E-Book, Deutsch, 210 Seiten
Reihe: Fischer Klassik Plus
Strindberg Inferno
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-10-401971-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fischer Klassik PLUS
E-Book, Deutsch, 210 Seiten
Reihe: Fischer Klassik Plus
ISBN: 978-3-10-401971-0
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christian Morgenstern, 1871 in München geboren, studierte Nationalökonomie in Breslau, mußte das Studium aber aus Krankheitsgründen 1893 abbrechen. In dieser Zeit begann er erste lustige Texte zu schreiben und Strindberg und Ibsen zu übersetzen. 1914 starb Morgenstern nach langer schwerer Krankheit in Meran. Seine ?Galgenlieder? machten ihn unsterblich.
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I. Die Hand des Unsichtbaren
Mit einer wilden Freude wandte ich dem Nordbahnhof den Rücken; denn soeben hatte der Zug mein Frauchen zur Ferne entführt, wo unsere plötzlich erkrankte Kleine der Mutter harrte. Das Opfer war vollbracht. »Also auf baldiges Wiedersehen« klang mir noch in den Ohren, aber ich ahnte nur zu gut, dass es ein Abschied auf Nimmerwiedersehen gewesen war. Und in der Tat habe ich seit damals, November 1894, bis heute, Mai 1897, meine vielgeliebte Gattin nicht wiedergesehen.
Bald darauf saß ich im Café de la Régence und zwar am selben Tische, an dem ich eben noch mit meiner Frau gesessen, meiner schönen Kerkermeisterin, die Tag und Nacht meine Seele belauert, meine geheimen Gedanken erraten und, voll Eifersucht auf meine Liebe zur Erkenntnis, den Lauf meiner Ideen überwacht hatte …
Die wiedergeschenkte Freiheit verjüngt und erhebt mich, und tief unter mir liegt die Großstadt, so klein. Was ist mir jetzt noch der Sieg, den ich auf diesem Schauplatz geistiger Kämpfe erfochten: dass ich auf einer Pariser Bühne gespielt wurde! Bedeutete das für mich doch nichts Geringeres als die Erfüllung eines Jugendtraumes, wie er von all den zeitgenössischen Schriftstellern meines Landes geträumt wird und nun allein von mir verwirklicht worden ist. Aber gleichviel. Das Theater stieß mich, wie alles, was man einmal erreicht hat, ab, und die Wissenschaft zog mich an. Meine Wahl zwischen Liebe und Wissenschaft hat sich für Letztere entschieden und lässt mich über dem Opfer meiner eigenen Liebe ganz vergessen, dass ich zugleich ein schuldloses Weib auf dem Altar meines Ehrgeizes oder, sagen wir, meines inneren Berufes opfere.
Denselben Abend noch durchwühlte ich in meinem ärmlichen Studierzimmer im Quartier Latin meinen Schrank und zog sechs Tiegel aus feinem Porzellan, deren Preis ich mir seinerzeit heimlich vom Munde abgespart, aus ihrem Versteck hervor. Eine Lampe und eine Stange reiner Schwefel vollendeten das Laboratorium. Nachdem ich dann noch im Kamin ein Schmiedefeuer angefacht, verriegelte ich die Tür und ließ die Vorhänge herab; denn Caserio ist erst seit drei Monaten hingerichtet und Paris noch nicht so beruhigt, dass man sich ohne Gefahr mit chemischen Experimenten beschäftigen kann.
Die Nacht bricht herein, der Schwefel brennt wie flammende Hölle, und, als es Morgen wird, habe ich das Vorhandensein von Kohlenstoff in diesem für einfach gehaltenen Körper festgestellt und glaube damit ein großes Problem gelöst, die herrschende Chemie gestürzt und mir selbst die Sterblichen verstattete Unsterblichkeit erworben zu haben.
