E-Book, Deutsch, 129 Seiten
Strindberg Die Leute auf Hemsö
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3726-2
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 129 Seiten
ISBN: 978-3-8496-3726-2
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Brilliant schildert der schwedische Schriftsteller die Geschichte seines Protagonisten Carlsson, der als Städter nur scheinbar in die Phalanx der seltsamen Schärenbewohner eindringt. Und bald entsteht aus der scheinbaren Eintracht ein unfassbares Chaos ...
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Viertes Kapitel
Hochzeit in Aussicht. Die Alte wird des Geldes wegen genommen
Das Heu war hereingebracht, Roggen und Weizen waren geerntet: der Sommer ging zu Ende und war gut gewesen.
"Er hat Glück, der Kerl!" sagte Gustav von Carlsson, dem man nicht ohne Grund den vergrößerten Wohlstand zuschrieb.
Die Heringszeit hatte begonnen, und alle Leute waren draußen in der Bucht, mit Ausnahme von Carlsson, der zu Hause geblieben war; die Familie des Professors zog in die Stadt, weil die Opernsaison dort ihren Anfang nahm.
Carlsson hatte sich erboten, beim Einpacken behilflich zu sein, und ging den ganzen Tag mit der Bleifeder hinterm Ohr umher, trank Bier am Küchentisch, am Büfett im Saal und auf der Bank vor der Tür. Hier erhielt er einen abgelegten Strohhut, dort ein Paar alte Touristenschuhe, eine Zigarrenspitze, Zigarren, leere Kisten und Flaschen, Angelruten und leere Fleischextraktkruken, Korke, Segelgarn und Nägel, kurz alles, was man nicht mitnehmen wollte oder als unbrauchbar betrachtete, es fielen manche Brosamen vom Tische des Reichen, und alle fühlten, daß man die Fremden vermissen würde: von Carlsson an, der seine Geliebte entbehren sollte, bis zu den Hühnern und Ferkeln, die in Zukunft keine Sonntagsspeisen aus der herrschaftlichen Küche erhalten würden. Am geringsten freilich war der Schmerz für Klara und Lotte, die, obwohl sie manch guten Schluck Kaffee bei Professors erhalten hatten, wenn sie die Milch hinaufbrachten, doch fühlten, daß ihr Lenz wieder grünen würde, sobald der Herbst ihre Nebenbuhlerinnen auf dem Felde der Liebe entfernt hatte.
Als der Dampfer am Nachmittag anlegte, um die Familie abzuholen, herrschte eine große Aufregung auf der Insel; denn noch nie zuvor hatte ein Dampfschiff dort angelegt. Carlsson leitete die Einschiffung, er kommandierte und gebrauchte sein Mundwerk, während der Dampfer sich der Brücke zu nähern suchte. Da ihm aber das Seewesen völlig fremd war, hatte er sich hier auf ein Eis gewagt, das ihn nicht tragen konnte, und gerade in dem stolzen Augenblicke, als er sich vor Ida und der Herrschaft so recht zeigen wollte, bekam er ein ganzes Bündel Taue von oben an den Kopf, so daß ihm die Mütze herabgerissen wurde und ins Wasser fiel. Er wollte gleichzeitig das Tau annehmen und die Mütze im Fallen ergreifen, machte einige komische Tanztritte und fiel unter einem Regen von Scheltworten von seiten des Kapitäns und einem schallenden Hohngelächter der Schiffsmannschaft hin, so lang wie er war. Ida wandte ihm den Rücken, ärgerlich über das ungeschickte Benehmen ihres Helden und nahe daran, aus Beschämung über ihn in Tränen auszubrechen. Mit einem kurzen Lebewohl verließ sie ihn schließlich an der Landungsbrücke, und als er ihre Hand in der seinen behalten wollte und vom nächsten Sommer sprach, und daß sie einander schreiben wollten, und wie er die Adresse machen müsse, wurde ihm die Landungsbrücke unter den Füßen fortgerissen, so daß er um ein Haar auf die Nase gefallen wäre; die nasse Mütze glitt ihm in den Nacken, und der Steuermann brüllte ihm von der Kommandobrücke zu:
"Na, wirds bald, oder willst du das Tauende ewig festhalten?"
Ein neuer Regen von Schimpfworten hagelte auf den unglücklich Liebenden herab, ehe es ihm gelang, das Tau zu lösen. Der Dampfer glitt den Sund hinab, und gleich einem Hunde, dessen Herr abreist, lief Carlsson am Strand entlang, von Stein zu Stein hüpfend und über Baumwurzeln strauchelnd, um die Landspitze zu erreichen, wo er seine Büchse unter einem Erlenbusch verborgen hatte und von wo aus er eine Abschiedssalve abfeuern wollte. Aber er mußte wirklich mit dem linken Bein zuerst aus dem Bett gekommen sein, denn gerade als der Dampfer vorüberkam und er schießen wollte, schnappte der Hahn über. Da warf er das Gewehr hin, lief am Strand entlang, winkte mit seinem blauen Taschentuch und schrie ein keuchendes Hurra, das jedoch vom Schiff nicht beantwortet wurde; keine Hand erhob sich, kein Taschentuch rührte sich. Ida war verschwunden. Aber unverzagt sprang er gleich einem Rasenden über das Steingeröll dahin, lief ins Wasser hinaus, stürzte durch das Erlengesträuch, kam an eine Hecke, fiel halb hinein, so daß er sich die Hände blutig riß, und schließlich, als das Boot gerade hinter der Landzunge verschwinden wollte, schnitt ihm eine schilfbewachsene Bucht den Weg ab. Ohne sich zu besinnen, sprang er direkt in das Wasser hinein, schwang noch einmal sein Taschentuch und stieß ein letztes verzweifeltes Hurra aus. Nun verschwand der Hintersteven des Schiffes zwischen den Tannen, die blaue Flagge mit dem Posthorn nach sich ziehend; Carlsson sah noch den Hut des Professors zum Abschied winken, und dann war alles verschwunden, bis auf den langen schwarzen Rauch, der gleich einem Trauerflor über dem Wasser lag und die Luft verdunkelte.
