gift drin, sagte sie lächelnd.
Ich schämte mich und wußte nicht, was ich darauf antworten sollte, und mit einem Zug leerte ich den Napf, um ihr eine Genugthuung zu gewähren.
Das einschläfernde Getränk, dessen Duft mich an meine Heimat erinnerte, wo der geheimnisvolle Hollunderstrauch Gegenstand eines populären Kultus ist, brachte einen Hauch von Sentimentalität mit sich, welche schließlich in einen Ausbruch meiner Gewissensbisse überging.
– Höre, liebes Kind, bevor ich den letzten Atemzug thue. Ich bekenne, daß ich ein rücksichtsloser Egoist bin, ich habe, um meines litterarischen Ruhmes willen, deine Theaterlaufbahn zerstört; ich bin bereit, Alles zu gestehen, verzeih mir. Sie wehrte ab und sprach mir Trost ein, ich aber unterbrach sie und fuhr fort:
Wir haben bei unserer Verheiratung nach deinem Wunsche beschlossen, daß deine Mitgift dir verbleiben sollte; dennoch habe ich sie verschleudert, um leichtsinnig übernommene Bürgschaften zu decken; und das bedrückt mich am meisten, weil du im Falle meines Todes nicht den Besitz meiner veröffentlichten Werke wirst antreten können. Laß einen Notar kommen, damit ich dir mein angebliches oder wirkliches Vermögen vermachen kann. Dann aber kehre zu deiner Kunst zurück, die du um meinetwillen aufgegeben hast.
Sie wollte ausweichen, indem sie die Sache scherzhaft nahm, sie empfahl mir, ein wenig zu schlummern, und versicherte mir, es würde sich alles ordnen, der Tod komme nicht so schnell.
Kraftlos faßte ich ihre Hand, bat sie an meiner Seite zu sitzen, während ich schliefe, flehte sie noch einmal an, mir alles Leid zu verzeihen, das ich über sie gebracht, und nahm ihre Hand fest in die meine; nunmehr senkte sich eine süße Müdigkeit auf meine Augen, ich fühlte, wie ich steif wurde wie Eis unter den Ausstrahlungen ihrer großen Augen, die mit unendlicher Zärtlichkeit auf mich blickten, unter ihrem Kusse, den sie wie ein kaltes Siegel auf meine heiße Stirn drückte – wie ich versang in unsagbare Seligkeit.
...