Meine von der unmäßigen Hitze gedörrten Hände schuppen sich und machen mir beim Auskleiden schmerzhaft bemerklich, um welchen Preis ich meine Eroberung gemacht habe. Als ich aber allein im Bette liege, in dem noch alles an die Frau erinnert, überkommt mich ein tiefes Glücksgefühl. Aus einer seelischen Reinheit, einer männlichen Jungfräulichkeit heraus betrachte ich die vergangene Ehe als etwas Unreines, und ich möchte nur jemanden haben, dem ich für meine Befreiung aus ihren trüben und nun ohne viel Worte gelösten Banden danken könnte. Die unbekannten Mächte haben die Welt so lange ohne ein Lebenszeichen von sich gelassen, dass ich im Laufe der Zeit zum Atheisten geworden bin.
Aber ich möchte so gerne danken! Irgend jemandem! Mich drückt diese aufgezwungene Undankbarkeit!
Ich bin so eifersüchtig auf meine Entdeckung, dass ich nichts tue, was zu ihrem Bekanntwerden führen könnte. Schüchtern, wie ich in solchen Angelegenheiten bin, lasse ich Autoritäten Autoritäten und Akademien Akademien sein und experimentiere ruhig weiter. Aber die Risse meiner Hände verschlimmern sich, die Schrunden springen auf und füllen sich mit Kohlenstaub, das Blut sickert hervor und ich kann zuletzt nichts mehr berühren, ohne die unerträglichsten Schmerzen zu empfinden.
Voll wilder Anklagen wende ich mich gegen jene unbekannten Mächte, die es sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheinen, mein ganzes Leben und Streben durch ihre Verfolgungen zu vergällen, ziehe mich, menschenscheu, von allen Gesellschaften zurück, lehne alle Einladungen ab und verleugne mich vor allen meinen Freunden. Schweigen, Einsamkeit breitet sich um mich, das erhaben-schreckliche Schweigen der Wüste, in der ich mich trotzig an dem Unbekannten messe, Leib an Leib, Seel’ an Seele …
Der Kohlenstoff im Schwefel wäre nachgewiesen, nun gilt es noch den Wasser- und Sauerstoff. Aber was ist mit ungenügenden Apparaten uud ohne Geld zu machen? Dazu sind meine Hände schwarz und blutig, schwarz wie mein Elend, blutig wie mein Herz. Denn ach, während alledem schrieben wir uns, meine Frau und ich, verliebte Briefe. Aber meine Erfolge als Chemiker lassen sie kalt; sie antwortet mit Krankheitsberichten über das Kind und gibt nicht undeutlich zu verstehen, für wie eitel sie meine Wissenschaft halte und wie töricht es sei, dafür Geld zu vergeuden.
Da packt mich der Teufel, und in einer Anwandlung gerechten Stolzes tue ich mir selbst das Leid, den Selbstmord an, und gebe in einem unverzeihlich nichtswürdigen Briefe Weib und Kind den Laufpass, indem ich mich stelle, als ob eine neue Liebschaft meinen Geist beschäftige.
Der Hieb sitzt. Meine Frau antwortet mit einer Klage auf Scheidung.
Welcher Kummer, welche Sorgen, die über mich Mörder und Selbstmörder hereinbrechen! Niemand teilt meine furchtbare Einsamkeit, und ich bin zu stolz, jemanden aufzusuchen.
Hoch über den Spiegel eines Meeres treibe ich dahin … Das Ankertau hab’ ich kühn durchhauen – aber wo ließ ich die Segel?
Inzwischen taucht das Schreckbild einer unbezahlten Rechnung inmitten meiner wissenschaftlichen Arbeiten und metaphysischen Spekulationen auf und erinnert mich wieder an die Erde.
So kommt Weihnachten heran. Ich habe die Einladung einer skandinavischen Familie, deren Atmosphäre mir wegen ihrer peinlichen Unregelmäßigkeiten missfällt, derb abgelehnt. Am Abend aber tut es mir leid und ich gehe doch hin. Man setzt sich alsobald, und das Abendessen beginnt unter einem Heidenlärm. Die jungen Künstler sind von einer unbändigen Ausgelassenheit und fühlen sich hier wie zu Hause. Eine Vertraulichkeit der Bewegungen und Mienen, dazu ein Ton, der nicht in die Familie passt, erfüllt mich mit unbeschreiblichem Missbehagen, und in meiner Traurigkeit erscheint mir inmitten der Saturnalien das friedliche Haus meiner Frau. Eine plötzliche Vision zeigt mir den Salon, den Weihnachtsbaum, die Mistel, mein Töchterchen und ihre verlassene Mutter … Gewissensbisse überfallen mich, ich stehe auf, schütze ein Unwohlsein vor und gehe.