Carlsson watete an Land und kehrte langsamen Schrittes zu seiner Büchse zurück. Er warf ihr einen ärgerlichen Blick zu, als wolle er ihr einen Vorwurf machen, weil sie ihn im Stich gelassen; dann schüttete er Pulver ins Zündrohr, setzte ein Zündhütchen darauf und feuerte ab.
Darauf kehrte er zur Brücke zurück. Der ganze Skandal zog noch einmal an seiner Seele vorüber: wie er sich auf der Landungsbrücke lächerlich gemacht und zum Gespött der andern gedient hatte; er hörte noch einmal das Gelächter und die Schimpfworte, dachte an Idas kühlen, verlegenen Blick und Händedruck, spürte noch den Geruch des Steinkohlenrauchs und des Maschinenöls, des Bratenfetts aus der Schiffsküche und der frischen Ölfarbe.
Der Dampfer war hier in sein Reich herausgekommen und hatte Stadtbewohner mit sich geführt, die ihn verachteten, die ihn in einem Augenblick von der Leiter herabgestürzt hatten, auf der er schon ein gutes Stück emporgeklommen war, und – hier schnappte er nach Luft – er hatte ihm sein Sommerglück, seine Sommerfreude entführt. Er blickte einen Augenblick in das Wasser hinab, das die Radschaufeln des Dampfers in eine trübe Masse verwandelt hatten, auf dessen Oberfläche große Flocken des herabgefallenen Rußes lagen und wo das Öl in allen Regenbogenfarben schimmerte. Das Ungeheuer hatte während der kurzen Zeit seiner Anwesenheit Gelegenheit gefunden, allen möglichen Schmutz auszuspeien und das klare, grüne Wasser zu trüben; da schwammen Bierkorke, Zitronenschalen, Zigarrenstummel, abgebrannte Schwefelhölzchen und Papierstückchen, mit denen die kleinen Fische ihr Spiel trieben; es war, als seien alle Rinnsteine der Stadt hier herausgekommen und hätten zugleich Schimpfworte und Abfall mit sich geführt.
Einen Augenblick ward ihm ganz unheimlich zumute, er dachte daran, daß, wenn er seine Geliebte allen Ernstes gewinnen wolle, er dort hinein müsse in die Stadt zu den Gassen und Rinnsteinen, wo der hohe Tagelohn und die feinen Kleider, die Gaslaternen und die Ladenfenster, die Mädchen mit Halskrausen, Manschetten und hohen Zugstiefeln – kurz, wo alles zu finden ist, was lockt und reizt. Aber er haßte die Stadt, wo er so wenig galt, wo man über seinen Bauerndialekt lachte, wo seine grobe Hand nicht imstande war, die feine Arbeit auszuführen, und wo ihm seine Kenntnisse nur zu geringem Nutzen gereichen würden. Und doch mußte er daran denken; denn Ida hatte gesagt, daß sie niemals einen Knecht heiraten würde, und Hofbesitzer konnte er ja nicht werden.
Ja – konnte er das nicht?
Draußen im Sunde kräuselte eine kühle Brise das Wasser, die wurde stärker und stärker, setzte die Wellen in Bewegung, so daß sie anfingen gegen die Brückenpfähle zu plätschern, fegte den Ruß fort und putzte den Abendhimmel blank. Das Rauschen der Erlen, das Murmeln der Wellen und das Schaukeln des Bootes rissen ihn aus seinen Träumereien, und die Büchse über dem Nacken, schlenderte er heimwärts.
Der Weg schlängelte sich unter den Haselbüschen hin, über einen Hügel hinweg, den eine tannenbewachsene Granitklippe krönte, die er noch niemals bestiegen hatte. Von Neugierde getrieben, kletterte er zwischen Farnen und wilden Himbeerbüschen aufwärts und stand bald auf einer Granitplatte, auf der ein Seezeichen errichtet war. Die untergehende Sonne beleuchtete eine Vogelperspektive der Insel mit Wäldern, Ackern, Wiesen und Häusern, und in der Ferne, ganz weit da draußen im Meer lagen Werder und Klippen. Dies war ein großes Stück der Erde, und das Wasser, die Bäume, die Steine, alles konnte sein Eigentum werden, sobald er nur die Hand darnach ausstreckte – nur die eine – und die andere zurückzog, die nach etwas haschte, das nur seine Eitelkeit befriedigen und ihm Armut bringen würde. Hier bedurfte es keines Versuchers, der sich neben ihn stellte und ihn anflehte, vor diesem Bilde zu knien, das die Strahlen der untergehenden Sonne mit einem rosenroten Schimmer übergossen; das blaue Wasser, die grünen Wälder, die gelben Äcker und die roten Häuser vereinigten sich zu einem Regenbogen, der wohl einen schärferen Verstand als den, über den ein armer Bauernbursche verfügte, hätte berücken können.
Gereizt durch der Treulosen vorsätzliches Vergessen, das sich kundgab, indem sie ihr nur fünf Minuten altes Versprechen, ihm einen Abschiedsgruß zu senden, unerfüllt ließ; verwundet durch die Hohnreden der übermütigen Stadttölpel, die ihn gleich Peitschenhieben getroffen hatten; überwältigt von dem Anblick der fetten Erde, des fischreichen Sundes, der warmen Häuser, faßte er den Entschluß, nach Hause zu gehen und das...