Durch die schreckliche Rue de la Gaieté, wo die gemachte Lustigkeit der Menge mich beleidigt, und die düstere, schweigsame Rue Delambre, eile ich nach dem Boulevard Montparnasse und werfe mich vor der Brasserie des Lilas auf einen Sessel.
Kaum aber dass mich ein guter Absinth ein paar Minuten lang tröstet, als eine Bande Kokotten mit ihren Studenten des Wegs kommt und auf mich losstürzt. Man schlägt mich mit Ruten ins Gesicht, dass ich wie von Furien gejagt, meinen Absinth stehen lasse, um auf dem Boulevard St. Michel im Franz I. einen andern zu trinken.
Aber vom Regen in die Traufe! Ein neuer Trupp grinst mir sein: Heda, der Einsiedler! entgegen. Und ich fliehe, von Eumeniden gepeitscht, unter den foppenden Geleitfanfaren der Mirlitons nach Hause.
Der Gedanke an eine Züchtigung, als Folge meines Verbrechens, kommt mir nicht. Vor mir selbst fühle ich mich als unschuldiges Opfer einer ungerechten Verfolgung. Die Unbekannten haben mich gehindert, mein großes Werk fortzusetzen: so musste, was sich nicht biegen wollte, brechen, bevor ich wagen konnte, die Hand nach der Krone des Siegers auszustrecken.
Ich habe unrecht gehabt, und zugleich habe ich recht gehabt und werde recht behalten.
Diese Weihenacht schlief ich schlecht. Ein kalter Luftzug streifte mehrere Male mein Gesicht, und von Zeit zu Zeit weckte mich der Ton einer Gitarre.
Allmählich überkommt mich eine gewisse Hinfälligkeit. Meine schwarzen, blutigen Hände hindern mich am Auskleiden und am Ordnen meiner Toilette. Die Furcht vor der Hotelrechnung lässt mir keine Ruhe mehr, und ich wandere in meinem Zimmer, wie ein wildes Tier in seinem Käfig, auf und ab.
Ich schlafe nicht mehr, und der Wirt rät mir das Krankenhaus an. Es ist zu teuer, und man muss es vorher bezahlen, also ist es damit nichts. Aber mit einem Male beginnen die Armadern anzuschwellen –: also Blutvergiftung. Das ist der Gnadenstoß. Das Gerücht davon verbreitet sich unter meinen Landsleuten, und eines Abends kommt die gute Frau, aus deren Abendgesellschaft ich auf eine nichtswürdige Weise ausgerissen war, sie, die mir zuwider war, die ich fast verachtet hatte, sie kommt zu mir, erkundigt sich, begreift mein Elend und bezeichnet mir unter Tränen das Krankenhaus als einzige Rettung.
Man stelle sich meine Hilflosigkeit und meine Zerknirschung vor, als mein beredtes Schweigen ihr endlich begreiflich macht, dass ich ganz ohne Mittel bin. Sie weint laut auf, da sie mich so gefallen sieht.
Sie will sofort unter den Skandinaviern eine Sammlung veranstalten und den Gemeindegeistlichen aufsuchen, denn sie selbst ist arm und von Sorgen des täglichen Lebens überhäuft. Die Sünderin hat Erbarmen mit dem Manne, der soeben sein rechtmäßiges Weib verstoßen.
Bettler, der ich bin, doppelter Bettler, da ich um Nächstenliebe durch die Vermittlung eines Weibes bitte! Ist da nicht eine unsichtbare Hand im Spiele, welche die unwiderstehliche Logik der Ereignisse lenkt? Und ich...